High Five

dsc-0169-kopie-514c456082d0dd4a13266436fef270c8Wenn ich eine Figur aus einem Roman wäre, dann würde man mich schnell langweilig finden.

Ich ordne meine Bücher nach dem Zeitpunkt ihrer Anschaffung. Letzte Woche habe ich ein neues Regal angebracht (ich bin ein Heimwerkertalent, ähäm), darauf stehen: Meg Wollitzer, Jan Brandt, Kristine Bilkau, Inger-Maria Mahlke und mein Buch, aber nur für das gute Gefühl.

Das Cover meines aktuellen Buchs finde ich großartig. Als ich die Mail mit der Cover-PDF bekommen habe, habe ich die Daumen gedrückt (aus Angst vor einem miesen Cover). Als ich es dann sah, dachte ich sofort: Ja, ein Boot, Enkel, Großvater, viel Grau, irgendwie: ja!

Viel zu selten verwendet wird das Wort Jügler.

Das Buch meines Lebens muss sehr ruhig sein, anschmiegsam wie eine Katze, aber auch genauso widerspenstig.

JüglerMatthias Jügler, 1984 geboren, lebt in Leipzig. Er hat am Deutschen Literaturinstitut Leipzig studiert und seinen Debütroman Raubfischen bei Blumenbar veröffentlicht (ISBN 978-3-351-05014-6, 224 Seiten, 16 Euro). Foto von Thomas Nauhaus.

Gut und sättigend: 3 Sterne

FitzgeraldSchnippschnapp, Penis ab
Catriona wollte Joe heiraten, in Italien, wo er lebt. Eine Woche vor der Hochzeit kam sie zurück nach Schottland, um sich von ihrer Familie und ihren Freunden zu verabschieden – auch von ihren Ex-Freunden. Sie hatte ein letztes Mal Sex mit Achmed, Johnny und Rory. Unglücklicherweise wurden all diese Männer danach ihrer Männlichkeit beraubt und ermordet. Jetzt sitzt Catriona im Gefängnis – und versucht krampfhaft, sich zu erinnern. Hat sie wirklich ihren Ex-Lovern die Penisse abgeschnitten und sie umgebracht? Sie schreibt alles, was sie noch weiß, auf und spricht darüber mit der Journalistin Janet, die sie entlasen soll. Dummerweise entsteht daraus aber ein reißerisches Buch, das Catriona erst recht in die Scheiße reitet. Sie ist jedoch immer mehr davon überzeugt, unschuldig zu sein – und bittet ihre Mutter um Hilfe. Doch es scheint Catrionas größtes Problem im Leben zu sein, dass sie stets den falschen Menschen vertraut …

Immer, wenn ich Helen FitzGerald lese, denke ich als Erstes: Sie kann gar nicht schreiben. Ich finde, ihre Sätze kommen verstörend ungelenk daher, wirken oft wie falsch aneinandergereiht, sind kurz und nicht unbedingt gut formuliert. Aber trotzdem faszinieren mich ihre Bücher – wegen der originellen Geschichten. Für Helen FitzGerald werde ich sogar trotz meines Spleens zur Serientäterin. Sie ist eine Meisterin der verrückten Einfälle und der absurden Wendungen. Vor allem stehe ich auf ihre Tabulosigkeit. Da wird gefickt und gemordet, geflucht, gekotzt und gequält. Die erfolgreiche Autorin, die in Australien geboren ist und in Schottland lebt, ist extrem direkt. Sie redet nicht um den heißen Brei herum, sie gatscht mitten hinein und schleudert ihn dem Leser ins Gesicht. Zwischen all meinen tieftraurigen und melancholischen Büchern finde ich was derart Böses und Wahnsinniges sehr erheiternd.

Helen FitzGerald schert sich auch nicht um eine sinnvolle Erzählstruktur mit gleichbleibenden Perspektiven. Deshalb kommen in Ex sowohl Catriona und Janet als auch ihre Mutter, die beste Freundin Anna und Joe vor. Jeder Blickwechsel wirft ein neues Licht auf die Ereignisse – und kaum ist alles ganz anders, ändert es sich schon wieder. Wenn ich ehrlich bin, ist nichts davon glaubwürdig. Aber unterhaltsam. Irre. Sardonisch. Ein Mordsspaß. Die Gartenschere auf dem Cover? Mit der wurden die Schwänze abgeschnitten. Ha! Lest Helen FitzGerald, wenn ihr euch ein bisschen crazy shit reinziehen wollt. Enjoy!

