Netter Versuch: 2 Sterne

“Ich glaube, ich bin eine Biene, die durch den Supermarktgarten fliegt”
Ein Mann geht einkaufen im Supermarkt. Und da ereignet sich etwas, das man vielleicht bemerkenswert nennen könnte: Er wählt vier Äpfel aus, die zusammen genau 1000 Gramm wiegen. Deshalb erwacht in ihm die Hoffnung, dieser Tag möge ein besonderer sein. Das täte ihm gut, geschieht doch sonst herzlich wenig in seinem Leben, seit L. ihn verlassen hat. Und wie er so durch den Supermarkt spaziert, sich seine Gedanken macht über die Farbe von Strumpfhosen, über Werbung und bunte Verpackungen und über die Möglichkeit, selbst verwurstet zu werden, wird er ganz philosophisch, verliert sich in Überlegungen: “Und der Tod, so kommt’s mir vor, schiebt seinen Einkaufswagen neben mir. Und legt die Leben, die er nimmt, hinein. Und an der Kasse muß er nicht bezahlen.”

Vier Äpfel ist ein Roman auf Sparflamme: Nicht nur wegen der gerade mal 158 luftig gesetzten Seiten, sondern vor allem inhaltlich. Ein Mann geht einkaufen und – na ja, und nichts. Viel braucht er nicht, lebt er doch allein, seit L. weg ist, an die er noch voll Wehmut denkt: “Nur L. war perfekt, an ihr hat mich gar nichts gestört, aber das ist eine Lüge der Erinnerung.” Leider erzählt er dem Leser aber viel zu wenig von L., als dass man einen Einblick in diese zu Ende gegangene Beziehung gewinnen könnte. L. bleibt eine Schattenfigur, der keine tragende Rolle mehr zukommt. Worüber also kann man sich während des Einkaufens den Kopf zerbrechen? Über die guten alten Zeiten, in denen Oma noch selbst ihr Obst erntete und einkochte, über Single-Shopping mit Flirtmöglichkeit, über Preisaktionen. In Fußnoten bringt David Wagner durchaus interessantes Allgemeinwissen unter die Leser, beispielsweise über den Erfinder der Fischstäbchen oder des Drehkreuzes. Mir persönlich ist das aber alles zu wenig für ein lesenswertes Buch, Vier Äpfel ist mehr eine Momentaufnahme, das Festhalten eines Einkaufs zur heutigen Zeit. Das ist recht nett, aber nicht mehr, hat keine Tiefe und – so viel nehme ich vorweg – erfüllt die Hoffnung nicht: Die Frage, ob das Gewicht der vier Äpfel etwas Besonderes auslöst, lautet leider Nein.

Netter Versuch: 2 Sterne

Bei der Bibliophilin habe ich das Buch Rost von Philipp Meyer gewonnen – noch einmal herzlichen Dank!

Zwei Freunde und ein Mord
Isaac will weg aus der Provinz, aus der sterbenden Stahlstadt, die einst reich war und nach Schließung der Stahlwerke nur noch Arbeitslose beherbergt. Isaacs Schwester Lee hat sich schon vor Jahren aufgemacht zur Uni, deshalb ist er nach dem Selbstmord der Mutter mit seinem kranken Vater allein. Er stiehlt ihm Geld und macht sich zu Fuß auf den Weg, er will nach Kalifornien und studieren. Sein bester Freund Poe, der Footballspieler hätte werden können, aber nur bei seiner Mutter im Trailer herumhängt, begleitet ihn – nur ein Stück, wie er sagt. Doch kaum sind die beiden unterwegs, kommt es zu einem verhängnisvollen Zwischenfall, bei dem der schmächtige Isaac in Notwehr einen Obdachlosen tötet. Und der rabiate, zukunftslose Poe wird dafür verhaftet.

