Bücherwurmloch

thumb_img_6245_1024Von den Phasen, in denen alle Bücher mich langweilen
Manchmal denke ich: Nie wieder werde ich ein gutes Buch finden. Eins, das mich fesselt, begeistert, berührt. Nie mehr, es ist vorbei. Jetzt sterbe ich am Overkill, das war’s. Denn: Es langweilt mich. Alles langweilt mich. Es gibt Zeiten, da nehme ich ein Buch nach dem anderen in die Hand, voller Hoffnung, voller Optimismus, doch die Seiten fliegen vorbei, und ich merke: Das wird nix mit uns. Ich gebe nicht gleich auf, ich wühle mich durch, warte auf den Moment, in dem es mich hineinzieht in die Story. Wenn der nicht kommt, finde ich plötzlich lauter andere wichtige Dinge, die ich tun muss, statt zu lesen, Wäsche aufhängen, Kinderbilder mit Datum beschriften, den Keller aufräumen. Daran merke ich, dass der Roman mich nicht interessiert. Ich habe gelernt, Bücher abzubrechen, keine Lebenszeit zu verschwinden, und ich tue das, aber ich leide darunter. Es fällt mir nicht leicht. Vor allem dann, wenn es so viele sind, und 2016 ist – auch – in dieser Hinsicht ein besonders schlechtes Jahr. Zum Teil hat sich ein mieses Buch an das andere gereiht, ich habe drei, vier, sechs, sieben, einmal sogar ELF hintereinander in die Ecke geworfen, aussortiert, verschenkt, durch manche hab ich mich gequält, nur um dann in Motztiraden auszubrechen. Viele haben mir durchaus gefallen, aber sie waren eben einfach nur okay, nicht schlecht, aber auch nicht überragend, Mittelmaß. Über diese Titel zu schreiben, ist am schwierigsten, weil ich dann nicht viel zu sagen habe außer: Kann man lesen, muss man aber nicht. Weil sie nichts in mir ausgelöst haben, weil ich sie schon bald wieder vergessen haben werde. Seit einer ganzen Weile schon weiß ich nicht, was ich als „Buch des Monats“ auswählen soll, weil ich ganz einfach keines habe, und nehme dann das, das am wenigsten schlecht war. Ich schreibe Mails an die Verlage und entschuldige mich, erkläre, dass ich das jeweilige Buch nicht lesen konnte, dass es nicht das richtige war für mich, dass es zu fad war, zu nichtssagend, und das schlechte Gewissen knabbert dann an mir, auch wenn die Reaktionen stets verständnisvoll und wohlwollend sind (und durchaus Rückmeldungen kommen, dass es dem zuständigen Pressemenschen ähnlich ging). Es gab in diesem Jahr schon viele solcher Mails. Und das beunruhigt mich zunehmend. Auffallend oft waren das Romane, die mit Lob überhäuft wurden und bei denen ich mir vorkomme, als sei ich a) der einzige Mensch, der sie nicht verstanden hat, oder b) jemand, der nicht aufhören kann, rumzunörgeln, weil ich eine alte Grantwurzen bin. Beides furchtbare Vorstellungen.

Und dann kommt er wieder, der Gedanke: Es wird mir nie mehr gelingen, eine Perle aufzuspüren. Etwas zu fühlen beim Lesen. Ich bin übersättigt. Ich kenne alles. Und wer ist daran schuld? Ich selbst. Weil ich mir dauernd noch ein Buch und noch ein Buch in die Birne drücke. 100 im Jahr. Kein Wunder! Ständig hab ich das Gefühl: Das hab ich schon gelesen. Gleiches Storyboard, andere Namen, anderes Setting oder umgekehrt, aber trotzdem: Ich kenne das. Coming of Age, Generationenroman, Familienroman, amerikanisch, deutsch, russisch – ja. Alles schon dagewesen. Dauernd diese abgeschmackten Formulierungen, die sich ähnelnden Figuren, dieselben Emotionen, die ewige Nabelschau, das Kreisen der Figuren um sich selbst, und dieses Geschwurbel! Ich kann’s nicht mehr sehen. Und dann bin ich auch noch so bescheuert und will nie mehr als ein Buch vom selben Autor lesen, nicht mal, wenn es mir gefallen hat, erst recht nicht, wen es mir gefallen hat! Aber müsste ich nicht aus der unendlichen Flut der Neuerscheinungen etwas rausfiltern können, das wirklich neu ist? Müsste ich nicht in den Backlists Bücher entdecken, die interessant sind, ergreifend, gut?

Liegt es an mir? Oder ist die deutsche Gegenwartsliteratur momentan sehr einheitsbreiig? Bin ich zu kritisch, zu schnell genervt, zu ungeduldig, zu streng? Ich weiß es nicht. Vielleicht fische ich auch nur permanent im selben trüben Gewässer und sehe zu wenig über meinen Tellerrand hinaus. Was ich an Klassikern lesen wollte, hab ich schon gelesen. Viele Genres schließe ich inzwischen kategorisch aus. Womöglich ist meine Filterblase zu eingeschränkt, zu klein, zu eng. Oder mein Anspruch zu hoch. Aber: Kann er das überhaupt sein? Ich habe nicht viel Zeit zum Lesen, ich zwacke sie mir ab zwischen Kinder, Haushalt, Arbeiten, Herumhudeln und selber Schreiben, da will ich etwas lesen, das auch die Mühe wert ist. Ich habe nicht – wie viele andere Blogger – massenweise ungelesene Bücher, kein RuB, keine riesige Auswahl. Maximal 50 Titel liegen auf meinem SuB, aber das müsste doch eigentlich ausreichen, oder nicht? Doch dann steh ich da und starre diese Bücher an, keins interessiert mich genug, dass ich es auch nur in die Hand nehmen will.