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Ex von Helen FitzGerald ist erschienen bei Galiani Berlin (ISBN 978-3-86971-081-5, 240 Seiten, 14,99 Euro).

Kleine Köstlichkeiten: 4 Sterne

IMG_8931„It’s not finding what’s lost, it’s understanding what you’ve found“
Treten Sie ein, kommen Sie näher, schauen Sie, staunen Sie! Wir schreiben das Jahr 1911 in New York, die Stadt wächst, langsam verschwindet die  Natur, und all die Menschen, die hierherkommen, wollen unterhalten werden! Deshalb fahren sie nach Coney Island, ins Museum von Professor Sardie, denn dort gibt es
ein Mädchen mit Schmetterlingsflügeln
einen Wolfsmann
missgebildete Embryonen, viele Exponate und
Coralie, die lebende Meerjungfrau!
Sie ist Professor Sardies Tochter, gehorsam und still, mit Schwimmhäuten zwischen den Fingern und der Fähigkeit, sehr lange unter Wasser zu bleiben. Coralie ist im Museum aufgewachsen, ohne Kontakt zu anderen Menschen, sie ist das Geschöpf des Professors und hat keinen eigenen Willen. Bis sie auf Eddie Cohen trifft. Und sich in ihn verliebt. Eddie wiederum stammt aus einer streng orthodoxen Familie, ist mit seinem Vater in die USA geflohen und hat sich später von ihm abgewendet. Schon mit 13 Jahren hat Eddie sein eigenes Geld verdient, indem er verschwundene Menschen aufspürte. Als Hunderte Mädchen in einer brennenden Fabrik ums Leben kommen, die Leiche eines bestimmten Mädchens aber fehlt, erhält Eddie den Auftrag, es zu finden – tot oder lebendig. Er folgt einer Spur, die ihn zu Professor Sardie führt – und zu Coralie …

Alice Hoffman, eine der Königinnen der amerikanischen Unterhaltungsliteratur, ist mir bereits früher begegnet, und ich kenne immerhin zwei ihrer knapp 30 Bücher. Sie denkt sich fantasievolle Storys aus und ist ein Garant für solides Schreibhandwerk, Spannung und ein bisschen Kitsch. Ich habe mir The museum of extraordinary things ganz bewusst für die Flugreise nach Barcelona ausgesucht – etwas Leichtes für unterwegs, in dem ich während der Warte- und Flugzeit schmökern kann, ohne dass es mich so sehr gefangen nimmt, dass ich etwas Wichtiges verpasse (wie mein Flugzeug). Und es war die richtige Wahl, wobei es mir während der Lektüre sogar noch besser gefallen hat als erwartet.

Ich mag es, wenn Autoren sehr sorgsam und verhätschelnd mit ihren Figuren umgehen, das gibt den Büchern eine sanfte und liebevolle Note, was sehr erholsam ist bei all den Ohrfeigen, die sie in den Romanen bekommen, die ich sonst meistens lese. Aus der Sicht von Coralie und Eddie wird diese wildromantische Geschichte rund um menschliche Sensationsgier, einen skrupellosen Professor und ein unheimliches Museum erzählt. Sie spielt in einem New York des Wandels und am Rand einer Zeit, die in Vergessenheit versinkt, und es hat eine düstere, melancholische Stimmung. Das ganze Buch wirkt wie eine vergilbte alte Fotografie, die Wehmut hervorruft und ein Lächeln. Sehr märchenhaft, bezaubernd und schön.

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The museum of extraordinary things von Alice Hoffman ist bei Simon & Schuster erschienen und wurde (noch) nicht auf Deutsch übersetzt.

Kleine Köstlichkeiten: 4 Sterne

IMG_8763„Gott ist ein schlechter Gärtner. Er stellt uns wie Pflanzen in ein Glashaus, gießt ein paar Mal drüber und geht dann ins Wirtshaus“
„Wie leicht haben es doch diejenigen, die nicht mehr auf der Suche nach der großen Liebe sind, die die Suche entweder aufgegeben haben oder sich mit dem begnügen, was sie einst gefunden haben.“ So weit ist Marie allerdings noch lange nicht. Und Jakob auch nicht. Im Gegenteil: Sie ist mit ihrer großen Liebe Joe nicht mehr zusammen, er fadisiert sich mit Freundin Sonja. Als Marie und Jakob in einem Café aufeinandertreffen, erwacht das Interesse von beiden – und zumindest einer verliebt sich. Joe ertrinkt unterdessen, und zwar absichtlich. Sein bester Freund Gery ist beim Selbstmordsprung dabei, und er kann das nicht verwinden. Seine Wege kreuzen sich mit denen von Sonja, die Liebeskummer hat und etwas Neues sucht. So verbandeln und verstricken all die Menschen sich ein Jahr lang miteinander, lernen sich kennen und verlieren sich, erzählen von früher und leiden im Heute – bis zur Testamentseröffnung exakt 12 Monate nach Joes Tod. Eingeladen sind nur Marie und Gery, und Joe hat detaillierte Anweisungen hinterlassen, die sein Freund Palicini im Wiener Prater umsetzt. Auf die beiden wartet eine große Überraschung …