Rost ist ein Buch über Verlierer, über Menschen, die gescheitert sind, die ihre Arbeit verloren haben, die dem Alkohol verfallen sind und vor sich hin vegetieren. Der junge Isaac möchte diesem Schicksal entkommen, doch das Leben stellt ihm eine Falle und lässt ihn nicht aus. Philipp Meyer schreibt über eine Freundschaft zwischen zwei jungen Männern, die nach klassischem Schema verschieden sind – Isaac klein und schlau, Poe stark und dumm – und doch im Ernstfall zusammenhalten. Der eine steht für den anderen ein und verrät ihn nicht, auch wenn er dadurch selbst in Schwierigkeiten gerät. Schade ist jedoch, dass schon mit dem Klappentext der gesamte Inhalt erzählt ist, denn die Geschehnisse inklusive Verhaftung sind nicht der Auftakt, sondern die ganze Geschichte. Die Perspektiven wechseln zwischen Isaac – der sich irritierenderweise selbst oft mit Kleiner anspricht oder mit du –, Poe, Lee, Poes Mutter, dem Sheriff und Isaacs Vater. Sie alle berichten von ihrem verpfuschten Leben, keiner von ihnen ist glücklich.  

Da die Handlung extrem beschränkt ist, rückt die Sprache umso mehr in den Vordergrund. Und leider behagt mir Philipp Meyers Stil so gar nicht. Er schreibt sehr direkt, umgangssprachlich, rotzig. Das erinnert an DBC Pierre und Philippe Dijan. Die Erzählweise ist scheinbar distanziert und gleichgültig: „Denk an Poe, was macht der wohl gerade? Fickt wahrscheinlich deine Schwester. Oder liegt besoffen irgendwo herum. Und doch, er ist dir nachgestiegen in den Fluss. Und er ist auf deine Spritztour mitgekommen. Und hat mit der Schlägerei begonnen, ganz genau. Alleine wärst du besser dran gewesen.“ In dieser Art verlaufen Isaacs Gedanken. Details werden über Seiten ausgebreitet, es gibt viele penetrante Wiederholungen, was das Lesen recht zäh macht. Zudem bevorzugt Philipp Meyer abgehackte Sätze wie: „Er wachte eine Weile später auf. Tat alles weh. Kein Platz, sich mal zu strecken. Wurde langsam dunkel.“ Zwar streut er zwischendurch einige schöne und herausleuchtende Sätze ein, grundsätzlich aber ist mir die Tonart zu gehässig und gelangweilt.

Der Stil von Rost passt nicht im Geringsten zum moralischen Inhalt. Dazu besteht auch keine Verpflichtung, aber da weder die Handlung noch die Sprache herausragend sind, hat dieses Buch wenig Feuer. Mir wäre eine nachdenklichere, tiefergehende Erzählstruktur lieber gewesen, passend zu einer leeren Stadt und ebenso leeren Menschen. Die Protagonisten geben zwar Einblicke in ihr zerstörtes Innenleben – aber sie tun es auf so unverbindliche, uninteressante Weise, dass ich dem Autor das Drama hinter den Ereignissen nicht abkaufe.

Netter Versuch: 2 Sterne

Ein Lesefluss, in dem man ertrinkt
Die zurückhaltende Elisa ist Maklerin, und sie mag leere Wohnungen, schätzt Räume, Böden und Fenster mehr als Menschen. Zu sich selbst hat sie ein beinahe schizophrenes Verhältnis, sie findet sich hässlich und fühlt sich wie tot, eine Totgeburt ist sie in ihren Augen. Und doch träumt sie vom erfüllten Klischeeleben, von einem Mann, zu dem sie nach Hause kommen kann, von Kindern. Sie hat keine Stabilität, zieht immer wieder um, nirgends hält es sie: “Ich werde umziehen, gleich morgen, die Post stellen sie mir inzwischen mit einer solchen Selbstverständlichkeit zu, zum Kotzen”. Ein Therapeut kann ihr nicht helfen, er scheint es auch nicht zu versuchen, sie erzählt ihm, was er hören will, treibt ihre Späße mit ihm. Verschiedene Männer ziehen durch ihren Alltag, aber einen Widerhaken, um dranzubleiben und sich zu verlieben, bieten sie Elisa nicht. Anders könnte das vielleicht mit Georg sein, der in einem besonderen Fall ermittelt: Die Wohnungen der Maklerfirma werden eine nach der anderen von einem unbekannten Täter in Brand gesteckt …

