Gut und sättigend: 3 Sterne

hurley„Der Tod hat das Timing eines grottenschlechten Komikers“
„Doch so öde und nichtssagend The Loney auch wirken mochte, es war ein gefährlicher Ort. Ein rauher, nutzloser englischer Küstenstreifen. Die tote Mündung einer Bucht.“ Dennoch kommt eine Handvoll gläubiger Katholiken jedes Jahr hierher, darunter der junge Tonto. Treibende Kraft ist seine Mutter, die durch das Aufsuchen der heiligen Stätten von The Loney erreichen will, dass Tontos Bruder Hanny von seiner Krankheit geheilt wird. Er spricht nicht, teilt sich nur durch Symbole mit, ist äußerlich fast ein Mann und innerlich noch ein Kind. Dieses Mal kommen sie mit ihrem neuen Pfarrer, weil Father Wilfred gestorben ist – unter mysteriösen Umständen. In den Augen von Tontos Mutter macht dieser neue Pfarrer jedoch alles falsch. Das ist aber längst nicht das Schlimmste, denn bei diesem Aufenthalt in The Loney läuft wirklich alles schief. Tonto und Hanny geraten in große Gefahr. Und dreißig Jahre später legt ein Erdrutsch plötzlich eine Babyleiche frei …

Was für ein beklemmendes und zutiefst aufwühlendes Buch! Allein der Ort, den der englische Autor Andrew Michael Hurley gewählt hat, und der Name, den er ihm gibt, geben Anlass für Gruselmomente. Ein trostloser Küstenstreifen, an dem die Flut regelmäßig Menschen in den Tod zieht, ein Haus mit einem verriegelten Zimmer, in dem Kinder gestorben sind, eine Mutter, deren Glaube schon an Wahn grenzt, ein toter Pfarrer, ein zurückgebliebener Sohn und mehrere zwielichtige Männer – das sind die Zutaten, aus denen Hurley sein Süppchen kocht. Was er serviert, könnte ein Thriller sein, ist aber keiner – zumindest kein klassischer, dazu ist das Buch zu melancholisch, zu sanft. Spannend, mitreißend, düster und rätselhaft ist es aber allemal.

Hurley hat einen Teenager zum Erzähler gemacht, der sich dreißig Jahre später an die Ereignisse von damals erinnert. Zwei Eigenschaften hat sein Roman an sich, die ich persönlich nicht mag: Er springt zwischen den Zeiten hin und her, wechselt abrupt von Vergangenheit zu Gegenwart und zurück, enthält aus dem Zusammenhang gerissene Vorausblenden, die in meinen Augen viel von der Spannung zerstören. Zudem werden nicht alle Fragen beantwortet, und ich kann es nicht leiden, wenn ein Buch mich ratlos zurücklässt. Nichtsdestotrotz ist Loney ein Roman, der mit Originalität und einer beeindruckend gespenstischen Atmosphäre punktet. Etwas in der Art hab ich noch nie gelesen, und ich geb es zu: Gegruselt hab ich mich auch.

Bestes Zitat:

„Pfarrer sind wie Ärzte. Sie wissen, dass man sie über Dinge belügt, von denen man meint, sie würden sie enttäuschen.“

Loney von Andrew Michael Hurley ist erschienen bei Ullstein (ISBN 9783550081378, 384 Seiten, 22 Euro).

Kleine Köstlichkeiten: 4 Sterne

fuerstenberg„Das, was vor mir lag und Zukunft hieß, war eine Ansammlung hässlicher Wahrscheinlichkeiten“
Johanna stammt aus der DDR, aber eigentlich auch nicht. Sie war erst zwei Jahre alt, als die Mauer fiel, und hat keine Erinnerung an das Leben hinter dieser Mauer. Die DDR-Witze ihres Ausbildners Reiner findet sie deshalb nur bedingt lustig. Reiner bringt Johanna das Straßenbahnfahren bei, und das will sie eigentlich bloß lernen, weil ihr sonst nichts einfällt – und weil ihre Mutter es nicht gut findet. Die hat Johanna allein aufgezogen, nachdem der Vater Jens ohne ein Wort verschwunden ist. Hat er rübergemacht? Hatte er eine zweite Familie? Wieso hat er nie von sich hören lassen? Das sind Fragen, die Johanna ihm nun, so viele Jahre später, endlich stellen könnte, denn Jens hat angerufen. Zeit dafür bleibt ihr allerdings kaum noch, denn ihr Vater hat Krebs im Endstadium. Sie kann ihn also nur finden, um ihn gleich wieder zu verlieren. Und manche Fragen bringt man einfach nicht über die Lippen …

