Kleine Köstlichkeiten: 4 Sterne

Swift„Es ging darum, dem, was das Leben ausmachte, treu zu sein, zu versuchen, genau das einzufangen, was Lebendigsein bedeutete“
Sie ist jung, sie ist hübsch, und sie ist eine Bedienstete: Jane hat ein Verhältnis mit Paul. Er ist reich, sie ist es nicht, er muss bald des Standes wegen heiraten, sie wird allein zurückbleiben. Schon seit Jahren hegen die beiden eine heimliche Zuneigung zueinander, treffen sich zu Stelldicheins, wann immer es möglich ist. An diesem einen Tag, das wissen beide, ohne dass es ausgesprochen wurde, wird es das letzte Mal sein, dass sie miteinander im Bett liegen. Und Jane genießt dieses letzte Mal, denn sie darf, weil die Herrschaften nicht da sind, das Haus durch die Vordertür betreten, ihren Geliebten in seinem Gemach besuchen, mit ihm schlafen, mit ihm reden, ungezwungen und frei von all der gewohnten Heimlichtuerei. Sie beobachtet ihn, versucht, sich die Details zu merken, die sie bald schon vermissen wird, seinen Bauchnabel, die Art, wie er raucht, wie er spricht. Sie ist eifersüchtig auf seine Verlobte, natürlich, aber es ist keine rasende, sondern eine resignierte Eifersucht, denn Jane weiß, dass für sie keine Möglichkeit besteht, so weit oberhalb ihres Standes zu heiraten. Später, sehr viel später, wird sie auf diesen einen Tag zurückschauen, wird sich erinnern, wie es war, als ihr Leben sich völlig verändert hat – allerdings auf andere Weise als gedacht.

Graham Swift ist eine bekannte Größe der britischen Literatur. Er hat bereits den Man Booker Prize abgestaubt, wird in siebzehn Sprachen übersetzt und liefert internationale Bestseller. Dieser Roman, Mothering Sunday im Original, ist wunderbar unaufgeregt und feinsinnig. Graham Swift erzählt darin so klug, zurückhaltend und doch emotional, dass wieder einmal bewiesen ist: Gute Schriftsteller brauchen nicht viele Worte. Sie brauchen nur die richtigen. Mit viel Einfühlungsvermögen hat er sich hineinversetzt in seine junge Jane, die vor dem ersten großen Verlust ihres Lebens steht, sie ist traurig, ja, aber auch voller Lebensmut und Lebensfreude, sie lässt ihren Geliebten nicht gern gehen, dennoch ist ihr Herz, so scheint es, leicht. Sie weiß: Es muss sein. Sie weiß: Es ist jetzt Zeit. Nur wenige Stunden beschreibt der Roman, einen einzigen Tag, und doch entfaltet sich sehr viel darin: das Standesdenken einer vergangenen Zeit, eine heimliche Liebschaft, die Zuversicht der Jugend, noch viele Jahre zur Verfügung zu haben. Graham Swift stellt diese junge Jane außerdem der gealterten, lebenserfahreneren Frau gegenüber, zu der sie später wird, und das verleiht den Ereignissen, von denen er berichtet, zusätzliche Tiefe. Der schmale Band mit gerade mal 140 luftig gesetzen Seiten ist schnell gelesen, doch das macht nichts, die Geschichte ist stimmig, rund, in sich geschlossen. Kein aufregendes Leseereignis, aber ein sehr empfehlenswertes, das gerade durch seine stille Schönheit und schlichte Eleganz beeindruckt.

„Und was muss man noch haben, wenn man Schriftstellerin werden will?“
„Na, man muss verstehen, dass Wörter nichts als Wörter sind. Einfach Luft …“

Ein Festtag von Graham Swift ist erschienen im dtv Verlag (ISBN 978-3-423-28110-2, 142 Seiten, 18 Euro).

Prost Mahlzeit: 1 Stern

FullSizeRender„Ich dachte, ich sei im Schreiben besser als im Leben“

„Eines Tages verwandeln sich alle in Dämonen, und uns fällt nicht mehr ein, wie wir etwas anderes in ihnen hatten sehen können“,

das schreibt die Schriftstellerin Márta ihrer Freundin Johanna, die Lehrerin ist im Schwarzwald, und sie meint mit diesem Satz eigentlich Menschen, ihren eigenen Mann, aber für mich passt er auch auf dieses Buch. Obwohl ich ein großer Fan von Zsuzsa Bánk bin und ihre Bücher Der Schwimmer sowie Die hellen Tage liebe, hätte ich mir ihren neuesten Roman nicht gekauft, schlicht deshalb, weil er so viele Seiten hat – ich hab ihn geschickt bekommen, und dachte dann: Ja, doch, ich lese ihn, die Seiten schaffe ich, irgendwie schaff ich die, und ich freu mich drauf. Doch dann wurde dieses Buch zu einem Dämon für mich, und mir fällt nicht mehr ein, wie ich etwas anderes in ihm hatte sehen können.

Die Sprache ist nicht das Problem, die Sätze sind lang und schwurbelig, es ist schwierig, da reinzufinden, aber es nicht unmöglich, und irgendwann packt der Rhythmus zu, zieht an, umwickelt, hämmert und pocht, durchwirkt mit den vielen Zitaten von Annette von Droste-Hülshoff, über die Johanna eine Doktorarbeit schreibt. Eins der Probleme ist die Handlung oder besser ihr Fehlen, das Buch zieht sich über fast siebenhundert Seiten und drei Jahre, dicht abgedeckt von E-Mails und Alltagsberichten, aber es bewegt sich nichts. Die beiden Frauen, die einander schreiben und eng befreundet sind, verändern sich nicht, entwickeln sich nicht, ihre Leben bleiben im Grunde gleich, die Kinder werden größer, natürlich, ansonsten – nichts. Es gibt keine Geschichte, vielmehr ist das alles ein Widerkäuen, ein Sich-Wiederholen, ein Auf-der-Stelle-Treten, und ich kann es nicht ertragen, mir schläft beim Lesen das Gehirn ein. Mehrfach überblättere ich die Seiten dutzendweise, und es macht nichts, ich komme trotzdem mit, mir fehlt keine wichtige Info, weil es die kaum gibt.

