Kleine Köstlichkeiten: 4 Sterne

Cerha„Ein bisschen Liebe hat noch keinem geschadet“
Mara ist Schriftstellerin, und jedes Jahr verbringt sie den gesamten Sommer auf einer kleinen kroatischen Insel. Sie ist fremd hier, aber trotzdem auch ein bisschen zuhause, sie kennt die Menschen dort, die Sitten, das Wechselspiel der Winde. Doch genau die spielen in jenem einen Sommer irgendwie verrückt: Die Bora weht ungewöhnlich heftig und treibt die Inselbewohner in den Wahnsinn. Es könnte also einfach am Wetter liegen, dass Mara so aus der Bahn geworfen wird, als sie auf den Fotografen Andrej trifft. Oder es ist vielleicht doch ein wenig Verliebtheit im Spiel. Er hat kroatische Wurzeln und ist ein ebenso attraktiver wie interessanter Mann. Mara rauschen die Hormone durchs Blut, sie fühlt und benimmt sich wie ein Teenager, Andrej zieht sie an wie ein Magnet. Und als sie zueinanderfinden, ist es einfach gut und richtig: „Andrej wuchs in mein Inselleben hinein wie eine Schraube, die sich in ein Gewinde dreht. Normalerweise brachten Männer alles durcheinander, sobald sie in meinem Leben auftauchten. Immer zogen sie Bausteine von ganz unten aus meinem Gebäude und setzten sie ganz obendrauf, wo sie mir die Sicht auf die Welt verstellten, während ich damit beschäftigt war, das Ding stabil zu halten, trotz der plötzlichen Lücken im Fundament. Andrej ließ alles, wo es war, und setzte seine Steine dahin, wo Platz war.“ Nur leider ist das Problem dieses Sommers dasselbe wie mit jedem Sommer: Er kann nicht ewig dauern …

Ich mag Ruth Cerha. Ich mochte sie schon bei Kopf in den Wolken, ihrem hervorragenden zweiten Buch. Und dank Bora. Eine Geschichte vom Wind mag ich sie nun noch mehr. Weil sich die beiden Romane stark voneinander unterscheiden: Wo der eine melancholisch und poetisch war, ist der andere heiter und gefühlvoll. Und weil sie beide gut sind. Die Hauptstimme dieses herrlichen Sommerbuchs gehört Mara, aber auch Andrej kommt zwischendurch zu Wort – und der Perspektiven- bzw. Stilwechsel ist der Autorin gut gelungen. So entsteht ein vollständiges Bild dieser frisch aufflammenden Liebe. Obwohl ich traurig-düstere sowie fies-sarkastische Bücher liebe, schlägt mein Herz auch für Lovestorys. Wenn sie niveauvoll sind. Ich finde es schön, wenn zwei sich treffen, sich sehen bis innendrin, sich erkennen, sich lieben, wenn alles zusammenpasst und ineinander fällt.

Genauso ist es in Bora. Eine Geschichte vom Wind. Mara und Andrej haben sich – um die ausgelutschte Floskel zu bemühen – gesucht und gefunden. Es hat mir ein fettes Grinsen ins Gesicht gesetzt, wie Mara anfangs versucht, Andrejs Anziehungskraft zu widerstehen, und wie lächerlich süß sie sich dabei benimmt. Denn es ist egal, ob man ein Teenie ist oder Ende vierzig: Wenn die Schmetterlinge durch den Bauch tanzen, kann man nicht mehr klar denken. Während der Lektüre war ich gespannt auf das Ende. Würde Ruth Cerha es schaffen, weiterhin so grandios den Kitsch zu umschiffen und trotzdem einen stimmigen Schluss finden? Die Antwort lautet: Ja. Das passt gut zusammen, wie Mara und Andrej, wie dieser Roman und der Sommer, wie Ruth Cerha und ich.

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Bora. Eine Geschichte vom Wind von Ruth Cerha ist erschienen in der Frankfurter Verlagsanstalt (ISBN 978-3-627-00215-2, 256 Seiten, 19,90 Euro). Interessante Rezensionen zum Buch findet ihr auf We read Indie, Revolution, Baby, Revolution, Buchrevier und bei Frau Hauptsachebunt.

