Bücherwurmloch, Für Gourmets: 5 Sterne

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„Dieses Buch ist so besonders, dass wir es unbedingt publizieren wollten“

Ein Interview mit Mona Lang, Lektorat Kiepenheuer & Witsch.

„Das Schiff des Theseus“ wird allerorts als große Buchkunst gefeiert. Was hat Sie dazu bewogen, ein derart besonderes Buch ins Programm aufzunehmen, dessen Umsetzung so aufwendig ist? Deine Frage beinhaltet tatsächlich schon unsere Antwort: Dieses Buch ist so besonders, dass wir es unbedingt publizieren wollten. Schnell war klar, wer dieses Buch (damals noch die Originalausgabe) in Händen hält, macht große Augen und die erste Reaktion war eigentlich immer: „Das möchte ich unbedingt haben!“. So ging es uns selbst auch. Am Anfang konnte man den Aufwand schwer abschätzen, doch alle Kosten und Mühen haben wir gerne auf uns genommen, um dieses einzigartige Werk auf Deutsch nun einem breiten Publikum zugänglich machen zu können.

Was war die größte Herausforderung bei der Übersetzung? Ganz klar: Die Codes in den Fußnoten. Die Codes sind wirklich sehr ausgeklügelt und unsere erste Aufgabe war: verstehen, wie sie funktionieren. Die zweite Aufgabe: das auf Deutsch genauso toll hinzubekommen. Ein Beispiel: In Kapitel 4 wird das Codewort ermittelt, durch die Wörter nach den Worten, die mit „ex“ beginnen. Wir mussten also deutsche Wörter finden, die mit der Silbe „ex“ beginnen, gleichzeitig aber inhaltlich Sinn machen, denn die Fußnote beinhaltet ja einen sinnvollen Fließtext.

Wie sind die beiden Übersetzer Tobias Schnettler und Bert Schröder vorgegangen: chronologisch oder je nach Figur/Randnotiz? Zunächst muss ich sagen: Tobias und Bert waren ein Segen für mich. Die beiden sind mit vollem Elan an dieses Projekt herangegangen und wir hatten viel Spaß dabei, zusammen zu rätseln und Lösungen zu finden. Ganz konkret hat Tobias Schnettler den Romantext von V. M. Straka und Bert Schröder die Randanmerkungen und Beileger übersetzt. Die beiden waren in ständigem Austausch darüber, wie sie gewisse Redewendungen und Begriffe übersetzen, damit alles nachher kohärent ist.

Was gefällt Ihnen persönlich an „Schiff des Theseus“ am besten? Ganz klar: Dass es nicht nur ein Kunstwerk ist, über das man nur staunen kann, sondern auch ein wirklich guter Roman, ein wirkliches Stück Literatur. Denis Scheck brachte es für mich auf den Punkt, als er dieses Buch „eine literarische Schnitzeljagd“ nannte.

Du hättest auch gern ein Exemplar dieses besonderen Buchs? Dann hinterlass bis Sonntag, 6. Dezember 2015, hier einen Kommentar, um am Gewinnspiel teilzunehmen! Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Und übrigens: Wenn WordPress eure Mail-Adresse kennt bzw. ihr ein Gravatar-Profil habt, werdet ihr aufgefordert, euch anzumelden. Falls ihr das nicht könnt oder wollt, lasst im Kommentarfeld einfach die Mail-Adresse weg, dann klappt es auch so. Ansonsten schickt mir bitte eine Nachricht auf Facebook, ich poste dann euren Kommentar für euch, damit ihr am Gewinnspiel teilnehmen könnt. 

Bücherwurmloch, Für Gourmets: 5 Sterne

DSC_3483_b„Und alle waren von dem Virus befallen, dass das das perfekte Buch werden soll!
Ein Interview mit Monika König, Herstellungsleiterin bei Kiepenheuer & Witsch.

„Das Schiff des Theseus“ wird allerorts als große Buchkunst gefeiert. Hatten Sie Lust drauf, ein solch aufwendiges Buch zu machen, oder waren Sie anfangs eher skeptisch? Nein, ich war überhaupt nicht skeptisch, es hatte gleich einen großen Reiz! Wir haben schon einige herstellerisch sehr aufwendige Bücher produziert. Aber ein Buchprojekt mit einer so außergewöhnlichen Komplexität hatte es noch nicht gegeben. Ich hatte große Lust, mein herstellerisches Wissen und meine Erfahrungen hier einzubringen.Und ehrlich gesagt wusste ich da ja noch nicht, was tatsächlich auf mich zukommt. Bei der ersten kurzen Inaugenscheinnahme der amerikanischen Originalausgabe vor ca. zwei Jahren auf der Buchmesse war mir das ganze Ausmaß der Herausforderungen noch nicht klar. Das kam erst bei Projektbeginn und immer wieder während des Projektes. Die Tücken wurden nicht auf den ersten und sogar zweiten Blick sichtbar, sondern nach und nach bei der Erarbeitung! Zum Beispiel habe ich erst ganz zum Ende der Produktionszeit gesehen, dass die Schließe, die außen an der Kassette ist, nicht nur auf beiden zu öffnenden Seiten perforiert ist, sondern dass der abgelöste Teil auch noch gummiert ist und als Sticker verwendet werden kann…

