Kleine Köstlichkeiten: 4 Sterne

Reich„Nur der Horizont kommt nicht näher, alle anderen sind Verräter“
„Kennen Sie das Gefühl nicht? Vom Meer, vom Blick auf diese Endlosigkeit?“ Nun ja – nein. Denn Horowitz, der Meeresforscher, der alles, alles weiß über die Ozeane, war überhaupt noch nie am Meer. Er ist alt, müde, gescheitert, hat sein Lebenswerk nicht vollendet und hofft, dass ein Tapetenwechsel ihm hilft. Er tauscht seine Wohnung mit Ella, einer jungen Frau, die er nicht kennt, die sich spontan auf eine Annonce gemeldet hat, weil ihr gerade alles ein bisschen auf den Kopf fällt. Sie ist verliebt in Paul, der nach dem ersten Kuss einfach gegangen ist, sie wird Zeugin von Natalias Unfall, muss ihren ersten richtigen Job anfangen und sich ihre Träume bewahren. Das ist alles ein bisschen schwierig und wird auch in Horowitz‘ verrückter großer Wohnung, die der Nautilus gleicht, nicht einfacher: Ella will über ihre Gefühle nicht reden, sie will keinen Kontakt zu ihrer Mutter, die mehr ein Schmetterling war als eine Versorgerin, und sie will sich der Welt nicht preisgeben. Aber die Liebe treibt ihr eigenes Spiel mit Ella und auch mit Horowitz. Denn die Liebe kann vielleicht stark genug sein, um Ella Sicherheit zu geben und Horowitz doch noch ans Meer zu bringen. Aber nur vielleicht.

34 Meter über dem Meer, der hochgelobte Roman der deutschen Autorin Annika Reich, ist ein bisschen wie Die verrückte Welt der Amélie. Obwohl Paul findet, Ella gleiche Holly Golightly aus Frühstück bei Tiffany’s, sehe ich sie als Audrey Tautou vor mir. Weil sie so entrückt, schweigsam, zurückhaltend und geheimnisvoll ist. Das ist sehr süß, sehr weltfremd und ein bisschen kitschig. Ella ist eine Figur, die man ins Herz schließen muss, die man bemitleidet und beneidet zugleich. Sie wirkt wie ein kleines Mädchen, neugierig, scheu, sie weckt sogar meinen Beschützerinstinkt, auch wenn sie für meine Verhältnisse unglaublich passiv ist. Die Idee, zwei so ungleiche Charaktere ihre Wohnungen tauschen zu lassen, und zu sehen, was passiert, finde ich sehr originell, und auch die Umsetzung ist auf jeden Fall gelungen.

Annika Reich hat ein liebes Buch geschrieben, ein harmloses, leichtes, zartes, ein Buch wie ein Stückchen Karamell. Es hat keine Ecken, keine Kanten, und das find ich, da ich das Buch im Urlaub lese, ganz ausgezeichnet und sehr erholsam. Ich mag das Kuschelige und Nachgiebige an Annika Reichs Sprache, die so schön formuliert, fabuliert, erzählt, ohne zu viel Gewicht auf möglichst prätentiöse Sätze zu legen. Das gefällt mir, und so möchte ich euch dieses Buch als wunderbare Sommerlektüre ans Herz legen, als einen Spaziergang durch einen blühenden Park, als ein bisschen fabelhafte Welt.

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34 Meter über dem Meer von Annika Reich ist als Taschenbuch erschienen im S. Fischer Verlag (ISBN 978-3-596-19586-2, 272 Seiten, 9,99 Euro). Hier könnt ihr das Buch bei ocelot.de bestellen.

Andere tolle, luftig-leichte Sommerbücher:
Ada liebt von Nicole Balschun
Damals, am Meer von Marco Balzano
Als Gott ein Kaninchen war von Sarah Winman

Gut und sättigend: 3 Sterne

RubinEin klassischer Whodunnit aus Ungarn
Sechs alte Schulfreunde haben sich 15 Jahre lang nicht gesehen – und werden alle übers Wochenende von Haller, der Arzt geworden ist, in sein Haus auf dem Land eingeladen. Der dicke Journalist Ali, der geizige Dichter Vértes, der schweigsame Wissenschaftler Decsi, Hauptmann Beke und der paranoide Apotheker Schwabik versuchen frohgemut, die alten Zeiten aufleben zu lassen – was ihnen jedoch nicht ganz gelingt. Missgunst und Misstrauen machen sich breit. Zum Glück sorgen die Frauen für Ablenkung: Hallers Gattin Magda, den Männern aus ihrer Jugend eigentlich als Emmi bekannt, Hallers Angestellte Stefi und die Primaballerina Bea Nicky, die Ali spontan eingeladen hat, weil er sie interviewen will, und die sowohl mit Vértes als auch mit Schwabik ein Geheimnis verbindet. Bevor der Wildschweinbraten mit selbst gesammelten Pilzen kredenzt wird, beschließt die illustre Gesellschaft, sich ein wenig mit dem Spiel „Mörder und Detektiv“ zu zerstreuen. Dabei wird per geheimem Zettel einer zum Mörder und einer zum Ermittler gemacht, alle Lichter werden abgedreht, und nach vollbrachter Tat muss der Detektiv anhand des Leichenfunds sowie einiger Befragungen herausfinden, wer der Verbrecher ist. In der dritten Runde wird aus dem lauschigen Spiel, bei dem es hauptsächlich darum geht, im Dunkeln ein wenig zu fummeln und Küsse zu stehlen, plötzlich bitterer Ernst: Im Salon liegt, als das Licht wieder angeht, eine echte Leiche. Ausgerechnet Bea Nicky, der unvorhergesehene Gast, wurde erwürgt. Hauptmann Beke schlüpft sofort in seine Rolle, betreibt Spurensicherung, alarmiert seine Kollegen von der Spionageabwehr, beginnt mit der Befragung seiner ehemaligen Schulfreunde: Wer hatte ein Motiv? Was hat Bea in London angestellt? Und warum trug sie während des Mordes eine Pelzmütze? Nun – der Detektiv findet es heraus.