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Netter Versuch: 2 Sterne

Darrieussecq„Bisexuell bedeutet zwei Mädchen auf einmal“
Solange ist elf Jahre alt und wächst in der baskischen Provinz auf. Ihre Eltern kümmern sich kaum um sie: „Sie hat aufblasbare Eltern, wie diese Puppen, die es angeblich gibt. Sobald man den Stöpsel zieht, entschweben sie Loopings drehend in den Himmel.“ Ihre einzige Bezugsperson ist ihr Nachbar Monsieur Bihotz, der sie betreut und versorgt, seit sie ein Kleinkind ist. Nun aber ist Solange dem Kindsein entwachsen, und sie will nur eins: Sex. Ihre Freundinnen, eine dümmer als die andere, erzählen die wildesten Geschichten und sind angeblich alle keine Jungfrauen mehr. Ruhelos streift Solange umher, schmiert sich mit Lippenstift an, kürzt ihren Rock und zeigt sich willig, als ein Junge auf einer Party einen Blowjob von ihr verlangt. Sie ist völlig überfordert, will sich aber nicht die Blöße geben – und tut alles, was er möchte. Solanges neu entdeckte Sexualität entgeht ihren Eltern völlig, nicht aber Monsieur Bihotz, der kaum noch an sich halten kann … weshalb er nicht mehr auf sie aufpassen will. Die Eltern ignorieren das jedoch – und so nimmt das Schicksal seinen Lauf.

Prinzessinnen von Marie Darrieussecq ist ein haarsträubendes, intensives, würgereizauslösendes Buch, wahnsinnig provokant, ein Schlag in die Fresse. Ist es wahr, dass die Franzosen überaus sexed up sind? Dass ihre skandalösen Sexbücher für uns kaum erträglich sind? Dass sie freier mit Tabuthemen umgehen? Ich kann es nicht mit Sicherheit sagen, aber Marie Darrieussecqs Darstellung eines Mädchens auf der Suche nach dem ersten Sex legt es nahe. Sie schreibt schonungslose Sätze, die wie aus einem Gewehr geschossen daherkommen, mit Leerzeilen dazwischen, als wäre das alles gar keine in sich abgeschlossene Geschichte, sondern als handelte es sich um verschiedene Beobachtungen, alle pointiert und spitz, seltsam gefühllos, frei von Mitleid.

Ich dagegen habe Mitleid. Es beutelt mich geradezu vor lauter Mitleid. Und Ekel. Denn Solange ist ELF. Das unschuldige Alter, das nach zehn kommt und noch vor zwölf. Als ich elf war, hab ich noch Baumhäuser gebaut. Solange dagegen lässt sich in den Mund ficken. Was nur einer der Gründe ist, weshalb mich die Lektüre von Prinzessinnen derart gequält und entsetzt hat. Besonders bei der Szene, als Solange ihre Tage hat, aber trotzdem mit einem Jungen ins Bett geht, weil er sie endlich, endlich angerufen hat, wie sie sich in den Arsch bumsen lässt und sich wegen des Bluts schämt – und sie ist elf, ELF! – konnte ich kaum noch umblättern. Und niemand ist für sie da, niemand, ihre Eltern nehmen sie gar nicht wahr – und Monsieur Bihotz nimmt sie viel zu deutlich wahr. Als die beiden, die wohl 30 oder 40 Jahre auseinander sind, täglich und überall zu vögeln beginnen, kann ich kaum noch weiterlesen. Solange geht ihrem eigenen Körper in die Falle und beginnt ganz klassisch, Sex gegen Aufmerksamkeit einzutauschen. In meinen Augen ist sie aber noch ein Kind, und deshalb tu ich mir schwer mit diesem Roman, auch wenn ich oft – wie bei We need to talk about Kevin oder Room – gerade die verstörenden Bücher sehr gut finde. Generell ist mir der Stil des Romans zu abgehackt, brutal und zusammenhangslos. Ich hoffe sehr, dass all dies nur Fiktion ist, auch wenn ich weiß, wie utopisch dieser Wunsch ist. Dies ist ein Buch, das wehtut – auf höchst unangenehme Art. Es mag durchaus seine Wichtigkeit haben, aber ich muss gestehen: Nach all dem Grausen und der Traurigkeit wünschte ich, ich hätte es nicht gelesen.

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Prinzessinnen von Marie Darrieussecq ist als Taschenbuch erschienen im dtv (ISBN 978-3-423-62607-1, 304 Seiten, 9,95 Euro).