Wer die Story-Outline von Familie der geflügelten Tiger hört, könnte denken: Ach, schon wieder. Der verschwundene Vater, eine Leerstelle, der sich plötzlich meldet – weil er stirbt. Und dann auch noch die DDR! Alles schon so oft dagewesen. Aber: weit gefehlt! Die junge Autorin Paula Fürstenberg, die am Schweizerischen Literaturinstitut in Biel studiert hat, umschifft in ihrem Debütroman gekonnt die Klischees. Dazu bedient sie sich eines Kniffs, der mich erst überrascht, dann aber beeindruckt. Ohne zu spoilern, sei nur so viel gesagt: Von ihrem Vater kann Ich-Erzählerin Johanna die benötigten Antworten nicht bekommen. Dies ist ein Buch über das Suchen – die Suche nach der eigenen Geschichte, nach einem Weg für die Zukunft, nach Aha-Momenten und nach der Liebe. Manches davon wird gefunden, anderes nicht.

Ich habe Paula Fürstenberg auf der Frankfurter Buchmesse kennengelernt – zumindest aus der Ferne. Denn der KiWi Verlag hat ein Bloggertreffen organisiert, bei dem sie – wie auch Nele Pollacek – aus ihrem Roman gelesen hat, den ich zu diesem Zeitpunkt bereits zuhause hatte. Das hat sie ganz wunderbar gemacht, und man hat ihr die Zuneigung zu ihren Figuren angemerkt. Daran hab ich mich erinnert, und diese Zuneigung hab ich dann beim Lesen gleich übernommen. Als Österreicherin hab ich zur DDR noch weniger Bezug als Protagonistin Johanna, aber ich hab mich von diesem Buch trotzdem abgeholt und geleitet gefühlt. Es ist klug, gewitzt, interessant und voller unerwarteter Wendungen. Ich möchte es euch hiermit unbedingt empfehlen. Gut gemacht, liebe Paula.

Familie der geflügelten Tiger von Paula Fürstenberg ist erschienen bei Kiepenheuer & Witsch (ISBN 978-3-462-04875-9, 240 Seiten, 18,99 Euro).

Für Gourmets: 5 Sterne

kloeble„Sich selbst wird ein Schatten nie verraten, aber seinen Menschen durchaus“
Jeder Mensch hat einen Schatten. Nicht wahr? Nein, sagt die Mutter von Lola Salz, und vor denen, die keinen haben, sollte man sich in Acht nehmen. Aber nicht nur vor denen – die Welt ist voller Dinge, die gefährlich werden können. Das merkt Lola spätestens, als sie erwachsen ist, selbst Kinder hat und verzweifelt versucht, gemeinsam mit ihnen den Zweiten Weltkrieg zu überleben. Das Familienhotel in Leipzig hat sie nach einem dramatischen Zwischenfall in ihrer Kindheit nie wieder betreten – und sie tut es nicht einmal, um sich und ihre Kinder zu retten. Als das Hotel, der Fürstenhof, später zur DDR gehört und beschlagnahmt ist, versucht Lolas Sohn Karl, ihn zurückzugewinnen. Stattdessen gewinnt er überraschend das Herz einer viel jüngeren Frau – und was die Schatten so treiben, ist auch Jahrzehnte nach dem Tod von Lolas Mutter noch rätselhaft …

Kennt ihr das, wenn ein Buch höchst merkwürdig ist und irgendwie anstrengend, aber trotzdem richtig gut? So ist es mit diesem hier. Mehrmals denke ich während der Lektüre: Whuuut?, und es hat auch seine Längen, aber ich mochte es dennoch, und zwar so gern, dass mich die Schwächen nicht gestört haben. Ich brauchte einfach nur eine Weile, um hineinzufinden in diese ungewöhnliche Geschichte. Christopher Kloeble führt eine Figur nach der anderen ein, lässt sie ausführlich zu Wort kommen – aber nur einmal. Er kehrt nie wieder zu ihr zurück. Er erzählt einfach chronologisch weiter, über Jahrzehnte hinweg.

