Netter Versuch: 2 Sterne

Bondurant„The heart of the young is a perilous place“
Fred und Elly Bulkington kommen eigentlich aus Vermont, leben aber neuerdings in einem kleinen, rauen Ort an der Küste Irlands: Fred hat einen Pub gewonnen. Dem fehlt es allerdings an Gästen, denn – so sagen die Einheimischen – die Bulkingtons sind zu einer schlechten Zeit gekommen, im Winter gibt es nicht viele Touristen. Dadurch hat Fred Zeit, an einem Roman zu arbeiten, und Elly schwimmt. Ein seltener Hautzustand mit spezieller Fettpolsterung erlaubt es ihr, in eisigem Wasser zu schwimmen – und sie stürzt sich in die gefährlichen Fluten des Nordatlantik. Sie geht dabei an ihre Grenzen, und bald schon tun sich noch mehr Gefahren auf: Die Iren wollen die Fremden nicht hierhaben. Und sie machen das deutlich.

Matt Bondurant hat mit seinem ersten Roman The Third Translation einen internationalen Bestseller gelandet. Auf sein drittes Buch The Night Swimmer bin ich durch eine Rezension der New York Times gestoßen, und es klang interessant. Das war es auch – bis zu einem gewissen Punkt. Ellys Eintauchen in das kalte Meer hat der Autor sehr faszinierend beschrieben, und das unterschwellig Drohende, das permanent in der Luft liegt, hat er glänzend eingefangen. Doch als Elly sich immer mehr in merkwürdige Machenschaften rund um eine Ziegenfarm und ein großes Hotelbauprojekt verstrickt, wird es ständig noch verwirrender. Und als der erste Tote auftaucht – angeblich war es ein Selbstmord –, tappe ich im Dunkeln. Dort bleibe ich auch nach dem sehr merkwürdigen Ende, denn Matt Bondurant erklärt selbst am Schluss so wenig, dass ich die Zusammenhänge nicht vollends verstehe. Kurz überlege ich sogar, ob es an der Sprachbarriere liegt, aber da ich bis dahin kein Problem mit dem Roman hatte, glaube ich nicht, dass es daran lag. Auch in der NYT-Rezension hieß es, wie ich später nochmal nachgelesen habe: „The mash-up of genres and an overabundance of half-sketched characters and cryptic plot turns threaten to neuter an otherwise powerful book.“ Schade ist es auf jeden Fall, weil ich The Night Swimmer bis zum letzten Drittel gern gelesen habe. Von der anfänglichen Begeisterung ist dann aber leider wenig geblieben. Ihr könnt es getrost ignorieren, auf Deutsch ist es bisher nicht erschienen.

Kleine Köstlichkeiten: 4 Sterne

IMG_7963„Der Tod kommt, wenn die Seele ihn ruft“
Moritz und Alfred sind Brüder. Sie sind jüdisch. Und sie sind alt. Zusammen wohnen sie in einem Haus in Frankfurt und gehen einander gründlich auf die Nerven. Genauso wie ihrer Haushälterin, die deshalb urplötzlich ihre Schürze hinschmeißt und auszieht. Moritz ist emeritierter Professor für Psychologie, Alfred hat als „Freddy Clay“ eine mittelmäßige Karriere als Schauspieler gemacht – vor allem mit Vampirfilmen. Das heißt: Beide haben keine Ahnung von Putzen, Kochen und Wäschewaschen. Sie brauchen jemanden, der ihnen hilft, und stellen Zamira ein. Sie ist jung, schön, geduldig – und Palästinenserin. Die Konflikte sind unvermeidlich, es wird gestritten und diskutiert, geflirtet und in der Vergangenheit gewühlt. Das ist ebenso anstrengend wie unterhaltsam – und bringt die zwei älteren Herren auf Trab.

