Prost Mahlzeit: 1 Stern

Abgedreht und anstrengend
Michael Boone, genannt Butcher Bones, ist ein berühmter Maler – und ein Arschloch. Er ist arrogant und egoistisch. Bei seiner Scheidung verliert er alles, er darf seinen Sohn nicht mehr sehen, und weil er an einige seiner wertvollen Bilder kommen will, wird er eingesperrt. Nach der Haftstrafe bietet ihm einer seiner Sammler eine neue Perspektive: Er soll ein Haus, das dieser Sammler bald verkaufen will, instandhalten und potenzielle Interessenten herumführen. Mit ihm zieht Michaels Bruder Hugh: gigantisch fett, aggressiv und zurückgeblieben. Und dann taucht auch noch eine Frau auf: Amanda, verheiratet mit dem Enkel des berühmten Leibovitz. Als ein Gemälde von Leibovitz verschwindet, steckt Michael schon wieder mitten im Ärger.

Peter Carey hat schon acht Bücher geschrieben, wurde mit Preisen überhäuft und scheint ein viel gelesener Autor zu sein. Mir behagt sein Ton jedoch gar nicht: Wie Michael bzw. Hugh abwechselnd erzählen, ist mir in der Tonalität zu angepisst, gehässig und vulgär. Das Rätsel um den gestohlenen Leibovitz ist völlig unspannend, die Einschübe des minderbemittelten Bruders sind wahnsinnig anstrengend. Einen Pluspunkt gibt es für das gut recherchierte und eingebundene Theoriewissen über Malerei, Sammlerinteressen, Techniken und berühmte Pinselschwinger. Ansonsten kann ich diesem ausgesprochen langweiligen Buch leider gar nichts abgewinnen.

Gut und sättigend: 3 Sterne

Vom Leben in einer Diktatur
Sie sind geflohen und leben fern der Heimat: die Menschen, mit denen Barbara Demick gesprochen hat. Ihre Heimat versinkt im Dunkel, und zwar sprichwörtlich: Aus dem Weltall sieht man hier keine Lichter, nichts, das leuchtet und auf Leben hinweist. Die Rede ist von Nordkorea. “Uns fehlt es an nichts in der Welt” singen die Nordkoreaner, doch eigentlich fehlt es ihnen an allem: an Nahrung, Strom, an Lebensfreude, Privatsphäre und ganz einfach Freiheit. Schon als Kinder werden sie indoktriniert, im Westen, so lernen sie, gehe es allen Menschen viel schlechter als ihnen. Ein Entkommen gibt es kaum, und die verheerende Hungerkatastrophe der Neunzigerjahre fordert zwei Millionen Leben. Unter Kim Il Sung und später Kim Jong Il, die sie wie Götter verehren, kennen die Menschen nur Arbeit, Leid und Not.

Barbara Demick ist Journalistin und Korea-Expertin. Für ihren Bericht über das Leben in Nordkorea hat sie mit vielen Menschen geredet, hat sich ihre Lebensgeschichte angehört, ihnen behutsam Fragen gestellt, hat sich für sie interessiert. Sie erzählt von Mi-ran und ihrem Verehrer Jun-sang, die sich nur heimlich in der Dunkelheit treffen konnten, von der Ärztin Kim Ji-eun, die ihren Patienten nicht helfen kann, und von Song Hee-suk, die mit bitteren Zweifeln am Regime zu kämpfen hat. Wie es um Nordkorea steht, das ist uns bekannt – aber das Land ist weit weg. Wie lebt man dort wirklich? Die Autorin liefert eine brillante Reportage, mischt Fakten und Fiktion, bereitet die Info im Romanstil auf. Das ist beeindruckend und bewegend. In meiner China-Kommunismus-Autobiografie-Phase habe ich viele vergleichbare Bücher gelesen, jedoch nichts über Nordkorea. Die Zeitzeugen liefern ein beängstigendes Bild dieses verhungernden Landes. Barbara Demick hat eine kritische Sicht, zeigt aber auch Verständnis für die Menschen. Ein Einblick in eine weit entfernte und nicht lebenswerte Welt.

