„Der Tod hat das Timing eines grottenschlechten Komikers“
„Doch so öde und nichtssagend The Loney auch wirken mochte, es war ein gefährlicher Ort. Ein rauher, nutzloser englischer Küstenstreifen. Die tote Mündung einer Bucht.“ Dennoch kommt eine Handvoll gläubiger Katholiken jedes Jahr hierher, darunter der junge Tonto. Treibende Kraft ist seine Mutter, die durch das Aufsuchen der heiligen Stätten von The Loney erreichen will, dass Tontos Bruder Hanny von seiner Krankheit geheilt wird. Er spricht nicht, teilt sich nur durch Symbole mit, ist äußerlich fast ein Mann und innerlich noch ein Kind. Dieses Mal kommen sie mit ihrem neuen Pfarrer, weil Father Wilfred gestorben ist – unter mysteriösen Umständen. In den Augen von Tontos Mutter macht dieser neue Pfarrer jedoch alles falsch. Das ist aber längst nicht das Schlimmste, denn bei diesem Aufenthalt in The Loney läuft wirklich alles schief. Tonto und Hanny geraten in große Gefahr. Und dreißig Jahre später legt ein Erdrutsch plötzlich eine Babyleiche frei …
Was für ein beklemmendes und zutiefst aufwühlendes Buch! Allein der Ort, den der englische Autor Andrew Michael Hurley gewählt hat, und der Name, den er ihm gibt, geben Anlass für Gruselmomente. Ein trostloser Küstenstreifen, an dem die Flut regelmäßig Menschen in den Tod zieht, ein Haus mit einem verriegelten Zimmer, in dem Kinder gestorben sind, eine Mutter, deren Glaube schon an Wahn grenzt, ein toter Pfarrer, ein zurückgebliebener Sohn und mehrere zwielichtige Männer – das sind die Zutaten, aus denen Hurley sein Süppchen kocht. Was er serviert, könnte ein Thriller sein, ist aber keiner – zumindest kein klassischer, dazu ist das Buch zu melancholisch, zu sanft. Spannend, mitreißend, düster und rätselhaft ist es aber allemal.
Hurley hat einen Teenager zum Erzähler gemacht, der sich dreißig Jahre später an die Ereignisse von damals erinnert. Zwei Eigenschaften hat sein Roman an sich, die ich persönlich nicht mag: Er springt zwischen den Zeiten hin und her, wechselt abrupt von Vergangenheit zu Gegenwart und zurück, enthält aus dem Zusammenhang gerissene Vorausblenden, die in meinen Augen viel von der Spannung zerstören. Zudem werden nicht alle Fragen beantwortet, und ich kann es nicht leiden, wenn ein Buch mich ratlos zurücklässt. Nichtsdestotrotz ist Loney ein Roman, der mit Originalität und einer beeindruckend gespenstischen Atmosphäre punktet. Etwas in der Art hab ich noch nie gelesen, und ich geb es zu: Gegruselt hab ich mich auch.
Bestes Zitat:
„Pfarrer sind wie Ärzte. Sie wissen, dass man sie über Dinge belügt, von denen man meint, sie würden sie enttäuschen.“
Loney von Andrew Michael Hurley ist erschienen bei Ullstein (ISBN 9783550081378, 384 Seiten, 22 Euro).
„Das, was vor mir lag und Zukunft hieß, war eine Ansammlung hässlicher Wahrscheinlichkeiten“
„Sich selbst wird ein Schatten nie verraten, aber seinen Menschen durchaus“
Noch einen unveröffentlichten Roman in der Schublade? Schickt ihn uns und macht mit beim Blogbuster:
Manfred Baumann: Salbei, Dill und Totengrün
Andrea Gerk: Lesen als Medizin. Die heilsame Wirkung der Literatur
Emanuel Bergmann: Der Trick
Sven Heuchert: Asche
Ruth Ozeki: A tale of the time being
Ich mag den Seethaler. Ich mag den sogar sehr. Bisher hab ich allerdings nur zwei eher unbekannte Romane von ihm gelesen,
Das Einzige, was dabei hilft, das Leben zu ertragen, ist, es nicht so ernst zu nehmen. Und wie das in Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war von Joachim Meyerhoff klingt, sieht er das genauso. Sein Buch hab ich auf dem Frankfurter Flughafen gekauft, und allein das ist schon ein bisschen witzig: Ich bin mit Handgepäck zur Messe gereist und konnte deshalb von dort kein einziges Buch mitnehmen. Aber dann hatte ich, angeregt durch die vielen tollen Messeerlebnisse, zum ersten Mal wieder Lust, Bücher zu kaufen, und musste diesem Impuls einfach folgen: Deshalb hab ich kurz vor dem Boarding noch vier neue Bücher in meinen Rucksack gestopft. Darunter: der Meyerhoff. Ich weiß, dass das der zweite Teil ist, und ich werde weder den ersten noch den dritten lesen, ehrlich gesagt mochte ich von diesem hier einfach den Titel am liebsten. Und das mit dem Irrenhaus hat mich interessiert. Zudem dachte ich: Lies mal was Lockeres, Leichtes, lass dich ein wenig aufheitern, vielleicht hilft auch das. Und ja, das hat es. Joachim Meyerhoff schreibt wirklich, wie allerorts von der Kritik festgestellt, sehr warmherzig und humorvoll, sogar von Dingen, die gar nicht lustig sind. Das ist große Kunst. Literarischer Oberflieger ist das Buch keiner, aber das passt so. Alles ist richtig an diesem Buch, alles ist gut. Und es war für mich das perfekte Mittel, aus meiner Lesedeprimiertheit herauszufinden. Oder anders gesagt: Immerhin eine Irre wurde dadurch geheilt.
2016 hab ich in Sachen Bücher wirklich oft ins Klo gegriffen. So oft, dass ich in eine regelrechte Lesedeprimiertheit gerutscht bin. Alles hat mich nur noch
Carson, Frankfurt und ich
33 Tage Blogbuster: Was bisher geschah
Doch zum Glück kamen auch drei Frauen des Weges, deren völlig unterschiedliche Manuskripte ich nun (voraussichtlich) zur Gänze lesen werde. In einem spricht der Tod, er ist der Erzähler, und diese Idee mag ich sehr gern. Stephan Trauth ist mir das erste Mal als kleines Kind begegnet. Heute erinnere ich mich wieder gut daran: Der kleine Junge und die dick eingecremten, mullbindenumwickelten Hände in der Nacht, sein stiller Ekel und die Wut, heißt es darin, und ich finde allein die Perspektive schon sehr originell, auch wenn sie natürlich andernorts bereits genutzt wurde.
Das klingt doch interessant.