Bücherwurmloch

Ich habe Vor dem Sturm von Jesmyn Ward geliebt. Lest dieses Buch, Leute! Und Was ich euch nicht erzählte von Celeste Ng – das ist ebenso grandios. Nur die zweiten Romane dieser beiden Autorinnen, soeben erschienen, die sind es in meinen Augen nicht. Und das ist tragisch, es spielt diesem alten Dilemma in die Hände, unter dem ich seit langer Zeit leide: Viele, viele Jahre lang hab ich, sobald mir ein Buch eines Autors gefallen hat, kein weiteres mehr von ihm gelesen. Und im Moment denke ich, ich sollte vielleicht wieder zu dieser Gewohnheit zurückkehren.

Ich schrecke nicht davor zurück, ein Buch abzubrechen. Wenn es mich nicht packt, verschwende ich keine Lebenszeit damit, ich gebe ihm 50 Seiten oder 70, ganz selten 100, und doch, ja, mit der Zeit lernt man: Wenn es bis dahin nicht funkt, funkt es auch später nicht mehr. Aber bei Ward und Ng wollte und wollte ich nicht aufgeben. Ich hab mich durchgequält, quergelesen, ich hab mich geärgert und geflucht, nur abgebrochen hab ich die Bücher nicht, weil ich dachte: Die anderen waren so gut. Da muss doch noch was kommen. Es kam aber nichts.

Und wie es aussieht, bin ich die Einzige, der es so ergangen ist – ich lese ausschließlich Lobeshymnen auf Kleine Feuer überall und Singt, ihr Lebenden und ihr Toten, singt. Das macht es freilich jedes Mal noch schlimmer, als es eh schon ist. Wenn man weiß: Ich steh mit meiner Meinung ganz allein da. Alle haben dieses Buch verstanden, nur ich nicht. Alle haben sich verbunden gefühlt und sind begeistert, schreiben, dass das ihr Lesehighlight sei und eine großartige Empfehlung, bloß ich dachte Nein und Bitte nicht und Das kann doch nicht wahr sein.
IMG_8866Singt, ihr Lebenden und ihr Toten, singt
Kennt ihr das, wenn ihr mit einem Buch beginnt und sofort wisst, dass das nichts wird mit euch? Als würdet ihr einen Menschen kennenlernen, der euch in der ersten Sekunde unsympathisch ist. So erging es mir mit Jesmyn Wards neuem Werk, und ich wollte es nicht wahrhaben, denn ich hatte mich richtig drauf gefreut, und meine Erwartungen waren hoch. Was also tun? Erst mal weitermachen. Das Gefühl ignorieren, den Verstand einschalten. Aber die Figuren bleiben unzugänglich, das Roughe daran viel zu übertrieben, die Handlung eindimensional und fad. Nur weil man zwischen Perspektiven wechselt, bedeutet das ja nicht, dass was passiert im Buch. Natürlich versucht mein Herz, Jojo zuzufliegen, weil er noch ein Kind ist, weil ich Mitleid habe mit ihm, weil ich ihn schützen will vor der lieblosen Umgebung, in der er aufwächst, aber es kommt nicht weit. Wie Jojo seine Schwester umhätschelt, dieses fast schon puppenhaft leblose Mädchen, das immer nur schluchzt, das ist mir too much, wie seine Mutter Leonie auf betont lässig und emotionslos macht, finde ich komplett unglaubwürdig, die Story mit den Drogen sehr klischeehaft. Und dann die Sache mit den Toten und den Geistern, nein, also ehrlich, da schwimmt so viel Zeug in dem Topf, dass ich es nicht auslöffeln kann und will. Der Ton strengt mich unheimlich an und stößt mich ab, ich komme nicht rein in das Buch, und was ihr alle daran gefunden habt, das weiß ich nicht.

 

NgLittle fires everywhere
Wenn ich etwas nicht ausstehen kann, dann ist das ein Roman, an dessen Anfang bereits das Ende steht – und an dessen Ende nichts Neues mehr kommt. Wozu soll ich das denn alles lesen, wenn ich sowieso schon weiß, was geschieht, wenn ich keinen Anreiz mehr habe, zu erfahren, was geschehen ist? Celeste Ng, die mit ihrem hochgelobten Buch Was ich euch nicht erzählte einen Riesenerfolg gelandet hat, hat anscheinend kurz vor ihrem zweiten Roman alles über Erzählstrategie verlernt. Am schlimmsten finde ich die Rückblenden in den Rückblenden, die nicht nur für völlige Verwirrung sorgen und mich immer mehr den roten Faden verlieren lassen, sondern auch stets etwas erzählen, das die Figur, um die es gerade geht, eigentlich nicht wissen kann. Und das ist auch der Autorin aufgefallen, denn ab und zu kommen Einschübe wie „Mrs. Richardson, of course, couldn’t know all of this.“ Ach nein? Aber dann schreib es doch bitte nicht über sie drüber, finde eine andere Möglichkeit! Und genauso schwach erscheint es mir, den Leser willkürlich mit Infos in Klammern zu füttern, also beispielsweise aus der Sicht der Teenagertochter zu schreiben und nebenbei zu sagen (ihr Freund, also der wird das später übrigens nicht mehr so sehen), sowas ärgert mich regelrecht, ich empfinde es als Faulheit der Autorin, sich nicht die Mühe zu machen, eine ordentliche Abfolge der Zeiten und Perspektiven zu finden. Davon abgesehen ist Little Fires everywhere eine uninteressante, langweilige Story mit typisch amerikanischer Moral, mit erhobenem Zeigefinger und klischeehaften Figuren: einer brotlosen Künstlerin und einer reichen Familie, in der die rich kids vor Langeweile nur Blödsinn machen. Nichts an diesem Buch hat mich auch nur in irgendeiner Weise angesprochen.

Und bald wird sich die Frage stellen: Lese ich ein drittes Buch von Ward und Ng oder lasse ich es endgültig bleiben?