Der Ungar Szilárd Rubin, 1927 geboren und 2010 verstorben, ist ein Autor von spätem Ruhm. Obwohl er seit den 1950er-Jahren Romane veröffentlichte, bekam er erst in den Jahren vor seinem Tod Anerkennung dafür – und zwar außerordentlich viel. Er schreibe, hieß es, Literatur von europäischem Rang und sei einer der ganz Großen. Ich kenne die hochgelobten Bücher nicht, mir ist nur Wolfsgrube in die Finger gerutscht, das im Original bereits 1973 erschienen ist und daher auch in dieser Zeit spielt – und ich habe zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder einen Krimi gelesen. Als ich jung war, hab ich Krimis gefressen und mit 18 sogar mein Matura-Spezialgebiet über Elizabeth George verfasst – und war dann übersättigt. Overkill. Es kam mir kein Krimi mehr ins Haus und vor die Augen. Mit Szilárd Rubin und Wolfsgrube hab ich mich allerdings ausgezeichnet amüsiert: Er präsentiert verschrobene, scheinheilige Charaktere, gibt ihnen ausreichend verwirrende Geheimnisse, steckt sie alle in ein Haus, streut ein bisschen Flirting darüber, schaltet das Licht aus – und voilà. Ich fand das Buch gut zu lesen und hab gern mitgeraten, muss aber gestehen, dass mir die Auflösung ein wenig zu haarsträubend war. Da wär ich im Leben nicht draufgekommen. Der Klappentext nennt das Buch eine „zeitlose Parabel auf den Menschen, der dem anderen immer und überall ein Wolf ist“. Für Krimifans auf jeden Fall lesenswert!

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Wolfsgrube von Szilárd Rubin ist im Jänner 2013 erschienen im Rowohlt Verlag (ISBN 978-3-87134-753-5, 208 Seiten, 17,95 Euro).

Andere auf Deutsch erschienene Titel von Szilárd Rubin:
Eine beinahe alltägliche Geschichte
Kurze Geschichte von der ewigen Liebe
Die Wolfsgrube bei ocelot.de

Netter Versuch: 2 Sterne

Ausubel„In der Stille des Augenblicks hielten unsere Herzen uns am Leben, ohne zu fragen, ob das denn auch recht sei“
„Die Fremde verstummte wieder. Ihr Atem veränderte sich, und sie begann zu heulen wie ein einsamer Hund. Ihre Stimme wurde voll und gewaltig und ließ die Wände erzittern. Wir waren ebenfalls erschüttert, nicht nur von diesem Geheul, sondern von dem Meer der Verzweiflung, das in ihren Augen zu sehen war, von der Landkarte der Schnitte an ihren Armen, auf ihrer Brust. Die Flut ihrer Stimme war wie das Hochwasser des Flusses, jäh und unaufhaltsam riss sie alles mit sich fort.“ Der Fluss spült eine Fremde in das völlig im Wald verschwundene Dorf Zalischik, eine Fremde, die erlebt hat, wovon die Dorfbewohner nur am Rande mitbekommen haben – die Gräueltaten der Nazis. Die Dörfler sind Juden, die über Generationen hinweg gewandert sind, von einem Ort zum anderen, geschasst und unruhig, bevor sie sich niedergelassen haben mit ihren Überlieferungen im Gepäck: „Wir schliefen im Bauch knarzender Schiffe, gingen an unbekannten Ufern an Land. Und währenddessen erzählten wir die Geschichten weiter, und sie hielten uns als Volk am Leben. Unsere Körper hätten ohne sie vielleicht überlebt, unsere Herzen sicher nicht.“ Als sie nun erfahren, wie groß die Gefahr ist, in der sie schweben, beschließen sie, sie einfach zu ignorieren. Das ganze Dorf will einen Neustart: „Wieder und wieder, überall auf der Welt, begannen wir von vorn.“ Sie erdenken sich neu, wie sie leben möchten, in welchen Paarungen, mit welchen Berufen, mit welchen Gebeten. Die elfjährige Lena wird sogar das Kind anderer Eltern, weil diese selbst keins bekommen können. Sie finden neue Regeln und gehen dabei sehr achtsam miteinander um. Doch es ist das Jahr 1939, der Kreis wird immer enger, und im entscheidenden Moment bricht das Fantasiekonstrukt zusammen: Der Krieg holt Zalischik und seine Bewohner ein.