Stillborn ist ein Ausnahmebuch, ein Strom, der den Leser von den Füßen reißt. Das liegt an der Flut von Worten, die über einem zusammenschlagen. Denn Michael Stavaric schreibt in einem unfassbar wortreichen Stil, er reiht Wörter und Sprachfetzen so aneinander, dass sich ein atemloser Sog ergibt, dass eine Wucht entsteht, der man kaum standhalten kann. Die Kommataste auf seiner Tastatur ist vermutlich völlig abgenutzt. Diese Schreibweise lässt den Roman hektisch werden, ruhelos und anstrengend. Klare Strukturen gibt es nicht, die Satzstellung ist stellenweise so verdreht, wie das Deutsche es zulässt. “Am Abend, wir treffen uns spontan, er, sie, ich, atmen, atmen gemeinsam, er atmet wie ein Mensch eben atmet, ein, aus, ein, aus, ich atme anders, es fühlt sich kalt an, kalt, tot” heißt es dann oder: “Herr Doktor, man lebt, lebt, arbeitet, atmet, macht seinen Job, gewinnt, verliert, lernt, lernt sich, ihn, sie kennen, verstehen, schätzen, kann gut mit Eltern, Tieren, aber man ist tot, tot innen drin, das ist viel schlimmer, das sieht keiner.”

Es ist schwierig, sich nicht in diesen Beschreibungen zu verirren, die Augen haben Probleme, diesen Wortaneinanderreihungen zu folgen und den Faden, der alles verbindet, zu erkennen. Ich bin jemand, der praktisch nichts anderes tut als lesen, und doch habe ich Mühe mit diesem Roman, immer wieder wirft es mich aus dem Lesen hinaus, ich muss zurückblättern, um vorwärts zu kommen. Die Protagonistin bleibt mir trotz der Einblicke, die sie zulässt, fremd, sie ist neurotisch und hat derart wenig inneres Gleichgewicht, dass sie kaum lebensfähig scheint. Dennoch muss man dem Autor zugestehen, dass er etwas gewagt hat, dass er versucht hat, das Leben so zu fassen, wie es manchmal ist: überbordend, belastend, eine unendliche Sammlung aus widerspenstigen Reizen. Dieses Buch zu lesen, ist, wie einen Fünf-Liter-Eimer Flüssigkeit mit einem Strohhalm auszutrinken, nur einzelne Wörter passen durch und oft verschluckt man sich. Stillborn hat mich fasziniert, aber begeistert hat es mich nicht.

Stillborn ist erschienen im dtv (ISBN 978-3-423-13915-1, 8,90 Euro).

Netter Versuch: 2 Sterne

“Once upon a time a book broke a family”
Als der Schriftsteller Arthur in London bei einem Unfall stirbt, ist nur die Amerikanerin Laurie bei ihm. Sie kennen sich nicht, und doch ist Laurie von Arthurs Tod erschüttert. Genauso wie seine Frau Martha und seine Kinder Luke und Rachel. Gemeinsam versuchen sie den Schock zu verarbeiten – jeder auf seine Weise. Als Kinderbuchautor hat Arthur es nicht sehr weit gebracht, seine Bücher sind unbekannt. Das ändert sich jedoch, als Laurie sie in die Finger bekommt und in ihrer Radiosendung vorstellt. Plötzlich bricht rund um die “Hayseed”-Serie ein Hype aus, die Bücher werden zur Pflichtlektüre, Merchandising-Produkte werden hergestellt, es kommt gar zu einer Verfilmung. Am schlimmsten ist das wohl für Luke: Er ist der Held der Geschichte rund um einen Jungen in Darkwood, dessen böser Gegenspieler ein gewisser Mr. Toppit ist. Seine Schwester Rachel hat dagegen mit einem ganz anderen Problem zu kämpfen: Sie kommt mit keinem einzigen Wort vor.