Gut und sättigend: 3 Sterne

Das Leben der Vorfahren
Ruth ist blond, schlank, groß, blauäugig – und Jüdin. Sie ist ein selbstsüchtiger und ungerechter Mensch, frustriert und gelangweilt in ihrer Ehe und viele Jahre über verliebt in einen anderen als ihren Mann, in den wankelmütigen Robert. Mit ihrer Tochter Anuschka kommt sie nicht zurecht, ihr etwas zurückgebliebener Bruder Ferdi bekommt wie alle anderen sanfte Liebe an einem Tag, aggressive Launen am anderen zu spüren. Als die Situation in Deutschland für Juden immer gefährlicher wird, muss Ruth mit ihrer Familie nach Israel fliehen. Dort fühlt sie sich abgedrängt und verzehrt sich nach Robert. Sie findet ihn wieder – doch er tritt auf völlig andere Weise erneut in ihr Leben als gedacht … Erzählt wird Ruths Geschichte von ihrer Enkelin Nomi, Verlegerin aus Tel Aviv, die mit Mitte vierzig endlich erkennt, dass sie ihre Wurzeln nicht länger ignorieren kann. Um herauszufinden, was mit ihren Eltern geschah, liest sie Ruths Tagebücher.

Edna Mazya ist eine der bekanntesten Theaterschriftstellerinnen Israels. Ihre eigenen Vorfahren wanderten aus Österreich nach Tel Aviv aus. Zu den Themen, die sie in ihrem Roman behandelt, hat sie also einen sehr persönlichen Bezug. In Über mich sprechen wir ein andermal steht der Holocaust nicht direkt im Vordergrund, vielmehr rumort er als Auslöser für die Ereignisse. Hass, Misstrauen und Disharmonie herrschen auch in Ruths Familie vor: Hier gibt es niemanden, der glücklich ist, ganz besonders nicht Ruths Tochter, die später zur eisernen Kommunistin wird. Edna Mazya schreibt flott und angenehm, die Erzählung ist interessant – aber nicht herausragend. Eine Frau, die über ihre Vorfahren forscht und dabei jede Menge Unzufriedenheit, Zerrissenheit und unschöne Familienbeziehungen entdeckt, das ist nichts Neues. Der Roman hat Ecken und Kanten, ist gut strukturiert, reißt mich aber nicht vom Hocker. Insofern: gutes Mittelfeld.

Kleine Köstlichkeiten: 4 Sterne

Formvollendet
Sie kannten sich in ihrer Kindheit: Walter und Alexander. Nun, Jahre später, berichten sie beide aus ihrem Leben: Walter ist der Sohn eines berühmten Architekten, planlos bei seiner Berufswahl, mit dem neuen Ziel, Schauspieler zu werden. Alexander dagegen arbeitet als Altenpfleger, ist mit seinem Leben unzufrieden und hat eine komplizierte Beziehung mit Lydia, die mit allerlei psychischen Problemen kämpft. Und dann gibt es eine Person, die die beiden jungen Männer verbindet: die Therapeutin Valerie. Alexander begegnet ihr über seine Arbeit, Walter soll in ihren Therapiesitzungen bei Rollenspielen auftreten. Das gerät jedoch ein wenig aus den Fugen. Und als Valerie brutal zusammengeschlagen wird, bricht unentwirrbares Chaos aus.

Clemens J. Setz, ein vielgelobter sehr junger österreichischer Schriftsteller, hat es mit Die Frequenzen auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises geschafft. Wie schreibt er also? Gut. Sehr pointiert, mit schönen Formulierungen, auf den Punkt gebracht. Teilweise scheint mir der Stil etwas zu bemüht, da ist er nicht flüssig, sondern wirkt eher so, als hätte der Autor die Metaphern absichtlich gedreht, umgelegt, um sie besonders auffällig und ungewöhnlich machen. Das ist aber nur stellenweise der Fall, grundsätzlich bleiben die Sprachbilder im Rahmen des Vorstellbaren. Was den Inhalt angeht, so wird dieser im zweiten Teil des Buchs immer abstruser. Worum geht es eigentlich? Die Väter spielen eine wichtige Rolle, sowohl bei Walter, der im Vaterschatten steht, als auch bei Alexander, der von seinem Erzeuger verlassen wurde. Dies ist ein Buch über das Vor-sich-hin-Leben, das Planlos-Sein, das Ein-wenig-verloren-Sein. Höhepunkt der Story ist auf jeden Fall der Angriff auf Valerie. Danach gerät der Roman aus den Fugen, als ginge ihm die Luft aus, immer mehr Personen tauchen auf, sogar ein Hund bekommt eine eigene Perspektive, was ich sehr irritierend finde. Es scheint, als habe sich der Autor irgendwie verrannt, das Ende lässt mich eher grübelnd zurück. Das ändert allerdings nichts an der wunderbaren Sprache, mit der Setz wirklich beeindrucken kann.