Nicht mein Geschmack

IMG_3532Stefan Slupetzky: Der letzte große Trost
Daniel erhält einen Brief, in dem es um das Haus geht, das er als Kind mit seinen Eltern und seinem Bruder bewohnt hat. Deswegen fährt er dorthin, taucht ein in die Vergangenheit, findet natürlich was im Keller – dieses altbekannte Setting zielt immer darauf ab, dass das inzwischen erwachsene Kind sich erinnert plus was findet – und stellt darum alles in Frage, was er über den Vater zu wissen glaubt. Er spinnt sich seine eigene Version der Geschichte zusammen, die so absurd wie unglaubwürdig ist. Dann will er das, was er sich da zurechtgedacht hat, auch noch nachmachen, was umso bescheuerter ist. Was ich zudem an diesem Buch nicht mag: dass alles erklärt wird. Also wirklich alles. Wer wann wo geboren ist, was seine Eltern gemacht haben, mit wem er geschlafen hat, blabla schnarch. Es ist viel zu viel tell und viel zu wenig show. Dabei kann Stefan Slupetzky sehr gut schreiben, das wusste ich nach Der Fall des Lemming von 2005, ein origineller Krimi war das, aber was dieser Roman hier sein soll, ich versteh es nicht. Der Versuch, auch mal so eine Geschichte zu schreiben, wie sie jeder schreibt, über den Erwachsenen, der den Nachlass der Eltern durchschauen muss? Ich schwöre mir jedenfalls hiermit selbst, dass ich endlich wirklich, wie schon oft beschlossen, aufhören werde, Bücher mit diesem Handlungsverlauf überhaupt nur in Erwägung zu ziehen. Sie sind alle grottig, alle!

Freeman MotzCastle Freeman: Auf die sanfte Tour
Ein sehr ähnliches Problem hatte ich mit diesem Buch: Es erklärt und erklärt und erklärt. Die eigentliche Geschichte geht dabei völlig unter, ich konnte ihr auch nach 80 Seiten nicht auf die Spur kommen und habe – was ich ja nur selten tue – entnervt abgebrochen. Was so ein Deputy macht, wie der Vater seiner Freundin zu ihm steht, wer wann was gesagt hat, all das erfahre ich, aber die Handlung selbst bleibt auf der Strecke. Ich habe absolut nichts gegen sehr männliche, schnörkellose, schlichte Bücher, ich finde Daniel Woodrell gut und Pete Dexter, aber das hier, das ist für mich einfach nur unglaublich öde. So langweilig, dass ich nicht mal mehr wissen wollte, was denn nun eigentlich mit dem an den Baum gebundenen nackten Russen passiert ist. Und das will ja wohl was heißen! Ein Buch, so fad wie ein leiser Furz.

Mark Watson: Hotel Alpha
Das ist kein Buch, über das ich lästern könnte, aber Lobenswertes fällt mir auch nicht viel ein. Es ist wohl das, was man seichte Unterhaltung nennt, es ist nett und harmlos, dabei halt sehr unbedeutend. Mark Watson hat zusätzlich dazu hundert Kurzgeschichten geschrieben, die den „Kosmos des Romans“ erweitern, an denen ich aber null Interesse hatte und über die ich deshalb nichts sagen kann. Hauptfiguren gibt es zwei: Graham, der jahrzehntelang an der Rezeption des Hotel Alpha arbeitet und dem vermeintlichen Zauber des Hauses völlig verfallen ist, und Chaz, der als Kind bei einem Brand im Hotel erblindet und fortan dort aufwächst. Beide bekommen von der Außenwelt wenig mit, eine heile Welt ist die ihre aber auch nicht so ganz. Das alles klingt, als hätte Wes Anderson einen Film darüber machen können, nur wäre der mit Sicherheit viel besser.

MotzAdrian Barnes: Nod
Was wäre, wenn die Menschen plötzlich nicht mehr schlafen könnten? Was würde mit ihren Körpern geschehen nach drei Tagen, nach zehn, nach dreißig? Wie würden sie sich verhalten und wann würden sie sterben? Das sind die Fragen, denen sich dieses freakige englische Buch stellt, das mich genau aus diesem Grund interessiert hat. Die Antworten, die es liefert, sind allerdings reichlich enttäuschend, denn der Autor hat das Naheliegendste gemacht, was möglich war: Die Menschen werden nicht unbedingt zu Zombies, aber zu etwas Ähnlichem, sie verfallen dem religiösen Wahn, gründen eine Art Kult. Die Zivilisation zerfällt innerhalb kürzester Zeit, Strom und Internet werden abgedreht, alle plündern, alle morden. Das war zu erwarten, und das finde ich schade – ich hätte mir mehr Originalität erhofft.

 

 

Nicht mein Geschmack

Brandt MotzMatthias Brandt: Raumpatrouille
Schöner Titel, schönes Thema: Matthias Brandt ist Schauspieler und der Sohn von Willy Brandt. In Deutschland kennt ihn jeder, und auch in Österreich hat sein Name einen bekannten Klang. Sein Buch, in dem er Geschichten aus seiner Kindheit erzählt oder vielleicht eher andeutet, ist für mich das, was man hierzulande als „eh nett“ bezeichnet. Es ist gut geschrieben, interessante Sprenkler sind dabei, aber insgesamt ist es mir zu wenig, viel zu wenig. So ein schmales Büchlein, so wenig auserzählt, so viel offengelassen – das sind Anekdoten, kurze Einblicke, die man in einem Gespräch gibt, jemandem, der einen kennenlernt, oder jemandem, der diese Geschichten schon oft gehört hat. Ich mag das Kind, das Matthias Brandt einmal war, es ist ein sehr sympathisches, gewöhnliches Kind, und mein Herz fliegt ihm zu, das schon. Ernst ist dieses Kind, der Humor fehlt, Matthias Brandt hat das nicht so mit bitterem Witz gemacht wie Joachim Meyerhoff, aber gut, er ist Deutscher, wir nehmen euch ohnehin als sehr ernst wahr. Für viele Leser, die auch in den Siebzigern aufgewachsen sind, sind seine Erinnerungen bestimmt eine nostalgische Zeitreise, ich bin dafür noch ein bisserl zu jung. Womöglich wollte Matthias Brandt dann am Ende doch nicht so viel verraten über sein Leben, über seinen Vater, und hat sich deshalb nur hinter Andeutungen versteckt. Insgesamt hat mich das Buch hungrig zurückgelassen, hat mich nicht gesättigt, gelangweilt gar, und ich frage mich, warum das überhaupt gereicht hat für ein Buch, warum das durchgeht als Buch, wenn es nicht mehr als eine Sammlung kurzer Momentaufnahmen ist.