Was war die größte Herausforderung für die Herstellung? Vertragliche Vorgabe war, dass man sich in der Umsetzung strikt an der amerikanischen Originalausgabe zu orientieren hat. Unsere Ausgabe sollte exakt gleich aussehen. Bei der Druckabstimmung mussten wir aber feststellen, dass die amerikanischen Ausgaben, die wir uns besorgt haben, im Druckbild unterschiedlich waren, da sie aus unterschiedlichen Auflagen stammten. Die Farbtöne differierten. Wir haben kurzerhand eine Ausgabe als Master erklärt und daraufhin die Daten noch mal angepasst. Die größte Herausforderung bei „S.- Das Schiff des Theseus“ war, dieses extrem kleinteilige Projekt an sich in den Griff zu kriegen und zu steuern – bezogen auf Materialrecherche und rechtzeitige Materialbeschaffung, bezogen auf Personen (Handletterer für die handschriftlichen Kommentare, Setzerin, Drucker) und bezogen auf die technischen Möglichkeiten. Alle Entscheidungen, die man traf, waren immer auf den Gesamtzusammenhang zurückzurechnen. Echtes Zeit- und Projektmanagement!

Wie sind Sie bei der Produktion der vielen Einleger — Karten, Briefe, Servietten, Notizen — und beim Druck vorgegangen, wie macht man so etwas? Das war sehr komplex, ich sage es mal in Kurzform: Auch jedes Einzelteil musste perfekt der Originalausgabe nachgeahmt werden – dafür mussten wir auf dem gesamten europäischen Markt die richtigen Materialien suchen und finden – dahinter musste immer eine schnelle Lieferbarkeit stehen. Ein schönes Beispiel ist der bei uns im Haus berühmt gewordene „Pinöckel“(das ist kölsch). Wir haben sehr lange suchen müssen, bis wir diese kleine Metallöse im Durchmesser von 8 mm in der richtigen Farbe gefunden hatten. Und dann wäre die Herstellung der Decodierscheibe doch fast an der langen Lieferzeit des Ösenherstellers gescheitert. Dank der Hartnäckigkeit und des Findungsreichtums unserer tschechischen Druckerei konnte das Problem in letzter Minute behoben werden. Nicht zu unterschätzen waren auch die buchbinderischen Probleme: wie muss ein Buch gebunden werden, das 22 Beilagen enthält, ohne aufzusperren und nicht im Rücken durch die starke Belastung zu brechen? Die Lösung dieses Problems hat lange gedauert und war nur der Leidenschaft und Ausdauer aller Beteiligter zu verdanken. Und ihrem Mut, weil sie Standardvorgaben außer Kraft setzen mussten, um dieses Ergebnis zu erreichen. Der Druck aller Teile war natürlich ein enges Zusammenspiel zwischen Grafikerin, Herstellung, Druckerei, Verarbeitung und den Zulieferern. Und alle waren von dem Virus befallen, dass das das perfekte Buch werden soll!

Was gefällt Ihnen persönlich an „Schiff des Theseus“ am besten? Die Gesamtkonzeption. Das Buch ist einfach die perfekte Umsetzung seines Inhalts. Hier begeistert mich einfach alles!

Du hättest auch gern ein Exemplar dieses besonderen Buchs? Dann hinterlass bis Sonntag, 6. Dezember 2015, hier einen Kommentar, um am Gewinnspiel teilzunehmen! Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Und übrigens: Wenn WordPress eure Mail-Adresse kennt bzw. ihr ein Gravatar-Profil habt, werdet ihr aufgefordert, euch anzumelden. Falls ihr das nicht könnt oder wollt, lasst im Kommentarfeld einfach die Mail-Adresse weg, dann klappt es auch so. Ansonsten schickt mir bitte eine Nachricht auf Facebook, ich poste dann euren Kommentar für euch, damit ihr am Gewinnspiel teilnehmen könnt. 

 

Für Gourmets: 5 Sterne

Ich kann das auch. Nur längst nicht so gut …

Ich hab mir überlegt: Für Schiff des Theseus muss ich eine Rezension schreiben, die das Besondere an diesem Buch hervorhebt. Und zwar in ihrer Form. Ich bin so alt, dass ich nicht als Digital Native gelte und noch Handschrift beherrsche, nur verstellen kann ich diese Handschrift nicht gut. Aber hej – immerhin hab ich verschiedene Farben verwendet! Okay, ja, ich hätte eine zweite Person gebraucht, die das Buch auch gelesen hat (und eine ordentliche Kamera), aber ich hab hier keine, also ist diese Rezension quasi ein Gespräch mit den Stimmen in meinem Kopf. Natürlich sieht mein Versuch im Vergleich zum Buch aus, als hätte ein Kleinkind ein Bild von Monet nachgemalt. Seid nachsichtig! Bei Kleinkindern drückt man ja auch beide Augen zu und lobt sie dafür, dass sie sich Mühe gegeben haben. Und außerdem habt ihr dadurch was zu lachen, das kann man ja immer brauchen. Was ich über Schiff des Theseus denke, das steht hier:

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Der schwarze Erzählstrang ist sozusagen meine Hauptgeschichte:

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Diese Hauptgeschichte wurde zum Teil recht negativ kommentiert. Wie ich sie empfunden habe, seht ihr hier in Blau:

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Eric ist die Farbe Grün gewidmet, aber Orange quatscht auch ein bisschen rein:

Und Jen ist ganz gendertypisch in Rosa gehalten, ebenfalls mit orangefarbenen Anmerkungen (total meta!):

Die Fußnoten und Codes waren mir ehrlich gesagt zum Teil zu kompliziert, da konnte ich nicht immer mithalten und mitdenken. Man muss wirklich mit viel Aufmerksamkeit am Ball bleiben, um das Buch zu verstehen. Manchmal wusste ich nicht einmal, WIE ich lesen sollte: die Hauptgeschichte zuerst? Oder die Anmerkungen? Die Fußnoten, die beigelegte Postkarte? Und was hatte das alles miteinander zu tun? Gerade diese Herausforderung macht das Leseerlebnis jedoch so einzigartig. Eigentlich stecken da mindestens drei Bücher in einem. Wunderbar fand ich den spritzigen und lebendigen Dialog zwischen Jen und Eric, der einen ganz eigenen Drive bekommt und nicht immer nur harmonisch ist. Dass sich derart viel Handlung nur über Anmerkungen entwickeln kann, hätte ich nicht gedacht. Was letztlich hinter ALLEM steckt, ist keine Überraschung, aber irgendwie doch:

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Als Fazit bleibt mir über Schiff des Theseus zu sagen:

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Schiff des Theseus von J. J. Abrams und Doug Dorst ist erschienen im Verlag Kiepenheuer & Witsch (ISBN 978-3-462-04726-4, 45 Euro).

Du hättest auch gern ein Exemplar dieses besonderen Buchs? Dann hinterlass bis Sonntag, 6. Dezember 2015, hier einen Kommentar, um am Gewinnspiel teilzunehmen! Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Und übrigens: Wenn WordPress eure Mail-Adresse kennt bzw. ihr ein Gravatar-Profil habt, werdet ihr aufgefordert, euch anzumelden. Falls ihr das nicht könnt oder wollt, lasst im Kommentarfeld einfach die Mail-Adresse weg, dann klappt es auch so. Ansonsten schickt mir bitte eine Nachricht auf Facebook, ich poste dann euren Kommentar für euch, damit ihr am Gewinnspiel teilnehmen könnt. 

 

Für Gourmets: 5 Sterne

Ein Porno für Bibliophile

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Wer hier schon ein Weilchen mitliest, der weiß, dass ich aus Gründen für diesen Blog nicht allzu viel Zeit aufwenden kann. Deshalb führe ich keine Interviews, besuche kaum Veranstaltungen und mache keine Gewinnspiele. ABER! Dann bekam ich diesen Wahnsinn von einem Buch in die Hand und war ein ganzes Wochenende lang versunken in einer komplexen, verrückten, fantasievollen Welt. Da hab ich mir gedacht: Ein derart besonderes Buch verlangt nach besonderen Maßnahmen. Deshalb gibt es in dieser Woche eine Ausnahme im Bücherwurmloch – für ein Ausnahmewerk. Ich hab mir richtig viel Arbeit gemacht, hab fotografiert und geschrieben, überlegt und gesammelt. Und ein Gewinnspiel* gibt es AUCH NOCH! Ich mache sozusagen eine Blogparade mit mir selbst und feiere dieses Buch so richtig. Jeden Tag wird hier ein Posting erscheinen – und wer eins davon (oder alle zusammen) kommentiert**, nimmt automatisch an der Verlosung teil, die am Sonntag, 6. Dezember 2015, stattfinden wird. Was es zu gewinnen gibt? DAS Buch 2015:

SCHIFF DES THESEUS von J. J. Abrams & Doug Dorst

 

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»Als hätten Franz Kafka und Karl May nach einer durchzechten Nacht gemeinsam einen Abenteuerroman geschrieben.« Süddeutsche Zeitung

»Ein wahres Zauberbuch, ein Werk, das meine Vorstellungen dessen, was Literatur zu leisten vermag, beträchtlich erweitert hat, ein Fest für Leser und ein Ereignis in der langen Evolutionsgeschichte des Gutenbergmediums Buchs.« ARD Druckfrisch, Denis Scheck

»Abrams/Dorst sind mit allen literarischen Wassern gewaschen. Sie nutzen die Strategien des Fantasy- und Abenteuerromans oder Spionagethrillers und folgen offenen Fragen um reale Rätsel, wie etwa die wahren Identitäten von William Shakespeare und B. Traven.« Rhein-Neckar-Zeitung

» S. ist ein starkes Argument für gedruckte Bücher und ein selbstbewusstes Statement in Richtung Digitalisierung.« Xaver Stadtmagazin

