„Beruhigend, endlich mit dem Himmel in Kontakt zu sein“
Der Vater von David Vann hat sich das Leben genommen, als David ein Kind war. Der Schriftsteller, der in Alaska geboren wurde und heute in Neuseeland lebt, widmet sich in all seinen Büchern dem Konstrukt Familie – und schreibt darüber so aufwühlend, dass man es nicht mehr vergessen kann. Zwei Bücher hab ich bisher von ihm gelesen, Dreck und Aquarium, und beide hallen heute noch, Jahre später, in mir nach. Weil sie so hart und brutal sind, so verstörend, grenzwertig und schmerzhaft. David Vann fragt in seinen Romanen nach Schuld, nach den Konsequenzen für unsere Taten, nach der Verantwortung, die wir für jene haben, die wir lieben. Auf diese Fragen findet er ungewöhnliche Antworten. David Vann haut einem mitten ins Gesicht. Wo andere wegschauen würden, blickt er umso genauer hin. Und was er da findet, ist bei aller Grausamkeit unerträglich realistisch.
Das gilt besonders für sein neuestes Werk: Momentum ist wohl so realistisch, wie es nur sein kann, denn darin schreibt David Vann aus der Sicht seines Vaters über dessen Selbstmord. Er hat die letzten Wochen, in denen sein Vater noch gelebt hat, zum Inhalt eines Romans gemacht: den inneren Kampf, die Therapiestunden, die Gespräche mit dem Bruder, also Davids Onkel, das bittere Ende.
„Ich weiß nie, ob die Wellen schon da sind. Man kann sie nicht hören, bis sie auf einmal ganz nah sind. Man kann sie nicht sehen, weil es Nacht ist. Die Stürme kommen immer nachts.“
Wie schafft man es, das zu Papier zu bringen? Wie kann es einem gelingen, sich in den eigenen Vater hineinzuversetzen, der einen alleingelassen hat? Wie rekonstruiert man die Dialoge, wie seziert man diese Gefühle? Besonders intensiv sind in dieser Hinsicht für mich die Szenen, in denen Jim, der Vater, etwas mit seinen Kindern unternimmt. Wie er sie liebt, wie sie ihm aber auch eine Last sind. Wie er, sogar während er mit ihnen zusammen ist, ständig nur an die Pistole denkt, die sein Elend beenden soll.
„Wir fahren jetzt zu deinen Kindern. Denk an sie in der Nacht. Stell sie dir ohne Vater vor, für den Rest ihres Lebens.“
Momentum ist ein heftiges, ein mutiges Buch. Ein Buch über Depressionen und psychische Erkrankungen, über Hilflosigkeit, über Schmerz. Es ist ein Roman und zugleich ein Tatsachenbericht, der aufzeigt, welche Wunden die eine Generation in der nächsten schlägt. Es ist ein Buch, wie nur David Vann es schreiben kann.
Momentum von David Vann ist erschienen bei Hanser.
Von David Vann las ich bislang noch nichts, aber deine Beschreibung macht mich neugierig. Welches der drei bisher von dir gelesenen Bücher würdest du zum Einstieg empfehlen?
Ich glaube, das spielt eigentlich keine Rolle … auf jeden Fall nicht mit Momentum 😉
Danke, dann lass ich vielleicht den Zufall in der Buchhandlung entscheiden 🙂