Und es wird immer schlimmer mit meiner Leseunlust: Mittlerweile mag ich mir nicht mal mehr Bücher kaufen. Ist das zu fassen! Ich gehe in die Buchhandlung und gucke ratlos, die Neuheiten glotzen zurück, ohne dass ich mich dazu aufraffen kann, nach ihnen zu greifen. Wozu denn, denke ich, ist doch eh immer dasselbe. Das ist mir keine zwanzig Euro wert. Gut, ein Drittel der neuen Bücher hab ich meist bereits gelesen, ein weiteres Drittel spricht mich sowieso nicht an, weil Chicklit oder Vampire oder Crime, und der Rest? I just can’t be bothered. Wenn ich dann doch eins nehme, die U4 und die erste Seite lese, denke ich: Nä. Schnarch. Spontaner Gehirnschlaf. Die letzten Male hab ich die Buchhandlung ohne Buch verlassen – das wäre früher undenkbar gewesen. Auch die Verlagsvorschauen blättere ich durch, ohne eine Bestellung zu tätigen. Und irgendwie sitze ich in der Falle, denn: Lesen muss ich. Wie eine Alkoholikerin fühl ich mich, die befürchtet: Bald wird kein Schnaps mehr gebrannt. Ich definiere mich sehr stark über das Lesen. Deshalb kann ich es auch nicht auf die leichte Schulter nehmen, wenn es mir so geht wie jetzt und mich kein Buch begeistern kann. Was tue ich denn wirklich, wenn das für immer so bleibt?

Das ist Bullshit, natürlich, ich weiß das. Es ist nur eine Phase – wie man das eben so bei Kindern sagt, um sich selbst zu trösten. Und man sagt es ganz laut und oft und schreibt es vielleicht sogar in einen Blog, um das feine, leise Stimmchen zu übertönen, das einem zuflüstert, dass man sich vielleicht nur selbst belügt. Ich gebe nicht auf – wie könnte ich? Ich werde die Unlust wieder überwinden, ich hab das schon öfter geschafft. Es existieren mehr Bücher auf der Welt, als ich in hundert Leben lesen könnte. Da müssen doch noch ein paar gute dabei sein! Ich muss sie nur finden.

 

Bücherwurmloch

14523272_1342675139083457_197248595740756655_nWir suchen DAS Buchtalent 2017: Der Gewinner bekommt einen Vertrag mit Klett-Cotta
Supertalent, Supermodel, Supersänger: Das gab’s ja alles schon. Aber dieses Mal geht’s um eine gute Schreibe: Wir suchen das Superbuch! 16 Literaturblogger, die Literaturagentur Elisabeth Ruge, der Verlag Klett-Cotta, die Frankfurter Buchmesse und der bekannte ARD-Literaturkritiker Denis Scheck finden die literarische Entdeckung und den Debütroman des Jahres. Das Ganze nennt sich Blogbuster – Preis der Literaturblogger und ist die Chance für alle, die ein Romanmanuskript in der Schublade haben, aber noch keinen Verlag. Der Gewinner bekommt einen Agentur- und Verlagsvertrag und wird bereits im nächsten Jahr auf der Frankfurter Buchmesse seinen Roman vorstellen können.

Um an dem Wettbewerb teilzunehmen, müssen sich die Autoren bei einem der beteiligten Literaturblogs bewerben. Erst wenn der Blogger vom literarischen Potenzial des Autors überzeugt ist, wird das Manuskript der Fachjury vorgestellt. Neben dem Jury-Voritzenden Denis Scheck entscheiden Elisabeth Ruge, Klett-Cotta Verleger Tom Kraushaar, Lars Birken-Bertsch von der Frankfurter Buchmesse und der Blogger und Initiator der Aktion, Tobias Nazemi, über den Blogbuster-Gewinner. Der Wettbewerb startet am 21. 10. mit einer Auftaktveranstaltung im Orbanism-Space auf der Frankfurter Buchmesse. Die Preisverleihung findet Anfang Mai 2017 im Literaturhaus Hamburg statt.

Weitere Informationen sowie eine Liste mit allen Bloggern, bei denen ihr euch bewerben könnt, findet ihr hier. Wir sind gespannt auf eure Manuskripte und freuen uns schon!

Prost Mahlzeit: 1 Stern

li„Das beste Leben ist das nicht gelebte Leben“
Drei Jugendliche in Beijing nach den Aufständen am Tiananmen-Platz: Ruyu, Moran und Boayng. Ruyu ist ein Waisenkind, religiös erzogen, das seinen Weg zu Gott gehen will, wie auch immer der aussehen mag. Moran ist in Boyang verliebt, der wiederum leidet unter der Ignoranz seiner Eltern. Die Verbindung zwischen diesen dreien ist die Studentin Shaoai, die aufgrund ihrer politischen Ansichten der Universität verwiesen wurde und mit der Ruyu sich ein Bett teilen muss. Shaoai wird vergiftet, kommt aber nicht ums Leben, sondern wird aufgrund des Sauerstoffmangels im Gehirn zum Pflegefall. Wer hat ihr das angetan? War es Ruyu? Moran oder Boyang? Und warum? Die beiden Frauen leben zwanzig Jahre später längst in Amerika, als Shaoai stirbt. Boyang ist in ihrer Nähe geblieben, hat sich um ihre Eltern gekümmert, obwohl er Shaoai nicht einmal mochte. Kommen die Hintergründe für das damalige Verbrechen nun ans Licht? Ja. Überraschend sind sie aber nicht.