Und schreiben kann er. Ich kannte Kloeble bereits von seinem Erstling, Unter Einzelgängern, das ich nicht so gut fand, das mir aber schon 2009 Anlass zu der Bemerkung gegeben hat:

Unter Einzelgängern ist eine Studie über eine Familie – und dabei bleibt es auch, ein Roman wird nicht daraus. Dazu hätte Kloeble seine Figuren besser herausbilden und mehr ins Detail gehen müssen. Ich traue ihm das sehr wohl zu und glaube auch, dass er sich als Autor noch stark weiterentwickeln wird.

Die unsterbliche Familie Salz gibt mir Recht. Christopher Kloeble hat sich zu einem gewieften, intelligenten und kreativen Schriftsteller gemausert, dem es mit spielerischer Leichtigkeit gelingt, die Fäden seiner vielschichtigen Story in der Hand zu behalten und konsequent abzuwickeln. Well done! Ein wirklich originelles, verstörendes und leicht seltsames Buch, das mich nachhaltig beeindruckt hat. Eines meiner liebsten Leseerlebnisse im Jahr 2016.

Die unsterbliche Familie Salz von Christopher Kloeble ist erschienen bei dtv (ISBN 978-3-423-28092-1, 440 Seiten, 22 Euro). Auch Tobias vom Buchrevier fand es sehr gut.

Bücherwurmloch

fullsizerenderNoch einen unveröffentlichten Roman in der Schublade? Schickt ihn uns und macht mit beim Blogbuster: Hier findet ihr alle Informationen über die Teilnahme und könnt euer Manuskript einreichen. Einsendeschluss ist nämlich der 31. Dezember, deshalb heißt es hiermit: Last call für alle, die Bock auf einen Buchvertrag haben! Ich freu mich auf eure Manuskripte.

Bücherwurmloch

Bücher verschenken? Sowieso! Nur: welche? Als kleine Orientierungshilfe hab ich euch fünf Titel, die ich 2016 gelesen habe, zusammengesucht. Die liegen ziemlich sicher nicht auf den weihnachtlichen Wühltischen, aber ihr könnt sie bestimmt in eurer lokalen Buchhandlung bestellen.

baumannManfred Baumann: Salbei, Dill und Totengrün
Bekannt wurde Manfred Baumann mit seinen Salzburg-Krimis rund um den Ermittler Merana, von denen einer, nämlich Drachenjungfrau, kürzlich vom ORF verfilmt wurde (anschauen am 15. Dezember!). In diesem Buch versammelt er Kurzkrimis verschiedenster Couleur, die ein verbindendes Element haben: Kräuter. Vor jeder spannenden Geschichte ist das jeweilige Kraut abgebildet und es gibt ein paar Infos zu seiner Wirkung. Was folgt, ist Rätselraten vom Feinsten: Wer hat beim Kräuterseminar im Kloster einen der Teilnehmer erdrosselt, und warum ausgerechnet im Salbeistrauch? Wieso hält eine erstochene Tote, die auf dem Friedhof gefunden wird, eine Alraune in der Hand? Und weshalb dekoriert ein Serienmörder alle seine Opfer mit Engelwurz? Sehr schmackhafte Bissen, diese Kräuterkrimis!
Für: Krimifans, Gourmets, Kräutergartenbesitzer, Freunde niveauvoller Spannung
Salbei, Dill und Totengrün ist erschienen im Gmeiner Verlag (ISBN 978-3-8392-1927-0, 283 Seiten, 12,99 Euro).