Noch mehr Futter:
– „So konfus, brutal und prickelnd wie sich das Erwachsenwerden für Solange anfühlt, ist Darrieusseqs Erzählstil. Zwischen ihren knappen, mechanischen Sätzen muss man als Leser immer wieder zu gedanklichen Weitsprüngen ansetzen – und landet immer wieder in der eigenen Pubertät“, heißt es auf spiegel.de.
– „Marie Darrieussecq hat mit „Prinzessinnen“ einen weiblichen Coming-of-Age-Roman verfasst, der aufgrund seiner sich an Erfahrungen einer Jederfrau heranschmeißenden Stofflichkeit einige Sogwirkung entfaltet. Und dennoch will man aus Rücksicht auf die Privatsphäre aller Beteiligten nicht wirklich dabei gewesen sein, will ein Geheimnis ein Geheimnis sein lassen und auf gärenden Körpererkundungskitsch verzichten“, schreibt faz.net.

Gut und sättigend: 3 Sterne

IMG_9067Vom Streben nach Gerechtigkeit
Am Anfang steht ein Mord: Ein bekannter Politiker wird im Mailand des Jahres 1981 von linksextremen Terroristen umgebracht. Der junge Staatsanwalt Giacomo Colnaghi sieht es gemeinsam mit zwei Kollegen als seine wichtigste Aufgabe an, die Täter zu fassen. Es ist ihm quasi ein persönliches Anliegen: Zum einen ist er überzeugter Katholik, zum anderen hat er als kleines Kind den Vater verloren, weil der im Widerstand gegen die Nazis leistete. Colnaghi reibt sich auf, arbeitet die ganze Woche in Mailand getrennt von seiner Familie – seiner Frau und seinen zwei Kindern, die ihn sehr vermissen und deren enge Beziehung zu ihm wegen der Distanz langsam brüchig wird. Colnaghi ist besessen von den Taten der Terroristen und von ihren Beweggründen. Und er ist sich im Klaren darüber, dass er selbst auf der Abschussliste steht …

Giorgio Fontana ist ein junger italienischer Autor, dessen erstes Buch für großes Aufsehen sorgte und mit Preisen bedacht wurde. Für seinen zweiten Roman hat er sich das Mailand der 1980er-Jahre als Kulisse ausgesucht, eine Zeit, zu der er selbst erst geboren ist. Und diese Zeit macht natürlich was her, denn es ging damals rund in der Politik Italiens: Mailand wurde – wie das gesamte Land – von Terroristen in Atem gehalten, die scheinbar wahllos töteten und Bomben hochgehen ließen. Wer wenig über diese Anschläge weiß, soll und kann sich im Zuge der Lektüre von Tod eines glücklichen Menschen darüber informieren. Giorgio Fontana hat mit seiner Hauptfigur Giacomo Colnaghi einen zutiefst gläubigen Staatsanwalt geschaffen, der zwischen seiner Aufgabe und den Schatten seiner Vergangenheit regelrecht zerrieben wird. In Rückblenden wird das Schicksal von Colnaghis Vater erzählt, der für die einen ein Held und für die anderen ein Dummkopf ist. So gesehen ist dieser Roman ein zutiefst politischer, dessen Brisanz heruntergebrochen wird auf ein Einzelschicksal. Er ist zugleich sehr typisch italienisch und sehr melancholisch: Es wird viel nachgedacht, viel aufgewühlt und viel Trauer sowie Verzweiflung verspürt. Gute Wendungen oder gar ein Happy End sind nicht vorgesehen.

Der Staatsanwalt und der Terrorist sind nicht – wie der Klappentext suggeriert – Gegenspieler, denn ihr „Dialog“ findet nur in der Theorie bzw. in Colnaghis Fantasie statt. Es ist ein stetes Kreisen um Motive und Gerechtigkeit. Zwischendrin hat das Buch einige Längen, bei denen ich mich dann doch sehr gelangweilt habe, zudem sind Fontanas eher dröger Stil und ich keine besten Freunde geworden. Das macht das fulminante Ende jedoch wieder einigermaßen wett, das mich trotz vielerlei Hinweise überrascht hat. Tod eines glücklichen Menschen ist definitiv nicht perfekt, es schwächelt, aber es kann auf hohem Niveau gut unterhalten – und den Leser auch noch weiterbilden.