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Bestimmt habt ihr schon von diesem Buch gehört, denn es gibt wohl keinen bibliophilen Menschen, der im Herbst 2015 an Schiff des Theseus vorbeikam. J. J. Abrams, der als Kopf hinter der Fernsehserie „Lost“ berühmt wurde und als Hollywood-Nerd gilt, hat sich mit dem Autor Doug Dorst zusammengetan, um eine Ode an das gedruckte Buch zu veröffentlichen. Herausgekommen ist ein liebevoll gestaltetes Wunderwerk, ein kompliziertes Gedankenexperiment, ein Porno für alle Bibliophilen. Wenn ein normales Buch ein Quickie ist, bei dem es ein bisschen raschelt, dann ist dieses Buch überwältigender Sex: wild und ausufernd, geheimnisvoll und rätselhaft, dafür aber umso intensiver – und unvergesslich.

*Unter allen, die bis 6. 12. 2015 um 0.00 Uhr einen Kommentar unter den Special-Beiträgen hinterlassen, wird ein Exemplar von Schiff des Theseus verlost. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.
**Wichtige Info: Wenn WordPress eure Mail-Adresse kennt bzw. ihr ein Gravatar-Profil habt, werdet ihr aufgefordert, euch anzumelden. Falls ihr das nicht könnt oder wollt, lasst im Kommentarfeld einfach die Mail-Adresse weg, dann klappt es auch so. Ansonsten schickt mir bitte eine Nachricht auf Facebook, ich poste dann euren Kommentar für euch, damit ihr am Gewinnspiel teilnehmen könnt. 

Für Gourmets: 5 Sterne

Fritsch„Wir proben den Weltuntergang in unseren Nächten, wir leiden beide an den gleichen uralten Träumen“
„Nur Wochen bevor die Welt untergehen würde, verliebte sich Anton Winter das erste Mal in zweiundvierzig Jahren unsterblich in eine beinahe durchsichtige Frau, eine Frau, dürr wie er selbst, mit geradem Rücken und geröteten Augen, die ihm kampfbereit entgegenblickten.“ Diese Frau heißt Frederike. Sie begegnen sich und bleiben zusammen, in den ersten Nächten sprechen sie nicht, sind nur zwei ausgemergelte Körper, die einander halten und wärmen. Erst dann öffnen sich ihre Münder und sie finden auch mit Worten zueinander, erzählen sich, wer sie sind und warum, was sie an der drohenden Apokalypse am meisten fürchten, was sie aneinander lieben. Frederike arbeitet im Krankenhaus, wo trotz des nahenden Endes noch Kinder geboren werden, und Anton züchtet Vögel auf dem Hausdach. Über die fremde Frau findet Aton einen bekannten Menschen wieder, den er viele Jahre nicht gesehen hat: seinen Bruder Leander. Mit ihm und vielen anderen ist er einst in einer autonomen Gemeinschaft aufgewachsen, einem riesigen Feld der Gemeinsamkeit, einem Garten Eden für die Kinder. Dorthin kehren nun Anton und Leander mit ihren Frauen sowie Leanders Baby zurück, sie wollen hier die letzten Tage der Menschheit verbringen.

Man mag kaum glauben, dass die österreichische Fotokünstlerin und Autorin Valerie Fritsch erst 26 Jahre alt ist, denn sie schreibt, als trüge sie alles Wissen der Welt in sich. Ihr Buch Winters Garten, das völlig zu Recht auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis stand, ist ein mit kaum 150 Seiten schmales, dafür aber umso wuchtigeres Werk. Denn Valerie Fritsch fackelt nicht lang: Sie lässt einfach mal die Welt untergehen. Und dieser Kunstgriff gibt freilich allem, was sie schreibt, eine gewisse Dringlichkeit: Jedes Gefühl wird intensiver, wenn es zum letzten Mal gespürt wird, jede Umarmung wird fester, wenn sie die letzte ihrer Art ist. Protagonist Anton ist ein Einzelgänger und ein Kauz, aufgewachsen in einem von der Welt entrückten kleinen Paradies. Der erste Teil des Buchs ist zur Gänze dieser besonderen Kindheit gewidmet, der Natur, den Gerüchten, den Ritualen, dem Tod. Er ist einsam und verloren, und erst kurz bevor es zu spät ist, begegnet Anton die Liebe, die – siehe oben – aufgrund dessen, dass ihr kaum noch Zeit bleibt, umso größer ist.

