Skurrile Geschichten aus Serbien
“Herr Pohotni, Vertriebsleiter einer angesehenen hauptstädtischen Bank, hatte eine Begegnung mit Gott.” So beginnt Zoran Živkovićs Geschichte Der Zug. Und weiter: “In der ersten Klasse, versteht sich.” Herr Pohotni ist nicht der Einzige, der eine überraschende Begegnung erlebt – sechs Protagonisten sehen sich unter dem Hauptthema Unmögliche Begegnungen mit einem unerwarteten Zusammentreffen konfrontiert. Unglaubliches stößt auch den Figuren im Kapitel Zeitgeschenke zu: Sie erhalten Besuch von einer absonderlichen Gestalt, die ihnen eine Reise in die Vergangenheit oder Zukunft schenkt. Ist sie der Teufel? Und wenn ja – wer könnte ein solches Geschenk ablehnen? Durchtrieben ist Živkovićs Teufel und sehr gewitzt, schickt er doch zum Beispiel einen sündigen Pfarrer zur Strafe in den Himmel: “Jedes Mal, wenn ich eine gestrauchelte Seele aufnehme, erweise ich Gott nur einen Dienst. Ich befreie ihn von einem, der ihm nicht passt. Aber warum sollte ich das tun? Wir sind ja Gegner und keine Verbündeten, nicht wahr?” Der serbische Autor versteht sich blendend auf unterhaltsame, ironische Kurzgeschichten mit einem verblüffenden Ende.
In insgesamt 28 Short Stories auf 476 Seiten erzählt Zoran Živković von Zeitreisen und Träumen, von Unmöglichem und Skurrilem, von der Bedeutung einer Bibliothek und der Schönheit der Musik. Variantenreich und voller listiger Einfälle stecken diese Geschichten, die jeweils einem von fünf Kapiteln unterstellt sind (Zeitgeschenke, Unmögliche Begegnungen, Sieben Berührungen der Musik, Die Bibliothek, Schritte durch den Nebel) und die sich jederzeit schnell lesen lassen. Diese 28 fantasievollen Kurzgeschichten sind “stories to go”, sie haben genau die richtige Länge und sind perfekt in sich abgeschlossen, sodass man das Buch immer wieder zwischendurch kurz in die Hand nehmen kann, um eine, zwei, drei zu lesen – ohne wie bei einem Roman ständig das Gefühl zu haben, aus der Handlung zu fallen, den Faden zu verlieren. Angenehm ist dieser unmögliche Roman, amüsant, schlau und menschlich. Ich finde nicht alle Stories gelungen, manche lassen mich ein wenig ratlos zurück, der Großteil aber ist überzeugend und lesenswert. Fast jede Geschichte wartet mit einer guten Pointe auf.
Stilistisch wirken Živkovićs Sätze wie aus einem Lehrbuch, sie haben alle Hand und Fuß und bilden in soliden Beschreibungen die Wirklichkeit ab – eine Wirklichkeit, in der es Paralleluniversen, den personifizierten Tod und Zeitreisen gibt. Gut gezimmert sind die Formulierungen, nicht glänzend, aber durchaus zufriedenstellend: “Die Stille meines Ateliers fiel in sich zusammen wie ein Ballon, aus dem plötzlich die Luft entweicht, als es an der Wohnungstür klingelte” heißt es zum Beispiel oder: “In einem Moment war die Welt da und wirklich, sichtbar, greifbar, doch nur einen Augenblick später verblich sie geheimnisvoll im feuchten Atem der Flussgeister”. Wie David Benioff mit Alles auf Anfang hat Zoran Živković mit Der unmögliche Roman dazu beigetragen, dass meine Abneigung gegen Kurzgeschichten langsam schwindet. Mit seinem plastischen Stil und dem surrealen Inhalt kann dieser Autor ausgezeichnet unterhalten. Ihn zu lesen, ist wie einen netten Kaffeeplausch zu halten. Seine Geschichten kommen harmlos daher – und entpuppen sich dann als erstaunlich vielschichtig. Gut!
Durchgekaut und einverleibt. Von diesem Buch bleibt …
… fürs Auge: ein großartiges Cover!
… fürs Hirn: die fantasievollen Überlegungen zu Zeitreisen und Parallelexistenzen.
… fürs Herz: die große Sympathie, die der Autor seinen Figuren entgegenbringt – als wären sie liebe Verwandte.
… fürs Gedächtnis: die Geschichte Die virtuelle Bibliothek.
Der unmögliche Roman ist erschienen bei Dumont (ISBN 978-3832196158, 24,99 Euro).