Ramona Ausubel hat mit Der Anfang der Welt einen wuchtigen, fantasievollen, überbordenden Roman geschrieben, der auf den Geschichten ihrer Großmutter beruht. Ich bin vernarrt in die Ausgangssituation und wollte das Buch seiner Handlung wegen lesen: Ein Dorf erfindet sich neu, um der Realität zu entgehen. Doch während die Autorin eine sehr poetische, intensive und berührende Sprache findet, um diese Idee umzusetzen, ist es letztlich genau diese Handlung, die mich enttäuscht: Hauptteil des Buchs ist der Familienwechsel von Lena, die plötzlich mit neuen, noch dazu völlig verrückten Eltern leben muss, eine unheimliche, unverständliche und beängstigende Situation. Das habe ich nicht erwartet, ich wollte mehr über die Wirklichkeitsblase erfahren, die das Dorf schafft, fühle mich inhaltlich eher abgestoßen von der absurden Story, mag manchmal gar nicht weiterlesen. Gleichzeitig ist es dann auch die melodische Sprache, die teilweise anstrengend ist, durchsetzt von religiösen Andeutungen, Mythen, Gebeten, sehr verkopft und niemals entspannt – im Gegenteil, bis zum Zerreißen gespannt ist jeder Satz, berühren darf man keinen davon, sonst schnalzt es.

Ich bin ein ungeduldiger Leser, das gebe ich zu, lasse mich aber gern in Richtungen führen, die ich nicht vorhergesehen habe, bin flexibel und neugierig. Aber Ramona Ausubel bringt mich mehr als einmal zum Stolpern, zerrt an mir, verwirrt mich, begeistert und fasziniert mich auch, lässt mich staunen und zittern. Dies ist ein ungewöhnliches Buch, schillernd, schrill, manchmal leise, dann wieder brüllend vor Schmerz, dabei aber auch unnachahmlich klug und schön: „Liebe ist das eine absolut Wahre in der Welt. Es kann nicht weggeredet, kann nicht zerschlagen, kann nicht umgebracht werden.“

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Der Anfang der Welt von Ramona Ausubel ist erschienen im Piper Verlag (ISBN 978-3-492-05519-2, 416 Seiten, 22,99 Euro).

Was ihr tun könnt:
Sophies sehr begeisterte Rezension zu dem Buch lesen.
Ein englisches Interview mit Ramona Ausubel lesen.
Das Buch bei ocelot.de bestellen.

Was ihr zum Thema Zweiter Weltkrieg auch lesen könnt:
Edmund de Waal: Der Hase mit den Bernsteinaugen
Larissa Boehning: Das Glück der Zikaden
Rhidian Brook: Niemandsland

Netter Versuch: 2 Sterne

Coulombeau„Heutzutage weiß ja jeder, dass es so etwas wie die Wahrheit im Grunde gar nicht gibt“
15 Jahre ist es her, dass Damien, Lizzie, Nick und Rachel aus der Vorstadtstraße Chesterton Close beschlossen haben, ihre Unschuld zu verlieren. Sie sind zu diesem Zeitpunkt alle 14 Jahre alt und, so glauben sie, bereit. Was dann geschehen ist? Nun, das versucht ein namenloser Jemand herauszufinden – indem er in der Vergangenheit wühlt und mit allen redet, die beteiligt waren oder etwas über die Geschichte wissen: neben den vier ehemaligen Freunden auch mit Rachels Vater und Lizzies Mutter sowie dem Pfarrer. Jeder hat eine Meinung zu den Ereignissen, jeder stellt sich selbst und die anderen auf seine Art dar: „Sie haben Glück, wenn Sie aus dieser Sache mit weniger als zwanzig, dreißig Versionen der Geschichte herauskommen, und ich wünsche Ihnen viel Glück dabei, sich daraus eine Wahrheit zusammenzubasteln.“ Was dabei entsteht, ist ein Puzzle, bei dem jedoch auch am Ende nicht alles so richtig zusammenzupassen scheint.

Für ihr Debüt hat die junge Autorin Sophie Coulombeau aus Manchester eine ungewöhnliche Erzählperspektive gewählt: Alle vorkommenden Personen sprechen jemanden direkt an, mit dem sie per Sie sind. Wer das ist, bleibt unklar, wer sich für diese 15 Jahre alte Geschichte interessieren könnte und wem all diese Leute derart Intimes anvertrauen würden, frage ich mich bis zum Schluss. Von Anfang an geben alle Erzählenden immer wieder Hinweise darauf, dass ohne Ende gelogen wird: „Lassen Sie mich was über Ehrlichkeit sagen: Sie existiert nicht.“ Da werden mir Geheimnisse angekündigt, Überraschungen, Unangenehmes, etwas, das alle aufgerührt hat und 15 Jahre später immer noch bewegt. Jemand war sogar im Gefängnis deswegen! Und dann? Dann macht es puff.

