Gut und sättigend: 3 Sterne

Thomas Weiss: Flüchtige Bekannte

WeissUnd dann einfach ein neues Leben anfangen
Maren hatte es ganz schön gut: Erfolg als Architektin, eine funktionierende Ehe, eine gesunde, hübsche Tochter. Doch eines Abends verschwand Maren ohne ein Wort, und seither zerbricht ihr Mann Berthold sich den Kopf: Wurde sie entführt, vergewaltigt, getötet? Oder hat sie ihn einfach verlassen? Marens Geschichte interessiert einen Journalisten, der eigentlich Filmkritiken schreibt, derart, dass er nach ihr sucht. Und er findet sie – auf Tunesien. Statt ihren Mann und die Polizei zu informieren, bucht er einen Flug. Etwas reizt ihn an dieser Frau und an ihrer Geschichte, und es reizt ihn so sehr, dass er seine Frau in Bezug auf sein Reiseziel anlügt. Doch was glaubt er, was ihn erwartet? Eine Anleitung, wie man das macht, sein altes Leben zurückzulassen? Einen Freibrief, es selbst zu tun? Das, was er bekommt, deckt sich auf jeden Fall nicht mit dem, was er wollte.

Thomas Weiss, der als freier Schriftsteller in Berlin lebt, hat bereits mehrere hochgelobte Romane vorgelegt. In Flüchtige Bekannte entwirft er ein Szenario, das so bekannt wie bedrückend ist: Man hat sich festgefahren im eigenen Leben, steckt im Schlamm der Bequemlichkeit, würde am liebsten nochmal von vorn anfangen, die Last der Familie abwerfen und einfach abhauen. Maren tut genau das. Ihre Geschichte aber ist anfangs ein Geheimnis, ein Rätsel, das der Ich-Erzähler zu entschlüsseln versucht. Er kommt Maren sehr schnell auf die Schliche, und als er sie gefunden hat, steigt auch sie in die Erzählung ein, berichtet aus ihrer Sicht, stellt ihre Rechtfertigungen sehr nüchtern dar. Kann man ein Handeln wie ihres überhaupt rechtfertigen? Und ist es nachzuvollziehen, wie selbstsüchtig der Journalist sich verhält? Was die beiden – jeder für sich – tun, ist sicher moralisch fragwürdig. Und zutiefst menschlich.

Flüchtige Bekannte dreht sich um ein Thema, das uns alle interessiert und immer wieder berührt: Haben wir uns richtig entschieden? Ist das das beste aller Leben? Oder sind wir irgendwo falsch abgebogen und sollten nochmal von vorn beginnen, ehe es zu spät ist? Diese Ausgangssituation hat mich dazu bewogen, das Buch zu lesen. Von der Umsetzung bin ich allerdings nicht zur Gänze überzeugt. Maren, Dreh- und Angelpunkt der Geschichte, bleibt kühl und nicht greifbar, gibt sich in ihren Darstellungen sehr rational. Das neue Leben, das Thomas Weiss ihr angezogen hat, ist derart farblos und ebenfalls banal, dass ich nicht glauben mag, dass sie es wählen würde. Mann und Kind ins Unglück stürzen – für DAS?! Der Journalist dagegen ist ein egozentrischer, schmieriger, eingebildeter Typ, der sich über den Bau des Eigenheims echauffiert und – ganz Klischee – von der Unabhängigkeit träumt, obwohl er seine Frau liebt. Wäre er wirklich wieder Single, würde er schnell das große Heulen kriegen, wie es auch der Fall ist, als die Gattin seine Lügen durchschaut. Was bleibt zu sagen? Dass dieser Roman gut geschrieben ist, ich mir aber mehr erwartet habe von dieser vielversprechenden Verheißung, dass da jemand neu anfängt. besonders das Ende lässt mich ratlos und enttäuscht zurück. Aber so ist das vielleicht einfach, wenn man sich ein neues Leben sucht: Es ist dann letztlich auch nicht besser als das alte.

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Flüchtige Bekannte von Thomas Weiss ist erschienen im Berlin Verlag (ISBN 978-3-8270-1211-1, 192 Seiten, 16,99 Euro).

Was ihr tun könnt:
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