GerkAndrea Gerk: Lesen als Medizin. Die heilsame Wirkung der Literatur
Warum lesen wir Menschen eigentlich? Was ist das für eine merkwürdige Fähigkeit, die wir uns da angeeignet haben? Andrea Gerk beschäftigt sich in diesem überaus interessanten Sachbuch mit diesem Thema und bietet eine historische, wissenschaftliche und auch überraschend poetische Übersicht. „Bücher können Trost schenken, Mut machen, Spiegel vorhalten, Zuflucht sein, Erfahrungen vermitteln, Perspektiven ändern, Sinn stiften. Bücher amüsieren und berühren. Und sie können ablenken – nicht zuletzt von uns selbst“, heißt es darin, und: „Prosa und Gedichte sind wie Medikamente. Sie heilen den Riss, den die Wirklichkeit in die Vorstellungskraft schneidet.“ Der große Themenreichtum – von Neurowissenschaft über misshandelte Kinder bis zu Lesen in Klöstern und Gefängnissen – ist fantastisch.
Für: ein absolutes Muss für alle Bibliophilen! Wenn ihr jemanden kennt, der gern liest und dem ihr euch keinen Roman zu schenken traut, weil ihr nicht danebenhauen wollt, schenkt ihm dieses Buch.
Lesen als Medizin. Die heilsame Wirkung der Literatur von Andrea Gerk ist erschienen bei Rogner & Bernhard (ISBN 978-3-95403-084-2, 324 Seiten, 22,95 Euro).

bergmann-kopie-2Emanuel Bergmann: Der Trick
Ein Wunderwerk ist Der Trick von Emanuel Bergmann, ein Zauberding, ein Buch voll doppelter Böden und Überraschungen. Der Autor, der jahrelang für Filmproduktionen in LA tätig war, hat eine wunderbare Geschichte mit Tiefgang geschrieben, die sich trotzdem leicht liest. Zwei Handlungsstränge gibt es, einen vergangenen und einen gegenwärtigen, sowie zwei Buben, deren Leben verschiedener nicht sein könnte: Der eine ist ein Jude in höchster Gefahr, der andere ein verwöhntes Einzelkind. Als sie aufeinandertreffen, ist der eine ein alter Mann, kratzbürstig, egoistisch und versoffen, der andere ein kleiner Junge, der unbedingt einen Liebeszauber braucht, damit sein Vater wieder zurückkommt. Dieses Buch hat mich so begeistert, ich wünschte, ich könnte es nochmal neu lesen. Es ist vielschichtig und originell, raffiniert und gewitzt.
Für: alle, die gern Romane lesen und sich dabei auf hohem Level gut unterhalten lassen wollen. Von der Schwester über den Cousin bis zur Oma, mit diesem Buch könnt ihr nichts falsch machen.
Der Trick von Emanuel Bergmann ist erschienen im Diogenes Verlag (ISBN
978-3-257-06955-6, 400 Seiten, 22 Euro).

heuchertSven Heuchert: Asche
Sven Heuchert bildet in seinen Debütstorys eine Gesellschaftsschicht ab, die Arbeiterschicht, greift sich eine Handvoll Figuren aus der Masse der Hunderttausenden und zeigt, wie sie leben. Das tut er auf ebenso eindringliche wie authentische Weise: So knallhart und verdichtet ist seine Sprache, dass sie wirkt, als käme sie direkt aus den Mündern dieser Menschen. Wie Ohrfeigen sind die Worte, wie Schläge in den Magen, und wuchtiger noch sind ihre Inhalte: Von Einsamkeit erzählen sie und von Schmerz, von Alkoholismus und Brutalität. Hackler heißen diese Arbeiter auf Österreichisch, doch egal, wie man sie nennt: Ihr Leben ist hart. Ihre Hände sind rau und vernarbt, ihre Herzen sind es auch. Nochmal Kurzgeschichten? Ja, aber welche mit Wucht. Die klingen länger nach als so mancher Roman.
Für: alle Mutigen, Short-Story-Freunde, Abseits-vom-Mainstream-Leser, Indiebuch-Fans, Männer.
Asche von Sven Heuchert ist erschienen im Bernstein Verlag (ISBN 978-3-945426-13-5, 184 Seiten, 12,80 Euro).