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Tod eines glücklichen Menschen von Giorgio Fontana ist erschienen bei den Hanser Literaturverlagen (ISBN 978-3-312-00664-9, 256 Seiten, 20,50 Euro). Ein Interview mit dem Autor könnt ihr hier lesen.

Kleine Köstlichkeiten: 4 Sterne

„EsIMG_9068 ist nicht möglich, die eigene Haut ganz abzustreifen, in die von jemand anderem zu schlüpfen“
Foss ist dabei, als seine Mutter stirbt, er sieht, wie sie stürzt, als er sie im Altenheim besucht. Er ist geschockt und traurig und vergräbt sich noch weiter in dem Loch, in dem er seit dem Unfalltod seiner Frau vor sich hin vegetiert. Einst war er ein bekannter Fotograf, heute lebt er von den Tantiemen und verlässt seine Wohnung nicht mehr. Bis er sich nach Japan aufmacht, um Mr. Satoshi zu suchen. An ihn ist ein Päckchen adressiert, das sich in der Hinterlassenschaft der Mutter befindet und das ihr offenbar sehr wichtig war. Foss findet alte Briefe, geschrieben in den 1940er-Jahren, die zeigen, dass seine Mutter und Mr. Satoshi sich einst sehr geliebt haben. Doch er hat nie von ihm gehört, seine Mutter hat diesen Namen nie erwähnt. Was ist geschehen? Die Neugier und das Pflichtgefühl bringen Foss dazu, seine Angststörungen mit Tabletten zu unterdrücken, in ein Flugzeug zu steigen und in Japan nachzuforschen. Hilfe bekommt er dabei von der jungen, hübschen Chiyoko, die in einem Hotel lebt und arbeitet und sich gemeinsam mit Foss auf die Suche nach der Wahrheit über seine Mutter macht.

Jonathan Lee, 1981 geboren, hat mit Wer ist Mr. Satoshi ein sehr gefühlsbetontes Buch geschrieben über einen gebrochenen Mann, der nichts mehr vom Leben erwartet – und dann plötzlich doch noch so viel Lebenswertes entdeckt. Der englische Autor hat selbst einige Zeit in Tokio gelebt und sich dort zu diesem Roman inspirieren lassen. Seine Begeisterung für alles Japanische merkt man dem Buch deutlich an: Die ungewöhnlichen Sitten und Bräuche des Landes werden genau durchleuchtet, und es wird viel Sushi verspeist. Protagonist Foss ist ein völlig lethargischer Typ, der um seine verlorene Frau trauert und mit Panikattacken kämpft. Er ist ebenso orientierungs- wie antriebslos, das Ausmaß seiner Apathie zeigt sich zum Beispiel an diesem Dialog:„Ach komm, Fossy, du musst da rausgehen und für das kämpfen, was du willst!“
„Ich kämpfe ja.“
„Sieht aber nicht so aus.“
„Es spielt sich innerlich ab.“

Dass sich das japanische Mädchen an Fossy hängt und ihm hilft, ist mir ein Rätsel und ein recht unglaubwürdiger Aspekt an dem Buch. Aber es ist natürlich klar, dass es ohne Chiyoko nicht geht. Die Beziehung der beiden ist mysteriös und nicht unbedingt sexuell, was aber eher an den Tabletten liegt, die Foss nimmt. Die Aufklärungen, die am Ende des Romans warten, sind – das dürft ihr euch nicht erhoffen – nicht sonderlich überraschend. Sie sind vielmehr, da sie um Jahrzehnte zu spät kommen, sehr deprimierend. Wer ist Mr. Satoshi ist eine Geschichte über eine junge Liebe, die nie sein konnte, weil sie von einem schrecklichen Ereignis zerquetscht wurde, über eine Frau, die ihr ganzes Leben lang unter einem Verlust gelitten hat, und über ihren Sohn, der erst alles verlassen muss, um wieder zu sich selbst zu finden.

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Wer ist Mr. Satoshi? von Jonathan Lee ist erschienen bei btb (ISBN 978-3-442-75386-4, 320 Seiten, 14,99 Euro).

Und wer JETZT ein Exemplar von Wer ist Mr. Satoshi gewinnen möchte, schreibt mir hier einfach als Kommentar eine Antwort auf die Frage: Was ist für dich typisch japanisch? Über den Gewinner entscheidet das Los, und Zeit zum Mitmachen habt ihr bis Freitag, 14. August. Ich bin gespannt und wünsche viel Glück!