Mittelstadtrauschen, das 2013 erschienene Debüt der österreichischen Autorin Margarita Kinstner, wurde mir mehrfach ans Herz gelegt – und hat auch allerlei Lob eingeheimst. Es erzählt nicht unbedingt eine vielschichtige, aber eine vielmenschliche Geschichte, denn es bildet – wie das Cover zeigt – ein Gefüge ab, das zwischen den einzelnen Romanfiguren entsteht. Verstrickungen und Verbindungen, Liebe und Freundschaft: Wer mit wem und warum – das ist die Frage, die Margarita Kinstner stellt und beantwortet. Gewählt hat sie dafür einen unprätentiösen Stil und eine schlichte, manchmal lieblich-naive Sprache, die perfekt zum Inhalt passt. Denn Mittelstadtrauschen ist ein nostalgisches Buch, ein liebes, unkantiges Buch, das von der Macht des Zufalls berichtet und von dem Karussell, in dem wir alle sitzen: Der eine liebt das Mädchen vor ihm und wird geliebt vom Mädchen hinter ihm – und es dreht sich und dreht sich, immer weiter …

Ich habe Mittelstadtrauschen im Urlaub gelesen, und das war herrlich. Denn es liegt nicht schwer im Bücherwurmmagen, bietet aber feine Unterhaltung auf sehr gutem Niveau. Heiter und schlau ist die Geschichte, und auch wenn die Protagonisten reichlich verplant und lahmarschig daherkommen, hat die Story einen angenehmen Drive. Das Ende ist schön kitschig, vorhersehbar und trotzdem wunderbar – genau, wie es sein muss. Leseempfehlung!

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Mittelstadtrauschen von Margarita Kinstner ist erschienen im Deuticke Verlag (ISBN 978-3-552-06226-9, 288 Seiten, 20,50 Euro).

Gut und sättigend: 3 Sterne

IMG_8759Die Französische Revolution im Kleinen
Mit seinem Vater hat der junge Baron de l’Aubépine sich nie verstanden, wurde er doch schon als Kind von ihm tyrannisiert. Kaum ist der Alte tot, zieht der neue Herr auf das Gut Les Perrières. Er entlässt die gesamte Gefolgschaft und behält nur den Wildhüter Lambert, dessen schwangere Frau nun auch im Schloss kochen und putzen muss. Lambert, der einzig am Wohlergehen seiner Hunde und seiner Tochter interessiert ist, begegnet dem jungen Baron mit Argwohn: Er hat merkwürdige, revolutionäre Ansichten – und sehr ungewöhnliche sexuelle Vorlieben. Der launische Adelige, der oft monatelang fort ist oder aus unerfindlichen Gründen sein Zimmer nicht verlässt, will seinen eigenen Stand abschaffen und eine neue Weltordnung einführen. Dabei versteift er sich immer mehr auf die Figur Victor Hugos – und als er diesen aus seinem Exil entführen will, greift Lambert mit seiner Familie zu sehr extremen Mitteln, um es zu verhindern …

Monsieur Lambert und die Ordnung der Welt ist der sechste Roman des französischen Schriftstellers Francois Vallejo, der auch als Professor für Altphilologie arbeitet – und sich zudem offenbar mit historischen Ereignissen auskennt. Für dieses Buch hat er die Zeit rund um die Französische Revolution als Rahmenbedingung gewählt und erzählt eine hochgradig merkwürdige Geschichte. Das große Ganze berichtet vom Clash der Meinungen, vom Unverständnis jener, die von der Abschaffung des Adels eigentlich profitieren sollten: Sie wollen nicht, dass das, was immer schon so war, sich plötzlich ändert. Allerdings verstehen sie von dieser Veränderung auch zu wenig, um zu beurteilen zu können, weil sie beschäftigt sind mit Arbeiten, tagein, tagaus, weil ihnen die Bildung fehlt, und so bleiben sie einfach still. Im Kleinen bedeutet das: Wildhüter Lambert, ein bescheidener, folgsamer Mann, findet den aufrührerischen Baron einfach nur verrückt und fühlt sich von ihm und seinen Ansichten in seiner Weltordnung bedroht. Man muss ihm aber auch zugutehalten, dass sein Herr durchaus manisch-depressive Züge aufweist und sich in einen Wahn hineinsteigert.