OzekiRuth Ozeki: A tale of the time being
Dies ist ein herausragend gute Buch mit der Ich-Stimme eines sechzehnjährigen japanischen Mädchens, das seine Geschichte aufschreibt. Aufgewachsen ist Nao in Sunnydale in den USA, doch als ihr Vater seinen Job verlor, musste sie zurück nach Tokyo. Sie spricht die Sprache, aber mehr auch nicht, und so wird Nao schnell zum Ziel grausamster Mobbingattacken. Der Vater schämt sich wegen des Gesichtsverlusts und versucht mehrfach, sich umzubringen. Das Familienleben besteht nur noch aus Schande und brodelndem Schweigen. Ein Lichtblick in Naos Leben ist ihre Urgroßmutter Jiko, buddhistische Nonne und 104 Jahre alt, die ihr zeigt, wie unwichtig vieles von dem ist, was Nao sich so zu Herzen nimmt. Das Buch, dem Nao sich anvertraut, behält wirft sie ins Meer. Und im Zuge des wirbelnden Tsunami landet es an einem weit entfernten Strand, wo die Schriftstellerin Ruth es findet,  im kleinen Ort Whaletown. Sie ist fasziniert von Naos Geschichte, recherchiert und sucht und sorgt sich: Ist Nao noch am Leben?
Für: alle, die auf Englisch lesen können (das Buch gibt es allerdings auch auf Deutsch!), Hobby-Philosophen, Japan-Interessierte, Buddhisten und solche, die gern Buddhisten wären, alle, die Herausforderungen zu bewältigen haben, und alle, die was spüren wollen, wenn sie ein Buch lesen.
Auf Deutsch ist A tale for the time being unter dem Titel Geschichte für einen Augenblick bei den S. Fischer Verlagen erschienen.

Für Gourmets: 5 Sterne

img_1289Ich mag den Seethaler. Ich mag den sogar sehr. Bisher hab ich allerdings nur zwei eher unbekannte Romane von ihm gelesen, Die weiteren Aussichten sowie Die Biene und der Kurt. Als ich nach Idee 1 und 2 nur noch so halb im Lesetief steckte, dachte ich: Nimm den Seethaler, der zieht dich da raus. Der kann das, der ist gut, wirklich jeder fand das Buch toll. Und was soll ich sagen, Schritt 3 hat mich endgültig gerettet. Das war eine sichere Nummer, da wusste ich, damit kann ich einfach nicht falsch liegen. Weil Ein ganzes Leben so unaufgeregt ist und leise, aber überhaupt nicht flach. Mich verbindet natürlich auch viel mit dem Österreichischen, ich bin selbst auf einem Berg aufgewachsen, ich verstehe die Sprache und alles, was nicht gesagt wird. Ein ganzes Leben ist ein großartiges Buch, und es war gut, dass ich dem Seethaler vertraut habe: Nach diesem Roman war die Leseflaute vorbei. Ich hatte sie übertaucht.

Es ist eine Sauerei mit dem Sterben. Man wird einfach weniger mit der Zeit.

So schreibt der da, und das find ich schon gut, es wird allerdings beständig noch besser.

Wenn man schon zur Hölle fuhr, müsse man mit den Teufeln lachen.

Das passt irgendwie, kommt mir vor. Galgenhumor. Ein bisserl Tiefsinnigkeit. Was Melancholisches. Ja, denke ich da, davon will ich mehr. Ich will wieder lesen. Ich bin zurück!

Kleine Köstlichkeiten: 4 Sterne

img_1288Das Einzige, was dabei hilft, das Leben zu ertragen, ist, es nicht so ernst zu nehmen. Und wie das in Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war von Joachim Meyerhoff klingt, sieht er das genauso. Sein Buch hab ich auf dem Frankfurter Flughafen gekauft, und allein das ist schon ein bisschen witzig: Ich bin mit Handgepäck zur Messe gereist und konnte deshalb von dort kein einziges Buch mitnehmen. Aber dann hatte ich, angeregt durch die vielen tollen Messeerlebnisse, zum ersten Mal wieder Lust, Bücher zu kaufen, und musste diesem Impuls einfach folgen: Deshalb hab ich kurz vor dem Boarding noch vier neue Bücher in meinen Rucksack gestopft. Darunter: der Meyerhoff. Ich weiß, dass das der zweite Teil ist, und ich werde weder den ersten noch den dritten lesen, ehrlich gesagt mochte ich von diesem hier einfach den Titel am liebsten. Und das mit dem Irrenhaus hat mich interessiert. Zudem dachte ich: Lies mal was Lockeres, Leichtes, lass dich ein wenig aufheitern, vielleicht hilft auch das. Und ja, das hat es. Joachim Meyerhoff schreibt wirklich, wie allerorts von der Kritik festgestellt, sehr warmherzig und humorvoll, sogar von Dingen, die gar nicht lustig sind. Das ist große Kunst. Literarischer Oberflieger ist das Buch keiner, aber das passt so. Alles ist richtig an diesem Buch, alles ist gut. Und es war für mich das perfekte Mittel, aus meiner Lesedeprimiertheit herauszufinden. Oder anders gesagt: Immerhin eine Irre wurde dadurch geheilt.

Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war von Joachim Meyerhoff ist erschienen im Verlag Kiepenheuer & Witsch.

Bücherwurmloch

img_12872016 hab ich in Sachen Bücher wirklich oft ins Klo gegriffen. So oft, dass ich in eine regelrechte Lesedeprimiertheit gerutscht bin. Alles hat mich nur noch angeödet. Das Langsame, das Melancholische, das ich sonst so mag, das Bittere und das Tiefe. Schrecklich. Ich habe ein Buch nach dem anderen abgebrochen und war schon kurz davor, nur noch zu netflixen. Und was tut man, wenn man keine Lust mehr auf seine Lieblingsspeise hat? Richtig: Man isst mal was anderes. Ich hab mir deshalb einen sehr bekannten Thriller zu Gemüte geführt, noch dazu auf Englisch, beides nicht business as usual. Mit Thrillern hab ich so meine Probleme, aber Before I go to sleep von S. J. Watson, ein Bestseller, der 2014 mit Nicole Kidman und Colin Firth verfilmt wurde, ist tatsächlich ganz gut. Es geht darin um eine Frau, die ihr Gedächtnis verloren hat. Jeden Tag erarbeitet sie sich ihre Geschichte neu, und sobald sie einschläft, vergisst sie alles. Sie kann niemandem trauen und weiß nie, ob das, was ihr jemand erzählt, wahr ist, sie sieht diese Leute immer zum ersten Mal. An den logischen Problemen vorbei, die eine solche Situation mit sich bringt, erzeugt S. J. Watson viel Spannung. Gut geschrieben ist das nicht unbedingt, aber das Triviale war sehr entspannend, und mir hat der Blick über den Tellerrand gezeigt: Das, was ich sonst so esse, schmeckt ja womöglich doch nicht so schlecht.

Auf Deutsch ist das Buch unter dem Titel Ich. Darf. Nicht. Schlafen im Scherz Verlag erschienen.

Kleine Köstlichkeiten: 4 Sterne

14690982_1552281121454165_6272082350950412329_nCarson, Frankfurt und ich
So ein kleines Buch. So eine kleine Geschichte! Mit einer dennoch so großen Wucht. Eingepackt hab ich den schmalen Diogenes-Band, als ich zur Frankfurter Buchmesse geflogen bin, weil er so leicht ist und ich nur Handgepäck mitnehmen konnte. Dann war es in meiner Tasche an meinem ersten Tag in der Stadt, wo ich mir für ein paar Stunden eine Auszeit genommen habe, die – ich will euch nicht mit den Gründen dafür langweilen – ich dringend nötig hatte. Ich saß in einem Café in Sachsenhausen – wo sonst könnte man dieses Buch lesen, wenn nicht in einem Café – und niemand zerrte an mir, keiner musste aufs Klo, keiner aß mir den Apfelkuchen weg, kinderfreie Zeit, es war herrlich. Und dazu Carson McCullers schräge, eigenartige Story über eine starke Frau in einer kleinen Stadt, die auf höchst merkwürdige Weise ins Verderben gestürzt wird – zu einer Zeit, die so anders war als die heutige. Die Autorin, 1917 geboren, ging mit 18 Jahren nach New York und galt mit 23 als literarisches Wunderkind. In ihrem Haus ging die New Yorker Bohème ein und aus. Sie starb 1967, ihre Bücher gelten als Meisterwerke. Sie schreibt schnörkellos und direkt, ohne das Bemühen, möglichst schön klingende Worte zu finden, dafür mit Herz und einer Botschaft, so, wie heutzutage niemand mehr zu schreiben scheint. Und damit ihr euch ein bisschen mehr darunter vorstellen könnt, lasse ich euch hier ein paar ihrer eigenen Worte lesen. Ein wunderbar verrücktes, schmerzhaftes und in seiner Verschrobenheit poetisches Büchlein, das mich in einem besonderen Moment begleitet hat.