High Five

IMAG1045Wenn ich eine Figur aus einem Roman wäre, dann Blanca aus Das Geisterhaus. Immer wenn ich dieses Buch lese, bin ich berauscht von der Sprache, in jedem Satz steckt so viel Leben, so viel Kraft. Und all das steckt auch in Blanca, sie ist eine Kämpfernatur und das bewundere ich. An manchen Tagen steckt viel Blanca in mir, an anderen weniger.

Ich ordne meine Bücher nicht, ich verteile sie überall in meiner Wohnung, neben meinem Nachtschrank, unterm TV-Tisch. Und ohne Buch gehe ich nicht aus dem Haus, schon gar nicht im Urlaub.

Das Cover meines aktuellen Buches ist rätselhaft, mysteriös. Warum hält die Braut ein Messer? Ich weiß es nicht! Oder doch? Immerhin habe ich Erfahrung mit türkischen Schwiegermüttern 🙂 Spaß beiseite, die Braut steht für das Gute, aber das Messer ist ein Symbol für die Kehrseite der Medaille, denn der Teufel steckt im Detail. Das Messer steht für das Böse, die dunkle Seite.

Viel zu selten verwendet wird das Wort Liebe. Und Seele. Dankbarkeit. Ich höre selten, dass jemand sagt, er oder sie wäre dankbar für etwas. Sehr schade, oder?

Das Buch meines Lebens ist nicht mein erstes Buch Rache auf Türkisch sondern Tränen sind immer das Ende von Akif Pirincci. Ich wollte, seit ich denken kann, schreiben, aber ich hatte meinen Stil nicht gefunden. Worüber sollte ich schreiben? Welche Worte sollte ich benutzen? Die Worte wirbelten in mir, aber erst nachdem ich Akifs Buch gelesen hatte, begriff ich das wesentliche: Schreibe über das, was du fühlst, was du erlebt hast. Ich vergaß alle Regeln, alle Raster und Vergleiche mit anderen Autoren, von da an schrieb ich mir, auf gut Deutsch gesagt, meine Texte von der Seele.

IMG_8476Askim Utkuseven, geboren in Istanbul, lebt seit 1972 in Deutschland und arbeitet als Erzieherin. Ihr erstes Buch Rache auf Türkisch ist eine Sammlung amüsanter Kurzgeschichten, die mit türkisch-deutschen Klischees spielen (ISBN 978-3-86327-025-4, 160 Seiten, 15,90 Euro).

 

Bücherwurmloch

IMG_4687Und schon wieder weg!
Ich gebe ja gern das ganze Geld, das ich nicht habe, fürs Wegfahren aus. Nach Sant’Andrea, Barcelona und Mailand folgt nun mein vierter (und leider letzter) Urlaub in diesem Jahr: Wir bleiben in Österreich, im Ausseerland, und machen es uns auf einem kleinen Bauernhof gemütlich, wo die Kinder toben und spielen können. Rundherum gibt’s zahlreiche Seen und Wanderwege. Und ich hoffe natürlich, ein bisschen Zeit zum Lesen zu finden!
Es grüßt und küsst
Mariki

Außer Konkurrenz, Gut und sättigend: 3 Sterne

IMG_8947„Besonders erregend ist das Küssen in der Schlange der Zahnklinik“
Ich rede oft und viel über Sex. Ich bin absolut schamlos und ziemlich tabubefreit. Man könnte auch sagen, ich sei vulgär. Aber: Ich lese nie über Sex. Keine erotische Literatur – zumindest nicht absichtlich und bewusst, es kann natürlich sein, dass in einem Buch mal gevögelt wird. Dann fand ich allerdings den Titel von Marinotschka, du bist so zärtlich irgendwie cool. Und hab mir gedacht: Warum nicht, probierst du eben mal was Neues aus. Jetzt ist es so, dass ich das Buch gelesen habe. Und ja, es geht um Sex. Es geht sogar ausschließlich um Sex. Bloß gibt es keine zusammenhängende Geschichte – und deshalb fällt’s mir eher schwer, euch Bericht zu erstatten über den Inhalt. Und immer, wenn das der Fall ist, lasse ich das Buch selbst sprechen. Aber eins noch vorweg: Die russische Autorin Marina Lioubaskina schreibt witzig, rührend und einigermaßen tabulos, völlig bunt zusammengewürfelt; sie unterbricht die Erzählfragmente immer und immer wieder, um Lyrische Exkurse – L. E. genannt – einzufügen, und hat stets einen sarkastischen Unterton. Ich hab nicht die geringste Ahnung, was sie mir mit all dem sagen will. Vielleicht einfach nur, dass es Sex gibt auf dieser Welt – und dass der eben manchmal gut und manchmal schlecht ist. Das klingt dann so:

„Er hat mich mit der Peitsche geschlagen, obwohl wir das nicht vereinbart hatten. Ich bin nicht masochistisch veranlagt. Na, vielleicht ein ganz kleines bisschen. Aber das heißt noch lange nicht, dass irgendein Dahergelaufener sich einfach so erlauben kann, mich mit der Peitsche zu bearbeiten. Elender Mistkerl, blödes fettes Schwein!“

„Nastja, du hast recht, wenn man die Härchen um die Brustwarzen herum ausreißt, statt sie abzurasieren, kommen sie nicht so schnell wieder.“

„Paschka vögelte mich immer in fremden Wohnungen, auf fremden Betten, fremden Sofas, Klappsesseln, ausziehbaren Couches, bezogen mit bereits benutzter Bettwäsche, manchmal einfach auf dem Boden, auf einem staubigen, mit Krümeln übersäten Teppich. Im Sozialismus war das so üblich.“

„Drängen und Dringen in mich hinein, sein Finger holt die Feuchtigkeit aus meinem Inneren hervor und tränkt mit dieser Feuchtigkeit den erregten zentralen Punkt meiner weiblichen Existenz, Wogen, Wogen bis zur Erschöpfung, meine Hand weicht zurück und dringt voller Kraft, mit der gesamten Handfläche zur feuchten Quelle vor, gleitet durch die Spalte der nachgebenden Felsen-Beine, mehr! mehr! mehr! MEHR! MEHR! MEHR! MEHR! MEHR!“

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Marinotschka, du bist so zärtlich von Marina Lioubaskina ist erschienen im konkursbuch Verlag (ISBN 978-3-88769-676-4, 256 Seiten, 14,90 Euro).

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Gut und sättigend: 3 Sterne

IMG_8946„Wenn wir nicht tanzen, sterben die Menschen trotzdem“
Auf der Suche nach einem Geschenk für seine Freundin Lisa findet der Journalist Elias Ehrenwerth einen alten Koffer aus Leder. Die Initialen L. W. passen erfreulicherweise zu Lisa. Doch als er entdeckt, dass der Koffer einst einem gewissen Leonard Weinheber gehörte, wird Elias neugierig: Wer war das? Ist er noch am Leben? Er liest alte Briefe und ein geheimnisvolles Manuskript. Schnell wird dabei klar, dass Weinheber als Jude 1939 Deutschland Richtung Palästina verließ – nicht freiwillig. Aber kam er dort jemals an? Elias will Antworten – und reist selbst nach Palästina …

Weinhebers Koffer ist ein kleines Buch aus dem kleinen Dörlemann Verlag, einzig die Geschichte ist nicht klein: Sie handelt von einer großen Liebe. Von Verfolgung, Berufsverbot und Gefahr. Von den Problemen in Israel und vom Lauf der Geschichte, die uns alle beiseite wischt und bedeutungslos macht. Der Schweizer Autor Michel Bergmann, selbst 1945 als Kind internierter jüdischer Flüchtlinge geboren, lebt in Berlin und hat von Filmen über Romane bereits viele Werke vorzuweisen. Er erzählt in einem recht schnellen, fast schon atemlosen Tempo von einem Mann auf der Suche nach einem anderen. Protagonist Elias, der Ich-Erzähler, wandelt auf den Spuren von Weinheber, der ein großer Schriftsteller hätte werden können in einer anderen Zeit. Fasziniert von Weinhebers Manuskript und den Briefen seiner Liebsten, taucht Elias ein in die Vergangenheit. Allerdings leider nicht allzu tief, denn auf den gerade mal 140 großzügig gesetzten Seiten entwickelt sich kein Epos, kein vielschichtiger Generationenroman, das Thema wird sehr einfach behandelt, mit klaren Worten und klaren Emotionen. So bleibt Weinhebers Koffer ein kleines Lesevergnügen – aber ein feines.