Denn all die aufgebauschten Erwartungen fallen am Ende zusammen wie ein misslungenes Soufflé. Das, was Sophie Coulombeau als Auflösung präsentiert, ist gelinde gesagt gewöhnlich und klischeehaft, es ist so erwartbar, dass ich es nicht erwartet habe, weil ich dachte, die Latte sei höher gesetzt. Dass ich enttäuscht bin, kann ich nicht verhindern, und als hätte die Autorin es geahnt, versucht sie das auch aufzugreifen: „Eigentlich albern, wie sehr wie uns damals in die Sache reingesteigert haben. Aber als Teenager nimmt man eben alles wichtig, und die Hormone spielen verrückt. Wie auch immer, danach schien alles ziemlich schnell zu verblassen. Deshalb ist es ein bisschen lächerlich, dass Damien immer noch so tut, als wäre das alles ein Riesending gewesen.“ Nur hätte ich mal vorher wissen müssen, dass da eben kein Riesending kommt. Für mich gilt dasselbe für diesen Roman, der ziemlich schnell verblasst ist – was schade ist, denn mit ein bisschen mehr Fantasie und Originalität hätte wirklich was Gutes draus werden können.

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Nach allem, was passiert ist von Sophie Coulombeau ist verschienen im Kein & Aber Verlag (ISBN 978-3-0369-5690-9, 256 Seiten, 17,90 Euro).

Was ihr tun könnt:

Euch eine Leseprobe herunterladen.
Eine Rezension auf buecherrezension.com lesen, wo man recht begeistert von dem Buch war.
Sophie Coulombeau auf Twitter folgen.
Sophie Coulombeaus Blog lesen.
Das Buch bei ocelot.de bestellen.

Gut und sättigend: 3 Sterne

Becker„Ich hätte so ein Leben haben können. Ich hätte so viele Leben haben können“
„Steinalt fühle ich mich, schleppe ich mich durch die Tage, der Müllberg in meinem Zimmer wächst und wächst, es war niemals die Rede davon, so lange zu bleiben: Ich wollte unser Haus loswerden und den Fall Hedwig abschließen, um diese ganze Stadt danach abzustreifen wie eine alte Haut.“ Ein junger Mann ist zurückgekehrt in seine Heimatstadt und hat zwei Vorhaben: das Haus seiner Eltern zu verkaufen und eine alte Frau umzubringen. Dann will er so schnell wie möglich verschwinden. Der Tod des Vaters macht ihm zu schaffen, schlafen kann er jede Nacht nur wenige Stunden – außer, es liegt jemand neben ihm. Nichts läuft wie gedacht, der Hausverkauf zieht sich, die alte Dame besucht er in allen möglichen Verkleidungen, um sie auszuspionieren, schreitet aber nicht zur Tat – und dann verliebt er sich ganz plötzlich: „Mein Hemd ist weiß wie der erste Schnee auf dem Land. Jetzt bin ich nicht der besorgte Nachbar, nicht der Postbote, nicht der Feuerwehrmann, jetzt bin ich nicht derjenige, der eine alte Frau töten will, um die Vergangenheit loszuwerden. Jetzt bin ich nur der Mann, der in eine Frau verliebt ist.“ Und vielleicht gäbe es die Chance auf einen Neuanfang, auf ein anderes Leben.

Der deutsche Schriftsteller Martin Becker, der 1982 geboren ist, arbeitet als freier Autor und Literaturkritiker beim Rundfunk, nach einem Erzählband ist Der Rest der Nacht seine erster Roman. Skurril ist dieser Roman, sehr skurril, wie ein Traum, in dem nichts Sinn zu ergeben scheint, sobald man wach ist – aber alles möglich ist, während man noch schläft. Stellenweise gelingt es Martin Becker sehr gut, mich einzulullen, mich zu umschnüren mit seinen verqueren, wohlproportionierten, sehr geraden Sätzen: „Wenn ich nach solchen Nächten in mein Zimmer zurückkomme, dann schüttelt es mich. Ich zittere und friere, reiße mir die Kleider vom Leib und krieche ins Bett. Der Hals kratzt, die Nase läuft und das Fieber kommt. Wie ein Stein in den Brunnen stürze ich dann in den viel zu kurzen Schlaf, und ohne zu träumen schlafe ich durch bis zum Aufprall.“ Das finde ich sehr direkt, poetisch und schön.