Ein anderes Problem, das mir dieser Roman bereitet, ist der Inhalt der Mails, der Inhalt dieser zwei Lebensentwürfe. Sie sollen zueinander konträr sein, auf der einen Seite die dreifache Mutter, auf der anderen Seite die Kinderlose, sie schreiben sich freundliche Mails, doch scheint diese Freundlichkeit manchmal einen gewissen Hass aufeinander kaum zu übertünchen, sie halten den Kontakt stets aufrecht, schreiben sich, rufen einander an, helfen sich aber nicht wirklich, sind nur mit Worten füreinander da, nicht mit Taten.

„Dein dralles, überdralles Leben scheint grell auf mein lächerlich sortiertes. Mein übersichtlich festgezurrtes. In dem ich nur um mich selbst kreisen muss. Um keine Kinder. Keinen Mann. Das ist ja auch nicht so schön, wie Du Dir ständig ausmalst. Durch vorgegebene Bahnen immerzu um mich selbst. Summ-summ. In meinem Johanna-Orbit. Kometen und Monde nur für mich.“

Und Johanna hat völlig Recht: Das ist unfassbar langweilig. Wenigstens kann sie mich dadurch nicht so wahnsinnig ärgern wie ihre Freundin Márta. Márta, die nur schreiben will. Die aber unglücklicherweise Kinder hat. Und die deshalb jetzt jeden einzelnen Tag ihres Lebens ganz fürchterlich jammern muss.

Es wurde schon viel geschrieben über Schlafen werden wir später, und ich hab mir sagen lassen, dass nicht alle Besprechungen positiv sind. Ich gehöre zu jenen, die von diesem Roman schrecklich genervt sind. Dabei hatte ich gedacht, ich würde mich identifizieren können mit Márta. Weil ich auch zwei Kinder habe, weil ich auch arbeite, weil ich versucht habe, neben dem Muttersein einen Roman zu schreiben, weil ich weiß, wie schwierig es ist, alles davon. Stattdessen haben Mártas Denkweise und Verhalten mich befremdet.

„Die Kinder saugen mein Leben weg, Johanna, wer ungestört arbeiten will, darf keine Kinder haben, wer etwas anderes erzählt, lügt, aber das weiß ich erst jetzt, niemand hat mir das früher gesagt, alle haben geschwiegen.“

So klingen Mártas Mails, und zwar alle ihre Mails, und ich frage mich: Wie kann das sein? Sie ist als Figur, als Mutter, völlig unglaubwürdig. Beim ersten Kind, ja, vielleicht, da lass ich mir das einreden, dass man vorher nicht weiß, wie anstrengend das wird, aber beim zweiten – niemals, nie, das wusste sie, und keiner, also wirklich keiner, kriegt ein drittes Kind, ohne genau zu wissen, worauf er sich einlässt. Das dritte Kind ist für Profis. Woher kamen diese Kinder denn? Márta hat sie offenbar nicht gewollt, sie klingt, als hätte jemand sie vor ihrer Tür abgestellt und sie gezwungen, sich um die Gschrappen zu kümmern, friss oder stirb, schreiben wirst du nicht mehr. Wieso hat Márta Kinder bekommen, nicht nur eins, sondern drei, wieso hat sie sich nicht vorher – spätestens, als sie zum dritten Mal schwanger war – überlegt, wie das gehen soll mit der Betreuung, mit der Vereinbarkeit, mit dem Schreiben? Wieso kann sie nicht denken: Gut, das ist jetzt so, aber nur für wenige Jahre, dann sind die Kinder größer, ich sollte diese Zeit genießen, die Zeit zum Schreiben kommt von selbst zu mir zurück? Und zu guter Letzt: Was ist das für ein Frauenbild, das Zsuzsa Bánk da vermittelt? Völlige Abhängigkeit, Unfähigkeit, selbst zu entscheiden und zu handeln, eine moderne Gefangenschaft ist das. Und gleichzeitig sind es First World Problems, nichts anderes, Mártas Kinder sind gesund, sie hat ein Haus, einen Mann, Aufträge, Geld, und dennoch wird sie nicht müde, sich zu beklagen. Genau wie ich mich endlos über dieses Buch beklagen könnte, diesen Dämon.

Schlafen werden wir später von Zsuzsa Bánk ist erschienen bei den S. Fischer Verlagen (ISBN 978-3-10-005224-7, 690 Seiten, 24,99 Euro).

Gut und sättigend: 3 Sterne

KnechtAch, die Frauen! Immer wollen sie was.
Und vor allem wollen sie was von ihm, Viktor. Es ist halt schon anstrengend, wenn man so ein Frauenmagnet ist wie er, erfolgreich, charmant, ein Hengst im Bett, einer von denen, die viele Eisen im Feuer haben. Sein Handy steht nie still, und er muss aufpassen, dass die vielen Nachrichten, Mails und Anrufe nicht von der einen gesehen werden, mit der er vorgeblich monogam lebt: Magda, die Mutter seiner Kinder. Wenn die wüsste, was Viktor wirklich treibt, dann wär die Kacke am Dampfen. Er ist ein Fixpunkt im Wiener Kulturkreis, er leitet ein Theaterfestival, scheucht Schauspieler herum, trinkt ein Glaserl mit wichtigen Leuten, zieht ein Naserl mit wichtigen Leuten, man kennt das ja. Schon sehr lang hat Viktor was mit Josi, mit ihr ist es unkompliziert, sie hat selbst zwei Kinder und vögelt ihn, wann es grad in ihren Zeitplan passt. Mit Helen hat Viktor auch was, die ist eigentlich eine Freundin der Familie, verheiratet mit dem alkoholkranken Paul, eine wunderschöne Frau, viel zu schön für Viktor, aber sie gibt sich eben zufrieden. Dann sind da aber noch Frauen, mit denen ist es für Viktor viel komplizierter. Mit denen hätte er, vernünftig betrachtet, wirklich nichts anfangen dürfen. Weil die ihm vielleicht irgendwann doch zum Verhängnis werden.

