„Wäre dieser Augenblick ein Satz, dann wäre ich der Punkt“
Im Geschichtsunterricht wird nichts erzählt über das Tulsa Massaker von 1921, bei dem brandschatzende Weiße Hunderte Schwarze Menschen getötet, ihre Häuser angezündet und sie ausgeraubt haben. In Jacqueline Woodsons neuem Roman verliert Sabi, die Großmutter, dabei fast ihr Leben – und das Vermögen der Familie. Von hier beginnend entspinnt sich eine Geschichte, die aber nicht chronologisch erzählt wird, sondern in kurzen Kapiteln im typischen Woodson-Sound: poetisch, verknappt, schmal und sparsam, aufgeladen mit Bedeutung. Melody ist sechzehn Jahre alt und spiegelt ihre Mutter Iris, die in diesem Alter mit ihr schwanger wurde. Zwar hat sie das Kind zur Welt gebracht, doch ihre Träume waren anderer Natur: Iris hat Melody bei Aubrey zurückgelassen, der dadurch zum alleinerziehenden Vater wurde und seine Tochter gemeinsam mit den Eltern von Iris großzog, während Iris ans College ging.
Im Original lautet der Buchtitel „Red at the bone“, das steht für Dinge, die schwer verdaulich sind. Und ich vermute, damit sind in diesem Fall in erster Linie die heftigen, oft jahrzehntelangen Gefühle gemeint, an denen jede:r in dieser Familie schwer zu tragen hat. Woodson, die für ihre Jugendbücher mit vielen Preisen bedacht wurde, schreibt – genau wie ein „Ein anderes Brooklyn“ – fragmentarisch, immer mitten in die Szenen hinein, ohne viel zu erklären. Das macht ihre Romane lebendig, ist aber auch eine Herausforderung. Es sind zahlreiche Themen, die sie miteinander verwebt: afroamerikanische Geschichte, denn die Großeltern haben die Sklaverei noch erlebt. Die Schande, die es für ein sechzehnjähriges Mädchen bedeutet, Mutter zu werden. Eine junge Schwarze, die sich jedem klassischen Rollenbild entzieht, ihre Bildung und ihre berufliche Zukunft ihrem Kind gegenüber priorisiert. Ein Vater, der bis zum Bersten angefüllt ist mit Liebe. Und eine Tochter, die all das, was vor ihr kam, in sich trägt – und ihren eigenen Weg finden muss. Eine Identitätssuche, eine Aufarbeitung, ein Bruch mit altbekannten Narrativen.
Alles glänzt von Jacqueline Woodson ist erschienen bei Piper.
Das ist ein wirklich herausrgendes Buch. Hat mich an Morisson erinnert, auch ein wenig an Woolfe. Wäre ich nicht so faul und hätte meine Hot-Seat Rubrik “Neuerscheinung des Jahres” im Blog eingerichtet, stünde “Alles Glänzt” derzeit ganz oben.
Hihi, das mit dem Faulsein kann ich gut verstehen … und es ist wirklich ein besonderes Buch.