Mit Herr Klee und Herr Feld habe ich 2013 ein sehr amüsantes Buch unter den Christbaum gelegt bekommen. Dass es das Ende einer Trilogie markiert und dass ihm die beiden Romane Die Teilacher und Machloikes vorausgehen, hab ich zu diesem Zeitpunkt nicht gewusst. Für die Lektüre spielte das aber keine Rolle, da man den dritten Teil sehr gut getrennt von den anderen lesen kann, er ist in sich geschlossen. Michel Bergmann, der als Kind jüdischer Eltern in einem Internierungslager geboren wurde und seit über 20 Jahren Drehbücher schreibt, hat mit Moritz und Alfred zwei kauzige, liebenswerte Figuren geschaffen, die den ganzen Tag miteinander „hacheln“ und dabei nie zugeben wollen, wie sehr sie aneinander hängen. Das Alte geht ihnen auf den Sack, sie trauern ihrer Jugend nach, und die Einsamkeit quält sie sehr. Mit der bildhübschen Zamira kommt Leben in die Bude – und zwar in jeder Hinsicht: Die Palästinenserin muss koscher kochen, und neben dem politischen Zündstoff und den vielen historischen Exkursen entsteht eine ungewöhnliche Freundschaft zwischen den dreien. Und als Zamira in Bedrängnis gerät, stehen die zwei wackeren Charmeure ihr tapfer bei.

Herr Klee und Herr Feld ist ein kluges Buch, rührend und witzig. Michel Bergmann füllt Seiten mit Hintergrundinfos über den israelisch-palästinensischen Konflikt und die deutsche Vergangenheit, und dazwischen liefern sich die beiden Hitzköpfe Moritz und Alfred einen Schlagabtausch nach dem anderen, sodass der Roman sehr lebendig ist und kein staubiger historischer Schinken. Seine zwei Helden erinnern sich, an Höhenflüge und Verfehlungen, an alles, was sie getan, und alles, was sie geleistet haben. Wehmut legt sich über alles, aber auch Einsicht und Frieden. Ich mochte das Buch von der ersten bis zur letzten Seite. Sehr empfehlenswert!

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Herr Klee und Herr Feld von Michel Bergmann ist erschienen im Arche Verlag (ISBN 978-3-7160-2693-9, 384  Seiten, 19,95 Euro).

Netter Versuch: 2 Sterne

BallantyneSubtiler Horror aus Neuseeland
„Es gab fünf Häuser, nur noch fünf, die übrig geblieben waren aus einer Zeit, als hier viele Menschen gewohnt hatten, weil es in der Fleischfabrik viel zu tun gab. Fünf Häuser in einer Reihe, fünf Häuser und ihre Bewohner“ – mehr gibt es nicht in Calliope Bay. In den Sommerferien vertreibt sich der 13-jährige Harry die Zeit damit, mit seinem Bruder Cal und seinem Freund Dibs in der Fabriksruine herumzuklettern oder am Hafen auf der Einlaufen eines Schiffs zu warten, in einer Höhle Zigaretten zu rauchen und mit einer Pistole zu spielen. Harrys Mutter verbringt den Sommer in der Stadt, die drei Männer schmeißen den Haushalt allein, und obwohl keiner es ausspricht, scheint klar zu sein, dass sie nicht zurückkommen wird. Harry ist verschossen in Susan Prosser, die ihm jedoch die kalte Schulter zeigt. Das spielt allerdings keine Rolle mehr, als Harrys ältere Cousine Caroline eintrifft – sie ist schön, freizügig, und Harry liebt es, nackt mit ihr Fangen zu spielen. Sie amüsiert sich über seine Verknalltheit und testet ihre Grenzen aus. Das passt Harry überhaupt nicht, und er kann überraschend gefährlich werden …

David Ballantyne gehört zu Neuseelands berühmtesten Autoren und ist 1986 gestorben. Sein Heimatort Hicks Bay, eine kleine Hafenstadt, diente ihm als Location-Vorlage für diesen seinen fünften Roman, der 1968 erschienen ist und zuvor nie auf Deutsch übersetzt wurde. Sydney Bridge Upside Down ist der Name eines Pferds, das im Buch vorkommt – ein überaus origineller Name. Originell ist auch die Geschichte über einen heißen Sommer am Ende der Welt, in dem Dinge geschehen, die sich niemand erklären kann. Wenn man es so sagt, klingt es nach einer 08/15-Story, aber glaubt mir, das ist keine. Dieser Roman ist seltsam uneindeutig, und während ich das Rätselraten beim Lesen ganz unterhaltsam finde, frage ich mich am Ende, ob alles tatsächlich so war, wie ich es mir zusammengereimt habe. Und weiß es nicht. Denn Ich-Erzähler Harry schwafelt gnadenlos viel, verschweigt aber das Essenzielle. Um konkret zu werden: Es sterben Menschen in diesem Buch. Und die Frage ist, wer Schuld daran trägt.