BuderChristian Buder: Das Gedächtnis der Insel
Thriller! Mein Gott, was hab ich für eine problematische Beziehung zu ihnen. Wenn sie gut gemacht sind, nerven sie mich trotzdem, weil sie kaum jemals glaubwürdig sind, und wenn sie schlecht gemacht sind, kommt in ihnen alles Übel dieser Zunft zusammen. Bei guten Thrillern denke ich: Wow, ja, wie hat der Autor es geschafft, den Überblick zu behalten, alles am Ende zusammenzuführen, sich nicht zu verzetteln, eine realistische Erklärung zu finden? Und dann biegt Christian Buder mit Das Gedächtnis der Insel um die Ecke, und ich denke: Wenn man alles, also wirklich alles falsch macht an einem Thriller, kommt sowas dabei raus. Ich wusste nicht, dass das einer ist, ließ mich am Anfang noch in die Irre führen vom guten Schreibstil und den pointierten, melancholischen Sätzen. Das Setting wäre theoretisch interessant: Ein junger Mann namens Yann kehrt zurück auf die Insel, auf der er aufgewachsen ist, eine winzige Insel ist das, ein Felsbrocken, er hasst sie, aber sein Vater ist tot – und offenbar nicht freiwillig gestorben. Dreißig Jahre zuvor ist seine Mutter im Sturm auf dem Meer verschwunden, wurde nie gefunden, Yann, der noch ein kleiner Junge war, ist daran zerbrochen. Ausgerechnet jetzt ist auch eine junge Frau auf der Insel, Gwenn, die Yann einst geliebt hat, vor der er aber flüchtet, weil er überzeugt ist, dass er in ihrer Nähe mysteriöse Unfälle erleidet, die ihn das Leben kosten werden. Da fängt es schon an mit der Unglaubwürdigkeit, und es wird noch schlimmer. Ein Sturm zieht auf, so heftig wie vor dreißig Jahren, natürlich kommt der jetzt, wann auch sonst!, Yann und Gwenn rennen hin und her über die Insel, versuchen, herauszufinden, was damals geschehen ist, es wird immer windiger, immer gefährlicher, und dann kommt eine Verschwörung ans Licht, die so lachhaft ist, dass ich einfach nur grantig werde. Todesgefahr, Wasser überall, eine klischeehafte Rettung in letzter Sekunde, you know the scheme. Mitten im Buch wechselt der Autor plötzlich die Perspektive, ganz kurz nur, wechselt für zwei Seiten zum Täter und verrät alles, was passiert ist, zerstört die komplette Spannung, warum tut er das, ich habe keine Ahnung. Ein Horrortrip von einem Buch, aber aus den falschen Gründen.

Rosamunde Lupton: Lautlose Nacht
Und weil wir schon beim Thema sind, machen wir mit dem nächsten Thriller weiter. Ab und zu passiert es, dass ich zu Spannungsliteratur greife, weil ich was brauche, das mir das Hirn auflockert. Das ist so, wie wenn man in der Parfumerie mal kurz die Nase in die Kaffeebohnen steckt, um danach wieder freier gute Düfte beschnuppern zu können. Ich hab dieses Buch günstig bei medimops mitbestellt, und es zu lesen hat mich bei Weitem nicht so aufgeregt wie der Buder-Schwachsinn, aber: Ich hab mal wieder gemerkt, ich bin einfach nicht für Thriller gemacht. Da gurkt eine Mutter mit ihrer tauben Tochter durch die Antarktis, auf der Suche nach dem Ehemann, der als tot gilt, und ich denke dauernd: Was für ein Blödsinn. Das kann doch nicht sein. Die wären längst tot. Aha, jetzt machen sie das, wer soll das glauben? Vielleicht bin ich für diese Art Literatur zu rational, zu skeptisch? Ich weiß es nicht. Und als am Ende alles auffliegt, schüttle ich nur mit dem Kopf. War ja klar, dass es so kommen muss, so viele Möglichkeiten gab es nun mal nicht, waren eh nur die beiden allein in der Arktis unterwegs, und davon wusste kaum jemand. Die großen Bösewichte werden entlarvt, ich rümpfe die Nase vom Kaffeegeruch und widme mich wieder besseren Düften.

IMG_3540Belinda McKeon: Zärtlich
Catherine ist ein sehr gewöhnliches Mädchen, studiert Literaturwissenschaften in Dublin, ist brav und zurückhaltend, hat noch nichts von Bedeutung erlebt. Da lernt sie James kennen, dessen WG-Zimmer sie bewohnt, und ist hin und weg, weil er frecher ist als sie, weltgewandter, witziger. Es ist nicht sehr schwer, Catherine zu beeindrucken. Seit sie James kennt, kreischt sie sehr oft vor Lachen, obwohl seine Witze reichlich lahm sind, und – eh klar – sie verliebt sich in ihn, was sollte sie auch sonst tun. Aber: James ist schwul. Das weiß er, das weiß Catherine, sonst aber wissen das nicht viele, weil er sich nicht traut, sich zu outen. Auf Catherines Gefühlserkenntnis folgen sprunghafte Gedankenfetzen, unzusammenhängende Fieberwahnträume, seiten-, seiten-, seitenweise, bei denen ich denke: Haben Sie es sich einfach gemacht, ja, Frau McKeon, wollten Sie das nicht erzählen müssen, weil es so klischeehaft ist und dämlich und langweilig? Das zu lesen, ist wahnsinnig anstrengend, ich habe es nur überflogen, weil ohnehin nichts passiert. Die irische Autorin, die in Amerika Kreatives Schreiben unterrichtet, hält nichts von Schlichtheit, sie stürzt sich voll ins Pathos. Jede Kleinigkeit ist wahnsinnig dramatisch an diesem Roman, die Figuren übertreiben bei allem, was sie tun, gnadenlos. Sie sind so unerträglich, ich möchte sie fesseln und knebeln. Ein superblödes Buch.

Nicht mein Geschmack

selasiTaiye Selasi: Ghana must go
Welt-Bestseller! Was wurde nicht schon alles über dieses Buch geschrieben. Weil: Afrika. Weil: Migration. Weil: amerikanischer Traum und so. Mich hat es völlig erdrückt und angestrengt. Diese Traurigkeit. Diese unglaubliche, wahnsinnige, alles zerfressende Traurigkeit. Eine Welle der Traurigkeit, die hin und her schwappt, über mir zusammenschlägt, mein Gott, ich, die melancholische Bücher liebt, ich konnte nicht mehr atmen.

… as if for a moment she’d ceased to exist: some new odd sort of sadness, part grief, part compassion, a helium sadness, too airless to bear.