„Manche Menschen haben etwas an sich, das sie von den anderen, gewöhnlichen Leuten unterscheidet. Sie besitzen einen Instinkt, den man meistens nur bei Kindern antrifft, ein natürliches Gefühl dafür, zwischen sich und der übrigen Welt einen unmittelbaren und lebendigen Kontakt herzustellen.“

„Die merkwürdigsten Leute können Liebe auslösen. Ein Mann kann ein zittriger Urgroßvater sein und noch immer ein fremdes Mädchen lieben, das er eines Nachmittags vor zwanzig Jahren in den Straßen von Cheehaw sah. Der Prediger kann eine Gefallene lieben. Der Geliebte kann treulos sein, kann fettiges Haar haben oder schlechte Gewohnheiten, ja, und der Liebende mag das alles so deutlich wie alle anderen Menschen erkennen, doch das berührt das Wachstum der Liebe nicht im geringsten.“

„Doch das Herz kleiner Kinder ist ein empfindliches Organ. Ein grausamer Lebensbeginn kann es zu merkwürdigen Formen verkrüppeln. Das Herz eines verwundeten Kindes kann so verkümmern, dass es auf immer und ewig so hart und vernarbt wird wie ein Pfirsichkern.“

„Sie hatten so lange zusammengelebt, die beiden Alten, dass sie sich wie Zwillinge glichen. Sie waren braun und verhutzelt, zwei umherwandelnde Erdnüsse.“

„Das Leben wird oft zu einer einzigen langen, trübseligen Plackerei, um nur die zum nackten Leben notwendigsten Dinge zusammenzuscharren. Verwirrend ist nur, dass alle brauchbaren Dinge ihren Preis haben und nur mit Geld erworben werden können, denn so ist der Lauf der Welt. Ohne zu überlegen weiß man, wieviel ein Ballen Baumwolle oder ein Liter Sirup kostet. Doch das menschliche Leben hat keinen Geldwert, es wird uns umsonst gegeben, und es wird uns genommen, ohne dass wir dafür bezahlen. Wieviel ist es wert? Wenn man um sich blickt, könnte man meinen, dass es wenig oder gar nichts wert ist.“

Die Ballade vom traurigen Café von Carson McCullers (Erstveröffentlichung 1951) ist 1988 erschienen im Diogenes Verlag (ISBN 978-3-257-20142-0, 128 Seiten, 8,90 Euro).

Bücherwurmloch

bildschirmfoto-2016-11-21-um-12-10-0933 Tage Blogbuster: Was bisher geschah
Ich habe eine ziemlich gute Quote. Bisher wurden mir für den Blogbuster 2017 sieben Leseproben zugeschubst, und von drei Autorinnen habe ich das Gesamtmanuskript angefordert. Das klingt vielleicht nicht viel, aber hej, es ist immerhin fast die Hälfte! Wer sich nun fragt: Blogbuster, what the fuck?, der werfe einen Blick auf die Website, wo erklärt wird, was wir denn da machen und warum. Und wer sich denkt: Manuskript, ja, so eins hab ich auch, der schicke es doch bitte ein!

Schwierig ist für mich, das hab ich schon festgestellt, einfach nur Leser zu bleiben. Ich arbeite ja als Lektorin und Texterin, und der Impuls, Feedback zu geben, in das Manuskript reinzuredigieren, Kommentare dazuzuschreiben, ist übermächtig. Nur ist das bei diesem Projekt nicht meine Aufgabe, und ich halte mich brav zurück. Schließlich muss ich einen Kandidaten finden, dessen Roman so feingeschliffen ist, dass er im besten Fall sogar gewinnen kann. Ein Manuskript, das noch viel Überarbeitung braucht, wird es wohl nicht aufs Siegertreppchen schaffen, wenn wir realistisch bleiben.

Bekommen hab ich allerlei Abstruses, auch Experimentelles, Wirres, schwer Lesbares wie zum Beispiel einen tragisch-satirischen Entwicklungs- wie auch romantisch-ironischen Reiseroman mit „Determinantengedrängel“, das der Schreibintention durchaus entspricht und sie durch Überbestimmtheit zugleich konterkariert: teils werden Erzählweise und Sprachverdichtung zur Farce, teils erscheinen Handlungen irrational, teils werden Handlungsmotivationen verunklärt. Ja, nun, ich bitte vielmals um Entschuldigung, so klingt das auch. 