Da sind die vielen Frauen, die nach einer Nacht das Schloss völlig verstört verlassen, da ist Lamberts hübsche Tochter, an der der Baron viel zu viel Interesse zeigt – welcher Vater wäre da nicht auf der Hut? Und: Kann man sich sicher fühlen, wenn man von abgerichteten Bluthunden beschützt wird, oder findet das Schicksal immer einen Weg, um zuzuschlagen? Monsieur Lambert und die Ordnung der Welt ist ein historischer Roman, der den Wandel der Zeit aufzeigt anhand zweier Männer, die sich in Stand und Ansicht völlig unterscheiden. Dies ist ein brutaler, irgendwie gruseliger Roman, in dem die Gefahr von Anfang an spürbar ist – und schließlich Realität wird. Man weiß einzig nicht, wen sie treffen wird. Ein guter Exkurs in die Geschichte und ins Innere des Menschen.

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Monsieur Lambert und die Ordnung der Welt von Francois Vallejo ist erschienen im Aufbau Verlag (ISBN 9783351032319, 253 Seiten, 19,95 Euro).

Für Gourmets: 5 Sterne

IMG_8762„Soll sie an mir festhalten, wenn auch die Welt untergeht“
„Ich bin eine ungelernte Hebamme. Ich habe auf dieser Welt ein einziges richtiges Gefühl gehabt, und das ist die Liebe, mehr ertrage ich nicht.“ Es ist das Jahr 1944, ein finsteres Jahr in der Geschichte der Menschheit, als die finnische Hebamme und der deutsche Offizier in Lappland aufeinandertreffen. Sie, die rau und hart ist wie das Land und die er Wildauge nennt, liebt ihn auf den ersten Blick: „Und gleich vom ersten Augenblick an war deine Stimme für mich Bernstein und Kienholzrauch.“ Er, der von der Nazi-Ideologie überzeugt ist und schreckliche Dinge getan hat, ist beeindruckt von der ungezähmten Frau: „Wildauge ist keine gewöhnliche Frau. Sie ist eine Naturgewalt. In ihren Handgelenken schäumt die Raserei der ewigen Berge, ihre Füße bewegen sich durch das steinige Gelände wie von einem dritten Auge geleitet.“ Zwei Menschen, die unterschiedlicher nicht sein könnten – und doch scheint ihr Schicksal besiegelt. Wo Wildauge stark ist – stark genug, um Johannes in ein Todeslager zu folgen –, ist der SS-Mann schwach, er schwängert eine andere, dröhnt sich mit Betäubungsmittel zu. Auf einen Mann wie ihn ist kein Verlass – schon gar nicht in gefährlichen Zeiten wie diesen.

Katja Kettus Wildauge ist ein Feuerwerk von einem Buch, eine Maschinengewehrsalve, ein Eismeer. Es ist hart und wild und brutal und ganz wahnsinnig gut. Ich habe schon viel gelesen, sehr viel, aber niemals einen Roman von derart haltloser Sprachgewalt mit Sätzen, die mich würgen, mit Wörtern, so fremd, weil es sie gar nicht gibt. Als ich im Klappentext las, dass die Übersetzerin Angela Plöger – die hier unbedingt gewürdigt werden muss – „bisweilen eine eigene Sprache erfinden musste“, dachte ich zuerst: Jaaa, klar. Während der Lektüre habe ich aber schnell gemerkt, dass das der Wahrheit entspricht. Im Anhang werden diese sprachlichen Besonderheiten sowie die wahren Begebenheiten, auf denen das Buch beruht, erläutert. Katja Kettus Sprache ist kein festes, starres Werkzeug, mit dem sie die Welt abbildet. Es ist vielmehr umgekehrt: Die Welt, die Geschichte, der Krieg formen die Sprache, sie ist nicht sperrig, sondern gibt nach, fügt sich, findet neue Ausdrucksformen und Wörter, die nur für jenes eine Gefühl oder genau die eine Farbschattierung geschaffen wurden.