Doris Knecht ist eine bekannte österreichische Autorin und Kolumnistin. Ich hab bisher alle ihre Bücher gelesen – was bei meinem Nur-ein-Buch-pro-Autor-Spleen etwas Besonderes ist – und erst letztens den großartigen Film Gruber geht mit Manuel Rubey, für den ich heimlich schwärme, angeschaut. Doris Knecht schreibt genial böse, sarkastisch, entlarvend, österreichisch, witzig. Ich liebe ihre Bücher, und doch muss ich sagen: Alles über Beziehungen – von dem ich aufgrund des Titels erst dachte, es handle sich um ein Sachbuch – ist nicht ihr bester Roman. Wald ist weitaus grandioser, genauso Besser. Für ihren neuesten Clou hat sie einen Protagonisten erdacht, der als Figur so kurios ist, dass es für ein ganzes Buch reicht: Einer, der bescheißt, einer, der sich selber geil findet, in Wahrheit an tiefen Selbstzweifeln leidet, einer, der ein so großes Ego hat, dass nichts, aber wirklich gar nichts, daneben Platz hat. Viktor gehört zu jenen Männern, die permanent Bestätigung durch Frauen brauchen – und sie sich auch holen, obwohl sie eine feste Partnerin haben. Wir alle kennen diese Männer, und Doris Knecht hat ihre Eigenheiten, ihre Denkweise, ihr verrücktes Verhalten und ihre noch verrückteren Selbstrechtfertigungen bestens eingefangen. Trotzdem hätte ich mir für das Buch eine Handlung gewünscht. Denn wenn man ganz genau hinsieht, stellt man fest: Es hat keine.

Der gesamte Roman zieht sich über einen einzigen Tag und folgt Viktor bei allem, was er tut. Das ist nicht viel, denn in erster Linie sind wir in Viktors Gedankenwelt unterwegs. In der Welt, die er sich aufgebaut hat, um das ständige Lügen und Betrügen mit seinem Gewissen zu vereinbaren. Zweimal wechseln wir zu Frauen, erfahren kurz, wie sich das Ganze aus ihrer Perspektive darstellt, wie sie Viktor sehen – von Josi und Helen. Das ist natürlich erheiternd, zeigt, wie Viktor von seinen Betthäschen wahrgenommen wird, war mir aber zu kurz. Warum nur für ein paar Seiten in die Sicht der Frauen springen, warum das nicht vertiefen? Und wieso sind es nur zwei seiner vielen Weiber, was ist mit all den anderen? Das hat sich für mich unausgegoren und halbherzig angefühlt. Ein weiterer Kritikpunkt ist der Ton, der mir an sich gut gefällt, ich mag das Bissige, das Zynische, aber: Irgendwann war es mir zu viel. Es ist, als würde man an einem Tisch sitzen in geselliger Runde, und einer muss permanent lästern. Er zieht über die anderen her, er kotzt sich aus, er erhöht sich selbst, kann nichts ohne gehässige Ironie sagen. Es kommt der Moment, da erträgt man diesen Jemand nicht mehr. Im Fall von Alles über Beziehungen ist natürlich die Autorin die, die sich über ihre eigene Figur lustig macht. Zu Recht! Aber das zu lesen, ermüdet auch. Und es ist zu einseitig. Im Vergleich zu Gruber geht, dessen Protagonist auch einer ist, über den man sich lustig machen könnte, der dann aber so viel an Tiefe gewinnt, bleibt der neue Roman sehr flach. Wer daher noch nichts von Doris Knecht kennt, sollte unbedingt zu einem ihrer anderen Bücher greifen. Oder auf das nächste warten, vielleicht wird es wieder besser. Ich werde es auf jeden Fall trotzdem lesen.

Alles über Beziehungen von Doris Knecht ist erschienen im Rowohlt Verlag (ISBN  978-3871341687, 288 Seiten, 22,95 Euro).

Nicht mein Geschmack

IMG_3532Stefan Slupetzky: Der letzte große Trost
Daniel erhält einen Brief, in dem es um das Haus geht, das er als Kind mit seinen Eltern und seinem Bruder bewohnt hat. Deswegen fährt er dorthin, taucht ein in die Vergangenheit, findet natürlich was im Keller – dieses altbekannte Setting zielt immer darauf ab, dass das inzwischen erwachsene Kind sich erinnert plus was findet – und stellt darum alles in Frage, was er über den Vater zu wissen glaubt. Er spinnt sich seine eigene Version der Geschichte zusammen, die so absurd wie unglaubwürdig ist. Dann will er das, was er sich da zurechtgedacht hat, auch noch nachmachen, was umso bescheuerter ist. Was ich zudem an diesem Buch nicht mag: dass alles erklärt wird. Also wirklich alles. Wer wann wo geboren ist, was seine Eltern gemacht haben, mit wem er geschlafen hat, blabla schnarch. Es ist viel zu viel tell und viel zu wenig show. Dabei kann Stefan Slupetzky sehr gut schreiben, das wusste ich nach Der Fall des Lemming von 2005, ein origineller Krimi war das, aber was dieser Roman hier sein soll, ich versteh es nicht. Der Versuch, auch mal so eine Geschichte zu schreiben, wie sie jeder schreibt, über den Erwachsenen, der den Nachlass der Eltern durchschauen muss? Ich schwöre mir jedenfalls hiermit selbst, dass ich endlich wirklich, wie schon oft beschlossen, aufhören werde, Bücher mit diesem Handlungsverlauf überhaupt nur in Erwägung zu ziehen. Sie sind alle grottig, alle!