Schöner als die Einsamkeit von Yiyun Li, die in Beijing geboren wurde und mittlerweile in Kalifornien Kreatives Schreiben lehrt, ist eins der nachdenklichsten Bücher, die ich je gelesen habe. Und das meine ich nicht unbedingt positiv. Anfangs fand ich das Bohren und Hineindrehen und Sich-Vertiefen noch ganz gut und anregend, nach einer Weile jedoch überaus anstrengend. Dieses Buch will mir etwas sagen, unbedingt will es mir etwas sagen, mit seinen tiefschürfenden Sätzen, den bedeutsamen Botschaften, den vielen Metaphern, allein: Ich weiß nicht, was. Ich verstehe viele dieser Sätze ganz einfach nicht, ich höre ihren schönen Klang, aber bei näherem Hinsehen verzweifle ich zusehends. Das liest sich zum Beispiel so:

„Eine Tür wird geöffnet und dann wieder geschlossen, doch weder der Aufbruch noch die Ankunft durch diese Tür sind in irgendeiner schädigenden Weise permanent.“

„Das Leben, das bereits alt war, alterte nicht.“

„Die Toten zogen sich nicht zurück, wenn man sie nicht würdigte.“

„Ihr Schweigen gab ihnen Macht über ihn, doch Menschen, die man nicht zum Schweigen zwang, mussten sich dafür entschieden haben mit dem Ziel, ebendiese Macht zu erlangen.“

Joah. Wie bitte? Ich grüble während der Lektüre und komme nur selten auf einen grünen Zweig. Zudem stellt Yiyun Li durch die Münder ihrer Figuren Fragen, richtig viele Fragen, ganz abartig viele Fragen. Die sollen wohl dem Leben an sich auf den Grund gehen, sind allerdings so verquer und absurd, dass die Dialoge drumherum mir vorkommen wie die Gespräche von Philosophen auf Speed.

Am meisten gestört hat mich an diesem Buch, dass die drei Protagonisten sich nicht voneinander unterscheiden. Nicht mal ein bisschen. Sie sind sich derart ähnlich, sie könnten ein und dieselbe Figur sein. Alle drei sind unfassbar einsam, lieben die Einsamkeit, zelebrieren und schützen sie, würden sie niemals aufgeben. Keiner von ihnen hat ein Leben. Sie tun nichts, sie empfinden nichts, sie sind leer. Sie lieben niemanden, nichts berührt sie, auch der Vorfall von damals ist ihnen eigentlich egal. Sie atmen, und das ist auch schon alles. Und weil das bei Ruyu, Moran UND Boyang der Fall ist, muss ich quasi dasselbe in jedem Kapitel – trotz vermeintlichem Perspektivenwechsel – wieder und wieder lesen. Das ist ermüdend und langweilig. Und sehr, sehr schade, denn Yiyun Li hätte die Story von mehreren Seiten beleuchten können, statt nur eine einzige Facette zu sezieren wie eine Besessene. Ihr Buch hätte außerdem spannend sein können, eine Mörderjagd, eine Rätsellösungssuche, aber sie verrät schon am Anfang, dass Shaoai tot ist, dass sie vergiftet wurde und zwanzig Jahre leiden musste – und wer Schuld trägt, das interessiert niemanden. Außer mich, aber wen kümmert das schon? Es wundert mich sehr, dass eine solch unkreative Autorin Kreatives Schreiben lehrt, denn ihr Buch ist trotz gewählter Ausdrucksweise und schön melancholischer Stimmung eine herbe Enttäuschung. Aus ihrem Kurs würde ich vermutlich schreiend rausrennen.

Schöner als die Einsamkeit von Yiyun Li ist erschienen bei den Hanser Literaturverlagen (ISBN 978-3-446-24906-6, 352 Seiten, 22,90 Euro). Das Feuilleton attestiert Yiyun Lis Roman ausschließlich Gutes, die Leere der drei Protagonisten erscheint dort als Gefühlskälte der neuen chinesischen Menschen, es werden Gründe gefunden, warum man, wie es heißt, trotz Banalität weiterliest. Meine Güte. Nur weil ein Buch im Echo der Aufstände spielt und Emigration zum Thema hat, muss es nicht gleich gut sein. Aber nun ja, Geschmäcker sind bekanntlich verschieden.