Die Geschichte in Mr. Toppit wird von Luke und Laurie erzählt. Im Mittelpunkt stehen Arthur, bereits verstorben, und seine Hinterlassenschaft in literarischer Form. Der Klappentext verrät, dass die Bücher die Familie zerstören und dass sie ein Geheimnis bergen, das besser unentdeckt bliebe … Schön formuliert, nur leider falsch. Zwar macht der Rummel um die Bücher der Familie das Leben schwer, von Zerstörung kann aber nicht die Rede sein. Martha ist ohnehin eine sehr distanzierte und lieblose Mutter, Arthur scheint auch niemandem so richtig abzugehen. Und was das Geheimnis betrifft, so liegt das eigentlich bereits im ersten Drittel des Buchs offen – und ich bin extrem enttäuscht, als mir klar wird, dass DAS, was ich längst wusste, der inhaltliche Höhepunkt sein soll. Das ist lahm! Vom Sprachlichen her ist Mr. Toppit durchaus solide geschrieben, keine stilistische Haubenküche, aber bodenständige Kost. Was die Geschichte aber eigentlich vom Leser will, bleibt unklar. Charles Elton schreibt von einem Jungen, der mit seiner Popularität kämpft, von einer dicken Radiomoderatorin mit einer lästigen Mutter, von Kinderbüchern, aus denen aber zu wenig zitiert wird, um ihren Kern zu verstehen. Das alles führt leider nirgendwo hin, eine Prämisse fehlt. Dies ist eine simple, seichte Erzählung. Der Autor hätte definitiv mehr aus seiner Idee machen können – mit einem spannenderen, mystischeren Buch. Die hervorragenden Kritiken bleiben für mich rätselhaft.

Einzig gutes Zitat: “If you aim high you can’t shoot yourself in the foot.”

Netter Versuch: 2 Sterne

Wenn einer sich selbst beim Leben nur zusieht
Eigentlich ist Rudi ja Schauspieler. Denn: “Nur als Schauspieler konnte er jedermann sein, folglich auch er selbst.” Allerdings sieht das außer Rudi niemand so. Deshalb studiert er, nachdem er mehrmals durch die Aufnahmeprüfung an der Schauspielakademie gefallen ist, Germanistik. Rudi ist überzeugt von sich – und gleichzeitig unsicher. Das kommt bei den Frauen nicht unbedingt gut an, weshalb Rudi zwar wechselnde, aber nur oberflächliche und kurze Beziehungen hat. Seine Heimatstadt Belgrad ist ihm zu eng, den Wehrdienst will er nicht leisten, er macht sich auf nach Budapest, wo er in einem Café jobbt. Er lernt viele Mädchen kennen, mit denen er sich vergnügt, die Namen tanzen nur so durch sein Leben. Konstanten gibt es bei Rudi nicht. Er entwickelt sich zum Schriftsteller und kommt nach Deutschland, er irrt ziellos umher, in seinem eigenen Leben scheint er nur Statist zu sein.

Dragan Velikic hat bereits acht Romane geschrieben, die in viele Sprachen übersetzt und mit Preisen bedacht wurden. In Das russische Fenster erzählt er von einem, der überzeugt ist von Fähigkeiten, die er gar nicht besitzt, der sich selbst sucht und gleichzeitig dafür sorgt, dass er niemals ankommen wird. Rudi füllt sein Leben nicht aus, er ist weder besonders interessant noch besonders langweilig. Eigentlich ist nichts an ihm der Rede wert. Und genau das ist mein Problem mit diesem Roman: Er bietet mir keine neue Erkenntnis, keine Reibungsfläche, schon der Einstieg ist völlig spannungsfrei. Es dauert über 80 Seiten, bis Rudi überhaupt ins Bild gerät, davor darf ein Nebencharakter schwafeln, der keinerlei Bedeutung für das Buch hat. Menschen, Orte und Namen  flirren vorüber. Ganz zum Schluss kommen Vater, Mutter, Freunde, Frauen irritierenderweise in Fragmenten zu Wort. Die Gespräche im Buch sind um Größe bemüht und bleiben gerade deshalb belanglos. Auch der Stil hinterlässt keinen bleibenden Eindruck. Im Gegenteil: Zum einen wird die Handlung extrem sprunghaft und nicht chronologisch erzählt, zum anderen sind die Sätze elendig lang und die Formulierungen trotz vermeintlicher philosophischer Ansätze trocken:

“Als er Jahre später in Gedanken jene Zeit durchging, die er in Budapest verbracht hatte, war er stets aufs Neue überrascht vom Mechanismus des Gedächtnisses, das nach einem Rudi unverständlichen Verfahren auch jene Tage, die öde und farblos waren, bewahrt hatte, indem es sie mit banalen Details kodierte, dem Geschmack von Maronen oder von Schokolade aus der Konditorei Dabos in Szentendre oder mit der Gestalt eines Alten, der neben Rudi in der Metro saß und ein Buch über Schmetterlinge las, wobei es ihm nicht gelang, seinen Schluckauf zu bändigen, oder mit dem blitzenden Blick der Kassiererin in der Apotheke am Blaha-Lujza-Platz oder mit den Augen einer anmutigen Alten im Wartezimmer des Zahnarztes in der Villányi-Straße.”
Wie die Kritiken zeigen, finden viele Leser das genial. Ich finde es einfach nur: Uff.

Netter Versuch: 2 Sterne

Kleine, harmlose Geschichte
Armand hat früher Philosophie unterrichtet. Jetzt ist er im Ruhestand und einsam. Seine Frau ist gestorben, seine Kinder wohnen weit weg und denken nur an sich selbst. Das Leben, so scheint es ihm, ist vorbei. Und es ist fast lächerlich, dass er sich so freut, als er Pauline im Bus kennenlernt: Sie hebt ihm seinen Stock auf und grüßt ihn freundlich. Diese oberflächliche Begegnung berührt ihn so sehr, dass er Pauline finden will. Und das gelingt ihm. Die Zwanzigjährige ist auf der Suche nach einer Familie und sieht in Armand gleich einen Großvater, den sie adoptieren könnte. Sie mögen sich und treffen sich. Doch ganz so einfach ist es dann doch nicht, wenn zwei so unterschiedliche Menschen zusammenkommen – und auch noch andere in ihrer beider Umfeld Ansprüche stellen.

Die letzte Liebe des Monsieur Armand ist eine angenehm zu lesende kurze Geschichte über eine nicht alltägliche Freundschaft, über die Erfahrung der Alten und die Unfähigkeit der Jungen, zuzuhören. Francoise Dorner zeichnet auf knapp 130 Seiten ein – aufgrund der Kürze nicht sehr tief gehendes – Porträt von zwei völlig verschiedenen Charakteren, die sich finden und einander für eine Weile begleiten. “Liebenswert und anrührend” nennt Die Welt dieses Buch, sentimental ist es, zum Schmunzeln bringt es, und für zwei, drei Stunden verschafft es dem Leser eine kleine Pause vom Alltag. Mehr kann man von diesem Roman nicht erwarten. Muss man aber auch nicht.

Netter Versuch: 2 Sterne

Wer witzig sein will, hat es schwer
Man teilt ja vieles im Leben. Aber selten seinen Humor. Was den einen zum Lachen bringt, lässt den anderen völlig unbelustigt. Und so hat man es als Autor, der amüsieren will, nicht leicht. Michael Niavarani ist einer der bekanntesten Kabarettisten Österreichs – im Fernsehen und auf der Bühne unterhält er mit patscherten Schmähs und teils raffinierten Witzen. Und dann hat er ein Buch geschrieben. Ob es lustig ist, daran scheiden sich die Geister: Er bekam viel Lob und Gelächter, aber auch kopfschüttelnden Hohn. Aber eins muss man Niavarani zugute halten: Immerhin hat er es gewagt und sich bemüht!