Der Roman handelt von einer sechsköpfigen Familie, im ersten Teil stirbt der Vater Kweku Sai. Sehr lange stirbt er vor sich hin, dann ist er tot, und die anderen kommen zur Beerdigung, kommen nach Ghana, wo die Kinder (bis auf eine Ausnahme) noch nie waren: Olu, Taiwo, Kehinde, Sadie und Ex-Frau Fola. Keiner von ihnen hat überwunden, was geschehen ist, als Kweku die Familie verlassen hat. Jeder von ihnen kreist um sich selbst, um seine eigene Trauer, um die Gründe, aus denen die Beziehung zu den Geschwistern nicht funktioniert. Sie sind alle zerbrochen, die Familie als Ganzes und jeder als Einzelner. Das Buch ist eine Innenlebenstudie mal sechs, mit einer fast schon perversen Gefühlsgenauigkeit. Allen sechs Figuren geht es schlecht, sie haben einander und haben sich doch nicht, sie lieben ins Leere, alles schmerzt und nichts verheilt, es ist überaus deprimierend. Mir war das schlicht und ergreifend too much sadness.

tessaNicola Karlsson: Tessa
Tessa hat ein Problem: Sie trinkt. Sie nimmt außerdem Kokain und lässt sich, weil sie sich im Rausch nicht wehren kann, fast schon regelmäßig vergewaltigen. Eigentlich hat Tessa einen Freund namens Niki, aber die Beziehung ist krank und verzerrt, was an Tessas extremen Selbstzweifeln und ihrem irrationalen Verhalten liegt. Sie treibt Niki in den Wahnsinn, will seine Anerkennung, stößt ihn fort, sucht seine Nähe, schreit ihn an, schmeißt ihn raus, nur um ihm dann wieder nachzuweinen … Tessas einziger Lebensinhalt ist sie selbst, sie hat kein Geld und keine Jobs, sie rutscht immer weiter ab, verrennt sich in irgendeinen Scheiß. Ich aber frage mich: Woher kommt das? Was ist passiert? Von einer schlimmen Kindheit ist keine Rede, von anderen Traumata auch nicht, von gar keinem möglichen Grund. Die Autorin bietet mir keine Erklärung für den Hieb ihrer Protagonistin. Whatever happend? Und wohin soll das führen? Einen Weg, einen Konflikthöhepunkt, eine Lösung gibt es ebenfalls nicht. Das gesamte Buch läuft nach Schema F ab: Tessa wacht auf, hat einen schlimmen Kater, ihr ist schwarz vor Augen, der Geschmack in ihrem Mund ist pelzig (wie sonst), sie schwört sich, nie wieder zu saufen, dann treibt sie es zum Beispiel mit einem verheirateten Kerl, der nicht sofort nach dem Sex seine Frau verlässt, deshalb muss sie leider ausflippen und wieder trinken, und alles beginnt von vorn. Joah. Hätte nach dreimal schon gereicht, geht aber permanent weiter. Dieses Porträt zeigt eine erschreckende Abwärtsschleife, es kann als Warnung dienen, die Story an sich ist völlig sinnlos.

Nicht mein Geschmack

Wer hier mitliest, weiß: Ich bin in diesem Jahr ein bisserl ungustelig. Ich hab einen extrem schlechten Lauf und motze deswegen mehr rum als normalerweise, aber in Anlehnung an den klassischen Schlussmachsatz sei gesagt: Es liegt NICHT an mir! Sondern an den Büchern. Die find ich einfach nicht gut, und ein bisserl hab ich auch das Blümchenbloggerische Bücherliebhaben satt, dieses In-den-Himmel-Loben von Lieblingstiteln und Unter-den-Tisch-fallen-Lassen von allem, was nicht ach so toll war. Heute trifft’s erneut zwei hochgelobte Titel, die allerhand gute Kritiken eingeheimst haben und die ihr vielleicht auch kennt.

stroutElizabeth Strout: Die Unvollkommenheit der Liebe
Ach, Elizabeth! Es hat so gut mit uns angefangen. Ich hab dein Buch Olive Kitteridge gelesen, und es war wunderbar. Aber dein jetziger Roman, was soll das sein? Der weinerliche Monolog einer langweiligen Frau, die monatelang im Krankenhaus liegt und nichts zu tun hat, im Ernst? Lucy erinnert sich an ihre Kindheit, weil ihre Mutter an ihrem Krankenbett sitzt, und schön war diese Kindheit nicht. Seltsam vage, verschwommen und distanziert sind diese Erinnerungen, und aus der Gegenwart will die Kranke nicht viel verraten. Wozu redet sie dann überhaupt mit mir? Das Buch ist der Bericht einer Fremden, kein Einblick in das Innerste einer Figur, eine Studie, als wäre es noch kein fertiger Roman. Ich hab es nur gelesen, weil ich im Flugzeug saß und sich die anderen Bücher im Koffer befanden. Im Lagerraum. Es hat mir die Zeit vertrieben, sonst jedoch nichts. Obwohl es ausschließlich von Emotionen handelt, legt es sie derart unbeteiligt auf den Tisch, dass keine von ihnen zur Geltung kommen kann. Elizabeth, was ist passiert? Was ist das für eine schmale Abhandlung, so leblos, fad und ohne einen einzigen golden glänzenden Satz? Ach, und dabei hat es so gut angefangen mit uns.

obrehtTéa Obreht: Die Tigerfrau
Ein Buch, das um die Welt ging – und überall wohlwollend aufgenommen wurde. Es geht darin um den Krieg im damaligen Jugoslawien, um eine junge Frau, die ihren Großvater betrauert, und um einen Tiger. Nun ist euch ja von vornherein klar, dass ich den Roman nicht sonderlich mochte, weil ich ihn hier eingereiht habe, aber die Frage ist natürlich: Warum nicht? Zum einen: Mir fehlte der Zauber. Der Krieg, der hatte nicht den geringsten Zauber, natürlich nicht, aber die Erinnerungen an den Großvater hätten ihn haben können. Seit ich Wie der Soldat das Grammofon repariert von Saša Stanišic gelesen habe, vergleiche ich alle Bücher über diesen Krieg damit, und sie verlieren, eins nach dem anderen. Das ist nicht fair, aber er hat vorgemacht, wie’s geht, und bisher hat es ihm keiner nachmachen können. Bei Téa Obreht bekomme ich irgendwann den Eindruck: Die Aufmerksamkeit hat sie auch nur deshalb auf sich gezogen, weil sie als Einwandererkind den tabuisierten Jugoslawienkrieg thematisiert und weil sie was Mystisches reinspritzt, was Altes, Unheimliches, das irgendwie gewichtig wirkt. Aber die Geschichte mit dem Tiger – sie hat für mich keine Botschaft. Sie ist gut und lesbar, einen Zusammenhang zu den Teilen in der Gegenwart hat sie nicht. Überhaupt: die Zeitebenen. Téa Obreht mischt und springt wild hin und her, bricht alles auf, wechselt von einem Kapitel zum anderen Zeit und Perspektive ohne Marker, an denen ich mich orientieren könnte. Erst nach der Hälfte des Buchs hab ich beispielsweise kapiert, dass „mein Großvater“, wie er immer heißt, in manchen Kapiteln erst elf Jahre alt ist. Vielleicht denkt ihr jetzt, ich sei eben nicht schlau genug, aber im Ernst: Soll das ein Buch interessanter machen, wenn der Leser sich nicht auskennt? Es verwirrt und langweilt mich einfach nur. Zu guter Letzt hat mich auch die Gefühllosigkeit der Protagonistin gestört. Ihr Opa ist tot, und sie reagiert mit: Aha, who cares. Vielleicht will sie sich vor dem Schmerz schützen. Aber Téa Obreht hätte ihn trotzdem spürbar machen können, darauf habe ich den ganzen Roman über gewartet. Er ist da, er sitzt zwischen den Zeilen, und doch scheint sie ihn zu ignorieren. Hätte ich mit diesem Buch auch machen sollen.

