Für Gourmets: 5 Sterne, Snacks für zwischendurch

SempleSnack für zwischendurch – Kurzrezension

Worum geht‘s?
Bee ist 15, eine ausgezeichnete Schülerin, die mit ihren Eltern – der Papa ein hohes Tier bei Microsoft, die Mama eine ehemalige, preisgekrönte Architektin – in Seattle lebt und bald in ein Elite-Internat gehen darf. Es könnte also alles gut sein – würde Bees Mum Bernadette nicht zwei Tage vor Weihnachten spurlos verschwinden. Was ist passiert? Das versucht Bee zu rekonstruieren, und zwar anhand boshafter E-Mails zwischen Bernadette und ihrer Nachbarin Audrey, ratloser Nachrichten ihres Vaters, aufschlussreicher Schulberichte, eigener Erlebnisse und handgeschriebener Notizen eines Gärtners, der die Heidelbeeren in Bernadettes Garten ausgerissen hat. Alles begann damit, dass Bee sich eine Reise in die Antarktis wünschte, die Bernadette wegen ihrer Sozialphobie nicht antreten wollte. Bee deckt auf, was die Erwachsenen verbergen wollten: Einsamkeit, Tablettenmissbrauch, Ehebruch kommen ans Tageslicht, und als auch die russische Mafia mitmischt, gerät alles endgültig außer Kontrolle. Um Bernadette zu finden, muss Bee weit über jegliche Grenzen hinausgehen.

Hat’s gemundet?
Oh jaaaa! Dieses Buch ist mit Abstand das lustigste, das ich seit Langem gelesen habe. Bernadette ist als Charakter „superbitchy“, sehr fies, gehässig, sarkastisch und absolut hinreißend. Zwar verstecken sich hinter ihrer „Talk to my hand“-Attitüde schwerwiegende Probleme, aber diese Kurve kriegt die amerikanische Autorin Maria Semple so hervorragend, dass sich selbst darin noch Ironie erkennen lässt. Das Buch ist dank der vielen verschiedenen Erzählmethoden – darunter E-Mails, Briefe, Notizen, Berichte – absolut originell und sehr lebendig. Die Ereignisse selbst sind unfassbar absurd, im Kleinen, etwa als Nachbarschaftsstreit, wie im Großen, wenn es um die ganze Familie und ihren Zusammenhalt geht. Nichts davon wirkt glaubwürdig, aber gleichzeitig ist die ganze Handlung so stimmig, dass sie trotzdem funktioniert. Bis zum Ende hat Maria Semple das Rätsel um Bernadette aufrechtgehalten, und ich habe mich über jeden ihrer kreativen Einfälle sehr amüsiert. „Please step aside because I’m about to kick the shit out of life“ – das ist Humor von seiner besten Seite!

Wer soll’s lesen?
Jeder! Unbedingt!

Kleine Köstlichkeiten: 4 Sterne, Snacks für zwischendurch

NolteSnack für zwischendurch – Kurzrezension

Worum geht’s?
Jonathan Schotter ist Mitte vierzig, als es ihn – nachdem er seinen lukrativen Job als Werber verloren hat und von seiner Frau verlassen wurde – nach Berlin verschlägt. Dort kommt er durch Zufall in der S-Bahn an den Laptop einer jungen Frau, die sich Roula Rouge nennt. Ohne zu zögern durchwühlt Jonathan die Festplatte, gräbt sich hinein in die Geheimnisse ihrer Besitzerin, stöbert in Fotos, Musik und privaten Dateien. Es wird für ihn zur fixen Idee, Roula Rouge zu finden – allerdings hat er nicht die Absicht, ihr den Computer zurückzugeben. Als es ihm gelingt, sie aufzutreiben, verliebt er sich ernsthaft. Dass sie ihm auf die Schliche kommt, ist von nun an seine größte Sorge. Dabei ahnt er nicht, in welche Abgründe Roula, die ihren einst aus der DDR geflüchteten Vater sucht, ihn ihrerseits noch ziehen wird …