Ich habe Sydney Bridge Upside Down gelesen, weil die Klappentexterin einst davon geschwärmt hat. Ich bin eingetaucht in eine unheimliche Geschichte, die so offenherzig-naiv daherkommt, dabei aber nur schlecht die düsteren Geheimnisse verschleiert. Das ist eine kuriose, aber interessante Mischung. Allerdings muss ich gestehen, dass ich mir letzten Endes doch ein wenig mehr Aufklärung gewünscht hätte. Und dass der arrogante, pubertäre Harry zwischendrin ganz schön nervt. Trotzdem ist dieser neuseeländische Klassiker bestechend gut, weil er einen Jungen porträtiert, der nach außen hin lieb ist, aber im Herzen eine Mördergrube hat, und weil er Einblicke bietet in eine raue Welt, von deren Rand man sehr leicht runterfallen kann.

Sydney Bridge Upside Down von David Ballantyne ist erschienen im Hoffmann und Campe Verlag (ISBN 978-3-455-40372-5, 336 Seiten, 19,99 Euro).

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Noch mehr Futter:
– „Was sich wie eine leichte Erzählung über unschuldige Sommertage anlässt, wie eine der üblichen Coming-of-Age Geschichten, schlägt schon bald um in eine schauerliche, Grauen erregende Geschichte und wird dabei zu einem Märchen ohne Erlösung und Vergebung“, schreibt Literaturzeitschrift.de.
– „David Ballantyne wollte seinerzeit die neuseeländische Gesellschaft an den Pranger stellen“, heißt es auf deutschlandradio.de.
– „Verwundert erkennen die LeserInnen manche Zusammenhänge erst am Schluss, als auch Harry die Geschehnisse aus einer anderen Sicht reflektiert. Befürchtungen und Vermutungen, die zwischen den Zeilen schwelten, bestätigen sich“, erklärt schreib-lust.de.
– Und hier könnt ihr das Buch auf ocelot.de bestellen.

Bücherwurmloch

IMG_7948Ein bücherreiches Jahr …
… geht in diesen Tagen zu Ende. Es war so schön, all diese Bücher lesen zu dürfen! Ich bedanke mich herzlichst bei all den Verlagen, die mir freundlicherweise so viele Leseexemplare zur Verfügung stellen, und bei den Pressemenschen, die sich mit mir darüber austauschen. Ebenso wunderbar ist, dass es euch gibt, dass ihr hier mitlest, kommentiert und diesem Blog überhaupt erst einen Sinn gebt. Ich freu mich auf ein neues Jahr mit euch, in dem wir hoffentlich viele interessante, kuriose und berührende Lektüren entdecken werden.

Schon im Sommer habe ich gewusst, dass Das fremde Meer von Katharina Hartwell mein Buch des Jahres sein würde. Mir war bereits Monate vor Jahresende klar, dass nichts diesen Roman würde tippen können, und ich hatte Recht. Inzwischen ist die Taschenbuch-Ausgabe dieses wundervollen Buchs erschienen, und eine besondere Ehre für mich ist, dass ich auf der U3 zitiert werde. Ich bin endlich ein BLURB! Mein Lebensziel habe ich somit erreicht. Das solltet ihr euch ansehen. Und das Buch solltet ihr unbedingt lesen!

Von den 104 Büchern, die ich mir 2014 einverleibt habe, habe ich nur 12 mit 5 von 5 Punkten bewertet. Und da es so wenige waren, sollen sie hier aufgelistet und noch einmal in den Mittelpunkt gestellt werden:
Glücklich die Glücklichen von Yasmina Reza
Wassererzählungen von John von Düffel
Das Haus des Windes von Louise Erdrich
Muldental von Daniela Krien
Heimflug von Brittani Sonnenberg
Baba Jaga von Toby Barlow
Fünf Kopeken von Sarah Stricker
Brennerova von Wolf Haas
Anima von Wajdi Mouawad
Wurfschatten von Simone Lappert
We are all completely beside ourselves von Karen Joy Fowler (Rezension folgt)

Wenn ihr auch nur eins davon noch nicht kennt: Holt es euch! Ich kann sie, was selten ist, mit gutem Gewissen empfehlen und möchte es hiermit auch ausdrücklich tun.