Von allen Buchpreis-Büchern ist dies das einzige – ich gestehe es –, das ich lesen wollte. Und es ist ein wahres Juwel, ein Trüffel, den ich nach all dem Wühlen im Dreck freudestrahlend in den Händen halte. Dies ist ein Buch, das mir passt wie ein maßgeschneidertes Kleid. Melancholische Sprachkunst ist für mich persönlich das Beste, was Literatur zu bieten hat: nachdenklich und stimmungsvoll, präzise formuliert und fordernd. Winters Garten ist alles davon. Ich möchte mir aus diesem Roman eine Decke nähen. Ich möchte die Sätze darin auf meine Wand schreiben, damit ich sie immer sehen und mit den Fingern berühren kann. Die Kritik, dem Roman fehle eine solide Geschichte und womöglich auch ein wenig Humor, kann ich nachvollziehen. Ich war aber in dieser Hinsicht vorgewarnt, was sich vielleicht positiv auf meine Erwartungshaltung ausgewirkt hat. Dies ist garantiert kein Buch für jeden. Aber es ist das perfekte Buch für mich. Und sprachlich gesehen das Beste, was ich 2015 gelesen habe.

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Winters Garten von Valerie Fritsch ist erschienen im Suhrkamp Verlag (ISBN  978-3-518-42471-1, 154 Seiten, 16,95 Euro). Hier findet ihr die begeisterte Rezension von Buchrevier, die mich davon überzeugt hat, dass ich dieses Buch lesen muss. Ebenso gut ist auch die Besprechung von Literaturen.

Für Gourmets: 5 Sterne

Grueso„Wörter waren der einzige Schlüssel, der die Türen zum Paradies öffnete“
Stell dir vor, es gäbe eine wunderschöne Frau, die einen Liebhaber nur dann empfängt, wenn er sie mit Worten berührt. Deshalb erzählst du ihr eine Geschichte. Es muss eine gute sein, ergreifend, spannend, poetisch, und so erfindest du einen Mann, der den Menschen Bücher verschreibt wie Medizin und der ein Mädchen kennt, das nach einer Nacht mit ihm ermordet wird, du erzählst von einem Jungen, der in einer Welt, in der jedes Wort Geld kostet, eben jene Wörter schmuggelt, um seiner Angebeteten seine Liebe gestehen zu können, und du schreibst von einem Moderator, der alles aufs Spiel setzt, um seinem Großvater einen großen Wunsch zu erfüllen. Wild sind deine Geschichten und ebenso fantastisch wie fantasievoll, ineinander verschachtelt sind sie, berührend, witzig, originell – sie bilden Rahmen und Inhalt zugleich, sind auf schlaue Weise miteinander verknüpft. Es geht um Abenteuer in deinen Geschichten, um die Liebe, um die Einsamkeit und um den Mut. Und nachdem du all dies erzählt hast, mit erstaunlicher Leichtigkeit und direkt aus deinem Herzen, nun sag mir: Wird sie dich einlassen, für eine Nacht?

Was muss ich noch sagen, damit du dieses Buch liest? Es handelt von der Kraft der Worte, die ich nutzen möchte, um dich zu verführen, um dich zu locken, damit du Natalio Grueso eine Chance gibst, ihm ein bisschen Zeit abzwackst. Ich kann mir nicht vorstellen, dass du es bereust! Weil dies eines jener Bücher ist, denen es so leicht fällt, gut zu sein, die sich nicht anstrengen müssen, um eine – nein, viele! – wunderbare Geschichten zu erzählen, auf den ersten Blick heiter, aber dennoch erstaunlich tiefgründig. Brauchst du noch mehr? Ja? Dann erzähl ich dir noch was: Ich mochte dieses Buch so gern, weil es nichts fordert, keine Anstrengung, kein Sinnieren und In-Realation-Setzen, weil es wie ein guter Freund ist, der ein bisschen mit dir plaudert und dich verblüffend gut unterhält. Setz dich doch ein bisserl her zu uns und hör ihm zu. Ich rücke zur Seite und mache dir Platz, denn diese Story von Bruno Labastide, die solltest du wirklich nicht verpassen …

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Der Wörterschmuggler von Natalio Grueso ist erschienen im Atlantik Verlag (ISBN
978-3-455-60019-3, 256 Seiten, 18 Euro).

Für Gourmets: 5 Sterne

Mazzantini„Der beste Teil des Lebens ist der, den wir nicht leben können“
„Zwei Schritte vom Paradies entfernt – und einen von der Hölle“: So fühlen sich Guido und Costantino ihr ganzes Leben lang. Weil sie so verliebt sind. Aber nicht in die Frauen, die sie geheiratet haben. Sondern ineinander. Dabei hätte das anfangs niemand ahnen können, als sie im gleichen Palazzo aufwuchsen, aber Welten voneinander entfernt lebten: Guido oben bei den Herrschaften, immer allein, krank vor Liebe für die stets abwesende Mutter, und Costantino ganz unten, als Sohn des Hausmeisters. Die beiden haben, obwohl sie in dieselbe Klasse gehen, nichts miteinander zu tun. Erst gegen Ende der Schulzeit, als sie damit anfangen, erwachsen zu werden, geschieht etwas, bricht etwas auf, sie küssen sich, klammern sich aneinander – und müssen sich doch viel zu schnell wieder gehen lassen. Ihre Wege trennen sich, Guido heiratet in London die schöne Japanerin Izumi und wird Professor, Guido gründet in Rom eine Familie und führt ein Restaurant. Doch etwas fehlt, etwas schmerzt, da ist ein Brennen, ein Sehnen: „Ich tanzte auf einem Seil, das irgendwo gerissen war, ohne dass ich hätte erkennen können, wo.“ Es dauert lange, viel zu lange, bis die beiden Männer sich wiedersehen, und sie haben diesen Traum, der einfach zu schön scheint, um wahr zu werden: „Ich stelle mir ein sanftes Leben vor, unseres, als Paar. Sich bei der Hand nehmen, anhalten, um ein paar Lebensmittel einzukaufen, auf die Nacht warten. Ich will mich nie wieder trennen müssen. Es ist absurd, das zu tun.“