Inhaltlich aber habe ich meine Schwierigkeiten mit diesem Buch, weil es mir zu wirr ist. All die Verkleidungen und Masken, all die rätselhaften Hinweise auf die Vergangenheit, die ich nicht deuten kann, machen mir zu schaffen, weil ich schon anfangs weiß, dass ich diesen Roman nicht verstehen werde, dass der Autor mit aller Macht verhindern wird, dass ich das große Ganze begreife. Sein Protagonist ist so schlüpfrig wie eine Kaulquappe, nicht greifbar, er steckt in der Krise, sucht eine Identität und einen Ausweg. Und ich bin so ratlos wie er. Eine Sogwirkung hat die Geschichte durchaus, vor allem wegen der ausgezeichneten Prosa. Aber als ich aus dem Traum aufwache, frage ich mich, was zur Hölle das denn für ein Trip war.

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Der Rest der Nacht von Martin Becker ist erschienen im Luchterhand Literaturverlag (ISBN 978-3-630-87360-2, 208 Seiten, 19,99 Euro).

Was ihr tun könnt:
Ein Interview mit Martin Becker anhören.
Einen Beitrag des mdr über Martin Becker anhören.
Euch die Website von Martin Becker anschauen.
Das Buch bei ocelot.de bestellen.

Kleine Köstlichkeiten: 4 Sterne

Niemandsland von Rhidian Brook„Irgendwie war es einfacher, einen Menschen zu lieben, der nicht da war“
„Gleich werden Sie einem fremden Volk in einem fremden, feindlichen Land begegnen. Halten Sie sich unbedingt von den Deutschen fern. Gehen Sie auf der Straße nicht neben ihnen, schütteln Sie ihnen nicht die Hand, besuchen Sie sie nicht in ihren Wohnungen.“ So lauten die Anweisungen, die Rachael und die anderen Gattinnen der britischen Offiziere erhalten, als sie kurz nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland eintreffen – zum Zweck der Familienzusammenführung. Rachael kommt mit ihrem jüngeren Sohn Edmund zu ihrem Mann Lewis nach Hamburg – ihr älterer Sohn Michael ist durch deutsche Bomben gestorben, und Rachael ist sehr labil. Es behagt ihr gar nicht, dass der tolerante Colonel Lewis ein eigenartiges Arrangement getroffen hat: Da das Haus an der Elbe, in dem die britische Familie einquartiert wird, derart groß ist, lässt er den deutschen Besitzer Stefan Lubert und seine Tochter Frida auch darin wohnen. Die Ehe ist nach all der Zeit, die Rachael und Lewis getrennt verbracht haben, und all den Strapazen, die sie im Krieg erdulden mussten, stark belastet – die beiden finden keinen Weg, miteinander zu reden. Doch da gibt es ja einen anderen Mann in Rachaels Nähe: den Deutschen Stefan Lubert. Und Lewis bekommt eine attraktive neue Übersetzerin …

Rhidian Brook versetzt mich mit seinem Roman Niemandsland genau dorthin: in ein Land, das zur Gänze zerstört ist, zerbombt, zermürbt, in dem nur noch Gespenster leben und das von Fremden beherrscht wird. Diese Fremden – im vorliegenden Fall die Engländer in der britischen Besatzungszone – stehen im Fokus des Buchs. Der Krieg ist vorbei und die britischen Soldaten versuchen ihr Möglichstes, um Herr über das Chaos zu werden, das sie in Deutschland vorfinden. Wer war ein Nazi, wer ein Mitläufer, wer ein Opfer? Und wie sollen sie es erkennen? Auch in ihren eigenen Reihen ist die Vorgehensweise umstritten. Colonel Lewis Morgan gehört zu jenen, die den Deutschen möglichst schnell ihre Souveränität und ihr Land zurückgeben wollen. Er redet mit den Deutschen, obwohl er das nicht soll, gibt den bettelnden, halb verhungerten Kindern Zigaretten und lässt den Besitzer seines besetzten Hauses weiterhin darin wohnen. Damit macht er sich keine Freunde bei den anderen Soldaten. Und auch mit seiner Frau, die er jahrelang vermisst hat, läuft es alles andere als rosig: Sie haben sich völlig voneinander entfremdet. Dieses Gefühl, fremd zu sein in allen Belangen, hat Rhidian Brook bestens eingefangen: Er porträtiert Rachael und Lewis, lässt sie abwechselnd erzählen und zeigt, wie einsam und verloren sie sind – mitten im Niemandsland.

Dies ist ein recht episches, gut geschriebenes, aber stellenweise auch sehr konstruiertes Buch. Es soll, so sagt es der Klappentext, von Ridley Scott verfilmt werden – und das kann ich mir gut vorstellen. Es wirkt zum Teil schon wie ein Film, mit in sich geschlossenen Szenen und verträumten Bildern. Das soll freilich kein Nachteil sein, schien mir aber beim Lesen manchmal ein wenig hölzern und nicht so lebendig, wie es hätte sein können. Generell aber gibt es an Niemandsland nichts auszusetzen. Es ist ein atmosphärischer, leicht zu lesender und sehr gefühlvoller Roman, der sich in eine Zeit einklinkt, in der alles tot und begraben war und in der die Menschen ihr Leben neu aufbauen mussten. Da steckt freilich viel Pathos und viel Potenzial für dramatische Momente drin, was Rhidian Brook teilweise voll ausnutzt und teilweise elegant umschifft. Sein Vater und Onkel haben die Besatzungszeit in Deutschland selbst miterlebt, ihre Erlebnisse lieferten die Basis für das Buch: Rhidian Brooks Großvater hat tatsächlich mit einem Deutschen in einer konfiszierten Villa gelebt. Aus dieser wahren Geschichte hat der Autor einen sehr lesenswerten und authentischen Schmöker gemacht.