Wesentlich öfter glänzte in diesem Jahr ein Buch mit 4 Punkten, und zwar ganze 28 Mal. Welche es waren, seht ihr hier. Die mittlere Ebene ist wie immer am stärksten vertreten, denn vor allem in diesem Jahr fand ich viele Bücher ganz okay, ganz nett, ganz gut – aber auch nicht mehr. 43 Mal war das der Fall.

Nun interessiert mich freilich brennend, welche Bücher euch denn 2014 über die Maßen begeistert haben? Was hab ich verpasst, was sollte ich unbedingt lesen? Welche neuen Herzensbücher hat euch dieses Jahr ins Bücherregal gestellt?

Kommt mir gut ins neue Jahr und genießt ein rauschendes Silvesterfest!
Mariki

Bücherwurmloch

Diese Bücher und ich wurden 2014 keine FreundeIMG_7946
Ich lese richtig viel. Und ich freue mich immer wieder auf jedes einzelne Buch. Es aus dem Regal zu nehmen, aufzuschlagen, den ersten Satz kennenzulernen – das ist ein magischer Moment. Oftmals aber leider der einzige. Denn natürlich gibt es immer wieder Bücher, bei denen ich nach einer Weile feststelle, dass ich sie nicht mag. Das kann viele Gründe haben, meistens langweilen sie mich. Weil ich ihren Humor nicht teile, weil zu wenig geschieht, weil die Sätze fad sind wie ein Kaugummi, den man schon zu lang im Mund hat. Von der Klappentexten habe ich gelernt, dass ich mich mit solchen Büchern nicht bis zum Ende quälen muss, sondern dass ich aufhören kann, sie zu lesen. Auch, wenn es sich dabei um Rezensionsexemplare handelt. Aber sogar wenn ich ein Buch, das mich nicht vom Hocker reißt, brav bis zur letzten Seite lese, ist es oft so, dass ich dazu nichts zu sagen habe – außer eben, dass es mir nicht gefallen hat, dass ich es nicht gut fand. Das reicht in meinen Augen nicht für eine fundierte Rezension, und wenn ich nicht genügend Worte finde, um ein Buch wenigstens ordentlich zu zerreißen, schweige ich lieber darüber. Das war 2014 überraschend oft der Fall, wie ich festgestellt habe. Folgende Bücher habe ich euch vorenthalten:

Was wir Liebe nennen von Jo Lendle
(Ich weiß, dass alle diesen Autor und dieses Buch super finden. Aber ich fand es ganz, ganz schlimm. Naiv. Unlustig. Komplett bescheuert.)

Wellenschläge von Anne Landsman
(Das Originellste daran war, dass es in der 2. Person Singular geschrieben ist.)

Monsieur Paulin und ich von Damien Luce
(Kindischer, naiver Schmonzes, schlecht geschrieben.)

Die Hände des Pianisten von Yogi Sabol
(Da sofort verraten wurde, wer der Täter ist, war die Spannung gleich null.)

The Newlyweds von Nell Freudenberger
(Unfassbar langweilig.)

Ein seltsamer Ort zum Sterben von Derek B. Miller
(Ganz nett, aber auch nicht mehr.)

Die finanziellen Abenteuer des talentierten Poeten von Jess Walter
(Da hatte ich mir viel mehr erwartet. Der Humor ging komplett an mir vorbei.)

Der aufrechte Mann von Davide Longo
(Das fand ich gut. Aber irgendwie war’s mir insgesamt zu wenig.)

Das Regenorchester von Hansjörg Schertenleib
(Das war mir viel zu pathetisch.)

Die Listensammlerin von Lena Gorelik
(Hat meine hohen Erwartungen nicht erfüllt, vor allem inhaltlich nicht.)

Shine shine shine von Lydia Netzer
(DAS ist ein komplett verrücktes Buch. Über eine glatzköpfige, schwangere Frau mit einem autistischen Kind und einem Ehemann im All.)