Ich habe Wildauge von jemandem geschickt bekommen, der das Buch überwältigend fand. Und es erging mir genauso. Dieser Roman ist ein Schlag in die Magengrube, ein Schleimbatzen mitten ins Gesicht, er hat Ecken und Kanten, er beißt und sticht. Dies ist nicht einfach nur „schon wieder ein Buch über den Zweiten Weltkrieg“. Es ist viel mehr, denn zum einen beleuchtet es die Ereignisse aus der eher unbekannten Perspektive Finnlands, zum anderen ist es so imposant, mutig und verrückt, dass ich es nicht mehr vergessen kann. Es hallt nach wie ein viel zu lauter Glockenschlag, von innen. Kann es in einem unmenschlichen Krieg an einem Ort, an dem Menschen andere Menschen missbrauchen, verhungern lassen und verstümmeln, so etwas wie Liebe geben? Kann an einem zutiefst vereisten Flecken Land jemals Wärme entstehen? Was Katja Kettu beschreibt, ist ein Feuer, eine Begierde, ein Getriebensein – eine Liebesbeziehung ist es nicht. Ich hetze atemlos mit Wildauge durch die Seiten, es stinkt, es wird geschossen, Menschen verrecken, und sie fühlt sich angezogen von diesem Mann, der verstörend passiv ist, der Augen und Ohren verschließt vor den eigenen Taten und tatsächlich glaubt, er hebe in einem Todeslager eine Grube aus für einen Swimmingpool. Traut euch an dieses Buch heran, wenn ihr etwas spüren wollt bei eurer Lektüre, wenn ihr euch fürchten und ekeln wollt, wenn ihr eine Axt wollt für das gefrorene Meer in euch.

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Wildauge von Katja Kettu ist erschienen im Galiani Verlag (ISBN 978-3-86971-082-2, 416 Seiten, 19,99 Euro).

High Five

2013 04 09 jürgen 044Wenn ich eine Figur aus einem Roman wäre, dann wäre der Roman wahrscheinlich kein großer Verkaufserfolg. Deshalb lässt meine Autobiographie auch noch auf sich warten.

Ich ordne meine Bücher viel zu selten. Für ein ausgeklügeltes System fehlt mir leider die Konsequenz. Ich schenke Bücher auch gerne her, verkaufe sie weiter – da kommt sowieso alles durcheinander. Ein eigenes Regal hat nur meine Sammlung von Theater-Literatur.

Das Cover meines aktuellen Buchs ist eine Gemeinschaftsproduktion von meinem Verleger und mir. Ich bin sehr stolz darauf: Das in die Luft geworfene Kind symbolisiert alles, worum es auch im Roman geht: Elternschaft, die Suche nach Freiheit, aber auch die Angst, nicht aufgefangen zu werden.

Viel zu selten verwendet wird das Wort erinnerlich, wie in: „Es ist mir nicht erinnerlich.“ Man kommt sich sofort vor wie in einem Roman von Joseph Roth – oder wahlweise „Downton Abbey“ –, wenn man es verwendet. Auch gut: Näkubi. Was das heißt? „Nächster Kunde, bitte!“ Bezeichnung für den Trennstab bei Supermarktkassen. Ich arbeite seit Jahren an der Durchsetzung des Kürzels.

Das Buch meines Lebens ist „Das Kleine Ich bin Ich“ – niemand schafft es wie Mira Lobe und Susi Weigel, in einem sehr kurzen Kinderbuch die Verzweiflung und Traurigkeit einer Identitätssuche darzustellen. Aber auch die Freude – und Verantwortung –, wenn man es schließlich schafft, sich von vorgegebenen Bildern zu befreien.

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Jürgen Bauer, 1981 geboren, lebt in Wien und arbeitet am Theater sowie als Schriftsteller und Journalist. Nach seinem ersten Roman Das Fenster zur Welt ist sein zweites Buch Was wir fürchten ebenfalls im Septime Verlag erschienen (ISBN 978-3-902711-38-0, 264 Seiten, 21,90 Euro).