Freeman MotzCastle Freeman: Auf die sanfte Tour
Ein sehr ähnliches Problem hatte ich mit diesem Buch: Es erklärt und erklärt und erklärt. Die eigentliche Geschichte geht dabei völlig unter, ich konnte ihr auch nach 80 Seiten nicht auf die Spur kommen und habe – was ich ja nur selten tue – entnervt abgebrochen. Was so ein Deputy macht, wie der Vater seiner Freundin zu ihm steht, wer wann was gesagt hat, all das erfahre ich, aber die Handlung selbst bleibt auf der Strecke. Ich habe absolut nichts gegen sehr männliche, schnörkellose, schlichte Bücher, ich finde Daniel Woodrell gut und Pete Dexter, aber das hier, das ist für mich einfach nur unglaublich öde. So langweilig, dass ich nicht mal mehr wissen wollte, was denn nun eigentlich mit dem an den Baum gebundenen nackten Russen passiert ist. Und das will ja wohl was heißen! Ein Buch, so fad wie ein leiser Furz.

Mark Watson: Hotel Alpha
Das ist kein Buch, über das ich lästern könnte, aber Lobenswertes fällt mir auch nicht viel ein. Es ist wohl das, was man seichte Unterhaltung nennt, es ist nett und harmlos, dabei halt sehr unbedeutend. Mark Watson hat zusätzlich dazu hundert Kurzgeschichten geschrieben, die den „Kosmos des Romans“ erweitern, an denen ich aber null Interesse hatte und über die ich deshalb nichts sagen kann. Hauptfiguren gibt es zwei: Graham, der jahrzehntelang an der Rezeption des Hotel Alpha arbeitet und dem vermeintlichen Zauber des Hauses völlig verfallen ist, und Chaz, der als Kind bei einem Brand im Hotel erblindet und fortan dort aufwächst. Beide bekommen von der Außenwelt wenig mit, eine heile Welt ist die ihre aber auch nicht so ganz. Das alles klingt, als hätte Wes Anderson einen Film darüber machen können, nur wäre der mit Sicherheit viel besser.

MotzAdrian Barnes: Nod
Was wäre, wenn die Menschen plötzlich nicht mehr schlafen könnten? Was würde mit ihren Körpern geschehen nach drei Tagen, nach zehn, nach dreißig? Wie würden sie sich verhalten und wann würden sie sterben? Das sind die Fragen, denen sich dieses freakige englische Buch stellt, das mich genau aus diesem Grund interessiert hat. Die Antworten, die es liefert, sind allerdings reichlich enttäuschend, denn der Autor hat das Naheliegendste gemacht, was möglich war: Die Menschen werden nicht unbedingt zu Zombies, aber zu etwas Ähnlichem, sie verfallen dem religiösen Wahn, gründen eine Art Kult. Die Zivilisation zerfällt innerhalb kürzester Zeit, Strom und Internet werden abgedreht, alle plündern, alle morden. Das war zu erwarten, und das finde ich schade – ich hätte mir mehr Originalität erhofft.

 

 

Gut und sättigend: 3 Sterne

Albert„Und das Herz rollt sich ja auch nicht zum Sterben ein, es will immer noch und will und will“
Es war nur ein Schnitt, doch für Ari war es ein tiefer Einschnitt: Vor einem Jahr wurde ihr Sohn Walker per Notkaiserschnitt aus ihr herausgeholt, und damit kommt sie nicht klar. Sie fühlt sich wie eine Versagerin, sie fühlt sich vergewaltigt. An manchen Tagen ist sie schwer depressiv, mit ihrer feministischen Doktorarbeit geht nichts weiter, obwohl sie Walker zur Tagesmutter bringt, und das Muttersein macht ihr generell zu schaffen:

Wieder ein Tag vorbei, okay, ich kapier’s, ich hab’s kapiert: Ich bin vorbei. Mich gibt es nicht mehr. Daher die uralte Übereinkunft, dass Kinderlose nicht die Voraussetzung mitbringen, sich mit religiöser Mystik zu befassen. Daher die weitverbreitete Überzeugung, Kinderkriegen sei der Expresszug zur Erleuchtung. Es gibt Meditation, Medizin, Peyote in der Wüste bei Sonnenaufgang und die Selbstopferung, und dann gibt es noch das Kinderkriegen, damit kann man auch verschwinden.

Verheiratet ist Ari mit dem gutmütigen, harmlosen, spießigen Paul, der sie, so gut er kann, unterstützt. Sie liebt ihn, obwohl er langweilig ist, fühlt sich aber eingesperrt in der Monogamie:

Die Ehe ist hart. Man muss sich rund um die Uhr bemühen, sich von seiner besten Seite zu zeigen. Der grausige, jämmerlche, verlogene Sack Scheiße, der man eigentlich ist, muss täglich niedergerungen werden.

Dann zieht im Haus nebenan die bekannte und hochschwangere Rocksängerin Mina ein, und Ari findet eine Verbündete. Doch die Frage in Aris Doktorarbeit wie in ihrem Leben ist: Können Frauen wirklich Freundinnen sein?

Elisa Albert macht’s derb. Sie scheut Tabuthemen nicht, im Gegenteil: Sie stürzt sich hinein. Und dann wühlt sie so richtig darin herum. In ihrem Roman Das Buch Dahlia nahm sie eine Krebserkrankung auseinander und beschäftigte sich eingehend mit dem Schrecken dieser Krankheit. In Ein Schnitt – dessen deutschen Titel ich genial finde – widmet sie sich mehreren Themen zugleich: dem Muttersein, dem Frausein, der Beziehung zwischen Frauen und Männern, der Beziehung zwischen Frauen und Frauen. Für alles, was gesagt wird, findet Protagonistin Ari harte, stark tabuisierte Worte, beispielsweise:

Ich hatte schon immer Mühe, zwischen Leuten zu unterscheiden, die mich hassen, und Leuten, die mich ficken wollen. Weil es da nämlich, wie mir irgendwann dämmerte, oft erhebliche Überschneidungen gibt.

