„Nach meiner Beobachtung ist Familie oft ein Platz, wo die Leute meinen, sie müssten sich nicht benehmen“
Eine beklemmende Geschichte über einen 18-jährigen Nazi-Mitläufer aus Ostdeutschland auf gerade mal 160 Seiten? Bitte sehr: Sowas wie das hier habt ihr bestimmt noch nicht gelesen. Im rasanten Tempo einer Short Story erzählt der deutsche Autor Jakob Arjouni von einem, der eigentlich nur seine Ruhe will – und quasi genau das Gegenteil bekommt. Der junge Rick hat keine Eltern und keine Perspektiven, weil er in Ostdeutschland lebt und keinen Ausbildungsplatz findet. Da bieten ihm die Neonazis, die ihn sonst nur traktieren, eine Lehrstelle in einer Gärtnerei in Berlin. Und obwohl er Bedenken hat, sagt er zu, denn die Alternative wäre: gar nichts. Er liebt es, Pflanzen zu hegen und zu pflegen, nach Berlin zu fahren, im Zug mit der attraktiven Marilyn zu flirten. Doch die Nazi-Bande verlangt von ihm, einen jüdischen Kindergarten auszuspionieren. Und als sie Rick einen Auftrag geben, den er nicht ausführen will, eskaliert die Situation. Aber nicht nur ein bisschen. Sondern so richtig.
Cherryman jagt Mr. White ist eins jener Büchlein, die rasch gelesen sind, aber lange nachwirken, was vor allem an seinem überaus drastischen Ende liegt. Es wirft viele Fragen auf, von denen es keine einzige beantwortet. Was soll man Schlimmes tun, um Schlimmeres zu verhindern? Wo beginnt Notwehr, wo hört sie auf? Und vor allem: Was hättest du getan? In einem Deutschland, in dem erneut ein alter Hass aufflammt, ist dieser Miniaturroman von schmerzhafter Aktualität. Und zeigt: Manchmal gibt es im Leben keinen Ausweg, und alles ist einfach grauenhaft.
Cherryman jagt Mr. White von Jakob Arjouni ist erschienen im Diogenes Verlag (ISBN 978-3-257-60134-3, 176 Seiten, 7,99 Euro).