Hat’s gemundet?
Und wie! Roula Rouge ist ein Buch, das man mit einem Haps verschlungen hat. Mathias Nolte hat einen „Liebeskrimi“ geschrieben, der flüssig genug formuliert ist, um runterzugehen wie ein leckerer Eisshake. Er entführt mich nach Berlin und setzt mich neben einen Protagonisten, der sich beim Durchsuchen eines fremden Computers äußerst skrupellos verhält. Datenschutz, die Offenheit unserer digitalen „Geheimnisse“ und Identitätsklau sind sehr aktuelle Themen, die der Autor auf hervorragende Weise in eine Lovestory verpackt. Dazu kommen noch zahlreiche doppelte Spielchen und Rätsel, die Jonathen und Roula einander aufgeben. Keiner ist ehrlich zum anderen, und doch ist ihre Verliebtheit echt. Dieses Buch ist ein bisschen wie ein Zauberkästchen mit einem Geheimfach, von dem man nie wissen kann, ob man es als Einziger entdeckt hat oder ob man hereingelegt wurde. Auf jeden Fall bietet es Unterhaltung auf hohem Niveau und eine wirklich spannende Geschichte.

Wer soll’s lesen?
Alle, die auf der Suche nach einem guten Unterhaltungsroman sind, die gern Liebesgeschichten lesen, die es mitreißend und originell mögen und die eine Vorliebe für Berlin haben.

Netter Versuch: 2 Sterne, Snacks für zwischendurch

LohmannSnack für zwischendurch – Kurzrezension

Worum geht’s?
Milena ist am Ende, sie funktioniert nicht mehr: „Mir ging es auch gar nicht schlecht, fand ich. Mir ging es irgendwie überhaupt nicht mehr.“ Als ihre Depression sie so niederdrückt, dass sie nichts mehr kann außer weinen, wird sie in eine Klinik eingewiesen. Und fragt sich erst einmal, was sie dort soll. Kritisch beäugt sie die Magersüchtigen, die Selbstmordgefährdeten und Verzweifelten. Gerade war doch noch alles gut, sie ist jung, hübsch, hat einen gut bezahlten Job und einen lieben Freund – warum nur kann sie nicht glücklich sein? Das soll sie in der Therapie herausfinden. Und innerhalb von acht Wochen bekommt Milena auch die Wurzel allen Übels zu packen, die natürlich in ihrer Kindheit liegt.

Hat’s gemundet?
Nicht wirklich. Acht Wochen verrückt kann man schwupps auslesen – muss man aber nicht. Die Geschichte ist in meinen Augen sehr oberflächlich und unoriginell. Milena landet in der Klapse, macht sich auf hysterische Art über sich selbst und die anderen „Verrückten“ lustig, hat neuzeitliche „Ich setze mich immer so unter Druck“-Probleme und kommt auch als Erwachsene nicht mit der Scheidung der Eltern klar. Das ist Klischee über Klischee, und manchmal habe ich das Gefühl, mir purzelt in diesem Buch kein einziger neuartiger oder kluger Gedanke entgegen. Vielmehr ist das lauwarmer Abklatsch über das, was wir alle längst wissen: dass wir Menschen uns selbst am besten krank machen können. Tablettensucht, Bulimie, Burn-out – ich hätte mir einen schärferen, tiefer gehenden Blick auf diese Krankheiten gewünscht, nicht einen Roman, das klingt wie das Tagebuch einer naiven Fünfzehnjährigen.

Wer soll’s lesen?

Alle, die nichts dagegen haben, wenn es zwischendurch mal sehr seicht und klischeehaft ist.

Gut und sättigend: 3 Sterne, Snacks für zwischendurch

CleenSnack für zwischendurch – Kurzrezension

Worum geht‘s?
Judith ist zehn Jahre alt und hat es nicht gerade leicht. Ihr Vater ist streng religiös und gehört einer missionarischen Gemeinschaft an, jeden Abend lesen die beiden in der Bibel, und an den Wochenenden versuchen sie die Nachbarschaft zu bekehren. Die Mutter ist bei Judiths Geburt gestorben, und da das Mädchen die meiste Zeit allein ist, hat es in seinem Zimmer eine Miniaturwelt aus Müll gebaut, „the land of decoration“. In der Schule ist Judith natürlich eine Außenseiterin, und in ihrer Verzweiflung bleibt ihr nichts anderes übrig, als an Wunder zu glauben: Sie fabriziert Schnee in ihrer eigenen kleinen Welt, und als es am nächsten Tag – mitten im Oktober – wirklich schneit, muss Judith nicht in die Schule. Ihre Probleme fangen damit aber erst an …