Wer, wie ich, kein Problem mit einer so derben Sprache hat, wird nicht gleich verschreckt sein, aber: Auf Dauer ist das sehr anstrengend zu lesen. Ari ist eine Bitch. Sie lästert über jeden, am liebsten über andere Frauen, und hier beißt sich die Katze in den Schwanz: Für ihre Doktorarbeit beschäftigt Ari sich mit der Tatsache, dass Frauen einander die größten Feindinnen sind, sich gegenseitig manipulieren und es nicht schaffen, sich gegen die Männer zu behaupten, weil sie nicht zusammenhalten. Der Witz ist: Ari ist für ihre eigene Theorie der beste Beweis. Und das macht sie als Person schwer erträglich, genau wie das gesamte Buch. Es ist lustig, ja, schonungslos, ehrlich, entlarvend, aber es ist auch eine einzige, alles umfassende Hasstirade.

Ein Schnitt von Elisa Albert ist erschienen bei dtv (ISBN 978-3-423-26090-9, 216 Seiten, 15,90 Euro).

Kleine Köstlichkeiten: 4 Sterne

KureishiDie Schönheit von Mut

Ich meine, dass wir beide allein sind. Wir sind schon viel zu lange uns selbst überlassen. Seit Jahren. Ich bin einsam. Ich dachte, du vielleicht auch. Deshalb wollte ich fragen, ob du zu mir kommen und bei mir übernachten würdest. Und mit mir reden.

Das sagt Addie, eine Witwe im Alter von 70 Jahren, zu ihrem Nachbarn Louis, der ebenfalls alleinstehend ist. Eines Tages klingelt sie an seiner Tür, sie kennen sich nur vom Sehen, sind seit Jahrzehnten aneinander vorbeigelaufen, und sie macht ihm diesen ungewöhnlichen Vorschlag, der ihn verblüfft. Aber er geht darauf ein, und während es anfangs merkwürdig ist, weil sie einander fremd sind, sind beide froh über die Gesellschaft. Sie freunden sich an, schlafen in Addies Bett, unterhalten sich, erzählen einander aus ihrem Leben. Alles könnte richtig gut sein, wären da nicht noch die anderen Menschen.

Kent Haruf, der 2014 leider verstorben ist, hat fünf Romane geschrieben, die in der fiktiven Kleinstadt Holt im US-Bundesstaat Colorado spielen. So auch dieser, sein letzter Roman. Diese erfundene Stadt ist das perfekte Abziehbild, die ideale Kulisse für kleinkarierte amerikanische Spießbürgerlichkeit. Genau die wird den beiden Protagonisten Addie und Louis zum Verhängnis. Was sie tun, schadet niemandem, ganz im Gegenteil, und es ist außerdem ihre Privatsache. Sie leben auf, verbringen ihre letzte Zeit miteinander, um der Einsamkeit zu entkommen, sie helfen einander, sind füreinander da. Doch Nachbarn und Familie denken, sie müssten sich einmischen, müssten den beiden ihre eigenen, beengten Moralvorstellungen aufdrängen und sie verurteilen. Das ist ebenso glaubwürdig wie traurig.

Unsere Seelen bei Nacht ist ein schmaler Band, eine kleine Geschichte. Alles daran ist fiktiv, und doch habe ich bei jeder Zeile das Gefühl, sie könnte wahr sein. Kent Haruf schreibt sehr schlicht, schnörkellos, klar. Er zeichnet mit wenigen Linien ein Bild, das dennoch deutlich erkennbar wird, und ich mag so etwas sehr. Ich leide mit. Ich schließe Addie und Louis ins Herz, es geht nicht anders, sie sind alt und rührend, ich finde sie mutig, stark, unangepasst und wunderbar. Wie die anderen Menschen mit ihnen umgehen, zeigt einmal mehr, wenn auch nur im Fiktiven, wie unfähig wir sind. Unsere Gesellschaft kann niemanden leben lassen, wie er will. Nicht einmal zwei Alte, die sonst nichts mehr haben auf der Welt. Ein sehr nachdenklich stimmendes Buch mit einer originellen Story. Lesenswert!

Unsere Seelen bei Nacht von Kent Haruf ist erschienen im Diogenes Verlag (ISBN 978-3-257-60785-7, 208 Seiten, 16,99 Euro).

Gut und sättigend: 3 Sterne

Schomburg„Wenn man einmal was erzählt hat, dann ist es da“
Es gibt ja vieles, das scheiße ist, wenn man siebzehn ist. Die Erwartungen der Eltern zum Beispiel. Die Zukunft, die wechselweise wie eine Drohung oder eine Verheißung aussieht. Und in den besten Freund verliebt zu sein. Johanna steht auf Boris, aber Boris ist unglücklicherweise mit Ana-Clara aus Portugal zusammen. Johanna und Boris hängen immer zusammen ab, und sie küssen sich fast, aber sie küssen sich eben nicht, und abgesehen davon, dass Johanna darunter leidet, kann sie es auch nicht verstehen. Was findet er an Ana-Clara, die nicht mal hier ist? Und wieso will er sie, Johanna, nicht? Diese Fragen rücken allerdings in den Hintergrund, als Boris verschwindet und einen Brief hinterlässt, der Johanna sowie seine Familie in Panik versetzt. Die viel wichtigere Frage ist jetzt: Wo ist er? Und: Können sie ihn finden?

Jan Schomburg ist Regisseur, Drehbuchschreiber und Autor, dies ist sein erster Roman. Ich wusste nicht, dass es sich dabei um ein Jugendbuch handelt bzw. um ein Exemplar aus jener neuen Gattung, in der uns Jugendbücher als Erwachsenenromane verkauft werden und man sie erst als das erkennen kann, was sie sind, wenn man sie liest. Young Adult nennt sich das und Coming of Age. Ich war überrascht, und nun ja, nicht auf sehr positive Weise, weil ich Jugendbücher nicht sonderlich mag. Ich finde, dass sie sich fast immer anhören wie das Tagebuch eines Pubertierenden, das er später nur mit Unbehagen selbst lesen würde.