Kleine Köstlichkeiten: 4 Sterne

Ein rasanter Roadtrip mit Schmunzelpotenzial
Herbert Szevko führt ein Leben, das einem Albtraum gleicht: Gemeinsam mit seiner alten Mutter sitzt er jeden Tag in einer heruntergekommenen Tankstelle in einem winzigen Dorf und wartet darauf, dass etwas passiert. Sein Zimmer teilt er sich mit Goldfisch Georg. Außer Herberts epileptischen Anfällen geschieht aber nichts. Gar nichts. Bis am Horizont plötzlich ein klapperndes Fahrrad auftaucht mit einer dicken jungen Frau in einer kurzen engen Hose. Das ist Hilde Matsovsky. Sie lächelt Herbert an. Und Herbert haut es um. Da bleibt ihm eigentlich nichts anderes übrig, als Hilde zu sich zu holen. Beim Schlachtsaufest tanzt er mit ihr und das Glück rinnt ihm oben in den Kragen hinein. Darauf hat Herbert 27 Jahre gewartet. Mit der Liebe hat er keine Übung, und deswegen ist das Zusammensein mit Hilde gar nicht so einfach. Außerdem geraten Herbert, Hilde und die Mutter plötzlich in einen Strudel aus Ereignissen, der sie aus dem Dorf hinaus und in einen riesigen Schlamassel hinein treibt. Und was ihnen dann alles passiert, ist eigentlich unglaublich – und führt beim Lesen garantiert zu Lachfalten.

Die weiteren Aussichten ist ein verblüffend amüsantes Buch über das Leben und das Schicksal, das “… wenn du am allerwenigsten damit rechnest oder wenn du sogar mit überhaupt nichts mehr rechnest, genau dann (…) vor dir steht, dir vor die Füße spuckt und breit lachend zuschaut, wie es dich zerlegt”. Es kommt alles mit einer solchen Regelmäßigkeit anders als gedacht, dass ich bei jeder Wendung angenehm überrascht bin. Und auch wenn die Handlung manchmal abstrus ist, wirkt sie doch immer authentisch durch den ironischen Sprachwitz und die “Matter of fact”-Formulierungen. Von Anfang an kommt mir der Humor sehr österreichisch vor und ich überlege, ob Robert Seethaler Österreicher ist: Mit dem Wort “ungustiös” hat er sich dann eindeutig verraten. Die Geschichte dieses Buchs ist völlig verrückt. Und genau das finde ich wunderbar erholsam: Ich amüsiere mich. Und habe zum ersten Mal seit viel zu langer Zeit wieder Spaß am Lesen.

Die weiteren Aussichten ist originell, wahnwitzig, völlig überdreht, sehr schrullig und auch ein bisschen traurig. Sogar mit dem fulminanten Ende gelingt dem Autor noch einmal ein unerwarteter Überraschungsschlag. Ich mag es, wie er Herbert und Hilde hilflos durch ihre Verliebtheit strampeln lässt, wie er sie durch Missverständnisse entzweit und ihnen das Lieben nicht leicht macht, wie er die lästernden, einfältigen Dorfbewohner schildert und eine gewisse Heiterkeit aufrechterhält, wenn es längst Zeit für Verzweiflung wäre. Aber das Unglück ist eben manchmal komisch. Und das Glück sowieso. Slapstick zum Lesen!

