„Als wären wir durch das Zurücklassen unserer Dinge leichter geworden“
Die Ich-Erzählerin hat einen Freund namens Emil und einen Geliebten namens Leon, und in manchen Nächten, in denen sie ausgeht, hat sie spontan Sex mit Fremden. Sie muss sich nicht rechtfertigen, denn Emil fragt nie, auch nicht, wenn sie erst am nächsten Tag zurück in die gemeinsame Wohnung kommt. Es könnte so bleiben, findet sie, es ist gut so, der Alltag mit Emil, der zärtliche Sex mit dem verheirateten Leon. Nur möchte Emil ein Haus bauen, er möchte ein Kind haben – und die Erzählerin fühlt sich dazu nicht bereit.
Unterwasserflimmern von Katharina Schaller ist ein aus mehreren Gründen interessantes Buch: Zum einen habe ich es geliebt, dass sie ihre Protagonistin einfach vögeln lässt, ohne moralische Beschränkungen, ohne dass das gleich als krank gilt, als irgendwie pathologisch, ohne dass das auf eine miese Kindheit zurückzuführen ist oder sonstigen Blödsinn. Frauen wollen Sex haben, Frauen genießen Sex – und das sollte endlich frei erzählt werden dürfen. Das Narrativ, dass der Mann „sich austobt“, Affären hat, Befriedigung sucht, ist für uns okay, aber wenn eine Frau das tut, schlägt unsere Misogynie zu. Das ist tabu. Das darf die nicht. Es ist daher kein Wunder, dass Lesende sagen, dieser Roman habe „zu viele Sexszenen“ und sei „unangenehm“. Das hat mich sehr amüsiert, und ich feiere Katharina Schaller für ihren Mut. Schade nur, dass die Rezipienten nicht verstehen, woher ihr Unmut rührt: So fühlt es sich an, wenn ein uns aufgedrücktes Tabu gebrochen wird.
Der zweite Teil des Romans hatte dann aber auch für mich seine Tücken, denn dieses Hadern und Zögern und Nichtwissenob und Nichtwissenmitwem, das zieht sich. Und während ich es großartig finde, dass wir als Lesende nah dran sind an der Erzählerin, an ihrem Körper, ihrem Innenleben, denke ich auch: Du verwöhntes Gör mit deinen first world problems, was ist los mit dir, check your privilege. Haha! Da ist sie wieder, die liebe Misogynie. Aber mich nerven generell Figuren, die endlos um sich selbst kreisen. Gut finde ich, dass nichts an diesem Roman vorhersehbar ist, auch nicht (und schon gar nicht) das Ende. In meinen Augen ein wichtiges Stück Literatur, das hoffentlich dazu beiträgt, dass offener von weiblichem Begehren erzählt wird und werden darf.
Hallo,
das stimmt, bei einem Mann wird ein Sex-Leben mit mehreren Partnern und/oder abseits der Ehe nie so pathologisiert! (Ok, ich denke jetzt einfach mal nicht an die Art von Christen, die Sex grundlegend pathologisieren.)
Sowohl bei Männern als auch bei Frauen stößt mir allerdings etwas sauer auf, wenn sie Lebenspartner hintergehen – ganz ungeachtet davon, ob das jetzt bezüglich Sex ist oder in anderer Hinsicht! Finde ich einfach nicht fair. Ein paar Freunde von mir leben in poly-Beziehungen, bei denen jeder weiß, was Sache ist, und damit habe ich überhaupt kein Problem. Wenn alle Spaß dabei haben und keiner gezwungen wird, nur zu.
Aber hier klingt es ja so, als hätten sich alle Beteiligten ganz gut eingerichtet in diesem Beziehungsgeflecht. Emil kann sich doch sicher sein Teil denken und deswegen fragt er nicht nach? Kann man das dann als stillschweigendes Einverständnis deuten?
Bezüglich des Themas weibliches Begehren fand ich “Das Pi der Piratin” von Simone Schönett ziemlich interessant. Sie “sagt der Kleinmachung der weiblichen Libido den Kampf an” und versucht, eine Sprache dafür zu finden.
LG,
Mikka
Oh, vielen Dank für den Tipp, das muss ich mir ansehen.