„Das Tolle an der Schule ist doch, dass man sich mit Menschen auseinandersetzen muss, mit denen man sonst niemals was zu tun hätte“, sagt meine Mutter manchmal, wenn ich über Babette oder Marcel oder irgendjemand anderen rede, der was besonders Idiotisches gemacht oder gesagt hat. Ich kann nur die Augen verdrehen bei sowas. Das ist so die Art von Aussage, die man echt gar nicht gebrauchen kann. Das ist so, als würde man gar nicht jetzt leben, sondern nur für später, wenn man die Erfahrung vielleicht mal für irgendwas gebrauchen kann.

Das ist mir stets eine Spur zu banal und gleichzeitig eine Spur zu pathetisch. Aber: Dafür, dass ich den weinerlichen Ton von Siebzehnjährigen nicht ausstehen kann, ist Das Licht und die Geräusche überraschend erträglich. Jan Schomburg hat Talent, er hat Einfühlungsvermögen, und er vermittelt diese wirre Emotionswelt, in der Teenager sich befinden, auf authentische Weise. Zwar macht Johanna ständig Dinge, die ich nicht im Geringsten nachvollziehen kann, ihr Leben dreht sich um Mobbing, Klassenkameraden, ihre Verliebtheit und erste sexuelle Erfahrungen, die auf merkwürdige Art aus dem Ruder laufen. Vielleicht bin ich einfach schon zu weit weg von dem, was Siebzehnjährige bewegt. So oder so: Jugendbücher mag ich immer noch nicht. Aber es hätte schlimmer sein können.

Das Licht und die Geräusche von Jan Schomburg ist erschienen im dtv (ISBN 978-3-423-28108-9, 20 Euro). Ähnlich wie ich sieht das übrigens Tobias von Buchrevier.

Nicht mein Geschmack

Brandt MotzMatthias Brandt: Raumpatrouille
Schöner Titel, schönes Thema: Matthias Brandt ist Schauspieler und der Sohn von Willy Brandt. In Deutschland kennt ihn jeder, und auch in Österreich hat sein Name einen bekannten Klang. Sein Buch, in dem er Geschichten aus seiner Kindheit erzählt oder vielleicht eher andeutet, ist für mich das, was man hierzulande als „eh nett“ bezeichnet. Es ist gut geschrieben, interessante Sprenkler sind dabei, aber insgesamt ist es mir zu wenig, viel zu wenig. So ein schmales Büchlein, so wenig auserzählt, so viel offengelassen – das sind Anekdoten, kurze Einblicke, die man in einem Gespräch gibt, jemandem, der einen kennenlernt, oder jemandem, der diese Geschichten schon oft gehört hat. Ich mag das Kind, das Matthias Brandt einmal war, es ist ein sehr sympathisches, gewöhnliches Kind, und mein Herz fliegt ihm zu, das schon. Ernst ist dieses Kind, der Humor fehlt, Matthias Brandt hat das nicht so mit bitterem Witz gemacht wie Joachim Meyerhoff, aber gut, er ist Deutscher, wir nehmen euch ohnehin als sehr ernst wahr. Für viele Leser, die auch in den Siebzigern aufgewachsen sind, sind seine Erinnerungen bestimmt eine nostalgische Zeitreise, ich bin dafür noch ein bisserl zu jung. Womöglich wollte Matthias Brandt dann am Ende doch nicht so viel verraten über sein Leben, über seinen Vater, und hat sich deshalb nur hinter Andeutungen versteckt. Insgesamt hat mich das Buch hungrig zurückgelassen, hat mich nicht gesättigt, gelangweilt gar, und ich frage mich, warum das überhaupt gereicht hat für ein Buch, warum das durchgeht als Buch, wenn es nicht mehr als eine Sammlung kurzer Momentaufnahmen ist.

BuderChristian Buder: Das Gedächtnis der Insel
Thriller! Mein Gott, was hab ich für eine problematische Beziehung zu ihnen. Wenn sie gut gemacht sind, nerven sie mich trotzdem, weil sie kaum jemals glaubwürdig sind, und wenn sie schlecht gemacht sind, kommt in ihnen alles Übel dieser Zunft zusammen. Bei guten Thrillern denke ich: Wow, ja, wie hat der Autor es geschafft, den Überblick zu behalten, alles am Ende zusammenzuführen, sich nicht zu verzetteln, eine realistische Erklärung zu finden? Und dann biegt Christian Buder mit Das Gedächtnis der Insel um die Ecke, und ich denke: Wenn man alles, also wirklich alles falsch macht an einem Thriller, kommt sowas dabei raus. Ich wusste nicht, dass das einer ist, ließ mich am Anfang noch in die Irre führen vom guten Schreibstil und den pointierten, melancholischen Sätzen. Das Setting wäre theoretisch interessant: Ein junger Mann namens Yann kehrt zurück auf die Insel, auf der er aufgewachsen ist, eine winzige Insel ist das, ein Felsbrocken, er hasst sie, aber sein Vater ist tot – und offenbar nicht freiwillig gestorben. Dreißig Jahre zuvor ist seine Mutter im Sturm auf dem Meer verschwunden, wurde nie gefunden, Yann, der noch ein kleiner Junge war, ist daran zerbrochen. Ausgerechnet jetzt ist auch eine junge Frau auf der Insel, Gwenn, die Yann einst geliebt hat, vor der er aber flüchtet, weil er überzeugt ist, dass er in ihrer Nähe mysteriöse Unfälle erleidet, die ihn das Leben kosten werden. Da fängt es schon an mit der Unglaubwürdigkeit, und es wird noch schlimmer. Ein Sturm zieht auf, so heftig wie vor dreißig Jahren, natürlich kommt der jetzt, wann auch sonst!, Yann und Gwenn rennen hin und her über die Insel, versuchen, herauszufinden, was damals geschehen ist, es wird immer windiger, immer gefährlicher, und dann kommt eine Verschwörung ans Licht, die so lachhaft ist, dass ich einfach nur grantig werde. Todesgefahr, Wasser überall, eine klischeehafte Rettung in letzter Sekunde, you know the scheme. Mitten im Buch wechselt der Autor plötzlich die Perspektive, ganz kurz nur, wechselt für zwei Seiten zum Täter und verrät alles, was passiert ist, zerstört die komplette Spannung, warum tut er das, ich habe keine Ahnung. Ein Horrortrip von einem Buch, aber aus den falschen Gründen.