Vater Morgana handelt von einer deutsch-österreichisch-amerikanisch-schwedisch-britisch-persischen Familie, die – vermutlich verblüffende – Ähnlichkeit mit Niavaranis Familie hat. Die vielen Tanten, Cousins und weiter entfernten Verwandten sind über die ganze Welt verstreut. Wenn die Familienmitglieder sich treffen, ist es laut und hektisch und die Tische biegen sich unter den kulinarischen Köstlichkeiten. Es ist ein heilloses Durcheinander. Und als der Vater des Erzählers überraschend an Weihnachten stirbt, bricht das Chaos erst so richtig aus: Die Familie beschließt nämlich, der Großmutter den Tod ihres Sohnes zu verheimlichen, um zu verhindern, dass der Schock sie dahinrafft. Das ist auch anfangs gar nicht so schwer, da die Großmutter im weit entfernten Amerika weilt. Doch als sie sich anschickt, nach Wien zu kommen, um mit ihrem Sohn das persische Neujahrsfest Nowrouz zu feiern, haben die Heimlichtuer ein Problem.

So weit, so gut. Das war der Klappentext in anderen Worten – und im Prinzip schon der ganze Buchinhalt. Denn mehr geschieht nicht, die Ankunft der Großmutter steht erst ganz am Ende der 370 Seiten. Der Showdown wird sehr lange hinausgezögert, der Rest ist eine Verwirrkomödie im Stil der Peter-Alexander-Filme: viele Personen, viele Nebenhandlungen, viele kleine Geschichten in der großen. Das ist einerseits durchaus unterhaltsam, andererseits aber auch stressig. Die Story lässt ein wenig zu wünschen übrig, sie besteht aus eher schleppenden Dialogen und umfangreichen Beschreibungen der zahlreichen Protagonisten. Niavaranis Stil ist sehr mündlich, was mich nicht weiter stört, aber die Gags, die er seinen persischstämmigen Figuren in den Mund legt, locken mich nicht hinter dem Ofen hervor. Ab und zu muss ich schmunzeln, ja, aber lachen, nein. Was bleibt als Fazit? Gut gemeint, aber nicht gut geschrieben. Heiter, aber nicht witzig. Nett, aber nicht mehr.

Netter Versuch: 2 Sterne

Wie einfach es ist, zu verschwinden
Die 18-jährige Kim fährt vom Strand nach hause, zieht sich um und macht sich auf den Weg in die Arbeit an der Tankstelle. Dort kommt sie jedoch nie an. Schnell wird klar: Kim ist verschwunden. Ihr Vater Ed kann nicht warten, bis die Polizei etwas unternimmt, und zieht allein seine Runden auf der Suche nach Kim. Mutter Fran geht ebenso systematisch vor: Sie fertigt Flyer an und kontaktiert die Medien. Schwester Lindsay dagegen erstarrt vor Schreck. J. P., dessen Romanze mit Kim ohnehin mit dem Sommer zu Ende wäre, ist getroffen und schließt sich – wie Kims Freundinnen – der Suche an. Doch von Kim fehlt jede Spur.