Es tut weh, Herrlichkeit von Margaret Mazzantini zu lesen. Weil eine Liebe, die nicht sein kann, zu dem Traurigsten gehört, was es gibt auf dieser Welt. Die italienische Autorin, die zahlreiche Bücher geschrieben und viele Preise dafür bekommen hat, dirigiert mit erstaunlicher Leichtigkeit die großen Emotionen. Mit ihrem Roman Das Meer am Morgen, der heute aktueller ist denn je, hat sie mich zum Weinen gebracht. Und in Herrlichkeit entwirft sie mit so viel Feingefühl und Sinn für Dramatik eine Geschichte, die sich schwer auf meine Brust setzt und mir kleine Eiszapfen ins Herz treibt. Beim Erzählen lässt sie sich Zeit und beginnt in der Kindheit der beiden Figuren, wobei der Fokus auf Guido liegt und er unser Ich-Erzähler ist. Er ist ein ebenso einsames wie arrogantes Kind, und die Möglichkeit, sich mit Costantino anzufreunden, nimmt er nicht wahr. Das bereut er später, als die beiden nur gestohlene Stunden miteinander verbringen können, weil er all diese Zeit verschenkt hat. Als sie sich dann lieben und es wissen und sich eingestehen können, ist es einfach zu spät.

Margaret Mazzantini spielt Schicksal, und sie ist grausam. Sie gibt Guido und Costantino keine Chance, und deshalb leuchtet deren Liebe so hell, weil ihr Feuer nicht erlischt, nicht vom Alltag erstickt wird. Dabei geht es in Herrlichkeit gar nicht so sehr um Homosexualität an sich, sondern vielmehr darum, dass ein Mann einen Menschen liebt – der zufällig auch ein Mann ist. Es erstaunt mich immer wieder, wie leicht und virtuos die italienische Autorin mit derart schwermütigen und wuchtigen Themen umgeht. Sie hat keine Angst vor dem Schmerz, sie ergründet ihn, zeigt ihn in all seinen Farben und Tiefen. Wenn ich ihre Bücher lese, spüre ich, was es bedeutet, ein Mensch zu sein.

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Herrlichkeit von Margaret Mazzantini ist erschienen im Dumont Buchverlag (ISBN 978-3-8321-8853-5, 400 Seiten, 17,99 Euro).

Für Gourmets: 5 Sterne

IMG_8762„Soll sie an mir festhalten, wenn auch die Welt untergeht“
„Ich bin eine ungelernte Hebamme. Ich habe auf dieser Welt ein einziges richtiges Gefühl gehabt, und das ist die Liebe, mehr ertrage ich nicht.“ Es ist das Jahr 1944, ein finsteres Jahr in der Geschichte der Menschheit, als die finnische Hebamme und der deutsche Offizier in Lappland aufeinandertreffen. Sie, die rau und hart ist wie das Land und die er Wildauge nennt, liebt ihn auf den ersten Blick: „Und gleich vom ersten Augenblick an war deine Stimme für mich Bernstein und Kienholzrauch.“ Er, der von der Nazi-Ideologie überzeugt ist und schreckliche Dinge getan hat, ist beeindruckt von der ungezähmten Frau: „Wildauge ist keine gewöhnliche Frau. Sie ist eine Naturgewalt. In ihren Handgelenken schäumt die Raserei der ewigen Berge, ihre Füße bewegen sich durch das steinige Gelände wie von einem dritten Auge geleitet.“ Zwei Menschen, die unterschiedlicher nicht sein könnten – und doch scheint ihr Schicksal besiegelt. Wo Wildauge stark ist – stark genug, um Johannes in ein Todeslager zu folgen –, ist der SS-Mann schwach, er schwängert eine andere, dröhnt sich mit Betäubungsmittel zu. Auf einen Mann wie ihn ist kein Verlass – schon gar nicht in gefährlichen Zeiten wie diesen.