Hat’s gemundet?
Teilweise. The land of decoration ist ein sehr merkwürdiges und schräges Buch. Geschichten, in denen ein kindlicher Protagonist auftritt, brauchen ja immer etwas Originelles, und diese hier hat davon reichlich: eine tote Mutter, Probleme in der Schule, ein fanatisch religiöser Vater – das klingt alles schon schlimm genug. Judith aber glaubt wirklich an den Weltuntergang, führt Gespräche mit einem irritierend bösartigen Gott und steigert sich so sehr in ihre Wahnvorstellungen hinein, dass sie beinahe zu weit geht. Dieses Kind, das immer allein ist, besteht aus purem Unglück. Grace McCleen, die selbst in einer religiösen Gemeinschaft aufwuchs, hat eine intensive, schwermütige und teilweise anstrengende Story geschrieben, die mich sehr verstört zurücklässt. Zwar gibt es immer wieder amüsante Zwischentöne, aber das Lachen bleibt mir eher im Hals stecken. Ziemlich gruselig.

Wer soll’s lesen?
Fans von Storys mit kindlichen Ich-Erzählern, die sich gern in eine Fantasiewelt hineindenken.

The land of decoration ist auf Deutsch unter dem Titel Wo Milch und Honig fließen erschienen. Bei Mara findet ihr eine ausführliche Rezension.

Für Gourmets: 5 Sterne, Snacks für zwischendurch

ZiefleSnack für zwischendurch – Kurzrezension

Worum geht’s?
Sieben Nächte, dann wird Luisa mit ihrer Familie in die Türkei reisen, um ihre Verwandten kennenzulernen, die sie nie gesehen hat. Und in diesen sieben Nächten erzählt sie ihrer Tochter, die nicht schlafen will, die Geschichte ihrer Herkunft, die sie erst aufgrund dieser Schlaflosigkeit erforscht hat. Sie berichtet von zufälligen Begegnungen und den Schwierigkeiten, in der Fremde zu leben, von Adoption und dem Gefühl der Verlorenheit. Viele Menschen haben einen Verlust erlitten in dieser Familiengeschichte, und es braucht erst ein kleines Kind, das keine Wurzeln hat, um endlich alle und alles zusammenzuführen. „Wo kann ich hin, wenn ich nicht weiß, wo ich herkomme?“, ist die zentrale Frage in Pia Ziefles Roman.

Hat’s gemundet?
Ein Buch für Gourmets. Denn es gibt sie, diese Bücher, bei denen einfach alles stimmt. Die Worte fallen an die richtigen Stellen und ergeben lebendige Bilder, die Geschichte ist melancholisch, traurig, lebensnah und schön. Ich fühle mich aufgehoben in diesem Buch, begleitet und geführt – dies ist einer jener Romane, den man einfach mögen muss, wie auch die unzähligen begeisterten Kritikerstimmen bezeugen. Es gibt nichts daran auszusetzen, Pia Ziefle schreibt sehr anschaulich, voller Begeisterung, mit Gefühl für die Verschiedenheit der Menschen und für das, was sie letztlich alle verbindet. Schade, dass es nur sieben Nächte sind – ich wäre auch noch länger mit diesem Buch wach geblieben.

Wer soll’s lesen?
Alle.

