“Jack is five. He lives in a single, locked room with his Ma”
Die Welt von Jack misst 11 mal 11 Fuß und seine Freunde sind Tisch, Teppich, die Eierschalenschlange und Dora aus dem Fernsehen. Seine Tage sind klar strukturiert, zum Frühstück gibt es abgezählte Cornflakes, einmal in der Woche wird gebadet, einmal geputzt. Mit seiner Ma denkt er sich Reime, Spiele und Lieder aus zum Zeitvertreib. Davon brauchen sie sehr viel in room: Jack ist zusammen mit seiner Ma hier eingesperrt. Eine Tür mit unenträselbarem Code, unzerstörbare Wände und ein kleines Deckenlicht: Es ist das perfekte Gefängnis. Was sich außerhalb von room befindet, weiß Jack nicht – bis seine Ma dem neugierigen Fünfjährigen plötzlich verwirrende Geschichten erzählt, die von einer Großmutter, von Vogelgezwitscher und Sternen handeln und die ihn völlig verstören: “My head’s going to burst from all the new things I have to believe.” Jacks Ma schmiedet einen Plan, um ihrem Peiniger, der sie entführt hat, endlich zu entkommen. Doch während sie sich seit sieben Jahren nach einem freien Leben, nach Sonne, frischer Luft und ihrer Familie sehnt, ist room für Jack alles, was er kennt, er ist hier glücklich …
Emma Donoghues außerordentlich spannender Roman Room stand 2008 auf der Shortlist für den Man Booker Prize – und hätte diesen Preis auf jeden Fall verdient. Denn dieses Buch ist nicht nur fesselnd, emotional und originell, sondern auch herausragend erdacht und mit viel Liebe zum Detail ausgearbeitet. Der kleine Jack ist kreativ, lustig und höflich – und lebt in einer Extremsituation, wie man sie sich grausamer kaum vorstellen mag. Der Gedanke, dass er und seine Mutter gefangen sind in einer Art Gartencontainer, umgeben von nichtsahnenden Nachbarn und dem normalen Leben, an dem sie nicht teilhaben können, lässt einen beim Lesen manchmal nach Luft ringen. Sie sind der Willkür von “Old Nick” ausgeliefert, der fast jede Nacht kommt und von dem sie in Sachen Nahrung, Strom und Wasser abhängig sind. Jacks Mutter gibt sich alle Mühe, Jack die Tücken der Sprache zu erklären, viel Abwechslung in seinen beengten Alltag zu bringen und seine Fragen zu beantworten – doch ihre Mittel dafür sind arg begrenzt. Was geschieht mit einem solchen Kind, wenn es zum ersten Mal die Weite des Himmels, andere Menschen, einen Hund, ein Einkaufszentrum sieht? Was passiert, wenn es den Paparazzi vor die Linse kommt, wenn es Bakterien ausgesetzt wird, der Sonne, Sarkasmus? Ich möchte nicht spoilern und nicht zu viel vom Inhalt verraten, nur so viel sei gesagt: Ich ziehe den Hut vor Emma Donoghues Einfallsreichtum und Einfühlungsvermögen. Room ist ein absoluter Pageturner, spannend und mitreißend von der ersten bis zur letzten Seite.
Die Parallelen zu den Fällen von Natascha Kampusch und der Tochter von Fritz P., hierzulande in den Medien dominant, sind natürlich offensichtlich. In der Tat hat sich Emma Donoghue von Felix Fritzl, der in Gefangenschaft geboren wurde und mit fünf Jahren die Außenwelt betrat, inspirieren lassen. Das Entsetzen über ein derart eingeschränktes Leben, wie es Jack und seine Mutter führen, der Medienrummel, die Auswirkungen einer solchen Gefangenschaft – all das hat Emma Donoghue auf kluge, lesenswerte und berührende Weise verarbeitet. Jack und seine Ma haben eine überaus enge Bindung, in room können sie ohneinander nicht existieren: “It’s weird to have something that’s mine-not-Ma’s. Everything else is both of ours. Also when I tell her what I’m thinking and she tells me what she’s thinking, our each ideas jump into our other’s head, like coloring blue crayon on top of yellow that makes green.” Seit Langem – genauer gesagt seit Little Bee im November 2010 – hat mich kein Buch so bewegt und beschäftigt wie Room. Ich kann nicht aufhören zu lesen, und wenn ich es doch tun muss, denke ich dennoch ständig an Jack und seine Geschichte. Ich fühle mit, ich fiebere mit, ich entwickle eine tiefe Sympathie für den tapferen Fünfjährigen, ich kämpfe mit meiner Angst vor einer solchen schrecklichen Gefangenschaft, ich schmunzle über Jacks schlaue Beobachtungen der ihm fremden Welt und bin am Ende von Room ganz erfüllt von diesem wunderbaren Leseerlebnis. Für mich das bisher beste Buch des Jahres. “This book will break your heart”, schrieb die Irish Times – und hat recht damit.
Durchgekaut und einverleibt. Von diesem Buch bleibt …
… fürs Auge: ein passendes, etwas effektheischendes Cover, tolles Türkis.
… fürs Hirn: die Auseinandersetzung mit der eigenen Angst, so leben zu müssen, und die mahnende Erinnerung an die Hyänenhaftigkeit der Presse.
… fürs Herz: beinahe jedes Detail über Jacks Leben ist herzzerreißend.
… fürs Gedächtnis: dieses ganze faszinierende und empfehlenswerte Buch. LESEN!
Den möchte ich auch gerne Lesen.
Leider dauerts noch etwas, bis er auf deutsch erscheint.
Wenn es irgendwie geht, lies es auf Englisch! Das lohnt sich allein schon wegen der Sprachwitze und Begrifflichkeiten des kleinen Jack!
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wirklich ein super buch!! habs gar nicht mehr weglegen können!!
ich sollt öfter auf deiner seite vorbeischaun!!!
Da kann ich dir nur zustimmen – was das Buch betrifft und dass du öfter bei mir vorbeischauen solltest 😀
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