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Niemandsland von Rhidian Brook ist erschienen im Bertelsmann Verlag (ISBN 978-3-570-10128-5, 384 Seiten, 19,99 Euro).

Was ihr tun könnt:
Ein Video mit dem Autor anschauen.
Eine sehr positive Besprechung in der Zeit lesen.
In dieser Rezension einiges über die Hintergründe und Brooks eigene Familiengeschichte erfahren.
Das Buch bei ocelot.de bestellen.

Bücherwurmloch

IMG_0711Neu im Bücherwurmloch: Short Storys
Es war einmal: Früher hab ich keine Kurzgeschichten gelesen. Niemals! Weil ich mich in einen Roman vertiefen, von den Ereignissen wegspülen und von der Handlung einwickeln lassen wollte. Da lag ich dann stundenlang auf der Couch, im Bett oder saß im Bus – ich hatte Zeit zum Lesen. Und an den Short Storys störte mich die Notwendigkeit, sich immer wieder auf neue Figuren und ein neues Setting einzulassen, zu sprunghaft fand ich das, zu abgehackt, zu anstrengend.
Und dann ist das passiert, was im Leben immer passiert: Es hat sich was verändert. Mit einem und inzwischen zwei kleinen Kindern fehlt mir nämlich jetzt die Zeit zum Lesen. Würde man bei meinem Bücherkonsum nicht vermuten, aber ich lese tatsächlich sehr wenig – ich lese einfach nur wahnsinnig schnell. Aber: Auf der Couch liegen oder im Bus sitzen gibt’s nicht mehr. Sondern eher gestohlene Minuten zwischendurch, wenn ein Zwerg schläft und der andere sein Biene-Maja-Malbuch systematisch mit schwarzer Farbe tüncht, oder in der berühmten Happy Hour für Eltern, jener einen Stunde, in der die Kinder endlich im Bett sind und man selber noch kurz wach bleiben kann, bevor man ins Erschöpfungskoma fällt.

Jetzt habe ich plötzlich das umgekehrte Problem: Ich lese vielleicht über den Tag verteilt eine Stunde, immer wieder mal fünf bis zehn Minuten – und das mit dem Vertiefen, Wegspülen und Einwickeln klappt nicht mehr. Was bietet sich dagegen an? Genau. Kurzgeschichten. Also habe ich 2011 angefangen, diese mir bis dahin unsympathische Erzählkategorie genauer unter die Lupe zu nehmen. Der erste Titel war passenderweise Alles auf Anfang von David Benioff das ich gleich sehr gut fand. Auch Zoran Živković konnte mich mit seinen skurrilen Geschichten überzeugen. Die alte Abneigung hielt sich aber trotzdem noch hartnäckig und ich ging Short Storys weiterhin bewusst aus dem Weg. Ich wollte noch nicht so ganz glauben, dass das was werden könnte mit uns.

2012 versuchte Miroslav Penkow sein Glück und konnte ebenfalls bei mir landen. Auch die Kurzgeschichten von Svenja Heiss, die ich im Urlaub in Kopenhagen gelesen habe, mochte ich. Darauf folgte der Titel Liebe von Molly MacCloskey, der schon in die richtige Richtung wies – aber ich wollte mich noch immer nicht erobern lassen. Deshalb gab es 2013 eine komplette Kurzgeschichtenpause. Und dann? Habe ich meinen Widerstand endlich aufgegeben.

2014 ist noch jung, aber ich habe schon fünf Kurzgeschichtenbände gelesen: Die Ernte von Amy Hempel, Feuer ist eine seltsame Sache von Lisa Elsässer, Wassererzählungen von John von Düffel, Zehnter Dezember von George Saunders und Muldental von Daniela Krien. Spätestens seit John von Düffel und Daniele Krien ist mir klar: In Sachen Short Storys bin ich ein Spätzünder – aber jetzt ist die Leidenschaft dafür umso größer. Beide Bücher hätte ich am liebsten inhaliert. Immer in den gestohlenen zehn Minuten zwischendurch. Ich bin regelrecht berauscht. Frisch verliebt! Und ihr wisst ja, wie das ist: Man muss dann immer grinsen und jedem davon erzählen. Deshalb nochmal ganz laut: Mariki liest und liebt jetzt Short Storys!