Prost Mahlzeit: 1 Stern

Sarkasmus auf Italienisch
Bepy Sonnino war ein Lebemann, ein Frauenheld, ein Charmeur, ein Gauner. Als römischer Jude überlebte er den Holocaust und häufte durch Gier und Rücksichtslosigkeit ein Vermögen an – das er wieder verlor. Er stürzte seine Familie ins Unglück und wurde von ihr dennoch bis zum Schluss auf ein Podest gestellt. Gestorben ist er an Prostatakrebs, denn eine Operation verweigerte er – weil er dadurch impotent hätte werden können. Und für Bepy war ein guter Fick das Wichtigste. Erzählt wird die Geschichte von Bepys Enkel Daniel, einem erfolglosen 30-jährigen Doktor der Literatur, Strumpfhosenfetischist und Single. Er hat seit seiner späten Jugend eine Obsession für die schöne Gaia. Und von Bepy hat er in erster Linie eine unsympathische Arroganz geerbt, die ihn im Leben scheitern lässt.

Mit bösen Absichten ist ein italienischer Roman über italienische Eigenschaften: Selbstverherrlichung, Machotum und eine übertriebene Gewichtung der Familienehre. Die Figuren im Roman sind rassistisch, intolerant und frauenfeindlich. Kein Wunder, dass die Kritiker das Buch als “schonungslos ehrlich” und “herrlich perfide” feierten, Piperno gewann zudem die wichtigsten italienischen Literaturpreise. Nur lässt der Autor seinen Protagonisten meiner Meinung nach allzu oft gegen die typischen Feindbilder wettern und nutzt den Deckmantel der Ironie gefährlich ab. Das klingt dann beispielsweise so: “Und man muss bedenken, dass die Schwulen wie die Juden und die Neger sind: Es ist schön, die Idee zu lieben, die sie repräsentieren, es ist schön, zu wissen, dass es sie gibt, aber es ist absolut anstößig, mit ihnen zu verkehren.” Da steckt natürlich – wie in vielen anderen Formulierungen – ein Körnchen Wahrheit. Der überzogene Sarkasmus geht aber stellenweise nach hinten los. Es ist halt auch sehr einfach, sich über die alten Tabus zu mokieren. Lockt das denn tatsächlich noch jemanden hinter dem Ofen hervor?!

Das ist jedoch nicht mein Hauptproblem mit Mit bösen Absichten. Vielmehr geht die Geschichte ins Leere. Bepy als vermeintliche Hauptfigur bleibt eine Statue, ein Symbol, oberflächlich und leer. Daniel selbst ist ein langweiliger und sinnloser Mensch. Eine Handlung gibt es nicht. So besteht das Buch im Endeffekt aus einer Aneinanderreihung von vermeintlich bösen Ansichten, intellektuellen Einwürfen und abgehobenen Ideen über die Menschheit. Eine chronologische Reihenfolge der Ereignisse herrscht nicht vor, das Skelett des Romans wird nicht mit Inhalt gefüllt. Es passiert herzlich wenig, vielmehr werden die einzelnen Familienmitglieder kurz vorgestellt – immer in Verbindung mit ihren äußerst bedenklichen Meinungen über Juden, Schwule und Neger (ja, schön, eine vielfache Verwendung eines Tabuworts macht offensichtlich einen literarischen Erfolg, deshalb kommt auch oft Ficken vor). David mag sowieso niemanden, schon gar nicht sich selbst. Der Stil ist extrem exaltiert und geschwollen, es gibt viele Klammern, die Anrede wechselt immer wieder unvermittelt in die Du-Form, die Zeit springt beliebig hin und her. Ach, langer Rede kurzer Sinn: nicht gut!