Gut und sättigend: 3 Sterne

stradalEine höchst ungewöhnliche Menüabfolge
Da gibt es Eva Thorwald, und um sie dreht sich alles. Sie ist die Hauptfigur dieses Buchs – obwohl sie darin nur in einem einzigen Kapitel selbst zu Wort kommt. Aber Moment. Alles von Anfang an. Und der sieht für Eva nicht gut aus: Ihre Mutter merkt nämlich, kaum dass Eva da ist, dass sie gar keine Mutter sein will, und sucht das Weite. Der Vater will sehr wohl Vater sein, kann aber nicht, weil er **beep** und leider **beep** (aufgrund von Spoilergefahr wurden manche Teile dieses Satzes unkenntlich gemacht). Eva ist noch zu klein, um davon was mitzubekommen, und wächst fortan durchaus behütet auf. Als sie elf ist, sind selbstgezüchtete Chilis ihre größte Leidenschaft, und als Erwachsene gehören ihre Restaurant-Events zu den angesagtesten der Welt. Es gibt lange Wartelisten dafür, voll mit Leuten, die wahnsinnig viel Geld zahlen, um einmal bei einem dieser sagenumwobenen Geschmackshappenings dabei zu sein. Und auf eine solche Liste hat sich Evas Mutter setzen lassen …

In diesem Roman geht es um jemanden namens Eva und eigentlich auch nicht. J. Ryan Stradal erzählt seine Geschichte nämlich auf höchst unorthodoxe Weise: In jedem Kapitel kommt eine andere Figur vor, die mal mehr, mal weniger mit Eva zu tun hat. Das kann beispielsweise ihre Cousine sein, ein Typ, der mal auf der Highschool in sie verknallt war, oder dessen spätere Stiefmutter. Dazwischen liegen meistens mehrere Jahre. Über Eva erfährt man manchmal nur ein bisschen was in zwei, drei Nebensätzen. Auf diese Raffinesse weist der Klappentext nicht hin, und somit war ich sehr überrascht – ich musste mich mit Stradals Erzählweise erst einmal anfreunden. Nachdem mir das gelungen war, fand ich durchaus Vergnügen daran, weil ich Interlinking Short Stories sehr mag – und die einzelnen Kapitel in Die Geheimnisse der Küche des Mittleren Westens eigentlich nichts anderes sind. Jedes für sich erzählt die Story einer Figur, und Eva ist die Schnur, die alle miteinander verknüpft. Irgendwo am Rande taucht immer mal wieder einer auf, den ich schon kenne, und dann freue ich mich, ihn wiederzusehen und zu erfahren, wie es ihm in der Zwischenzeit ergangen ist.

J. Ryan Stradals Debüt hat mir gut getan. Ich hab’s ja normalerweise gern schwermütig und melancholisch, aber im Sommer sehne ich mich nach etwas Leichtem, das zur strahlenden Freibadstimmung passt. Dann stehe ich ratlos vor meinem Zu-lesen-Regal und finde nichts. Die Geheimnisse der Küche des Mittleren Westens kam mir da gerade recht: Es hat mich wunderbar unterhalten, war niemals langweilig, und ich konnte mit jedem Kapitel ein Bruchstück von diesem Kosmos rund um gutes Essen, eine merkwürdige Familie und eine geheimnisvolle Frau einfangen. Das passte perfekt zu meinem Zeitbudget, das in den Ferien der Kinder ebenfalls bruchstückhaft ist, denn eigentlich muss ich im Freibad ja in erster Linie im #teamtanga die Wasserrutsche runtersausen, aufpassen, dass keiner absäuft, und Pommes spendieren. Dieser Roman ist heiter und schlau, amüsant und fantasievoll. Das perfekte Sommerbuch, so gesehen, aber ich bin sicher, es wird euch auch im Herbst gefallen. Und im Winter und …

Die Geheimnisse der Küche des Mittleren Westens von J. Ryan Stradal ist erschienen im Diogenes Verlag (ISBN 978-3-257-06975-4, 432 Seiten, 24 Euro).

Netter Versuch: 2 Sterne

Cline„Mein Schweigen hielt mich im Reich des Unsichtbaren“
Im Kalifornien des Jahres 1969 ist Evie Boyd 14 Jahre alt und weiß noch nicht so recht, wo ihr eigenes Ich aufhört und die Welt beginnt. Sie sucht nach ihren Konturen und glaubt, sie nur durch Blicke anderer bekommen zu können. Sie hungert nach Aufmerksamkeit. Doch ihre Mutter ist nach ihrer Scheidung mit sich selbst beschäftigt, die beste Freundin serviert Evie ab. Da kommen ihr diese langhaarigen, entrückt wirkenden Mädchen gerade recht, die in einer Art Kommune rund um den Aussteiger Russell leben. Hier gehört niemand niemandem und jeder jedem, es gibt wenig Lebensmittel, aber umso mehr Marihuana. Besonders fasziniert ist Evie von der unnahbaren, gleichgültigen Suzanne, der sie wie ein Hündchen folgt. Sie lässt sich von ihr und Russell zu Sexpraktiken überreden, die sie eigentlich gar nicht will, sie ist leicht zu manipulieren, keine eigenständige Persönlichkeit und viel zu jung, um zu verstehen. Sie kann sich nicht vorstellen, dass ihre neue Ersatzfamilie Böses im Sinn hat. Doch genau das ist der Fall.