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Weinhebers Koffer von Michel Bergmann ist erschienen im Dörlemann Verlag (ISBN 9783038200161, 144 Seiten, 17 Euro).

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Noch mehr Futter:
– „Michel Bergmann hat eine besondere Gabe, die sicherlich auch seinem Erfolg als Drehbuchschreiber zuzuordnen ist: er kann in verschiedenen Ebenen, Sprachstilen und äusserst pointierten Dialogen schreiben“, schwärmt der Durchleser.
– „Unvergessen ist das Gefühl, welches ich hatte, als ich das erste Mal diesen schmalen und mit blauem Leinen wunderschön gestalteten Band in der Hand hielt. Etwas unwiderstehlich Geheimnisvolles strahlte von ihm aus“, erzählt Masuko13 auf We read Indie.
– „Dieser kurze, und auf den ersten Blick recht unscheinbare Roman flößt einem beim Lesen soviel Angst und Schrecken ein, dass man im ersten Moment froh ist, damals nicht gelebt zu haben“, heißt es bei Frauhauptsachebunt.

Kleine Köstlichkeiten: 4 Sterne

GiordanoIn der menschgemachten Hölle
Afghanistan. Ein von Taliban kontrolliertes Tal. Und eine Handvoll junger Soldaten – von denen nicht alle lebend hier rauskommen werden. Da ist der Militärarzt Egitto, der längst schon nach Hause könnte, aber nicht will. René ist der verantwortungsbewusste Zugführer, Cederna der Macho und Piesacker, Ietri der unschuldige Jungspund. Als einzige Frau hat die Soldatin Zampieri, in die Jungfrau Ietri sich verliebt, es nicht einfach in der Kompanie. Zusammen mit vielen anderen durchleben sie in Afghanistan eine prägende Zeit zwischen lähmender Langeweile und nervenzerreißender Todesangst. Manch einer muss sterben. Und die, die am Leben bleiben, werden niemals so sein wie zuvor.

Der italienische Autor Paolo Giordano, 1982 geboren, hat in jungen Jahren mit Die Einsamkeit der Primzahlen einen internationalen Bestseller gelandet, der mit dem renommierten Premio Strega ausgezeichnet und zudem verfilmt wurde. Ich hab ihn damals gelesen und sehr gemocht. Für sein zweites Buch hat der Italiener sich dann fünf Jahre Zeit gelassen, und er hat sich dafür ein Setting ausgesucht, das schon per se nach großen Gefühlen und Drama schreit: junge Soldaten in Afghanistan. Was treibt sie an, was suchen sie in diesem wildfremden, gefährlichen Land, und wie leben sie dort? Wie Paolo Giordano davon erzählt, wirkt – nicht, dass ich es wirklich beurteilen könnte – recht authentisch und glaubwürdig. Die Fadesse im Lager, die kleinen Machtspielchen der Kameraden, die Freude auf ein bisschen Nervenkitzel, die grenzenlose Naivität. Seine Protagonisten sind wie Kinder, die Krieg spielen – und als der Krieg sie plötzlich einholt, sie umzingelt, sie abknallt und einkassiert, sind sie erschrocken, denn so haben sie sich das nicht vorgestellt. Danach folgt erst mal Leere, ein Trauma, ein grenzenloses Verlustgefühl. Keiner der Überlebenden kann dort anknüpfen, wo er vorher aufgehört hat.

Meisterhaft ist Der menschliche Körper nicht. Gut zu lesen schon. Es ist in einer klaren, soliden Sprache geschrieben, gebaut wie ein schön verfugtes Mauerwerk. Es macht Sinn, hat eine intakte Erzählstruktur und geht in die Tiefe. Trotzdem hätte ich mir ein wenig mehr Ecken und Kanten gewünscht, mehr Risse, mehr Ausbrüche aus der geradlinigen Form. Es kommt mir vor, als habe Paolo Giordano mit seinem Zweitling kein Risiko eingehen wollen. Das hat er einerseits gut gemacht, andererseits ist es ein wenig schade. Dennoch ein sehr lesenswertes, intensives, melancholisches Buch. Empfehlung!

