„Mir schien, dass sie gewissermaßen ihm selbst die Verantwortung für seine Lage zuschrieben“
Am Rand einer deutschen Großstadt befindet sich ein provisorisches Aufnahmelager für geflüchtete Menschen. Die junge Psychologin, die sich freiwillig meldet, um dort zu arbeiten, ist am Anfang noch voller Idealismus und der Gewissheit, das Richtige zu tun. Schnell stellt sich allerdings heraus, dass sie nur Heftpflaster auf klaffende Wunden klebt, dass sie mit stupiden Regeln reagieren muss auf emotionales Trauma, dass es kein Budget gibt und keine Hoffnung.
„Also sah ich ihm nur zu, fühlte mich wie eine Voyeurin, da ich ein Leid bezeugte, gegen das ich nichts zu tun imstande war“
Die Autorin Theresa Pleitner ist selbst Psychologin und hat in einer Unterkunft für Geflüchtete gearbeitet. Ihr schmales Buch wirkt an mancher Stelle wie ein Erfahrungsbericht, wie ein Versuch, das Erlebte aufzuarbeiten – und die Frage ist, ob das überhaupt möglich ist. Denn die Dinge, die in diesem Buch und im wahren Leben geschehen, sind nichts anderes als schrecklich. Sinnlos. Furchterregend. Zutiefst beschämend. Theresa Pleitner gibt einen Einblick in den Umgang mit Menschen, die so vieles brauchen und nichts davon bekommen. Sie sind zerbissen von Bettwanzen, sie sind verstört, ihrer Heimat beraubt, voller Angst, sie zerschellen an der Perspektivenlosigkeit, und das Einzige, was passiert, ist, dass sie bei der nächsten Gelegenheit abgeschoben werden. „Über den Fluss“ erzählt aus der Sicht weißer privilegierter Menschen, die sich selbst sehr leidtun, weil sie sich in einer Pattsituation befinden: Sie agieren in einem System, in dem ihnen beide Hände gebunden sind. Sie echauffieren sich über dieses System und die eigene Hilflosigkeit, ohne anzuerkennen, dass sie sehr wohl etwas daran ändern könnten – dass das aber niemand will. Was die Handlung betrifft, ist dieser Roman nicht aufregend, schon am Anfang ist klar, wie er enden wird und was auf dem Weg dorthin gezeigt werden soll. Er könnte schockieren, thematisiert aber zugleich eine gewisse Abgestumpftheit und Gleichgültigkeit, die alles nur noch schlimmer macht. Es tut weh, dieses Buch zu lesen, und das soll es auch.
Oh, das klingt heftig, aber gut.
Danke, liebe Mareike, für den Buchtipp. Das Buch wäre mir sonst glatt entgangen.
Alles Liebe
Livia