Kleine Köstlichkeiten: 4 Sterne, Snacks für zwischendurch

StellySnack für zwischendurch – Kurzrezension

Worum geht’s?
Um das 20. Jahrhundert in Deutschland: Jahrzehnte voll bewegter Geschichte. Ausgangspunkt ist die Geburt von Anton Bluhm und Franz Münzer im Jahr 1924. Der eine wächst mit dem Vorhaben auf, allem Wunderglauben abzuschwören, weil sein Vater das Familienvermögen an einen betrügerischen Goldmacher verloren hat, der andere glaubt an die Wunderwaffe, die der überlegenen Rasse der Arier den Weltsieg bringen soll. In der Hitler-Jugend treffen sie aufeinander, dann verlieren sie sich für Jahre aus den Augen, bis der Zufall sie wieder zusammenbringt. Anton und Franz werden Freunde. Die beiden Männer führen ein völlig unterschiedliches Leben – als erfolgreicher Hamburger Zeitungsmacher der eine, als vielfacher Familienvater auf dem Land der andere – und ähneln sich doch darin, dass es ihnen schwerfällt, mit der Entwicklung Deutschlands Schritt zu halten. Als 1968 die jungen Menschen der älteren Generation wütende Vorwürfe machen, sehen sich Anton und Franz auf verlorenen Posten. Zwar kehrt mit dem Alter in den 1990er-Jahren Ruhe ein, aber ihr bewegtes Leben hat sie beide sehr mitgenommen.

Hat’s gemundet?
Es war hervorragend! Die deutsche Autorin Gisela Stelly hat zwei Männer in die Wirren jener Zeit verpflanzt, in der sich in Deutschland viel getan hat: Die Geschichte reicht von 1924 bis 2001. Der erste Teil, in dem Anton und Franz noch jung sind, in dem Krieg ist und jeder auf seine Art versucht zu überleben, hat mich regelrecht mitgerissen und begeistert. Im zweiten Teil, in dem es ein wenig gemächlicher zugeht bzw. die Zahl der Nebenfiguren und Randgeschichten zunimmt, ist mir ein wenig die Puste ausgegangen. Gut zu lesen, spannend, originell und intelligent ist der Roman aber bis zum Schluss. Die Schriftstellerin zeigt an den Porträts zweier unterschiedlicher Charaktere sehr anschaulich die Auswirkungen der jüngeren deutschen Geschichte, und man kann sich richtig hineinleben in ihre Darstellung.

Wer soll’s lesen?

Ohne Einschränkung jeder, der etwas für klassische, weitreichend aufgebaute und ausgezeichnet geschriebene Romane übrighat.

Kleine Köstlichkeiten: 4 Sterne, Snacks für zwischendurch

JoinsonSnack für zwischendurch – Kurzrezension

Worum geht’s?
“Kashgar opens its secrets to an English lady cyclist”: Die Beschäftigung mit dem Land erfolgt nicht unbedingt nur freiwillig. Ich-Erzählerin Evangeline English wird nämlich im Jahr 1923 zusammen mit ihrer Schwester Lizzie und der Missionarin Millicent nach dem Tod einer jungen Mutter bei der Geburt ihres Kindes hier festgehalten. Evangeline ist überhaupt nicht gläubig, aber sehr reiselustig, und sie wollte Lizzie, die der seltsamen missionarischen Kraft Millicents verfallen ist, nicht allein reisen lassen. Hier in diesem fremden Land versuchen die drei Frauen, Zugang zu finden zur andersartigen Kultur und Religion, um sie zu unterminieren und die Seelen dem katholischen Glauben zuzuführen. Damit bringen sie sich freilich in höchste Gefahr. Im London der Gegenwart lernt dagegen Frieda einen Flüchtigen kennen, und auch mit diesen beiden treffen Fremdheit und Andersartigkeit aufeinander. Es entsteht eine verwunderliche Verbindung, die Frieda in ihre eigene Vergangenheit führt – und letztlich auch zu Evangeline.

Hat’s gemundet?
Durchaus! Suzanne Joinson schreibt klug, flüssig, amüsant und einfühlsam. Sie erweckt in Evangelines Reisetagebuch eine Welt, die richtig weit entfernt ist von unserer – sowohl geografisch als auch kulturell. Politische und religiöse Konflikte, die Missionarsarbeit naiver junger Schwestern und sündige, verbotene Gefühle vermischen sich zu einem durchaus lesenswerten Abenteuer. Die Spuren, denen Frieda später in unserer Gegenwart folgt, sind klar zu erkennen, aber nicht so offensichtlich, dass man das Interesse verliert. Ein richtig gut gemachter Unterhaltungsroman.

Wer soll’s lesen?
Reiselustige, Abenteurer, Fans von Geschichten über fremde Kulturen.