Wie ihr sicher mitbekommen habt, ist dies ein Buch, das einen Hype hat. Die Verlage battelten sich angeblich mit Millionenbeträgen um das Manuskript, auch hierzulande gab es bereits zahlreiche hymnische Besprechungen. Das Buch soll verfilmt werden, und allerorts gibt es ein großes Huch wegen der angedeuteten inhaltlichen Verbindungen zu Charles Manson. Ich hinke wie immer der großen Welle der Aufmerksamkeit hinterher, aber das macht ja nichts, so gehe ich wenigstens nicht darin unter. In solchen Fällen stellt sich ja dann immer die Frage: Ist der Hype berechtigt? Ich sage: Nein. Das sollte ich jetzt freilich begründen. Here we go.

Grund 1: The Girls beruht auf einer spannenden Idee, hat aber einen beschissenen Aufbau. Die Rahmenhandlung, in der Evie mittelalt ist, ist völlig unnötig und abartig langweilig. Da das Buch damit beginnt, hätte ich beinahe schon aufgehört zu lesen vor Fadesse. Irgendwann habe ich diese Kapitel nur noch überflogen, sie hatten ohnehin nur eine einzige wichtige Aussage, und dafür hätten auch zwei Sätze gereicht. Ich habe zudem Schwierigkeiten mit Romanen, die schon zu Beginn ihre gesamte Handlung offenbaren und sich immer wieder selbst kommentieren: „Ich hätte schon damals merken müssen, dass …“, heißt es dann, und: „Später, als ich alles wusste, dachte ich …“ Da bekomme ich den Eindruck, dass eh schon alles gelaufen ist – und zwar ohne mich. Das nimmt der Story jegliche Dynamik.

Grund 2: Emma Cline übertreibt es. Sie hat die Sache mit dem Schönschreiben zu ernst genommen und jeden einzelnen Satz herausgeputzt wie einen König. Voller Glanz und Prunk und Mäntelchen, geschmückt mit Adjektiven. Schon auf den ersten Seiten fühle ich mich erschlagen von all den bedeutungsschwangeren Ausdrücken. Es gibt kaum Ruhepausen, wenig Informationspolster, deshalb können gute Sätze kaum herausstechen, nicht leuchten. Wüchsen Adjektive auf einer Wiese, Emma Cline hätte sie vollständig abgegrast, und die anderen Autoren müssten jetzt warten, bis neue nachkommen. Diese verschwurbelte, überladene, metaphernbelastete Art des Schreibens hat mich furchtbar genervt. Damit ihr euch selbst ein Bild machen könnt, hier ein paar Beispiele:

„Kultivierte eine vornehme Unsichtbarkeit in geschlechtslosen Kleidern, mein Gesicht verschleiert vom anmutigen, vieldeutigen Ausdruck einer Gartendekoration.“

„Wie unpersönlich und habgierig unsere Liebe war, wie sie das Universum absuchte und auf einen Wirt hoffte, der unseren Wünschen Form geben würde.“

„Seine Atemzüge wie Perlen eines Rosenkranzes, jedes Ein und Aus ein Trost.“

„Ich war wie ein Kind, das nur verkürzte Gefühle rechtfertigte.“

„Der Tod kam mir vor wie die Eingangshalle eines Hotels.“

„Ein altes Holzhaus, das einer durchweichten Hochzeitstorte glich.“

 

Gleichzeitig muss ich aber sagen: Diese absolute Gefühlsgenauigkeit ist beeindruckend. Ich war ja selbst irgendwann ein vierzehnjähriges Mädchen, und an einigen Stellen im Buch dachte ich: Oh, wow, ja, ganz genau so hat sich das angefühlt. Das ist ein Aspekt, der mir an The Girls ausnehmend gut gefallen hat. Andererseits ist diese Nabelschau einer Vierzehnjährigen, die derart eng um sich selbst kreist und dabei so schrecklich dumm und verblendet ist, wie Teenager eben sind, über 350 Seiten auch recht anstrengend und flach. Selbst die alte Evie in der Rahmenhandlung erzählt von nichts anderem als ihrem eigenen Empfinden. Das war übrigens Grund 3. Von dem angekündigten Charles-Manson-Drama ist wenig zu lesen, Sektenführer Russell ist eine Nebenfigur, die nur eine Funktion hat und keinen ausgeprägten eigenen Charakter. Zu guter Letzt: die Atmosphäre. Es gelingt Emma Cline ausgezeichnet, das Bedrohliche, Unangenehme einzuweben. Das ist wohl nicht erstaunlich, wenn man bedenkt, dass sie schon zu Beginn verrät, dass alles grausam endet. Dennoch ist es eine Kunst, diese drückende Unabwendbarkeit der Gefahr über so viele Seiten hinweg spürbar zu machen. Ich kann also durchaus verstehen, warum so viele Leser von The Girls begeistert sind. Nur teilen kann ich die Begeisterung nicht.

The Girls von Emma Cline ist erschienen bei den Hanser Literaturverlagen (ISBN 978-3-446-25404-6, 352 Seiten, 22 Euro). Es gibt ausschließlich positive Meldungen zu diesem Buch, zum Beispiel bei Herzpotenzial, der Buchbloggerin und der Klappentexterin sowie natürlich in allen großen und kleinen Feuilletons.