Katja Kettus Wildauge ist ein Feuerwerk von einem Buch, eine Maschinengewehrsalve, ein Eismeer. Es ist hart und wild und brutal und ganz wahnsinnig gut. Ich habe schon viel gelesen, sehr viel, aber niemals einen Roman von derart haltloser Sprachgewalt mit Sätzen, die mich würgen, mit Wörtern, so fremd, weil es sie gar nicht gibt. Als ich im Klappentext las, dass die Übersetzerin Angela Plöger – die hier unbedingt gewürdigt werden muss – „bisweilen eine eigene Sprache erfinden musste“, dachte ich zuerst: Jaaa, klar. Während der Lektüre habe ich aber schnell gemerkt, dass das der Wahrheit entspricht. Im Anhang werden diese sprachlichen Besonderheiten sowie die wahren Begebenheiten, auf denen das Buch beruht, erläutert. Katja Kettus Sprache ist kein festes, starres Werkzeug, mit dem sie die Welt abbildet. Es ist vielmehr umgekehrt: Die Welt, die Geschichte, der Krieg formen die Sprache, sie ist nicht sperrig, sondern gibt nach, fügt sich, findet neue Ausdrucksformen und Wörter, die nur für jenes eine Gefühl oder genau die eine Farbschattierung geschaffen wurden.

Ich habe Wildauge von jemandem geschickt bekommen, der das Buch überwältigend fand. Und es erging mir genauso. Dieser Roman ist ein Schlag in die Magengrube, ein Schleimbatzen mitten ins Gesicht, er hat Ecken und Kanten, er beißt und sticht. Dies ist nicht einfach nur „schon wieder ein Buch über den Zweiten Weltkrieg“. Es ist viel mehr, denn zum einen beleuchtet es die Ereignisse aus der eher unbekannten Perspektive Finnlands, zum anderen ist es so imposant, mutig und verrückt, dass ich es nicht mehr vergessen kann. Es hallt nach wie ein viel zu lauter Glockenschlag, von innen. Kann es in einem unmenschlichen Krieg an einem Ort, an dem Menschen andere Menschen missbrauchen, verhungern lassen und verstümmeln, so etwas wie Liebe geben? Kann an einem zutiefst vereisten Flecken Land jemals Wärme entstehen? Was Katja Kettu beschreibt, ist ein Feuer, eine Begierde, ein Getriebensein – eine Liebesbeziehung ist es nicht. Ich hetze atemlos mit Wildauge durch die Seiten, es stinkt, es wird geschossen, Menschen verrecken, und sie fühlt sich angezogen von diesem Mann, der verstörend passiv ist, der Augen und Ohren verschließt vor den eigenen Taten und tatsächlich glaubt, er hebe in einem Todeslager eine Grube aus für einen Swimmingpool. Traut euch an dieses Buch heran, wenn ihr etwas spüren wollt bei eurer Lektüre, wenn ihr euch fürchten und ekeln wollt, wenn ihr eine Axt wollt für das gefrorene Meer in euch.

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Wildauge von Katja Kettu ist erschienen im Galiani Verlag (ISBN 978-3-86971-082-2, 416 Seiten, 19,99 Euro).

Für Gourmets: 5 Sterne

IMG_8609In der Politik und in der Liebe
Dass Ada und Farid geschieden sind, ist eigentlich nicht richtig. Weil sie sich einmal sehr geliebt haben, weil sie eine Tochter haben, weil sie sich nicht loslassen können. Aber der Alltag und das Leben mit Kind haben ihrer Ehe den Garaus gemacht, und jetzt filmt Ada durch ihr Fenster Paare, die zur Therapie gehen, als könnte sie dabei etwas finden, das ihr hilft, eine Brücke zu bauen über den Abgrund zu Farid. Sira, seine Schwester, hat dagegen ganz andere Probleme, denn sie ist bei einem Besuch zuhause in Ägypten ganz unerwartet mitten in die Revolution am Tahir-Platz geraten und wird seither die Bilder nicht los, die Unruhe, de Angst. Und während Filmemacher Olaf wilde Theaterideen rund um Adas und Siras Familien entspinnt, suchen beide Frauen nach Wegen, um ihre innere Anspannung zu lösen und ein bisschen Glück zu finden.

Ich hatte das große Vergnügen, Annika Reich im Jänner beim Hanser’schen Bloggertag kennenzulernen. Und nachdem ich ihr Buch 34 Meter über dem Meer schon ganz wunderbar gefunden hatte, fand ich seine Autorin noch wunderbarer. In unserer heiteren Runde hat sie aus ihrem neuen Roman Die Nächte auf ihrer Seite vorgelesen und hat erzählt, wie er entstanden ist, wie sie Interviews mit ägyptischen Frauen führte, die bei der Revolution dabei waren, und wie sie anfangs Reigen über Reigen schrieb, ohne zu wissen, wie daraus ein Buch werden sollte. Deshalb hatte ich, als ich das Werk endlich in den Händen hielt, das Gefühl, einem Freund zu begegnen, den ich schon kenne. Das Schöne aber war: An diesem Freund gab es noch viel Unbekanntes zu entdecken.