Und ihr so? Lest ihr Kurzgeschichten oder macht ihr einen Bogen darum? Ich bin gespannt auf eure Erfahrungsberichte. Und vor allem: Was muss ich als Kurzgeschichtenneuling unbedingt lesen, habt ihr Tipps?

Für Gourmets: 5 Sterne

KrienDie Möglichkeiten, zu scheitern, sind grenzenlos
Die DDR ist Geschichte, die Zukunftsträume der Menschen im Osten sind es auch. Geblieben sind Scherben, zertrümmerte Keramik wie in der Titelgeschichte „Muldental“, in der Marie nach all den Jahren, in denen die Stasi sie unter Druck setzte, die neu gewonnene Freiheit nicht genießen kann – weil ihr Mann Hansi sie von seinem Rollstuhl aus tyrannisiert. Die junge Anne dagegen hat ein Ventil für all die negativen Gefühle gefunden, die die Abschätzigkeit und Bosheit ihrer Zahnarzthelferkolleginnen im Westen in ihr auslösen: Vandalismus. Eine ganz andere Herangehensweise an die Öffnung gen Westen haben Betti und Maren: Sie leihen sich Geld. Sie mieten eine Wohnung. Und verkaufen ihre Körper. Otto hat im Gegensatz zu ihnen keine Hoffnung mehr: Die Firma ist weg, die Kohle ist, der neue Job auch. Was noch da ist? Alkohol und Schulden …

Rund um den Fall der Berliner Mauer 1989 und die politischen Folgen für das wiedervereinte Deutschland hat Daniela Krien zehn Geschichten gruppiert, deren Protagonisten eins gemeinsam haben: Sie scheitern nach der Wende, an der Wende, wegen der Wende. Die deutsche Autorin, die mich schon mit ihrem Debüt Irgendwann werden wir uns alles erzählen, das übrigens in 14 Sprachen übersetzt wurde und verfilmt werden soll, über die Maßen beeindruckt hat, erzählt von Existenzen, die plötzlich ihren Wert und ihre Bedeutung verlieren, weil es das Wertesystem, in dem sie gegründet wurden, nicht mehr gibt. Die einen tauchen in die Wellen ein und schwimmen obenauf, die anderen gehen unter und greifen nach dem Strick. Familien zerbrechen, Mädchen werden ermordet, Ehen lösen sich auf: Nichts ist schön in Muldental, und für die Liebe ist hier kein Platz. In keiner ihrer Facetten hat sie eine Daseinsberechtigung in diesen Short Storys, nicht als Liebe zwischen Mann und Frau, nicht als Liebe einer Tochter zu ihrer Mutter, nicht einmal als Liebe in einer Freundschaft. Zusammen mit der DDR haben die Menschen, so scheint es, jedes positive Gefühl begraben. Das ist unfassbar traurig. Und in dieser Buchform unfassbar gut.

Daniela Krien ist eine Meisterin der Worte. In zehn Geschichten legt sie mit wenigen geschickten Griffen das Innerste der Menschen frei – und zeigt mir, wie es atmet und pulsiert. Ihre Figuren schrammen an der Verzweiflung entlang, sind angeschlagen und verbeult, Außenseiter, Auf-derStrecke-Gebliebene, Resignierte. Sie schreibt sehr präzise, klar, klug und direkt, sie schießt ihre Sätze ab wie Pfeile – und alle treffen. Ich bin erstaunt, überwältigt, überzeugt und sehr, sehr angetan. Jede Geschichte gefällt mir in ihrer Besonderheit, jede einzelne ist sprachlich ausgezeichnet und inhaltlich wertvoll. Alles sitzt da, wo es sein soll, und am Ende bin ich glatt ein wenig enttäuscht, dass das Buch zu Ende ist. Ich hätte tatsächlich noch einmal zehn Geschichten gelesen.

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Muldental von Daniela Krien ist erschienen im Graf Verlag (ISBN 9783862200221, 224 Seiten, 18 Euro).

Was ihr tun könnt:
Eine Rezension zum Buch bei mdr.de lesen.
Einen Beitrag in der ARD-Mediathek dazu anhören.
Die Besprechung von buecherrezension.com lesen.
In dem Interview der Leipziger Internetzeitung mehr über Daniela Krien erfahren.
Das Buch bei ocelot.de bestellen.