Kleine Köstlichkeiten: 4 Sterne

VannVon der Liebe zu den Fischen und dem Hass auf die Familie
Caitlin verbringt viel Zeit im großen Aquarium, weil sie dort jeden Tag nach der Schule auf ihre alleinerziehende Mutter wartet. Die reißt sich den Arsch auf, weil sie keine gute Bildung hat, weil sie Geld braucht, sie arbeitet hart und viel. Caitlin ist auf sich gestellt, doch dann trifft sie im Aquarium einen älteren Mann, der sich für die vielen Fische interessiert – und für sie. Das Mädchen blüht unter der Aufmerksamkeit des Fremden auf und hat doch keine Ahnung, wer das ist. Als Caitlin es erfährt, gerät ihre kleine Welt völlig aus den Fugen – und ihre Mutter offenbart ihr wahres Gesicht, das alles andere ist als liebevoll.

David Vann ist einer, der mit aller Kraft zuschlägt. Er hat es nicht so mit Zurückhaltung. Wenn er was sagen will, dann haut er mitten in die Fresse, um den heißen Brei redet er nicht herum. Wo andere wegschauen würden, da greift er voll hinein. Das ist sehr mutig. Das ist auch sehr gewöhnungsbedürftig. Als ich seinen Roman Dreck gelesen habe, war ich vorübergehend regelrecht verstört. Er hat mich aus der Balance geworfen, mich erschreckt und abgestoßen. Deshalb wusste ich einerseits vor der Lektüre von Aquarium in etwa, was auf mich zukommen würde – und hatte zugleich Angst davor. Das Buch im Regal stehen zu sehen, war ein bisschen so, wie im Wartezimmer beim Zahnarzt zu sitzen. Eins aber vorweg: Aquarium ist nicht so schlimm wie Dreck. Und ich finde es viel besser.

David Vann geht brutal mit seinen Figuren um – aber das bedeutet nicht, dass er kein Herz für sie hätte. Er wirft sie hinein in ihr Leid, lässt sie dort jedoch nicht allein. Mit seiner zwölfjährigen Protagonistin hat er ein Mädchen erdacht, das für sein geringes Alter vieles erdulden und verstehen muss – und dabei doch so gern einfach nur ein behütetes Kind wäre. Diese tiefe Sehnsucht nach einem intakten Zuhause, die in uns allen schlummert, ist der eigentliche Kern des Romans. Was tut eine Mutter, wenn sie ein solches Zuhause nicht bieten kann? Wenn die eigenen Erwartungen an das Leben nicht einmal ansatzweise erfüllt wurden? Wie weit geht ein Kind, um sich diesen Wunsch vom familiären Zusammenhalt auch gegen jeden Widerstand zu erfüllen? Die Geschichte, die David Vann erzählt, ist hart und grenzwertig, schmerzhaft und unerträglich realistisch. Er setzt sich mit dem Konstrukt Familie auseinander, mit der Frage nach Schuld und Sühne, mit der Verantwortung, die wir für jene haben, die wir lieben. Auf diese Fragen findet er ungewöhnliche Antworten – die garantiert jeden Leser aufwühlen. Wenn ihr etwas lesen wollt, das euch herausreißt aus eurem Trott, das euch angreift und rüttelt und zum Nachdenken bringt, dann ist David Vann euer Mann (der Reim, Verzeihung, ist nicht beabsichtigt) und Aquarium euer Buch. Ich kann es absolut empfehlen, es nimmt den Schleier von unseren Augen und von unseren Herzen.

Aquarium von David Vann ist erschienen im Suhrkamp Verlag (ISBN 978-3-518-42536-7, 282 Seiten, 22,95 Euro). Besprechungen dazu findet ihr bei Literaturen, Masuko13, literaturleuchtet und Buchrevier.

Gut und sättigend: 3 Sterne

RammstedtWährend er schrieb …
… veröffentlichte er schon: Tilman Rammstedts Roman Morgen mehr ist ein Experiment und ein Wagnis. Der Autor, der ungefähr die coolste Socke der Welt sein muss, hat sich getraut, dieses Buch während des Schreibprozesses sukzessive über ein Online-Abo an seine Leser zu verfüttern. Bei diesem Peu-à-peu-Lesen hab ich nicht mitgemacht, aber was aus Tilman Rammstedts mutiger Aktion letztlich geworden ist, das wollte ich dann doch wissen. Und das Buch ist erstaunlich. Dass der Autor – der übrigens schon so einiges veröffentlicht hat, wovon ich nur Der Kaiser von China aus dem Jahr 2008 kannte und sehr mochte – einfach so und ohne Konzept drauflosgeschrieben hat, das kauf ich ihm nicht ganz ab. Zumindest die Rahmenhandlung und ein ungefähres Storyboard wird er schon im Kopf gehabt haben. Generell aber hat er sich für eine geniale Strategie entschieden: mit offenen Karten zu spielen. Da sitzt also einer und muss jeden Tag weitergeben, was er geschrieben hat, kann nicht ändern, umschreiben, löschen, und denkt sich: Ich weiß nicht, wie das gehen soll. Deswegen erschafft er einen Protagonisten, der in der gleichen Lage ist: Er will was erreichen und hat keine Ahnung, wie. Dann beginnt die Reise, von der keiner sagen kann, wo sie enden wird.