Netter Versuch: 2 Sterne

“Once upon a time a book broke a family”
Als der Schriftsteller Arthur in London bei einem Unfall stirbt, ist nur die Amerikanerin Laurie bei ihm. Sie kennen sich nicht, und doch ist Laurie von Arthurs Tod erschüttert. Genauso wie seine Frau Martha und seine Kinder Luke und Rachel. Gemeinsam versuchen sie den Schock zu verarbeiten – jeder auf seine Weise. Als Kinderbuchautor hat Arthur es nicht sehr weit gebracht, seine Bücher sind unbekannt. Das ändert sich jedoch, als Laurie sie in die Finger bekommt und in ihrer Radiosendung vorstellt. Plötzlich bricht rund um die “Hayseed”-Serie ein Hype aus, die Bücher werden zur Pflichtlektüre, Merchandising-Produkte werden hergestellt, es kommt gar zu einer Verfilmung. Am schlimmsten ist das wohl für Luke: Er ist der Held der Geschichte rund um einen Jungen in Darkwood, dessen böser Gegenspieler ein gewisser Mr. Toppit ist. Seine Schwester Rachel hat dagegen mit einem ganz anderen Problem zu kämpfen: Sie kommt mit keinem einzigen Wort vor.

Die Geschichte in Mr. Toppit wird von Luke und Laurie erzählt. Im Mittelpunkt stehen Arthur, bereits verstorben, und seine Hinterlassenschaft in literarischer Form. Der Klappentext verrät, dass die Bücher die Familie zerstören und dass sie ein Geheimnis bergen, das besser unentdeckt bliebe … Schön formuliert, nur leider falsch. Zwar macht der Rummel um die Bücher der Familie das Leben schwer, von Zerstörung kann aber nicht die Rede sein. Martha ist ohnehin eine sehr distanzierte und lieblose Mutter, Arthur scheint auch niemandem so richtig abzugehen. Und was das Geheimnis betrifft, so liegt das eigentlich bereits im ersten Drittel des Buchs offen – und ich bin extrem enttäuscht, als mir klar wird, dass DAS, was ich längst wusste, der inhaltliche Höhepunkt sein soll. Das ist lahm! Vom Sprachlichen her ist Mr. Toppit durchaus solide geschrieben, keine stilistische Haubenküche, aber bodenständige Kost. Was die Geschichte aber eigentlich vom Leser will, bleibt unklar. Charles Elton schreibt von einem Jungen, der mit seiner Popularität kämpft, von einer dicken Radiomoderatorin mit einer lästigen Mutter, von Kinderbüchern, aus denen aber zu wenig zitiert wird, um ihren Kern zu verstehen. Das alles führt leider nirgendwo hin, eine Prämisse fehlt. Dies ist eine simple, seichte Erzählung. Der Autor hätte definitiv mehr aus seiner Idee machen können – mit einem spannenderen, mystischeren Buch. Die hervorragenden Kritiken bleiben für mich rätselhaft.

Einzig gutes Zitat: “If you aim high you can’t shoot yourself in the foot.”

Gut und sättigend: 3 Sterne

Von der Schwierigkeit, (gut) zu leben
Alle 9,5 Jahre trifft Eddie auf Amanda: Bei ihrer ersten Begegnung sind sie noch Kinder, bei ihrem vierten Zusammentreffen hat Eddie nur drei Dollar in der Tasche. Wie konnte es dazu kommen? Was ist ihm geschehen? Damit beschäftigt sich Three Dollars. Während des Studiums lernt Eddie seine spätere Frau Tanya kennen, sie haben große Pläne, sind politisch engagiert, Tanya beginnt auf der Uni zu arbeiten, Eddie für die Umweltbehörde. Sie richten sich ein Leben ein und versuchen trotz der “Anfälle von Gewöhnlichkeit” glücklich zu werden. Die Probleme, die sie meistern müssen, sind die eines jeden Ehepaares: Schwierigkeiten mit der Arbeit, Diskussionen mit der Bank, Ratenzahlungen, Freunde, die sich verändern, das Erwachsenwerden an sich. Ein Schwerpunkt liegt aber auf den wirtschaftlichen Verhältnissen: Wie können zwei junge Menschen sich etwas aufbauen, genug verdienen und gut leben? Elliot Perlman findet in Three Dollars auf diese Frage eine recht drastische Antwort.