Kleine Köstlichkeiten: 4 Sterne

SchollUnd gäbe es Barmherzigkeit!
Emma hat’s ja wirklich nicht so leicht. Ihr Leben lang hat sie den langweiligen Job beim Notar Wiesel ertragen, damit ihr Hansi studieren konnte, dann wurde sie in die Pension genötigt, von ihrem Georg wegen einer anderen verlassen – und jetzt kriegt ihr Hansi auch noch ein Kind mit einer Türkin! „Ein Türkenbankert und noch dazu unehelich.“ Was sollen die Nachbarn sagen? Und erst der Friseur? „Eine schöne Familie ist das – die Enkeltochter in Italien und der Sohn isst Döner und wohnt zwischen lauter Teppichen. Nein, so hat sie sich das nicht vorgestellt, damals, im Stadionbad, als sie den schönen Georg schmachten hat lassen – weil man ja schließlich auf sich gehalten und nicht gleich nachgegeben hat, nur weil einer fesch war und Muskeln hatte.“ In Wahrheit aber hat Emma nicht die geringste Ahnung, was es bedeutet, wenn man es wirklich nicht leicht hat. Sarema schon. In ihrer Heimat Tschetschenien herrscht willkürliche Gewalt. Sie lässt sich von ihrem zukünftigen Ehemann entführen, um ihn heiraten zu können, und bekommt zwei Söhne, von denen einer durch eine verirrte Kugel stirbt. Die Tochter, die sie tief unter der Erde in einem Schutzkeller zur Welt bringt, hat keine Überlebenschance. Alle sterben, alle, werden erschossen, abgeholt, gefoltert. Auch Saremas Schwester Lisa verliert ihren Mann und ihr ungeborenes Kind. „Und so saßen die Schwestern in der Küche, und ihre Tränen liefen wie ein unendlicher Fluss, der sich nicht kümmert um das, was den Menschen geschieht.“ Als auch Lisa verschwindet, bleibt Sarema und ihrem einzigen Sohn nur die Flucht: Nach einer lebensbedrohlichen Reise landen sie in Österreich – wo keiner ihnen glaubt. Und keiner sie haben will. Als Emma bei einem Sturz verletzt wird, helfen Sarema und Schamil ihr und stehen ihr in den Wochen der Genesung bei. Als es jedoch darauf ankommt, brauchen sie im Gegenzug bei der verbohrten alten Frau nicht auf Hilfe zu hoffen …

Emma schweigt ist ein bitterer, realistischer Roman über das Elend von Asylbewerbern und die Vorurteile der fetten, intoleranten Österreicher. Die ehemalige ORF-Korrespondentin Susanne Scholl, die für ihre journalistische Arbeit und ihr menschenrechtliches Engagement ausgezeichnet wurde, schildert das Leid der Menschen in Tschetschenien derart schnörkellos, klar und eindringlich, dass mir teilweise die Luft wegbleibt. Das ist ein Leben, das mir fremd ist: voller Angst, Trauer und Gefahr. Denn ich habe das Glück, in Österreich geboren zu sein, Insel der Seligen, behütet, gut situiert, in Sicherheit. Susanne Scholl entwirft zwei Welten und lässt sie aufeinander krachen: Sarema, schweigsam, schwer traumatisiert, hilflos und allein, trifft auf Emma, deren vermeintliche Probleme gar keine sind. Die türkische Schwiegertochter passt ihr nicht, und ihren Ex-Mann Georg, den ein gerechter Schlaganfall ins Pflegeheim gebracht hat, besucht sie nur aus Rachsucht. Emma lässt sich von Sarema helfen, bekochen, waschen – und dankt es ihr mit Unfreundlichkeit und Vorurteilen. Am meisten voreingenommen gegenüber Sarema ist, wie es oft geschieht, ausgerechnet die türkische Freundin von Hansi. Der kleine Schamil, der schnell Deutsch lernt und ein ausgezeichneter Schüler ist, ist ebenso unerwünscht in diesem reichen Land wie seine Mutter und alle anderen im Asylantenheim.

Als ich mit der Lektüre von Emma schweigt beginne, tut’s einen lauten Juchizer. Das ist mein österreichisches Seelchen, das sich so freut über den Schreibstil der Autorin, der mir sofort zuspricht. Weil ich die Wiener Wörter so mag, den Badewaschel, das Bankert, weil es ihr perfekt gelingt, die Gesinnung der Österreicher in Sprache zu fassen, weil ich mich halt daheim fühl in dieser Art zu erzählen. Auch inhaltlich gelingt es Susanne Scholl gleich, mich zu packen – in Österreich wie in Tschetschenien, wobei sich die Schicksale der beiden Frauen im Buch nicht stärker unterscheiden könnten. Ich schäme mich für die Politiker, für all die Leute, die so dumm sind in ihrer Ausländerfeindlichkeit, für die schrecklichen Bedingungen, unter denen Asylbewerber bei uns leben müssen. Die Autorin klagt jedoch nicht mit erhobenem Zeigefinger an, das ist auch nicht notwendig. Es ist ausreichend, zu erzählen – die Wahrheit ist anklagend genug. Ein sehr charmantes, gleichzeitig sehr aufwühlendes, berührendes, schmerzvolles Buch, eine Mischung aus Wiener Schmäh und herzzerreißender Resignation. Sehr lesenswert.

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Emma schweigt von Susanne Scholl ist erschienen im Residenz Verlag (ISBN 9783701716234, 180 Seiten, 19,99 Euro).

Was ihr tun könnt:
Einen Bericht über die Festnahme von Susanne Scholl in Tschetschenien lesen.
Susanne Scholl auf Twitter folgen.
Euch die Rezension von Die Presse zu Gemüte führen.
Das Buch auf ocelot.de bestellen.

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