Bücherwurmloch

Sarah Raich: Hell und laut

„Und wenn der König sein Interesse verlor, dann hatte sie nichts, wohin sie gehen konnte“

Die Sache ist: Ihr kennt Hrotsvit von Gandersheim mit ziemlich großer Sicherheit nicht. Ihr solltet sie aber kennen. Dass ihr noch nie von ihr gehört habt, liegt daran, dass Frauen im Allgemeinen und schreibende Frauen im Besonderen seit Jahrhunderten ausradiert werden. Dieser Roman beweist, dass das stimmt, denn er erzählt von der ersten deutschen Autorin. Und es tut weh, sich zu vergegenwärtigen, dass sie im 10. Jahrhundert gelebt und geschrieben hat. Wie könnte diese Welt sein, hätten wir nicht von Anfang an Mädchen und Frauen keinen Platz und keinen Wert gegeben, hätten wir ihrer Fantasie und ihren Werken dieselbe Aufmerksamkeit zukommen lassen wie denen von Männern? Wie anders wäre die Geschichtsschreibung, die Gesellschaft? Sarah Raich hat unglaublich intensiv und lange recherchiert. Sie hat sich einer Frau gewidmet, deren Ruf nie verklungen ist, sondern zum Verstummen gebracht wurde. Sie hat über sie und für sie geschrieben. Sie hat ihr Leben zu Papier gebracht und dabei das verwendet, was Hrotsvit selbst vor so langer Zeit unendlich fasziniert hat: Worte.

Wo sind die Statuen, die Hrotsvit von Gandersheim zeigen? Wo sind die Schulbücher, die von ihr berichten? Wo sind die Ehrungen, wenn sich ihr Geburtstag jährt, die Referenzen auf ihr Schreiben? Ihre Erzählung ist ein Vorläufer des Faust-Stoffs. Sie war die erste Dramatikerin des christlichen Mittelalters. Sie war, verdammt nochmal, wichtig. Sarah Raich ist ein herausnehmend guter historischer Roman gelungen, locker und flüssig, der vor dem Hintergrund des Lebens im 9. Jahrhundert ein aufgewecktes Mädchen beschreibt, eine mutige Frau, eine vergangene Zeit – und dabei gleichzeitig wichtige Aufklärungsarbeit leistet. Wie wichtig, das ordnet auch Magda Birkmann im lesenswerten Nachwort ein. Jetzt liegt es an uns, dieses Buch zu lesen, zu verschenken, ihm die Bühne zu verschaffen, die es verdient hat – und Hrotsvit von Gandersheim.

One Comment to “Sarah Raich: Hell und laut”

  1. Liebe Mareike

    Das klingt wirklich sehr gut und ja, auch ich habe irgendwie noch nie etwas von Hrotsvit von Gandersheim gehört und möchte das nun sehr gerne ändern.

    Danke für den Tipp und die Einblicke
    Livia

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