Gut an diesem Buch ist, dass Elliot Perlman – der inzwischen mit den deutschen Übersetzungen seiner Bücher auch hierzulande bekannt geworden ist – ein talentierter Schriftsteller ist. Der Roman ist ausgezeichnet strukturiert, Eddie als Protagonist hat eine sympathische Stimme, der Ton ist stimmig, die Formulierungen sind es auch. Schlecht an diesem Buch ist, dass einige Ansätze im Sand verlaufen und Elliot Perlman nicht alle Erwartungen, die er selbst weckt, erfüllt. Beispielsweise spielt Amanda nicht die tragende Rolle, die ihr zu Beginn angedichtet wird, im Gegenteil, sie bleibt eine unwichtige Randfigur. Das ist in Ordnung, aber unbefriedigend. Meine anfängliche Begeisterung sinkt ab der Hälfte des Buchs leider immer mehr, denn es wird zunehmend deprimierender, fast schon weltuntergangsmäßig, und mit dem Ende bin ich absolut unzufrieden. Dennoch ist es interessant, wie Elliot Perlman den Absturz zweier Menschen beschreibt, wie er ihr Scheitern skizziert und sie ins Verderben rennen lässt. Er ist dabei schonungslos und zeigt unsere Gesellschaft als materiell orientiert, unbarmherzig und sinnentleert. Was also bleibt? Die Erkenntnis, dass wir alle Normalos sind, so besonders wir auch gern wären. Dass das Leben schwierig ist. Und dass das Buch ein wirklich herausragend tolles Cover hat.

Kleine Köstlichkeiten: 4 Sterne

Wenn die Liebe hereinbricht wie eine Urgewalt

“Er sah sie ganz erschrocken an, und sie erschrak auch.” Als Thomas und Senta sich treffen, wirft es beide aus der Bahn. Es ist ein heißer Sommer: “In der Hitze lösten sich die Konturen auf, da hatten die Körper keine Grenzen mehr. Haut und Luft bestanden aus demselben Stoff, sie rieselten ineinander …”. Plötzlich stehen die beiden einander gegenüber, und es ist ein so normaler Abend, dass sie nicht damit rechnen konnten, dass das Schicksal zuschlagen würde. Dass die Liebe sich nie ankündigt, das ist ihnen wohl bewusst, sind sie doch beide schon über vierzig. Aber eine solche Liebesgewalt haben sie nicht erwartet. Sie saugen sich aneinander fest, können sich nicht mehr trennen. Und müssen einander doch erst kennenlernen: Da tun sich Missverständnisse auf, Erwartungen werden enttäuscht, der Verstand mischt sich ein. Senta ist hysterisch und heult viel, Thomas zeigt sich manchmal unsensibel. Da krachen sie also zusammen, zwei Persönlichkeiten, die einander völlig fremd sind – und doch plötzlich zusammengehören.

Treffen sich zwei ist genau das, was der Titel sagt: ein Buch über eine Begegnung. Es ist mutig von Iris Hanika, einen Roman zu schreiben über die Liebe – über das Banalste und gleichzeitig Außergewöhnlichste, das zwei Menschen passieren kann. Sie tut das auf eigenwillige Weise, mit einem inszenierten, überzogenen Stil, der wild durcheinandermischt, was des Weges kommt: Zitate, Liedfetzen, pseudotherapeutische Einsichten. Teilweise wechselt die Perspektive, wechselt der Stil mitten im Satz. Und ich muss sagen: Das hat was. Es ist originell, es hat Pfeffer, es bewirkt, dass dieses jahrtausendealte Thema nicht langweilig und abgelutscht, sondern neu und amüsant verpackt ist. Hier sagt einmal jemand, wie es wirklich ist: dass der Traummann Makel hat, dass man weinen muss aus Schock über die Liebe, dass man erst einmal überhaupt nicht zueinander findet und Kommunikation fast unmöglich ist. Das ist authentisch, amüsant und lesenswert. Mit so schaurig ehrlichen Beschreibungen wie “Seine Hände hatte er zu beiden Seiten auf das Mäuerchen gestützt. Das wirkte recht unelegant. Und weil er den Kopf zur Seite wandte, konnte sie sehen, daß er überhaupt keinen Hinterkopf hatte” bringt sie den Leser dazu, hämisch zu lächeln. Weil wir eben nicht alle schön sind und perfekt. Weil wir den anderen manchmal komisch und dumm finden, auch wenn wir verliebt sind. Iris Hanika traut sich, ihre Protagonisten zu verarschen, sie in eine Situation zu schmeißen, in der sie hilflos herumstrampeln, und sie dann hemmungslos zu karikieren. Gewürzt mit einer Prise Kitsch ist das eine gelungene Abbildung der Wirklichkeit. Treffen sich zwei ist ein Roman über Angst und Sehnsucht, über Unverständnis und über die Liebe. Die da kommt und uns erschreckt. Einfach so.