Bücherwurmloch

IMG_9488Aller guten Dinge sind drei, und dann ist auch mal wieder Schluss: Hier folgt der dritte und letzte (g)rantige Draufdrescher auf folgende Bücher, die mir das Leben schwergemacht haben.

Ulla-Lena Lundberg: Eis
Wenn ihr dieses Buch irgendwo seht, macht einen großen Bogen drumherum! Verlasst die Buchhandlung, am besten die Straße, die Stadt! Legt vorher noch andere Bücher drauf, damit bloß niemand es sieht und kauft. Was hab ich mich damit gequält. Ich hab ein großes Faible für das Nördliche und war sehr gespannt auf diesen vielgepriesenen Romane, der auf einer kleinen Inselgruppe zwischen Finnland und Schweden spielt. Ein Pfarrer kommt in die dortige abgelegene Gemeinde, mit Frau und Tochter. Das war’s eigentlich auch schon, Handlung gibt es auf den 500 Seiten so gut wie keine. Dafür aber viel Blabla. In einem ausufernden, aufgeblasenen und überkandidelten Stil erzählt Ulla-Lena Lundberg von jeder noch so kleinen Gefühlsregung ihrer Figuren, von jedem Rülpser, jedem Gedanken, jedem Pups, und vor allem vom Arbeitseifer, der so groß ist, dass er auf jeder Seite, wirklich jeder einzelnen Seite erwähnt werden muss, von den Kirchenpredigten und tausend anderen uninteressanten Sachen. Es ist so, so, so langweilig. Wie eine besserwisserische Lehrerin präsentiert die Autorin die kleinen menschlichen Fehler ihrer Charaktere, tätschelt ihnen den Kopf, schreibt pathetisch und ohne jeden Pfiff. Sie verwendet viel zu viele Worte, um am Ende überhaupt nichts zu erzählen. Ich habe selten so ein schlechtes Buch gelesen.

Riikka Pulkkinen: Die Ruhelose
Auch mit der Finnin Riikka Pulkkinen hatte ich dieses Mal kein Glück. Die Autorin, die von den meisten Buchstaben ihres Namens gleich zwei hat, weiß sich auch stilistisch nicht zurückzuhalten. Mit Sicherheit kennt ihr das, wenn über ein Buch gesagt wird: „Da ist kein Wort zu viel.“ Nun, in diesem hier sind allerhand Wörter zu viel. Schon auf den ersten Seiten finde ich die Wucht der Bilder zu heftig, zu dicht, zu viel, zu überladen. Pulkkinen lässt überhaupt keinen Raum für meine eigene Fantasie. Das wundert mich, denn ihren Roman Wahr fand ich 2012 herausragend, es war sogar das beste Buch, das ich in diesem Jahr gelesen habe. Ähnlich hohe Qualität hab ich mir von Die Ruhelose erhofft, ihrem Debüt, aber nun ja, sie scheint erst später gut geworden zu sein. Hier schreibt sie über eine Frau, die ihren Mann an die Demenz verliert, sowie über deren Nichte, die sich in ihren Lehrer verliebt. Der Teenager, der sich ritzt, der Ehemann, der geil auf eine Minderjährige ist – das ist einem ja auch alles irgendwo schon mehrfach in der Literatur begegnet. Und war dort vermutlich besser beschrieben.

Ben Dolnick: At the bottom of everything
Adam und Thomas waren einst beste Freunde, bis sie in jugendlichem Leichtsinn einen Unfall verschuldet haben. Seither laborieren sie am schlechten Gewissen und haben längst keinen Kontakt mehr, als Thomas’ Eltern Adam anflehen, ihren Sohn zu suchen. Der wandert irgendwo in Indien herum, und Adam ist das scheißegal, aber er fühlt sich verpflichtet. Joah, so geht’s mir auch irgendwie, weshalb ich dieses Buch bis zum Ende (quer)lese, obwohl es fad, unglaubwürdig und überraschend sinnbefreit ist. Bei der New York Times, wo Ben Dolnick recht gehypet wird, scheint man eine Vorliebe für Wirres und Undurchdachtes zu haben – wie als Metapher für das ach so komplizierte Leben. Bullshit zwischen Buchdeckeln.

Bücherwurmloch

FullSizeRenderLetzte Woche hab ich euch ja schon mein Leid geklagt: Insgesamt ELF (!) schlechte Bücher sind mir nacheinander vors Auge gelaufen, wobei ich eins davon schon nach wenigen Seiten abgebrochen und in die Ecke gepfeffert habe. Wer nun Part I dieses Rants gelesen hat und außerdem herausragend gut rechnen kann, der weiß: Da fehlt ja noch was. In der Tat. Und deswegen geht’s heute weiter mit Marikis Motzparade.

Claire Messud: The Woman Upstairs
Mit der titelgebenden Frau ist eine spinnerte, einsame Alte gemeint, die ein Dutzend Katzen hat und kannenweise Tee trinkt, die unverheiratet ist und allein, in deren Leben es keine große Liebe gab. Protagonistin Nora ist auf dem besten Weg, eine solche Frau zu werden. Sie unterreichtet Kinder, hat aber selbst keine. Sie wollte Künstlerin werden, bastelt aber nur in ihrer Wohnung an kleinen Boxen, die niemand je zu Gesicht bekommt. Und sie ist so, so wütend. Als sie die Shahids kennenlernt – Sirena und Skandar und Reza –, stürzt sie sich mit der Verzweiflung der Alleinstehenden in eine Beziehung zu jedem Einzelnen von ihnen. Die Story ist so originell, wie sie klingt – aber auch nicht mehr. Die Idee versandet komplett, das Buch hat null Drive und ist eine einzige Selbstbespiegelung der Hauptfigur. Lähmende Langeweile macht sich schnell in mir breit, und während Nora auf eine große Enttäuschung zusteuert, geht es mir genauso. Letztlich bleibt der Roman fad und bedeutungslos. Könnte man einer Woman Upstairs zum Lesen geben, deren Leben ist eh eintönig!