Annika Reich porträtiert mit viel Feingefühl und einer scharfen Beobachtungsgabe zwei Frauen, denen etwas fehlt im Leben – ein Mensch, ein Grund, ein Antrieb – und die deshalb völlig gelähmt und getrieben zugleich sind. Sie lotet dabei mit leichter Hand menschliche Beweggründe und Handlungsweisen aus, sie vereint Politik, Geschichte, Liebe und Familienwahnsinn zu einem Feuerwerk aus Emotionen. Trotz der gewaltigen Gefühle kommt kein Satz wuchtig daher, im Gegenteil, kraftvoll und intensiv, aber luftig gestrickt und höchst elegant ist Annika Reichs Sprache. Und obwohl ich vor der Lektüre mehr über das Buch wusste, als das üblicherweise der Fall ist beim Lesen, ist es ihr dennoch mehr als einmal gelungen, mich zu überraschen. Die Nächte auf ihrer Seite ist ebenso amüsant wie traurig, es ist wehmütig, intelligent und absolut lesenswert. Ich habe damit sehr schöne Stunden verbracht – wie mit einem guten Freund eben.

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Die Nächte auf ihrer Seite von Annika Reich ist erschienen bei den Hanser Literaturverlagen (ISBN 978-3-446-24766-6, 224 Seiten, 19,50 Euro). Hier könnt ihr der Autorin beim Lesen zusehen und zuhören.

Noch mehr Futter:
 – „Danke, dass Du das Buch so hervorragend geschrieben hast. Danke noch mal für den wunderbaren Abend in München, an dem Du uns Bloggern zum ersten Mal aus Deinem Buch vorgelesen hast und mich auf Deine Figuren und Deine Geschichten neugierig gemacht hast. Danke für Deine „Mutter-Kind“-Beobachtungen und für jeden einzelnen Moment als ich beim Lesen ausrufen musste – „ja, genau so ist es bei mir.“ Danke, dass Du schreibst. Und ich hoffe, Du wirst es weiter tun“, schreibt die Bibliophilin.
– „Die Nächte auf ihrer Seite ist ein einfühlsam geschriebenes, aber kein leicht zu durchdringendes Buch. Es ist schnell gelesen, die Gedanken aber regt es noch weit über die Lektüre hinaus an. Dafür verdient es, gelesen zu werden“, heißt es bei Sophie von Literaturen.

Für Gourmets: 5 Sterne

IMG_8607Die fatale Macht der Erinnerung
Die Weingarts haben eine sehr spezielle Gabe: Wenn sie jemanden berühren, können sie seine verdrängten Erinnerungen sehen. Jeder aus der Familie, der seine Initiation hatte, spürt dadurch jene Erlebnisse auf, an die die Menschen selbst nicht mehr herankommen. Die Brüder Julius und Toni haben dieses Talent von ihrem Vater geerbt, ihre Mutter hat daraus ein florierendes Geschäft gemacht: Die Kunden geben sich die Klinke in die Hand, um mithilfe der Weingarts verlorene Schlüssel, den Namen eines Vergewaltigers oder ein Gefühl aus der Kindheit wiederzufinden. Cousine Sonja, die zugleich die Freundin von Julius ist, arbeitet ebenfalls in diesem eigenartigen Familienbetrieb mit, und auch Halbbruder Res, von dessen Existenz niemand wusste, beherrscht das Scheinwerfen. Doch während die Klienten von dieser Weingart’schen Gabe profitieren, wird das Scheinwerfen für Toni, Julius, Sonja und Res zum Fluch – für jeden von ihnen aus einem anderen Grund …

Was für ein Debüt! Was für eine Story! Was für ein Vergnügen! Der Schweizer Autor Giuliano Musio erzählt in Scheinwerfen eine abstruse, spannende und gefühlvolle Geschichte, die völlig unglaubwürdig ist und dabei doch absolut realistisch erscheint. Schon in der Luftschacht-Vorschau hab ich große Lust auf dieses Buch mit der originellen Story bekommen: Ich war neugierig auf diese Romanfiguren, die eintauchen können in die Erinnerungen fremder Menschen. Und als ich angefangen habe, Scheinwerfen zu lesen, blieb mir erst mal die Spucke weg: Ich war sofort am Haken von Giuliano Musio aufgespießt und wollte dieses Buch auf der Stelle verschlingen.

Vier Menschen stehen im Mittelpunkt und tragen ihre jeweilige Perspektive zur Geschichte bei: Julius, Sonja, Res und Toni. Einer von ihnen liebt den falschen Mann. Einer kann überhaupt nicht scheinwerfen, sondern tut nur so. Und alle verbindet nicht nur dasselbe Erbmaterial, sondern auch ein schreckliches Geschehnis in der Vergangenheit, an das sie sich selbst nicht mehr erinnern können. Behutsam löst Giuliano Musio Schicht um Schicht das Vergessen und hantiert dabei gekonnt mit den Fäden eines fesselnden Verwirrspiels: Was ist damals wirklich passiert? Wer sagt die Wahrheit? Und was weiß ein jeder wirklich über die Menschen, die er liebt? Am Ende knallt es für alle Figuren noch einmal so richtig, was mich sehr überrascht hat. Lange hab ich kein Buch mit einer derartigen Sogwirkung gelesen – und will es euch deshalb dringend empfehlen.

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Scheinwerfen von Giuliano Musio ist erschienen im Luftschacht Verlag (ISBN 978-3-902844-51-4, 404 Seiten, 25,20 Euro). Hier findet ihr die Website des Autors.