Die unglaubliche Reise des Fakirs, der in einem Ikea-Schrank feststeckte von Romain Puértolas
(Da hab ich nur kurz reingeschaut, das wollte ich wirklich nicht lesen.)

Moor von Gunther Geltinger
(Ein Buch voller Abgründe und abstoßendem Inzest. Teilweise faszinierend, insgesamt aber zu sumpfig.)

Absolution von Patrick Flanery
(Hätte wirklich spannend sein können, hat mich aber überhaupt nicht überzeugt.)

Stalins Kühe von Sofi Oksanen
(Und dabei fand ich Fegefeuer von derselben Autorin grandios! Aber in diesem Buch wird eigentlich nur gekotzt, hart gesagt.)

Amt für Mutmaßungen von Jenny Offill
(Hat mich nicht im Geringsten interessiert, trotz all der guten Kritiken.)

Unter einem schwarzen Himmel von Leo Agren
(Eine gute, spannende, letztlich sehr kurze Parabel über das Leben im Krieg.)

Mein fremdes Leben von Joshua Ferris
(Ein überraschend schreckliches Buch. Über verquere religiöse Vorstellungen und einen gelangweilten Zahnarzt.)

Das kalte Jahr von Roman Ehrlich
(Daran mochte ich nicht, dass alles so in der Schwebe blieb. Dass niemand fragte und niemand erklärte.)

Der Himmel auf ihren Schultern von Sergej Lebedew
(Komplett abgedreht, zum Teil unverständlich, zum Teil fad.)

Bestimmt habt ihr eins oder mehrere dieser Bücher gelesen. Wie ist eure Meinung dazu? Haben sie euch begeistert oder ähnlich unberührt gelassen wie mich? Lest ihr ungeliebte Bücher bis zum bitteren Ende oder spart ihr lieber eure wertvolle Lebenszeit?
Ich bin sehr auf eure Kommentare gespannt!
Mariki

Allgemein

IMG_2577Frohe Weihnachten euch allen!
Ich danke euch für all die interessanten Kommentare und Beiträge 2014 und freue mich auf viele weitere im neuen Jahr. Möge es uns haufenweise gute Bücher bringen!
Merry Christmas wünscht
Mariki

Lieblingsfutter

DSC_0288Iris Hechenberger, Jahrgang 1981, Lektorin bei Droemer Knaur

Das Leben meiner Mutter von Oskar Maria Graf ist mein Lieblingsbuch, weil es in einer wunderbaren Sprache meine bayrische Heimat mit seiner idyllischen Landschaft und dem typischen Lokalkolorit einfängt.

Empfehlen möchte ich das Buch jedem, der gerne Familiensagas mit historischen Anklängen liest und romantisch für die “gute alte Zeit” schwärmt. Trotz allem ist Oskar Maria Graf nie kitschig, sein kritischer Geist blitzt immer wieder durch.

Wenn ich (privat) lese, dann lese ich gut recherchierte Biographien und Klassiker der Literaturgeschichte. Vor allem die Realisten mit ihren seitenlangen Beschreibungen von Landschaften und ihrem ausgefeilten Blick fürs Detail haben es mir angetan. Ich muss schon ganz genau wissen, wie Anna Karenina beim Pferderennen gekleidet war und welche Blumen im Garten von Effi Briests Vater wachsen!

Das Leben meiner Mutter von Oskar Maria Graf ist 1982 im dtv erschienen.

Und was ist dein Lieblingsfutter? Wer mitmachen möchte, schickt seine Antworten auf die Fragen oben an office_at_mareikefallwickl.at.