Der Ich-Erzähler hat nämlich das Problem, dass er noch gar nicht geboren ist. Würde er aber gern. Um seine Eltern zusammenzubringen und zu seiner Zeugung zu animieren, dazu hat er jedoch nur noch einen einzigen Tag Zeit. Zu allem Übel ahnen die beiden nichts von der Existenz des jeweils anderen, der potenzielle Vater wird gerade im Main versenkt, die potenzielle Mutter hat Sex mit einem Franzosen. Das sind nicht unbedingt die idealen Voraussetzungen für ein spontanes Zusammentreffen der beiden. Aber erstens kommt es ja immer anders und zweitens als man denkt – und das Schicksal hat in diesem Sommer 1972 noch so einiges vor mit diesen Figuren, die erst einmal quer durch Europa fahren, eine frische Ehe sabotieren, vor Ganoven flüchten, den Eiffelturm erklettern und dabei allerlei Überraschungen erleben.

Morgen mehr ist ein Buch, das in großer Eile geschrieben wurde – und mit großer Fabulierkunst. Es hat mich gut unterhalten, war mir aber, das muss ich gestehen, stellenweise viel zu klamaukig. Die Slapstickszenen haben zwar Drive, treffen aber leider nicht meinen Humor. Es liegt in der Natur der Sache, dass das Buch sich rasant und hektisch liest, Atemlosigkeit, Ungeduld und Chaos quellen aus jeder Seite. Darauf muss man sich einstellen und das muss man mögen, um mit Morgen mehr – das optisch ja wohl das schönste Buch des Jahres sein dürfte – seinen Spaß zu haben. Dass Tilman Rammstedt so oft wiederholt, was geschehen ist und was noch nicht, hatte wahrscheinlich den Zweck, den häppchenweise gefütterten Leser nicht zu verlieren, mich hat das ein bisschen genervt. Aber: Chapeau! Der Mann hat Nerven. Außerdem viel Witz, Fantasie und Talent. Von Tilman Rammstedt hören wir sicher bald noch mehr.

Morgen mehr von Tilman Rammstedt ist erschienen bei den Hanser Literaturverlagen (ISBN 978-3-446-25096-3, 224 Seiten, 20 Euro). Eine Besprechung dazu könnt ihr bei Leseschatz und ein Interview mit dem Autor bei Literaturen lesen.

High Five

wigaWenn ich eine Figur aus einem Roman wäre, dann … hätte ich sehr überraschend die Seiten gewechselt.

Ich ordne meine Bücher … nach dem organischen Prinzip des Möglichen, dort, wo noch Platz ist. Ich bin ein großer Freund des Auftürmens und wilden Stapelns, auf dem Boden, in der Toilette, am Balkon, begrabe gerne ganze Sitzmöbelstücke mit Büchern, und auch das Bücherregal ist ein Ort, wo in Whiskygläsern Kakteen neben Faust anwurzeln, Polaroidkameras auf alten Zeitschriften wohnen, Gedichtbände neben furchtbar vielen Reiseführern durcheinander stehen.

Das Cover meines aktuellen Buchs … beherbergt alles, was ich mag: Menschen- und Dinosaurierskelette.

Viel zu selten verwendet wird das Wort … tachinieren, Wienerisch für faulenzen.

Das Buch meines Lebens … ist wohl stets das, an dem ich schreibe.

FritschValerie Fritsch ist 1989 in Graz geboren und hat an der Akademie für angewandte Photographie studiert. Sie arbeitet als Schriftstellerin und Photokünstlerin und hat seit ihrem 2011 erschienenen Debütroman Die VerkörperungEN einen Gedichtband und den Roman Winters Garten veröffentlicht. Foto von Jasmin Schuller.

Gut und sättigend: 3 Sterne

IMG_9370Spionage im England der Siebziger
Serena ist jung, blond, überaus hübsch und ein bisschen langweilig – aber nur nach außen hin. In Wahrheit arbeitet sie nach einem Mathematikstudium, das sie mit Ach und Krach geschafft hat, beim britischen Geheimdienst MI15. Dorthin gebracht hat sie ein älterer Mann – ihr Professor und Geliebter, der selbst ein Spion war. In den Siebzigern ist es durchaus spannend, Mitglied des Geheimdienstes zu sein – allerdings nur als Mann. Serena ist dort ein kleines Mäuschen, das im Archiv Akten sortiert, schlecht bezahlt wird und absolut keine Wichtigkeit hat. Umso mehr freut sie sich, als sie für die Mission „Honig“ ausgewählt wird: Sie soll einen jungen Autor umgarnen und finanzieren. Es dauert nicht lange, und Serena verliebt sich in den Autor. Das doppelte Spiel, das sie spielt, wird ihr zum Verhängnis – aber auf völlig unerwartete Weise …

Ian McEwan ist einer der Großen. Zahlreiche Weltbestseller gehen auf sein Konto, einer davon, Abbitte, wurde mit Keira Knightley verfilmt. Er ist, so heißt es, ein Garant für gute Unterhaltung. Aus diesem Grund habe ich zu diesem Roman, der schon eine Weile in meinem Regal stand, gegriffen, denn Ian McEwan musste mich retten. Sehr, sehr dringend wollte ich gerettet werde, nachdem ich ELF schlechte Bücher gelesen hatte, über die ich mich hier, hier und hier echauffiert habe. Dann also Honig, und er hat es geschafft: Ian McEwan wurde seiner Aufgabe gerecht und riss mich aus meiner Leselethargie. Dieses Buch war dafür genau das richtige: leicht, aber nicht seicht.