Claire Vaye Watkins: Geister, Cowboys
Kennt ihr das, wenn ihr bei der Lektüre eines Buchs denkt: Das loben jetzt auch nur alle, weil es keiner versteht? Unverständlichkeit ist jedoch – gemäß Reich-Ranicki – noch kein Beweis für tiefe Gedanken und auch kein Zeichen für literarische Qualität. Sie liegt mit Sicherheit auch im Auge des Lesers. Mein Auge sagte bei diesem Buch jedenfalls recht oft: Hä? Und dann: DAS NERVT. So viel hab ich mir erwartet von Claire Vaye Watkins, die als „eine der aufregendsten neuen Stimmen der US-Literatur“ bezeichnet wird, und nichts davon hab ich bekommen. Als Tochter eines der Mitverrückten von Charles Manson hätte sie die spektakulären Ereignisse um ihren Vater gar nicht langweiliger literarisch verarbeiten können. Die Geschichten sind nicht wirklich verknappt, eher künstlich beschnitten, als habe die Autorin sich überlegt, was sie alles wegnehmen könnte, um die Storys bestmöglich zu verunstalten und nur die sinnlosen Teile stehen zu lassen. Vielleicht hat sie gedacht, das wirke besonders intellektuell und klug. Und sie muss zu dem Schluss gekommen sein, dass es ein möglichst abruptes, unerklärliches Ende geben muss. Da hab ich mir gedacht: Das kann ich auch. Und hab abrupt aufgehört zu lesen.

Lauren Groff: Arcadia
Das hätte ein richtig gutes Buch sein können! Wie traurig, wenn man all die glänzenden Möglichkeiten sieht und nur ein Häufchen Asche in den Händen hält. Wie bei Claire Vaye Watkins gab’s auch hier viel Lob, Übersetzungen auf Deutsch, zweite Romane, die heuer erscheinen, und dann DAS. Gnaaah. Erneut klingt die Idee an sich interessant: Bit wächst in den 1970er-Jahren in einer Art Hippie-Kommune auf, in einem verfallenen Haus namens Arcadia, in dem sich bisweilen Hunderte Anhänger um Guru Handy scharen, er und seine Eltern gehören zur Stammgruppe. Eine unkonventionelle Kindheit, ein recht flüssiger Schreibstil – aber blasse Figuren, elendslanges Gelaber, klaffende Lücken in der Stringenz, alles in allem ein einziger Graus. Bit verliebt sich später in Handys Tochter Helle, eine tragische Figur, deren Tragik überhaupt nicht ausgearbeitet und dadurch auch nicht verständlich wird, und das Ende des Buchs ist – ohne zu spoilern – wohl mysteriös gemeint, im Endeffekt aber einfach nur unausgegoren und feige. Die großen Zeitsprünge machen das Ganze auch nicht besser. Trotz der wilden Aussteigerkulisse und der eigenartig bedrohlichen Atmosphäre ein flacher, verflucht blöder Roman.

Bücherwurmloch

Rant1Ich hatte da einen Lauf. Und zwar im negativen Sinne: In letzter Zeit hab ich sehr viele schlechte Bücher gelesen, viele davon direkt hintereinander, was noch schlimmer ist, denn da sinkt meine literarische Laune auf den Nullpunkt, und ich werde richtig grantig. Diesen Grant, meine Damen und Herren, merkt man auch meinen Bemerkungen über die folgenden Bücher an:

Olga Grjasnowa: Der Russe ist einer, der Birken liebt
Es gibt ein Patentrezept in der deutschen Literatur: Wandere nach Deutschland ein – am besten aus einem Land, in dem Krieg herrscht –, lerne die Sprache, schreibe einen Roman in dieser neuen Sprache über Traumata und Verlorensein und Integration, und sie werden dich lieben. Das Feuilleton wird dich abschlecken vor Begeisterung, man wird dich mit Preisen überhäufen. Absolviere zusätzlich das Literaturinstitut Leipzig, und du hast den Jackpot geknackt. Sie werden dich nicht ignorieren können. Nicht mal, wenn dein Buch total scheiße ist. Olga Grjasnowa hat sich an dieses Erfolgsrezept gehalten. Migrationshintergrund: Check. Sogar in Aserbaidschan geboren, Pluspunkt, weil selten. Trauma: Check. Sprache spät gelernt: Check. Literaturinstitut: Check. Haufenweise Preise: Check. Beschissenes Buch: Check. Worum geht es darin? Um das Zelebrieren der Verlorenheit. Damit Protagonistin Mascha so verloren wie möglich ist, muss ihr Freund weg, und der stirbt einen so lächerlich dummen Tod, dass es fast wehtut. Mascha also allein, fremd, traurig, sehr orientierungslos, sehr verloren. Mäandert im eigenen Leben herum, findet keinen Halt, jongliert mit Sprachen, weil entwurzelt, geht nach Israel, weil Konfliktpotenzial für den Roman. Der ist insgesamt so flach und sinnlos, blutleer und verkrampft, dass ihm in meinen Augen auch das vermeintliche Patentrezept nicht mehr hilft.

Charlie Lovett: Das Buch der Fälscher
Wer war William Shakespeare wirklich? Darüber streiten die Experten seit Jahrhunderten. Der Antiquar und Buchbinder Peter Byerly könnte einen echten Beweis gefunden haben: ein Buch mit Randnotizen in Shakespeares Handschrift. Die Frage ist nur: Ist es echt oder gefälscht? Die Suche nach der Antwort lenkt Peter immerhin von seinem großen Kummer ab, denn seine Frau Amanda ist gestorben. So weit, so gut – doch das Buch ist leider schlecht. Weil Charlie Lovett so aufregend schreibt, wie ein Nachrichtensprecher die Wettervorhersagen verliest. Der Roman ist lahmarschig, stinklangweilig und unfassbar uninteressant – und das, obwohl die historischen Ereignisse rund um Shakespare, ein grausamer Mord und die Spurensuche in einer Gruft durchaus Stoff für eine spannende Story geben würden. Allein: Man muss verstehen, sie auch gut zu erzählen. Bei dieser Ödnis von einem Buch ist das leider nicht geglückt, nicht mal im Ansatz.