In Alle, alle lieben dich zeigt Stewart O’Nan, wie einfach es ist, zu verschwinden – und wie ratlos Familie und Freunde zurückbleiben. Kim ist ein typisches All-American-Girl und stammt aus einem 08/15-Ort, wie es in diesem Land viele gibt. Es ist ihr letzter Sommer vor dem College, das Leben liegt glitzernd vor ihr. Das hört sich alles nach einer guten und spannenden Geschichte an – aber leider gelingt es dem Autor nicht im Geringsten, mich zu fesseln. Das liegt daran, dass Durchschnittskim mich ganz einfach nicht interessiert: Vor ihrem Verschwinden wird sie dem Leser kurz vorgestellt, aber diese Vorstellung bleibt so oberflächlich, dass diese Figur für mich nicht greifbar wird, an ihr ist nichts Besonderes. Das ist auch gar nicht Voraussetzung, denn es verschwinden tagtäglich normale, unbesondere Menschen aus normalen, unbesonderen Familien. Aber es führt dazu, dass Kims Verschwinden mir komplett egal ist. Das Lesen dieses Romans ist für mich daher so, als würde mir meine Nachbarin erzählen, die Tochter ihrer Cousine sei verschwunden – ich hätte selbstverständlich Mitgefühl, aber die Distanz wäre groß, ich wäre nicht betroffen. Stewart O’Nan schafft es nicht, in meinem abgebrühten Herzen Interesse für das Schicksal seiner Kim zu wecken, ich langweile mich entsetzlich.

Auch die eigentlichen Protagonisten – der Vater, der Mutter, die Schwester – bleiben für mich viel zu platt und facettenlos. Lindsay ist ebenso langweilig wie ihre Schwester, der Vater legt Aktion über seine Sorgen, die Mutter muss sogar betonen, dass sie hysterisch ist, weil man es sonst gar nicht merken würde. Schriftstellerisch gesehen ist Alle, alle lieben dich in meinen Augen keine Glanzleistung: Zwar gibt es einige wenige Satzperlen, die Dialoge aber sind unerträglich fad, die Metaphern haben einen Bart. Alle Ereignisse sind vorhersehbar und werden abgespult wie in einem Film nach Schema F: Die Suche allein im Auto in der Gegend, die Interviews im Fernsehen, das Chatten mit anderen betroffenen Müttern, die Gespräche mit der Polizei. Es gibt keine Wendung, die durch die Geschichte fährt wie ein Blitz, keine Figur, die heraussticht. Was ich vermisse, ist, durch den Roman hindurch das Erschüttern zu spüren, das durch diese Familie geht, das Verzweifelte, das Zermürbende, die panische Angst, die Vorwürfe, die schlaflosen Nächte. Viel zu schnell findet sich die Familie meiner Meinung nach mit dem Fehlen eines Mitglieds ab, Lindsay macht den Führerschein, die Eltern arbeiten ganz normal, alle feiern Geburtstag. Vielleicht kann man gar nicht anders reagieren in einer solchen Situation. Vielleicht aber – und das klingt gehässig, ich weiß – geht es der Familie wie mir: Kim ist verschwunden und keinen interessiert’s.

Netter Versuch: 2 Sterne

Spuk oder Hysterie? Eine Antwort in vier Akten
Constance hat den gesellschaftlichen Aufstieg geschafft: Der Wissenschaftler Joseph hat sie geheiratet, sie wohnt nun in einer noblen Gegend. Nach zahlreichen Fehlgeburten konnte sie ihm auch endlich ein Kind schenken: Tochter Angelica. Diese schläft nun seit rund vier Jahren im elterlichen Schlafzimmer – weil Constance jeden Annäherungsversuch ihres italienischen Gatten unterbinden will. Als er die Kleine jedoch in ein eigenes Zimmer verbannt, steigert Constance sich in eine Panik hinein, die sich zu einem regelrechten Wahn ausweitet: Zwischen ihr und Angelica scheint eine mysteriöse Verbindung zu bestehen, denn immer wenn Constance ihren nächtlichen Angreifer abwehren muss, trägt das Kind dieselben Verletzungen davon. Constance ist davon überzeugt, dass im Haus ein Dämon sein Unwesen treibt. Loswerden soll ihn Anne Montague, ein Medium. Die macht alles aber nur noch schlimmer …