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Der menschliche Körper von Paolo Giordano ist erschienen bei rororo (ISBN 978-3499255083, 416 Seiten, 19,95 Euro, aber auch als Taschenbuch erhältlich).

Bücherwurmloch

IMG_45761. Ich bin zuständig. Und zwar für: gesunde Kindergartenjause, vollgekackte Windeln, sauberes Gewand, Rotznasen, Schnittwunden, Hunger, saubere Haut, Gute-Nacht-Geschichten, Höhlen aus Decken und Polstern, verrückte Plastilinfiguren, saubere Zähne, Huuunger, Spielplatzdates und, und, und.

2. Wenn ich nicht zuständig bin, muss ich arbeiten. Das sind die Tage, an denen ich niemanden tragen muss und allein aufs Klo gehen kann. Dafür warten Kundentermine, Brainstormings, Headlines, Imagefolder, Websites und Manuskripte.

3. Dazwischen muss ich einkaufen, Wäsche waschen, putzen, aufräumen, kochen, bügeln, einen Weg durchs Spielezimmer bahnen, bügeln, noch mehr aufräumen, Freunde trösten, Freunde treffen, Geschenke besorgen und meiner Mama am Telefon zuhören.

4. Die Ausführungen von eins bis drei zeigen: Ich habe keine Zeit. Und zwar nicht so wie früher, als man das halt so gesagt (und auch gedacht) hat. Sondern wirklich nicht. Ich muss manchmal so viel erledigen und es wurlt derart in meinem Kopf, dass es TILT macht und mein Körper wie erstarrt stehenbleibt, weil er nicht weiß, wo er anfangen soll. Hätte ich einen Mamablog, könnte ich über eins bis drei schreiben und euch Geschichten erzählen wie jene, dass sich Kind 2 gestern in den Obstsalat gesetzt hat. Aber nein! Es mussten ja Bücher sein.

4. Kleine Kinder sind laut. Und anstrengend. Und fordernd. Ich stehle mir die Zeit zum Lesen, zwacke sie minutenweise ab, mittags mal 30 Minuten, abends noch schnell eine Stunde. Meine Zwerge schlafen leider beschissen schlecht, und Kind 2 steht abends gern bis zu 17 Mal auf, bis endlich Ruhe ist. Ein Leseabend auf der Couch: Fehlanzeige. Bloggen: ebenso.

5. Ich kann keine Lesungen besuchen, nicht zu Autorentreffen in andere Städte reisen und heuer auch nicht auf eine zweite Buchmesse fahren: Der logistische (und finanzielle) Aufwand ist einfach zu groß. Deshalb bin ich mit meinem Blog weniger präsent, schlechter vernetzt und kann all diese Inhalte auch nicht anbieten.

6. Ich kann keine Artikel schreiben, die viel Rechercheaufwand verlangen, keine Interviews machen, in die ich viel Zeit investieren muss, mich nicht übermäßig an den Facebook-Bloggergruppen oder an Booksentence beteiligen. Ich kann mich nicht als Buchpreis-Blogger anbieten, keine Debatten führen und keine Themen aufgreifen, die die Branche bewegen – mir fehlen schlicht und ergreifend die Kapazitäten. All das verlinke ich maximal auf Facebook und schiele neidisch zu meinen Bloggerkollegen, die um ein Vielfaches engagierter sind als ich.

7. Unter dem Zeitmangel leidet die Qualität. Ich lasse Kind 2 manchmal eine halbe Stunde Barbapapas schauen, um eine Besprechung schreiben zu können. Oder ich nutze den Leerlauf zwischen zwei Terminen in meinem Büro. Ich muss dabei sehr effizient sein und wahnsinnig schnell. Ich habe keine Zeit, um zweimal über eine Formulierung nachzudenken oder nochmal an allem zu feilen. So, wie es rauskommt, so steht es dann da. In einem Mamablog wäre das witzig. Bei Büchern ist es das nicht.

Aber: Ich liebe nun mal Bücher. Es hilft nix. Ich will bloggen. Deshalb ist es nur fast unmöglich, aber nicht ganz. Ich mache es möglich, irgendwie. Und: Es wird besser werden. Irgendwann werden beide in den Kindergarten gehen, später selbst lesen können und sich bei Bedarf was aus dem Kühlschrank nehmen. Bis dahin halte ich einfach durch. Und wische Obstsalat vom nackten Popsch.