Menü des Monats

MenüDezember

Im Bücherwurmloch gibt’s jeden Monat ein spezielles Menü: Kredenzt wird Altbekanntes, Gutes, Schönes, Schmackhaftes – zum Wiederentdecken, Gustieren und Probieren. Im Oktober kommt auf den Büchertisch:

Eine flambierte Vorspeise.
Sophie Laguna: Lichterloh

Als Hauptspeise solide deutsche Kost.
Michael Molsner: Dich sah ich

Zum Dessert französische Leichtigkeit.
Ellen Sussman: An einem Tag in Paris

Mahlzeit wünscht
Mariki

 

 

 

Gut und sättigend: 3 Sterne

Eine wilde Geschichte aus wilden Zeiten9783716026847
Talmadge lebt schon lange auf der weitläufigen Apfelplantage im Nirgendwo von Washington. Als Junge kam er mit seiner Mutter und seiner Schwester hierher. Die eine ist längst verstorben, die andere auf mysteriöse Weise verschwunden. Hingebungsvoll pflegt Talmadge die vielen Apfel- und Marillenbäume, deren Früchte er auf dem Markt verkauft. Als zwei streunende, schwangere Mädchen auf seinem Grundstück auftauchen, jagt er sie nicht fort, sondern gibt ihnen zu essen. Er macht sich auf die Reise, findet heraus, vor wem die Schwestern namens Jane und Della geflohen sind und warum. Er möchte sie beschützen, doch als gefährliche Männer mit Gewehren auftauchen, gelingt ihm dies nicht. Fortan lebt er mit der kleinen Angelene auf der Plantage, die sein Zögling und seine gelehrige Schülerin wird. Doch Talmadge kann Della nie vergessen und die Suche nach ihr nicht aufgeben – Della, die sich aus dem Staub gemacht hat und die er erst wiedersieht, als sie im Gefängnis sitzt …

Amanda Coplin, die selbst in Wenatchee, Washington, geboren wurde, erzählt in ihrem ersten Roman Im Licht von Apfelbäumen von einem weiten Land und rauen Menschen, von widerspenstigen Pferden und harten Gesetzen. Hauptfigur ihres Buchs ist der alte, schweigsame Talmadge, der nicht über Gefühle sprechen kann, weil er es nie gelernt hat. Er ist ein Mann voller Mitgefühl und Ehre, er sorgt und kümmert sich, er ist zutiefst einsam und sehr eng verbunden mit der Natur, in der er lebt. Seine bedächtige Art trägt den ganzen Roman und bestimmt den sorgfältigen, ruhigen Erzählton, den ich nicht unbedingt langweilig, aber doch sehr gesetzt nennen möchte. Ich mag Talmadge, ich mag die Geschichte, ich mag Amanda Coplins empfindsame Sprache.

Mein einziges Problem mit diesem Buch ist, dass es irgendwie nicht aufhört. Die Story rund um die zwei schwangeren Mädchen macht noch nicht einmal das erste Drittel des Romans aus, ist nicht Kern der Sache, sondern nur der Auftakt. Und dann geht es weiter. Immer weiter. Jahr für Jahr. In allen Details. Ich muss gestehen, dass es der Autorin in meinen Augen nicht gelingt, den Spannungsbogen zu halten, und dass ich mehr als einmal fast die Geduld verliere. Weil ich nicht von noch einer Apfelernte von Talmadge und noch einem Arbeitsplatzwechsel von Della lesen will, weil mir alles zu langatmig und weitläufig angelegt ist. Wer also zu diesem Buch greift, sollte viel Zeit mitbringen und sich auf einen Jahrzehnte umspannenden, gemütlichen Schmöker einstellen.

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Im Licht von Apfelbäumen von Amanda Coplin ist erschienen im Arche Verlag (ISBN 978-3-7160-2684-7, 448 Seiten, 22,90 Euro).

Noch mehr Futter:
– „Amanda Coplin ist ein wunderbarer Roman gelungen, auf den letzten Seiten abgerundet durch ein großartiges Ende, das ich am liebsten immer und immer wieder gelesen hätte“, schwärmt Mara von buzzaldrins.de.
– „Amanda Coplin erzählt diese Geschichte um (Wahl-)Familie, Freundschaft und Unrecht in einer ruhigen, beschaulichen Sprache“, heißt es auf eselsohren.at.
– „Zwischendurch hatte die Handlung für mich ein paar kleine Längen, aber die Atmosphäre in diesem Buch ist einfach unbeschreiblich. Insbesondere die Szenen auf Talmagdes Plantage fand ich sehr eindringlich und tief berührend“, erklärt Literaturschock.
– Und hier könnt ihr den Roman bei ocelot.de bestellen.