400 Seiten lang quälen den Leser die Fragen: Ist Constance verrückt? Ist Joseph ein Kinderschänder? Was hat es mit den höchst dubiosen Vorgängen im Haus auf sich? Beantwortet werden sie alle am Schluss von demjenigen, der sich die ganze Zeit über hinter dem Ich-Erzähler verbarg. Ein schöner Schachzug, der nur leider bei genauerem Hinsehen keinen Sinn ergibt. Überhaupt sind die Ereignisse recht wirr und undurchsichtig, Arthur Phillips verbirgt viel und bringt sich dadurch selbst in die Bredouille, dass er nichts verraten darf, den Leser ja aber dennoch bei Laune halten muss. Das ist nur bedingt gelungen. Zwar bin ich die ersten 100 Seiten über durchaus gefesselt, mein Interesse lässt dann aber spürbar nach, was vermutlich auch daran liegt, dass die Geschichte aus vier verschiedenen Perspektiven erzählt wird und unnötige Längen hat. Constance ist eine wehleidige Frau ohne Selbstbewusstsein und eine eifersüchtige Mutter, die in einer Zeit lebt, in der Frauen nichts zu sagen, sondern nur ihrem Mann zu dienen haben. Leider geht sie mir ziemlich auf die Nerven, genau wie diese ganze sinnlose Story. Angelica hat sehr wohl gute Seiten, es ist einigermaßen spannend, ganz gut geschrieben und stellenweise thrillermäßig wie Der Exorzist. Für mich überwiegen aber die schlechten Seiten: Mir ist das alles zu geheimniskrämerisch, zu wirr, zu übertrieben, zudem kann ich die Protagonisten allesamt nicht leiden, weil sie sich so hysterisch verhalten.

Netter Versuch: 2 Sterne

Nette Idee, langweilige Umsetzung
Pharmavertreter Paul Eck hat seinen Vater seit 30 Jahren nicht gesehen. Die Eltern sind geschieden bzw. die Mutter ist längst tot, Vater und Sohn haben keinen Kontakt. Daher ist Eck überrascht, als ihn in Triest mit der nachgesendeten Post eine Einladung seines Vaters zum Segeln am Neusiedlersee erreicht. Er macht sich auf den Weg dorthin, doch während er erschöpft schläft, tobt ein Sturm über dem See – und Ecks Vater verschwindet spurlos. Polizei und Rettungsmannschaften durchforsten den See und die Umgebung nach ihm, Eck quartiert sich in einem Wohnwagen voller Silberfische ein und bleibt eine Weile am See. Er übernimmt die Vertretung für einen Kollegen und klappert mit seinem Medikamentenmusterkoffer die Ärzte in der Umgebung ab, die Tabletten schluckt er bei jeder Gelegenheit selbst, denn er ist süchtig danach. Obwohl er kein Interesse daran hat, den Vater zu finden, sucht er mit seinem Jugendfreund Robert nach ihm und spricht auch mit seiner Stiefmutter und seinem Stiefbruder. Am Ende löst sich alles auf – aber ein “Detektivroman” ist das trotzdem nicht.

Stellt sich allerdings die Frage, was es dann ist. Auf jeden Fall ist es leider recht langweilig. Pharmavertreter Paul Eck ist genauso, wie er sich anhört: uninteressant. Die Beziehung zwischen Vater und Sohn ist nicht existent, daher gibt es darüber auch nichts zu berichten. Sein Job ist öde, sein Leben unfassbar normal – wenigstens kommt er, was die Liebe betrifft, zwei Mal spontan zum Schuss, wobei er einmal dafür bezahlen muss. Auf spannende Elemente warte ich leider vergeblich. Gerhard Roth hat die Spannung dadurch, dass der Sohn sich nicht für das Verschwinden des Vaters interessiert, von vornherein gekillt. Dass Eck selbst verdächtigt wird, ist nur logisch und daher auch nicht besonders aufregend. Die “kriminellen Machenschaften”, die sich hinter den ganzen Ereignissen verbergen, sind … nun ja … gähn. Es gibt nicht viel über den Inhalt zu erzählen und daher auch nicht viel zum Buch zu sagen. Stilistisch erinnert es mich ein wenig an Arno Geiger und Peter Stamm, die ja beide recht gelobt werden, bei denen ich mich aber sauber gelangweilt habe. Das gilt auch für Der See.