Spannend ist Honig nicht unbedingt, zwischendurch auch ein wenig langweilig, aber das macht das kann man ja überblättern, und das grandiose Finale macht es wieder wett. Tatsächlich muss ich das Ende am meisten an diesem Roman loben, weil es ganz einfach das Beste daran ist. Honig bietet eine originelle, gut recherchierte und perfekt aufgeblätterte Story. Ian McEwan vermittelt mir das Gefühl, ein routinierter Schreiberling zu sein, der solche Geschichten aus dem Ärmel schüttelt, mich dann an der Hand nimmt und hindurch führt. Spaß macht es außerdem, in die Siebzigerjahre einzutauchen, und es war ein kluger Schachzug des Autors, als Protagonistin eine junge Frau zu wählen, die in einer geheimnisumwitterten Männerdomäne unterwegs ist: Das gibt dem Buch einen ganz eigenen, interessanten Drive, denn aus dieser Ecke hat man den MI16 noch nie gesehen. Falls also jemand von euch auch gerade eine Leseflaute erlebt und einen Rettungsring braucht oder sich einfach nur gut unterhalten lassen möchte: Nehmt einen Löffel Honig.

Honig von Ian McEwan ist erschienen im Diogenes Verlag (ISBN 978-3-257-06874-0, 464 Seiten, 22,90 Euro).

Bücherwurmloch

IMG_9488Aller guten Dinge sind drei, und dann ist auch mal wieder Schluss: Hier folgt der dritte und letzte (g)rantige Draufdrescher auf folgende Bücher, die mir das Leben schwergemacht haben.

Ulla-Lena Lundberg: Eis
Wenn ihr dieses Buch irgendwo seht, macht einen großen Bogen drumherum! Verlasst die Buchhandlung, am besten die Straße, die Stadt! Legt vorher noch andere Bücher drauf, damit bloß niemand es sieht und kauft. Was hab ich mich damit gequält. Ich hab ein großes Faible für das Nördliche und war sehr gespannt auf diesen vielgepriesenen Romane, der auf einer kleinen Inselgruppe zwischen Finnland und Schweden spielt. Ein Pfarrer kommt in die dortige abgelegene Gemeinde, mit Frau und Tochter. Das war’s eigentlich auch schon, Handlung gibt es auf den 500 Seiten so gut wie keine. Dafür aber viel Blabla. In einem ausufernden, aufgeblasenen und überkandidelten Stil erzählt Ulla-Lena Lundberg von jeder noch so kleinen Gefühlsregung ihrer Figuren, von jedem Rülpser, jedem Gedanken, jedem Pups, und vor allem vom Arbeitseifer, der so groß ist, dass er auf jeder Seite, wirklich jeder einzelnen Seite erwähnt werden muss, von den Kirchenpredigten und tausend anderen uninteressanten Sachen. Es ist so, so, so langweilig. Wie eine besserwisserische Lehrerin präsentiert die Autorin die kleinen menschlichen Fehler ihrer Charaktere, tätschelt ihnen den Kopf, schreibt pathetisch und ohne jeden Pfiff. Sie verwendet viel zu viele Worte, um am Ende überhaupt nichts zu erzählen. Ich habe selten so ein schlechtes Buch gelesen.

Riikka Pulkkinen: Die Ruhelose
Auch mit der Finnin Riikka Pulkkinen hatte ich dieses Mal kein Glück. Die Autorin, die von den meisten Buchstaben ihres Namens gleich zwei hat, weiß sich auch stilistisch nicht zurückzuhalten. Mit Sicherheit kennt ihr das, wenn über ein Buch gesagt wird: „Da ist kein Wort zu viel.“ Nun, in diesem hier sind allerhand Wörter zu viel. Schon auf den ersten Seiten finde ich die Wucht der Bilder zu heftig, zu dicht, zu viel, zu überladen. Pulkkinen lässt überhaupt keinen Raum für meine eigene Fantasie. Das wundert mich, denn ihren Roman Wahr fand ich 2012 herausragend, es war sogar das beste Buch, das ich in diesem Jahr gelesen habe. Ähnlich hohe Qualität hab ich mir von Die Ruhelose erhofft, ihrem Debüt, aber nun ja, sie scheint erst später gut geworden zu sein. Hier schreibt sie über eine Frau, die ihren Mann an die Demenz verliert, sowie über deren Nichte, die sich in ihren Lehrer verliebt. Der Teenager, der sich ritzt, der Ehemann, der geil auf eine Minderjährige ist – das ist einem ja auch alles irgendwo schon mehrfach in der Literatur begegnet. Und war dort vermutlich besser beschrieben.

Ben Dolnick: At the bottom of everything
Adam und Thomas waren einst beste Freunde, bis sie in jugendlichem Leichtsinn einen Unfall verschuldet haben. Seither laborieren sie am schlechten Gewissen und haben längst keinen Kontakt mehr, als Thomas’ Eltern Adam anflehen, ihren Sohn zu suchen. Der wandert irgendwo in Indien herum, und Adam ist das scheißegal, aber er fühlt sich verpflichtet. Joah, so geht’s mir auch irgendwie, weshalb ich dieses Buch bis zum Ende (quer)lese, obwohl es fad, unglaubwürdig und überraschend sinnbefreit ist. Bei der New York Times, wo Ben Dolnick recht gehypet wird, scheint man eine Vorliebe für Wirres und Undurchdachtes zu haben – wie als Metapher für das ach so komplizierte Leben. Bullshit zwischen Buchdeckeln.