Rosamunde Lupton: Lautlose Nacht
Und weil wir schon beim Thema sind, machen wir mit dem nächsten Thriller weiter. Ab und zu passiert es, dass ich zu Spannungsliteratur greife, weil ich was brauche, das mir das Hirn auflockert. Das ist so, wie wenn man in der Parfumerie mal kurz die Nase in die Kaffeebohnen steckt, um danach wieder freier gute Düfte beschnuppern zu können. Ich hab dieses Buch günstig bei medimops mitbestellt, und es zu lesen hat mich bei Weitem nicht so aufgeregt wie der Buder-Schwachsinn, aber: Ich hab mal wieder gemerkt, ich bin einfach nicht für Thriller gemacht. Da gurkt eine Mutter mit ihrer tauben Tochter durch die Antarktis, auf der Suche nach dem Ehemann, der als tot gilt, und ich denke dauernd: Was für ein Blödsinn. Das kann doch nicht sein. Die wären längst tot. Aha, jetzt machen sie das, wer soll das glauben? Vielleicht bin ich für diese Art Literatur zu rational, zu skeptisch? Ich weiß es nicht. Und als am Ende alles auffliegt, schüttle ich nur mit dem Kopf. War ja klar, dass es so kommen muss, so viele Möglichkeiten gab es nun mal nicht, waren eh nur die beiden allein in der Arktis unterwegs, und davon wusste kaum jemand. Die großen Bösewichte werden entlarvt, ich rümpfe die Nase vom Kaffeegeruch und widme mich wieder besseren Düften.

IMG_3540Belinda McKeon: Zärtlich
Catherine ist ein sehr gewöhnliches Mädchen, studiert Literaturwissenschaften in Dublin, ist brav und zurückhaltend, hat noch nichts von Bedeutung erlebt. Da lernt sie James kennen, dessen WG-Zimmer sie bewohnt, und ist hin und weg, weil er frecher ist als sie, weltgewandter, witziger. Es ist nicht sehr schwer, Catherine zu beeindrucken. Seit sie James kennt, kreischt sie sehr oft vor Lachen, obwohl seine Witze reichlich lahm sind, und – eh klar – sie verliebt sich in ihn, was sollte sie auch sonst tun. Aber: James ist schwul. Das weiß er, das weiß Catherine, sonst aber wissen das nicht viele, weil er sich nicht traut, sich zu outen. Auf Catherines Gefühlserkenntnis folgen sprunghafte Gedankenfetzen, unzusammenhängende Fieberwahnträume, seiten-, seiten-, seitenweise, bei denen ich denke: Haben Sie es sich einfach gemacht, ja, Frau McKeon, wollten Sie das nicht erzählen müssen, weil es so klischeehaft ist und dämlich und langweilig? Das zu lesen, ist wahnsinnig anstrengend, ich habe es nur überflogen, weil ohnehin nichts passiert. Die irische Autorin, die in Amerika Kreatives Schreiben unterrichtet, hält nichts von Schlichtheit, sie stürzt sich voll ins Pathos. Jede Kleinigkeit ist wahnsinnig dramatisch an diesem Roman, die Figuren übertreiben bei allem, was sie tun, gnadenlos. Sie sind so unerträglich, ich möchte sie fesseln und knebeln. Ein superblödes Buch.

Bücherwurmloch

Klass1Es ist nicht so, wie es aussieht. Das möchte ich nur mal sagen. Es sieht nämlich bisweilen so aus, als seien wir Blogger ausschließlich trivial unterwegs. Das Feuilleton stellt uns gern in die Chicklit-Vampire-Ecke, spricht uns jegliche Literaturkompetenz ab. Inwieweit das zutrifft und wo genau die Grenze verläuft zwischen Hobbyrezensenten und Literaturkritikern, vermag ich nicht zu entscheiden und soll auch nicht Inhalt dieses Beitrags sein. Darüber wurde schon viel geschrieben, darüber wird noch viel diskutiert werden, und ich bin es schon lange leid. Wir Menschen müssen einander immer kritisieren, statt friedlich zu koexistieren.

Klass2Ich möchte kein Literaturkritiker sein und würde mir nie anmaßen, so viel zu wissen wie die Experten. Ich halte mich auch nicht für derart belesen. Aber: Ich bin auch nicht, wie wir in Österreich sagen, auf der Nudelsuppe dahergeschwommen. Ich hab die großen Namen gelesen, die großen Titel, die großen Klassiker. Allein: Im Bücherwurmloch merkt man davon reichlich wenig. Warum? Es gibt diesen Blog zwar seit über acht Jahren, die Klassiker habe ich mir aber lange davor einverleibt, und geschrieben habe ich über sie nie.

Klass3Wie ich bereits erzählt habe, behalte ich kaum Bücher. In meinem Regenbogenregal stehen insgesamt nur 300. Und heute habe ich gezählt: 56 davon sind Klassiker oder das, was man im weitesten Sinne als solche bezeichnen könnte. Diejenigen unter euch, die von langen Buchreihen umgeben sind, bekommen bei dieser mickrigen Zahl bestimmt Schnappatmung. Und mir ist klar, dass nicht alle Titel, die ich dazugezählt habe, dieser Kategorisierung entsprechen, aber das ist ja das Schöne am Bloggen: Ich kann hier tun, was ich will.