Ein anderes Manuskript mit dem verkünstelten Titel eltkulturWerbe. hat einen ganz wunderbaren ersten Satz: Die Nachricht meines Todes erreichte mich am Flughafen Stuttgart. Den fand ich stark, der hat mich begeistert. Diese Begeisterung hat beim Weiterlesen allerdings nachgelassen: zu unausgegoren, abgehackt, mit interessanten Ideen, aber insgesamt fast ein wenig klamaukig, der verbindende Faden, der aus den Einzelstücken ein solides Gewebe macht, fehlt mir.

Ein weiterer Kandidat, dessen Manuskript auf dem Planeten Marduk in einem extragalaktischen Kommunikationssystem spielt, hat hoffentlich bei einem Verlag mit Sci-Fi-Background Erfolg, vom Blogbuster ist dieses Genre ausgeschlossen.

Dann gab es da noch die Leseprobe einer Autorin, die mich mit ihren ersten Seiten sofort gefesselt hat: Es geht um eine wilde, aus dem Gleichgewicht gebrachte junge Frau, die sich mit Absicht in Schwierigkeiten bringt, die stiehlt und aufreizend angezogen nachts durch die Straßen läuft, um Männer herauszufordern. Sehr gut geschrieben, originell, spannend! Aber dann hab ich mir das Exposé angeschaut und erkannt, dass es im Buch um einen Geschwisterinzest geht, also darum, dass zwei verliebt sind und nicht wissen, dass sie Bruder und Schwester sind, und das, das geht einfach nicht. Das ist so Gute Zeiten, schlechte Zeiten, das ist so Soap und Effektheischerei, unglaubwürdig, tausendmal aufs Papier gebracht in irgendwelchen Schmonzetterln, abgelutscht, das hab ich schon dem Jonathan Evison in All about Lulu nicht verziehen. Und ich dachte: NAAAIN, wie kann sie nur! Schade, sehr schade, denn ich fand die Leseprobe wirklich gut.

bildschirmfoto-2016-11-21-um-12-10-34Doch zum Glück kamen auch drei Frauen des Weges, deren völlig unterschiedliche Manuskripte ich nun (voraussichtlich) zur Gänze lesen werde. In einem spricht der Tod, er ist der Erzähler, und diese Idee mag ich sehr gern. Stephan Trauth ist mir das erste Mal als kleines Kind begegnet. Heute erinnere ich mich wieder gut daran: Der kleine Junge und die dick eingecremten, mullbindenumwickelten Hände in der Nacht, sein stiller Ekel und die Wut, heißt es darin, und ich finde allein die Perspektive schon sehr originell, auch wenn sie natürlich andernorts bereits genutzt wurde.

Das zweite handelt von einer Frau, die eine Affäre beginnt und herauszufinden versucht, was sie eigentlich will und wen. Das ist die Geschichte von Anna und Ettore, von Fabian und Anna, von Lebensgier und Heimat, von Liebe und Verlust. Es ist auch die Geschichte von dem, was wir zu wissen glauben, dem, was wirklich ist, und dem, was sich dazwischen befindet. bildschirmfoto-2016-11-21-um-12-09-46Das klingt doch interessant.

Das dritte Manuskript hab ich noch nicht ganz durchschaut, aber schon der erste Absatz hat mich neugierig gemacht: Irgendwo in dieser Nacht habe ich mich verlaufen. Morgens habe ich dann auch wieder zurückgefunden, muss ich ja, denn jetzt bin ich ja hier, wieder bei Anne, dieser Frau, die immer wach zu sein scheint, und erinnere mich an nichts. Es handelt wohl von zwei jungen Menschen, die in einer Medienagentur aufeinandertreffen. Mehr weiß ich noch nicht …

Vielleicht wird ja einer dieser drei Favoriten der Titel, mit dem ich ins Rennen gehe. Ich bin gespannt, und ihr hoffentlich auch!

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Hier könnt ihr übrigens lesen, wie es Sophie, Sandro und Katharina bisher mit dem Blogbuster ergangen ist.