Bücherwurmloch

Marie Aubert: Erwachsene Menschen

„So etwas wissen Schwester, denke ich, wie sie einander verletzen können“
Und das tun sie, Ida und Marthe: einander verletzen. Die Situation ist aber auch tatsächlich mehr als heikel, denn während Ida mit knapp vierzig beschlossen hat, sich nun doch endlich Eizellen entnehmen und sie einfrieren zu lassen, erzählt Marthe beim gemeinsamen Ausflug mit Mann und Stieftochter ins Sommerhaus, dass sie schwanger ist. Was vielleicht noch gar nicht so dramatisch wäre, würde Ida nicht von der Klinik erfahren, dass es für ihre Eizellen zu spät ist – sie wird niemals Kinder bekommen können. Nach außen hin sieht es also sehr nett aus, wie die Familie gemeinsam kocht, den sechzigsten Geburtstag der Mutter feiert, mit dem Boot zum Angeln rausfährt, doch hinter der Fassade brodelt es: Zu der alten Eifersucht und Rivalität zwischen den Schwestern kommt dieser Graben, den die Frage nach Mutterschaft jetzt zwischen sie schlägt. Und Ida bemüht sich wirklich sehr, ihn stets noch weiter zu vertiefen.

Erwachsene Menschen von Marie Aubert ist ein herrlich böses, sehr schlaues Buch, das ich innerhalb weniger Stunden inhaliert habe. Die norwegische Autorin hat eine überaus interessante Ausgangssituation entworfen und schmeißt ihre Ich-Erzählerin mitten hinein in diesen kalten See aus Gefühlen. Sie hat zu lange gewartet, ihre Eierstöcke sind quasi vertrocknet, das vermeintliche Glück der Schwester sieht aber auch gar nicht so begehrenswert aus, im Grunde muss man sagen: Mit Ruhm bekleckert sich keine der Männerfiguren im Buch. Die Frauen sind auf sich gestellt und einander trotzdem die schärfsten Konkurrentinnen – ein Klima der Unschwesterlichkeit, das uns das Patriarchat so tief eingeprägt hat, dass wir ihm nicht entkommen können. Je fieser der Ton von Ida wird, umso mehr entlarvt sie sich selbst, und es ist Marie Aubert hervorragend gelungen, ein absolut lesenswertes Buch über eine Erzählerin zu schreiben, die zutiefst unsympathisch ist. Ich habe oft geschmunzelt und mich über ihren Mut gefreut, diese Geschichte so zu erzählen, wie sie erzählt werden musste: schonungslos, ehrlich, raffiniert, boshaft, aggressiv. Denn letztlich lehnt Ida sich nicht gegen ihre Schwester oder gegen ihren Uterus auf, sondern gegen die Gesellschaft, die Frauen so behandelt, wie sie es tut. Well done, große Empfehlung!

Erwachsene Menschen von Marie Aubert ist erschienen bei Rowohlt Hundert Augen.

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