Netter Versuch: 2 Sterne

Wenn einer sich selbst beim Leben nur zusieht
Eigentlich ist Rudi ja Schauspieler. Denn: “Nur als Schauspieler konnte er jedermann sein, folglich auch er selbst.” Allerdings sieht das außer Rudi niemand so. Deshalb studiert er, nachdem er mehrmals durch die Aufnahmeprüfung an der Schauspielakademie gefallen ist, Germanistik. Rudi ist überzeugt von sich – und gleichzeitig unsicher. Das kommt bei den Frauen nicht unbedingt gut an, weshalb Rudi zwar wechselnde, aber nur oberflächliche und kurze Beziehungen hat. Seine Heimatstadt Belgrad ist ihm zu eng, den Wehrdienst will er nicht leisten, er macht sich auf nach Budapest, wo er in einem Café jobbt. Er lernt viele Mädchen kennen, mit denen er sich vergnügt, die Namen tanzen nur so durch sein Leben. Konstanten gibt es bei Rudi nicht. Er entwickelt sich zum Schriftsteller und kommt nach Deutschland, er irrt ziellos umher, in seinem eigenen Leben scheint er nur Statist zu sein.

Dragan Velikic hat bereits acht Romane geschrieben, die in viele Sprachen übersetzt und mit Preisen bedacht wurden. In Das russische Fenster erzählt er von einem, der überzeugt ist von Fähigkeiten, die er gar nicht besitzt, der sich selbst sucht und gleichzeitig dafür sorgt, dass er niemals ankommen wird. Rudi füllt sein Leben nicht aus, er ist weder besonders interessant noch besonders langweilig. Eigentlich ist nichts an ihm der Rede wert. Und genau das ist mein Problem mit diesem Roman: Er bietet mir keine neue Erkenntnis, keine Reibungsfläche, schon der Einstieg ist völlig spannungsfrei. Es dauert über 80 Seiten, bis Rudi überhaupt ins Bild gerät, davor darf ein Nebencharakter schwafeln, der keinerlei Bedeutung für das Buch hat. Menschen, Orte und Namen  flirren vorüber. Ganz zum Schluss kommen Vater, Mutter, Freunde, Frauen irritierenderweise in Fragmenten zu Wort. Die Gespräche im Buch sind um Größe bemüht und bleiben gerade deshalb belanglos. Auch der Stil hinterlässt keinen bleibenden Eindruck. Im Gegenteil: Zum einen wird die Handlung extrem sprunghaft und nicht chronologisch erzählt, zum anderen sind die Sätze elendig lang und die Formulierungen trotz vermeintlicher philosophischer Ansätze trocken:

“Als er Jahre später in Gedanken jene Zeit durchging, die er in Budapest verbracht hatte, war er stets aufs Neue überrascht vom Mechanismus des Gedächtnisses, das nach einem Rudi unverständlichen Verfahren auch jene Tage, die öde und farblos waren, bewahrt hatte, indem es sie mit banalen Details kodierte, dem Geschmack von Maronen oder von Schokolade aus der Konditorei Dabos in Szentendre oder mit der Gestalt eines Alten, der neben Rudi in der Metro saß und ein Buch über Schmetterlinge las, wobei es ihm nicht gelang, seinen Schluckauf zu bändigen, oder mit dem blitzenden Blick der Kassiererin in der Apotheke am Blaha-Lujza-Platz oder mit den Augen einer anmutigen Alten im Wartezimmer des Zahnarztes in der Villányi-Straße.”
Wie die Kritiken zeigen, finden viele Leser das genial. Ich finde es einfach nur: Uff.