Klass4Da sind sie also: Goethe und Schiller, Nestroy und Shakespeare, Jandl und Kundera, Horváth und Hemingway. Vielleicht denkt ihr euch beim Anblick der Bilder: Da fehlen aber viele. Ich konnte aus meiner Kindheit und Jugend leider nur wenige Bücher retten, denn während ich einst zu Ausbildungzwecken in München war, sind sie aus meinem Elternhaus … verschwunden, sagen wir es so. Hier seht ihr die, die ich noch besitze, und somit die klassischsten Bücher in meinem Regal. Eine riesige Bücherwand, wie sie viele meiner Bloggerkollegen haben, mit klingenden Namen und prächtigen Bänden, besitze ich nicht. Das stört mich nicht weiter, vielleicht bekomme ich eine solche noch, wenn die Kinder mal aus dem Haus sind, oder die Klassiker bleiben eben weiterhin da, wo sie jetzt sind: in meinem Kopf. Das ist nicht so wichtig. Die Kunst ist lang, und kurz ist unser Leben!

Klass5Zu den Verbliebenen habe ich eine besondere Beziehung. Als ich etwa fünfzehn war, war ich vernarrt in die Gedichte von Heine und Jandl, so unterschiedlich sie auch sind. The old man and the sea ist eines der ersten Bücher, die ich auf Englisch gelesen habe, und weil ich es noch nicht so gut konnte, habe ich ständig in der deutschen Ausgabe nachgeschaut, was die Wörter bedeuten. Später an der Uni war ich stolz, Lampedusa und Calvino im Original lesen zu können. Imre Kertész und Peter Handke haben mich sehr berührt, Thomas Bernhard und Ingeborg Bachmann, Marlen Haushofer, Javier Marias und Bertold Brecht. Auf sie alle vergesse ich manchmal, wenn die Flut der Neuerscheinungen über mich hinwegrollt, das gebe ich zu. Aber sie sind immer da, behalten ihre Plätze in meinem schmalen Regal, gehören zu den wenigen Büchern, die ich niemals weggeben werde. Und dass diese Sammlung im Endeffekt für manche vielleicht genau das bestätigt, was das Feuilleton behauptet, weil sie so klein ist, ist mir ganz einfach wurscht. Vielleicht, wenn ich alt bin und reich, kaufe ich alle Klassiker nach. Vielleicht auch nicht. Die Dinge bekommen ihren Wert nicht dadurch, dass man sie besitzt.

Gut und sättigend: 3 Sterne

PasztorBegleitschreiben eines Sterbeprozesses
Fred ist einer von denen, die alles richtig machen wollen und dabei das Meiste falsch machen. Er ist alleinerziehender Vater, sein Sohn Phil ist 13, sehr klein und schreibt heimlich Gedichte. Die Mutter hat die beiden verlassen und schickt nur sporadisch Pakete mit esoterischen Heilmitteln, die Phil nicht öffnet, oder universelle Engelenergie übers Telefon. Nun hat Fred eine Ausbildung zum Sterbebegleiter gemacht – und der erste Mensch, dem er ehrenamtlich beistehen soll, ist Karla. Sie hat Krebs im Endstadium und nicht mehr viel Zeit, und sie ist allein. Fred bemüht sich, aber seine ersten Begegnungen mit Karla verlaufen nicht gut. Sie verlaufen sogar derart schlecht, dass Karla ihn nicht mehr sehen will. Nur Phil darf noch zu ihr – um ihre Bilder, ihren Nachlass zu dokumentieren. Doch Fred, der alles richtig machen will, kann das nicht auf sich sitzenlassen.

Ich kenne Susann Pásztor von ihrem sehr guten Debüt Ein fabelhafter Lügner. In ihrem dritten Roman beschäftigt sie sich mit einem Thema, mit dem sie sich auch aus eigener Erfahrung gut auskennt: Sie ist seit Jahren als ehrenamtliche Sterbebegleiterin tätig. Dafür zolle ich ihr größten Respekt, denn ich finde den Mut, den sie dafür aufbringt, die Nächstenliebe, die Aufopferung sehr bewundernswert. Ihr Romanheld Fred ist so einer, der meint es gut. Der ist dick und sympathisch, unbeholfen und fantasielos, nicht sehr gewitzt, aber er gibt sich Mühe. Dass er bei Karla auf Granit beißt, dass es keine rührseligen Hollywood-Momente und keine tränenreichen Versöhnungen gibt, macht diesen Roman interessant. Dass es aber sonst auch nicht viel gibt, macht ihn ein bisschen langweilig.

Ich gestehe es: Zwischendrin hab ich nur quergelesen und die Seiten überflogen. Ich mochte Fred und Phil ganz gern, konnte mit Karla wenig anfangen, aber das macht ja nichts – und hab lange auf etwas gewartet, das bleibenden Eindruck hinterlässt. Vielleicht ist das die Botschaft: dass da nichts ist. Dass ein Leben, wenn es zu Ende geht, einfach verlischt, still, unspektakulär, fast schon unbemerkt. Freilich ist das reichlich deprimierend. Es ist auch menschlich und authentisch – nur für einen Roman, der aus der Masse heraussticht, hätte ich mir dann doch deutlich mehr Bewegung gewünscht. Vor allem auch in Bezug darauf, dass der Sterbeprozess ein Tabuthema mit viel Potenzial ist. Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster ist ein gut geschriebenes, gefühlvolles, nur leider ein wenig fades Buch.

Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster von Susann Pásztor ist erschienen bei Kiepenheuer & Witsch (ISBN 978-3-462-04870-4, 288 Seiten, 20 Euro). Isabel Bogdan sieht das übrigens nicht wie ich, sie fand das Buch sehr gut.