Bücherwurmloch

Michel Decar: Die Kobra von Kreuzberg

„Wer die Dinge versteht, der ist für immer dumm“

„Warum Beverly nun wollte, was sie wollte, die Quadriga stehlen und nie wieder rausrücken, ist schwer zu erklären. Genauso schwer, warum manche auf Marzipanhörnchen stehen, andere auf Fesselspiele und wieder andere auf konservative Volksparteien. Kann man nur spekulieren. Hat womöglich was mit schlechter Erziehung zu tun oder mit Zufällen, und in Beverlys Fall vielleicht auch mit Größenwahn und verweigerter Anerkennung und Rache und Blutwurst.“

Ich steh ja drauf, wenn Autor:innen ein bisschen spinnen. Wenn sie irgendwie einen Knall haben, zumindest einen fiktiven: der sich so äußert, dass sie schräg-skurrile Bücher schreiben. Michel Decar hat das getan, denn sein Roman „Die Kobra von Kreuzberg“ ist tatsächlich reichlich verrückt und dabei – für einen Deutschen – auch einigermaßen witzig. Er hat sich eine Protagonistin ausgedacht, die in Sachen Diebstahl ständig von ihren Brüdern übertrumpft wird und deshalb einen großen Coup landen muss. Die der Urknalltheorie nicht traut und den Menschen auch nicht.

„Es soll ja Leute geben, die werden als echte Sonnenscheinchen bezeichnet, als liebe Optimisten, Förderer der Wassermalfarbe, als Bürger erster Klasse, reiselustig, sozial, menschenfreundlich. Beverly nicht.“

So klingt das, wenn Michel Decar von seiner Meisterdiebin erzählt, die die Quadriga vom Brandenburger Tor stehlen will, das ganze Ding, Pferde und Wagen und alles, und da sind schon ein paar Schmunzler dabei. Schöne Metaphern, originelle Sprachbilder, ein heiterer, lockerer Ton – und die perfekte Ablenkung. Ein Buch, mit dem man sich rausziehen kann aus dem Alltag, das verblüfft und grinsen lässt. Erstaunlich schwach fand ich die Dialoge, da wäre in Sachen Sprachwitz und Pingpong noch Luft nach oben gewesen, sie wirken ein wenig bemüht und gekünstelt. Ansonsten aber ist dieser herrlich absurde Roman ein außerordentlich netter Zeitvertreib, ein lauwarm-süßes Lesevergnügen für alle, die nicht immer alles so ernstnehmen (wollen).

„Es ist total 80er, den Vatikan auszuräumen! Das macht wirklich niemand mehr!“

Die Kobra von Kreuzberg von Michel Decar ist erschienen bei Ullstein.

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