Fiona McFarlane: Nachts, wenn der Tiger kommt
Dieses Buch ist wie eine unruhige Nacht: Ich bin immer wieder eingedöst, kann mich an nichts Zusammenhängendes erinnern und hatte am Ende einen schalen Geschmack im Mund. Der kam von der Enttäuschung. Dabei hat es bei seinem Erscheinen 2014 für Aufsehen gesorgt und versprach eine fesselnde Geschichte: Die alte Ruth bekommt eine vom Staat geschickte Helferin namens Fiona ins Haus, die sie nach und nach entmündigt. Ruth kann bald nicht mehr zwischen Wahrheit und Einbildung unterscheiden und verliert zusehends die Kontrolle. Aber das geschieht nur im Kleinen, und Leute, es dauert eeewig. Es dauert doppelt so lange wie euer schlimmster Zahnarztbesuch ever. Der Roman ist so fad, dass ich beim Anblick all der Seiten, die noch vor mir liegen, regelmäßig in Verzweiflung gerate. Ich lese ihn deshalb nur quer – und finde es am Ende schrecklich, dass der Grund für Fionas Verhalten genau der ist, den man gleich zu Beginn vermutet. Nicht ein Funken Originalität in der Auflösung – erst auf den letzten zwei Seiten, die dafür so merkwürdig sind, dass ich sie nicht verstehe. Muss man erst mal schaffen, einen guten Plot so zu verkacken! Ein grausam schlechtes Buch, das niemandem wertvolle Lebenszeit stehlen sollte.

Bettina Balàka: Kassiopaia
Das soll ein Liebesgeschichterl sein, ein Frauenroman, aber auch eine Satire, eine Gesellschaftsstudie. Es ist alles zugleich und nix davon gescheit. Hauptperson Judit, Anfang 40, reich, diätbesessen, gelangweilt und furchtbar nervig, schreibt dumme Listen, hat dumme Freundinnen und verhält sich auch noch dumm: Sie jagt den Autor Markus Bachgraben, den sie in Venedig vermutet. Die zwei hatten eine Nacht, aber Judit will sich damit nicht zufriedengeben. Nun ja, sie arbeitet nicht, sie muss sich irgendwie beschäftigen und hat zudem ein Rad ab: Da kann man schon mal auf die Idee kommen, einen Kerl zu stalken, der nix von einem wissen will. Jetzt wäre die Story von Judit und Markus schnell erzählt, und deswegen ist das Buch vollgestopft mit kurzen Geschichten über völlig uninteressante Nebenfiguren, die jeweils nur einmal vorkommen. Das ist eh alles nett und österreichisch und mit Schmäh, aber wirklich nicht lesenswert. Am Ende gibt’s eine Du-bist-adoptiert-Auflösung wie in einer billigen Soap, und dass das Christkind nicht existiert, wird als größtes Trauma überhaupt festgelegt. Das zeigt, auf welchem Niveau dieses Buch sich bewegt.

Nicht mein Geschmack

Nix2Sabrina Janesch hat mich mit Katzenberge unglaublich begeistert – mit Ambra ist ihr das nicht gelungen. Ein hochgelobtes Buch, dem ich durchaus auch etwas abgewinnen konnte, das mir aber insgesamt mit all den Stimmen und Einschüben viel zu wirr war. Ich habe zwischendrin ganz einfach die Geduld und die Lust verloren, auch sprachlich konnte mich die junge Autorin dieses Mal nicht packen. Zeigt mal wieder: lieber nur ein Buch lesen, besonders, wenn es gut war, oft kommt danach eine Enttäuschung.

Der Liebhaber meines Mannes? Ja. Sehr vorhersehbar. Und dadurch richtig langweilig. Eine Liebe zwischen zwei Männern und eine eifersüchtige Frau – das Setting bietet nichts Neues, Sprache und Inhalt tun es auch nicht. Die Erzählerin ist in meinen Augen recht mitleidheischend und weinerlich. Spannende Momente, lesenswerte Sätze – Fehlanzeige.

Ähnlich erging es mir mit dem ebenfalls vielgepriesenen Buch Rückkehr nach Missing von Abraham Verghese. Vielleicht hat mich auch die Dicke abgeschreckt … jedenfalls habe ich sehr lange darauf gewartet, dass ich mich für die Geschichte interessiere und mich mitgerissen fühle. Das ist nicht geschehen. Ich fand es langatmig und habe es immer wieder so lange liegen lassen, dass ich den Faden verloren habe. Schade!

Auch Stefan Mosters Buch Die Unmöglichkeit des vierhändigen Spiels hat die Kritiker überzeugt, mich leider nicht. Das Wechselspiel von Mutter und Sohn, die sich beide auf einem Schiff befinden, das aber nicht wissen, fand ich unerträglich fad. Die Sprache schillert nicht so, wie ich es erwartet hatte, sie ist mehr Guglhupf als Sachertorte. Und der Konflikt war mir auch nicht groß genug, um mich bei Laune zu halten und meine extreme Ungeduld zu zähmen.

Lauter vermeintlich gute Bücher, von denen ihr sicher auch das eine oder andere kennt – haben sie euch besser gefallen als mir? Ich bin ja bekanntlich schwer zu beeindrucken und überaus kritisch … und auf eure Meinungen und Einwände (oder euer zustimmendes Nicken) gespannt.

Bücherwurmloch

9 Tage, 10 Bücher: Das ist die Bilanz meines Sommerurlaubs 2018. In den Urlaub nehme ich seit vielen Jahren ausschließlich Taschenbücher und dadurch automatisch Backlist-Titel mit, wegen des Gewichts natürlich, aber auch, weil ich da oft die Zeit nutzen möchte, um endlich mal wegzulesen, was sich im Regal angesammelt hat. Auch englische Titel packe ich ein, ebenfalls im Taschenbuchformat, weil ich die nicht so schnell lesen kann und mich sozusagen selbst austricksen will. Diesmal waren nur vier der zehn Titel von Autoren, die ich nicht kannte, die anderen sechs sozusagen Wiederholungstäter. Das ist ungewöhnlich für mich, die ich ja eigentlich eine Ein-Buch-pro-Autor-Politik verfolge. Und habe ich das bereut? Aber ja. Sehr sogar.