Kleine Köstlichkeiten: 4 Sterne

IMG_8658Ich hab ganz vergessen, was ich …
Maud hat richtig viele Pfirsichdosen in ihrer Küche. Das liegt daran, dass sie, wenn sie im Supermarkt steht, vergessen hat, warum sie gekommen ist. Überhaupt vergisst Maud so ziemlich alles: dass sie gerade das Gas eingeschaltet hat, um zu kochen, wie ihre Enkelin heißt und wohin ihre beste Freundin Elizabeth verschwunden ist. Die geht nämlich nicht ans Telefon und öffnet die Tür nicht – aber sie würde doch nie verreisen, ohne Maud Bescheid zu geben. An ihrem letzten gemeinsamen Abend waren die beiden kurz davor, ein jahrzehntealtes Geheimnis zu lüften … aber was ist dann geschehen? Und was weiß Elizabeths unfreundlicher Sohn? Maud ist fest entschlossen, ihre Freundin zu finden, stößt jedoch bei ihrer Tochter Helen sowie bei der Polizei auf wenig Verständnis für ihre Verdächtigungen. Und niemand erkennt, dass Maud weiter und weiter in die Vergangenheit abrutscht, 70 Jahre zurück, in jene Zeit, in der ein Untermieter in ihr Elternhaus einzog, eine verrückte Frau durch die Straßen lief und Mauds geliebte Schwester für immer verschwand …

Eigentlich ist die Geschichte, die in Elizabeth is missing von Emma Healey steckt, recht simpel – und das Rätsel wäre leicht zu lösen. Denn alle Hinweise liegen direkt vor meiner Nase. Ich kann sie bloß nicht sehen – weil ich durch die Augen von Protagonistin Maud schaue, und Maud ist dement. Die junge Autorin hat für ihren Erstling eine ungewöhnliche Perspektive gewählt: Sie lässt die Story von einer alten Frau erzählen, die sie eigentlich nicht erzählen kann, weil sie keine Zusammenhänge mehr erkennt, sämtliche Details vergisst, Namen durcheinanderbringt und nicht mehr weiß, was sie 30 Sekunden zuvor getan hat. Und genau deshalb ist dieser Roman so originell. Wer jedoch jetzt denkt, Emma Healey würde sich in den vielen offenen Fragen und Wiederholungen verstricken, liegt falsch. Sie nutzt vielmehr den trüben Blick von Maud, um mich als Leserin nach allen Regeln der Kunst zu verwirren.

Hochgeistige Literatur ist das freilich nicht. Ich habe Elizabeth is missing im Urlaub gelesen, und dafür war es absolut perfekt. Weil es leicht und unterhaltsam ist, dabei aber durchaus ein bisschen Tiefgang hat. Denn eine Demenzerkrankung ist tragisch und traurig – für den Betroffenen genauso wie für die Angehörigen. Die Verwirrung und die Verzweiflung hat Emma Healey spürbar gemacht. Maud ist ratlos, gefangen in ihrer eigenen Welt, absolut liebenswert – und klärt trotz allem ein Verbrechen auf. Sehr gut gemacht!

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Elizabeth is missing von Emma Healey ist 2014 unter dem Titel Elizabeth wird vermisst bei Bastei Lübbe erschienen.

Bücherwurmloch, High Five

Screen Shot 2013-09-13 at 9.48.41 PMEin Autor, fünf Gedanken
So lautet das sehr simple Konzept der neuen Interviewreihe High Five hier im Bücherwurmloch. Die Idee dazu spukte mir schon letztes Jahr im Kopf herum, doch Sophie von Literaturen ist mir mit ihrem wunderbaren „Bitte übernehmen Sie“ zuvorgekommen, und das wollte ich dann nicht sozusagen kopieren. Obwohl ich es selbst am liebsten lese. Deshalb habe ich mich für die Rubrik Lieblingsfutter auf die Lieblingsbücher verschiedenster Menschen konzentriert, doch mit dem Absturz meines Laptops ging Ende 2014 das gesamte Material dafür verloren. Nun ist es aber immer noch so, dass ich sehr gern Autoren prominenter auf meinem Blog zeigen möchte und dass nach es hier nach wie vor zu wenig menschelt. Klassische Interviews finde ich aber eher langweilig und lese sie auch selbst kaum. Daher bin ich wieder zur Short-questions-Idee zurückgekehrt, habe mir das Okay von Sophie geholt und werde in Zukunft den einen oder anderen Schriftsteller, von dem ich ein Buch rezensiert habe, bitten, fünf Satzanfänge zu vervollständigen. Das Ergebnis könnt ihr dann hier im Bücherwurmloch lesen. Und hoffentlich für gut befinden!

Bücherwurmloch

IMG_8657Das Bücherwurmloch lässt es sich gutgehen
Picasso! Das Meer! Tapas! Die Sagrada Familia! Bücher! Gaudì! Und das Beste: keine Kinder! Hehe. Die sind nämlich zuhause, während ich gerade in Barcelona weile und noch mehr Sommersprossen sammle.
Sonnige Grüße von Mariki