Für Gourmets: 5 Sterne

IMG_7746Leben mit der Todesangst
Ada ist 25 Jahre alt, ausgebildete Schauspielerin, schön, eigenständig, klug. Und Ada hat Angst. Die Angst ist größer und stärker als Ada und hat die junge Frau so sehr im Griff, dass ihr zunehmend das Leben durch die Finger rutscht. Ada kann nicht schlafen, sie kann die Vorsprechen, zu denen sie eingeladen wird, nicht wahrnehmen, sie hat kein Geld, kaum Freunde, und die rosigen Aussichten werden auch immer weniger. Da Ada mit der Miete im Rückstand ist, bekommt sie völlig überraschend einen Mitbewohner in die Wohnung gesetzt: den jungen Goldschmied Juri, dessen Vater gestorben ist. Ada ist entsetzt und tut alles, um den Eindringling loszuwerden. Mit stoischer Geduld erträgt Juri ihre Kapriolen – bis es ihm reicht. Und erst da erkennt Ada, dass es so nicht weitergehen kann und dass es eigentlich die Angst ist, die sie endlich loswerden sollte …

Die Schweizer Autorin Simone Lappert nimmt mich in Wurfschatten mit auf eine ebenso unheimliche wie faszinierende Reise: in den Kopf eines Menschen, in dem ich Gedanken und Gefühle finde, die es in meinem eigenen Kopf nicht gibt. Das ist für mich extrem befremdlich und verstörend. Als Mensch, der sich überhaupt nix scheißt, möchte ich Ada am liebsten – ganz klischeehaft – schütteln und sagen: Mädel, was ist los mit dir? Andere haben Ebola, wo ist dein Problem? Aber mir ist natürlich klar, dass so eine Angst, wie Ada sie mit sich herumschleppt, genau das Gegenteil von rational ist und dass man sie nicht einfach so abschütteln kann. Genial finde ich die Idee der jungen Autorin, die bereits für ihre Lyrik ausgezeichnet wurde, ihrer ängstlichen Heldin einen fremden Mann in die Wohnung zu setzen und zu sagen: Na, Ada, was machst du jetzt? Das ist spannend, schafft Konfliktpotenzial und macht aus der Beschreibung eines von Angst gebeutelten Menschen eine echte Geschichte. Gekonnt weicht Simone Lappert dabei den Klippen der Klischees aus und schildert die Annäherung ihrer zwei Protagonisten so erfrischend, schön und unbedarft, dass ich ihr fast glaube, sie hätte das Ganze neu erfunden.

Wurfschatten ist ein kluges, kraftvolles und dabei doch leises Buch, das mit seinem ausgezeichneten Sprachstil aufhorchen lässt. Sehr elegant führt Simone Lappert ihr ängstliches Mädchen durch dieses Buch, sie hat Literarisches Schreiben studiert und weiß mit dem Werkzeug Sprache umzugehen. Ihre Sätze sind fein geschliffene Kunstwerke und übertreiben niemals, sehr klar und unbedarft kommen sie des Weges. Ein wunderbarer, lebensbejahender, grandioser Roman, den ich euch dringend empfehlen möchte.

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Wurfschatten von Simone Lappert ist erschienen im Metrolit Verlag (ISBN 978-3-8493-0095-1, 207 Seiten, 20 Euro).

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Noch mehr Futter:
– „Simone Lappert kann mit Worten jonglieren, sie nähert sich Ada auf behutsame Weise, kleidet in sprachliche Bilder, was sonst schwer zu erklären ist“, schreibt Sophie von Literaturen.
– „Wurfschatten ist ein wunderbar poetischer Roman. Eine Liebesgeschichte, die ganz zögerlich beginnt. Mit einem Flair für komische Situationen erzählt Simone Lappert leicht und beschwingt, wie die Heldin wieder langsam beginnt ins Leben zurückzufinden“, heißt es auf srf.ch.
– „Simone Lappert erzählt in ihrem Debütroman eine ungewöhnliche Girl-meets-boy-Story, durchaus morbide, doch dabei seltsam zärtlich“, erklärt Spiegel Online.
Hier könnt ihr der Autorin beim Lesen zusehen.
– Und hier könnt ihr den Roman bei ocelot.de bestellen.