10 Bücher also, und wie viele davon mochte ich? Zwei. Nur zwei! Aber immerhin zwei. Typisch Mariki, denkt ihr wohl, die Alte motzt ja immer, die ist nie zufriedenzustellen, und da habt ihr Recht. Die gelesenen Urlaubstitel sind von unten nach oben in ihrer Reihenfolge geordnet:

Applaus für Bronikowski von Kai Weyand hat mich positiv überrascht, das ist eine nette, kuriose kleine Geschichte. Nicht viel Tiefgang, aber auch nicht zu oberflächlich, mit einem Protagonisten, der seltsam genug ist, um interessant zu sein. Er arbeitet in einem Bestattungsinstitut, und was ihm da so zustößt bzw. einfällt, ist kurzweilig zu lesen.

The Power von Naomi Alderman ist GROSSARTIG! Ein originelles, smartes, durchdachtes Buch, das mich absolut gefesselt hat, ich konnte es nicht weglegen. Was für eine Story und vor allem: was für ein Ende! Dazu wird es demnächst einen eigenen Beitrag geben.

Der Hals der Giraffe von Judith Schalansky fand ich gut, aber gar nicht so gut, wie alle gesagt haben. Ich mochte das Zynische, das Nüchterne daran, diese ausgebrannte Abgeklärtheit einer alternden Lehrerin, diesen endlosen Monolog über die Dummheit der Schüler, über ihre Grenzen und auch die eigenen. Generell ist mir nur einfach zu wenig passiert in diesem Buch, ich hab gewartet, dass die Handlung in die Gänge kommt, und das tut sie nicht, dass Gefühle entwickelt werden, wie der Klappentext ankündigt, dass es es gewisse Einfälle gibt, die es aber eben nicht gibt. Ja, ein kluges, sehr lesenswertes Buch, wenn auch nicht so sensationell wie erwartet.

Hausaufgaben von Jakob Arjouni hat mich regelrecht geärgert: Was für ein erstaunlich dummes und vor allem widerwärtiges Buch! Ich finde ja generell Romane über Inzest ein bisserl grauslich, eh klar, wer nicht, aber wenn dieser Missbrauch derart abgeschmackt und entschuldigend dargestellt wird wie in diesem Buch, macht mich das wütend. Eine dämliche, sinnlose, eklige Geschichte ohne jegliche Entwicklung. Und das ist nach Cherryman jagt Mr. White und Chez Max, die beide gut waren, nur umso unverständlicher.

Der Trafikant von Robert Seethaler war ein Buch, das ich lange schon lesen wollte, weil ich Seethaler sehr mag und dieses eine noch nicht kannte. Es geht um einen jungen Kerl darin, der ins Wien des beginnenden Nationalsozialismus kommt, es geht um seine erste Liebe und um seine Freundschaft zu Sigmund Freud, um Mut geht es und darum, ein Zeichen zu setzen, sei es auch noch so klein. Ein grandioses, stilles und dabei so berührendes Buch, auch dazu werde ich noch gesondert etwas schreiben.

The English teacher von Lily King hat mich außerordentlich fadisiert. Und das ist ein Drama, weil ich Vater des Regens sowie Euphoria von dieser Autorin genial fand, zwei gefühlvolle, unkitschige, ausgezeichnete Bücher. Ich sollte es endlich mal lernen und dabei belassen, ich sollte nicht noch was vom selben Autor lesen, wenn ich schon was mochte. Dieser Roman, den sie davor geschrieben hat, ist einfach nur langweilig: Eine Mutter lebt mit ihrem fünfzehnjährigen Sohn auf dem Campus der Schule, an der sie unterrichtet, einen Vater gibt es nicht, und als sie heiratet, geschieht das nicht aus Liebe und auch aus keinem anderen Grund. Das ist alles recht merkwürdig und unverständlich, es geschieht auch sehr wenig, und die Erklärung für ihr Verhalten, die am Ende noch schnell serviert wird, ist derart vorhersehbar und klischeehaft, ich war wirklich enttäuscht.

Wo drei Flüsse sich kreuzen von Hannah Kent war okay. Nicht besonders herausragend, aber schlecht auch nicht, kann man schon lesen, wenn man möchte. Die Autorin, die sich mit dem historischen Irland bestens auskennt, erzählt darin von einem Kind mit Behinderung, das die unwissenden, abergläubischen Menschen für ein Feenkind halten und dem sie die Fee austreiben wollen. Das ist gut geschrieben, allerdings frei von Überraschungen und interessanten Wendungen. Burial Rites derselben Autorin fand ich um Welten besser.

They both die at the end von Adam Silvera war ein Spontankauf, ich habe es mitgenommen, weil ich den Titel so originell fand. Es ist ein Jugendbuch mit folgender Story: Zwei Achtzehnjährige bekommen eines Nachts den Anruf, den jeder fürchtet, sie werden darüber informiert, dass sie innerhalb der nächsten 24 Stunden unweigerlich sterben. Über eine App namens Last Friend finden sie zusammen und versuchen, so viel Leben wie möglich in die Zeit zu stopfen, die ihnen noch bleibt. Das ist eine coole Idee, finde ich, gut geschrieben ist es auch, wenn natürlich eher leicht und nicht gerade raffiniert. Die Botschaft, sein Leben zu leben, weil man nie weiß, wann es zu Ende ist, ist mir zu aufdringlich, aber das liegt freilich in der Natur der Sache.

Das Museum der Stille von Yoko Ogawa ist ebenfalls ein Buch, bei dem ich dachte: Das hättest du dir sparen können, Mareike, du hast schon drei wirklich gute Titel von Ogawa gelesen, war das nicht genug? Offenbar nicht, und dann kam dieses hier, und ich fand es blöd. Richtig blöd, nicht so poetisch, schön und entspannend wie die anderen, wie etwa Der Herr der kleinen Vögel und Das Geheimnis der Eulerschen Formel. Die Idee mit dem Museum voller Erinnerungsstücke von Verstorbenen, die gefällt mir sehr, doch die alte Protagonistin ist immer nur am Schimpfen und zerstört den Zauber, die Morde erscheinen mir absolut unglaubwürdig und vor allem sinnlos, der Ich-Erzähler ist kaum greifbar und bis zum Ende blass. Schade!

Der Klang der Trommel von Louise Erdrich hat mir ebenfalls wieder mal vor Augen geführt, dass nicht jeder Roman einer Autorin, die ich vergöttere, mir gefällt. Wie sehr habe ich Das Haus des Windes und Ein Lied für die Geister geliebt! Dann beginne ich diesen Backlist-Titel und denke schon nach wenigen Seiten: Ich kotz gleich. Emotionslos, langweilig, ohne den einmaligen Zauber, den die anderen Bücher haben, erstaunlich belanglos. Nein, einfach nur nein.