Gut und sättigend: 3 Sterne

Marianne Jungmaier: Das Tortenprotokoll

Jungmair„Ich frage mich, ob es gesund ist, zu leben, wo andere sterben“
„Schweigen ist ein Talent in dieser Familie, von Generation zu Generation weitergegeben, es wird hier beherrscht wie nirgendwo sonst. Um dieses Schweigen zu verstehen, brachte ich mir eine Kartografie bei, machte mir Landkarten und Pläne, für Großmutter, Mutter und Vater, um Blicke, Handbewegungen und Körperhaltungen zu deuten.“ Auf diese Kartografie muss die junge Friederike zurückgreifen, als sie aus Berlin ins heimatliche österreichische Dorf zurückkehrt, weil die Großmutter gestorben ist. Obwohl Friederike keine gute Beziehung hatte zu der Frau, die sie als schweigsam und wenig liebevoll in Erinnerung hat, ist sie traurig. Sie findet es schrecklich zuhause: „Nichts ist so trostlos wie ein Winter in diesem Dorf, die schwarzschattigen Umrisse der Bäume geben mir Recht.“ Zu den Eltern und zur Schwester hat sie keinen Bezug, und deren Schweigsamkeit bestätigt sie darin, dass es richtig war fortzugehen. Einzig Tobias ist ihr ein Anker, Tobias, den sie schon geliebt hat, als sie noch zu jung dafür waren und den sie dann ohne ein Wort des Abschieds verlassen hat. Noch trauriger wird Friederike, als sie Briefe findet, versteckt von der Großmutter, die offenbar einen Liebhaber hatte – heimlich. Wer war er? Und warum durfte das niemand wissen?

Die junge österreichische Autorin Marianne Jungmaier, 1985 geboren, hat in ihrem Erstling – dessen Cover ich sehr schön finde – die Melancholie zwischen zwei Buchdeckeln eingefangen. Ihr Roman ist eine Ode an die Traurigkeit, an die Vergänglichkeit, an das ungelebte Leben. Sie hat eine Familie kreiert, die einfach nur existiert – ohne Zusammenhalt. Man liebt sich mit Süßspeisen, Torten und Cremen, nicht mit Worten und Gesten. Protagonistin Friederike kehrt – ein klassisches Romansetting – für ein Begräbnis nachhaus zurück, wo sich nichts verändert hat, und entdeckt das geheime Doppelleben der Großmutter. Das Rätsel ist bald gelöst, die Liebesgeschichte ist simpel und passend und süß. Alles ist schön formuliert und fein austariert, wenn auch vielleicht ein bisschen zu gewollt. Die allzu betonten Wiederholungen waren mir ein wenig zu viel, das Schweigen, die Mehlspeisen, das Trostlose. Vermisst habe ich an diesem Buch irgendeine Art von Entwicklung: Friederike verhält sich exakt wie ihre Familie – und merkt es nicht. Sie lebt ihre Liebe zu Tobias nicht, sie schweigt ihn an, sie schweigt die Eltern an – und hält sich für was Besseres, weil sie flieht. Ein Erkenntnismoment, ein inneres Vorankommen hätte ihr gutgetan, und dem Roman auch, aber einen Konflikthöhepunkt gibt es nicht, auch kein Auflösen der Situation. So bleibt er ein Abbilden, eine Momentaufnahme, ein Stillleben. Aber immerhin ein gut lesbares.

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Das Tortenprotokoll von Marianne Jungmaier ist erschienen im Verlag Kremayr & Scheriau (ISBN 978-3-218-00996-6, 208 Seiten, 19,90 Euro).

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