Bücherwurmloch

Amelie Fried: Die Spur des Schweigens

„Er hofft, dass sie irgendwann zur Einsicht kommt. Dass sie erkennt, dass er viel besser zu ihr passt“
Julia arbeitet als Journalistin, ist aber mit ihren Aufträgen über Diätmittelchen und andere unwichtige Dinge nicht zufrieden. Sie träumt von der großen Story, die sie bekannt macht – doch als ihr Informationen zugespielt werden, dass an einem renommierten Forschungsinstitut Frauen sexuell belästigt werden, will sie den Betroffenen erst einmal nicht glauben. Stutzig macht sie die Verbindung zu ihrem Bruder, der dort gearbeitet hat und vor vielen Jahren verschwunden ist – Julia weiß bis heute nicht, wohin. So richtig steht sie nicht hinter den Mädchen aus China, die sich gegen die sexualisierte Gewalt wehren wollen, die Story veröffentlicht sie aber trotzdem. Und gerät dadurch selbst ins Visier der Männer, die nicht wollen, dass ihre Taten enthüllt werden.

Was klingt wie ein Thriller, ist in Wahrheit ein Buch, bei dem ich mich frage: Ist das noch Fiktion oder schon internalisierte Misogynie? War es die Absicht der Autorin, so viele Sexismen und Rassismus-Stereotypen zu versammeln wie möglich, oder war ihr nicht bewusst, was sie da tut? Protagonistin Julia ist eine dieser Frauen, von denen es viele gibt, die durch den Filter des Patriarchats schauen und es nicht merken. Sie schenkt den Frauen, die ihr von dem Missbrauch erzählen, keinen Glauben, wertet ihre Erlebnisse ab, findet das alles übertrieben, wird auch nicht hellhörig, als sie selbst vergewaltigt wird. Zudem sind die Frauen Chinesinnen, und der krasse Rassismus, der mir von diesen Seiten entgegenschlägt, lässt mich oft genug irritiert blinzeln. Natürlich darf ein fiktives Buch alles sagen und alles erzählen, natürlich darf Julia ein Arschloch sein – und ihr Bruder Robert genauso. Die Autorin ist nicht in der Pflicht, die Gesellschaft in ihrem Roman zu verbessern, sie kann sie einfach abbilden, wie sie nun einmal ist. Das beim Lesen auszuhalten, ist allerdings schwer, vor allem die Perspektive von Julias Bruder, der mit einer der Chinesinnen eine Beziehung hatte, macht mich unglaublich wütend:

„Die Chinesinnen sind anders als die deutschen Frauen. Sie sprechen die Dinge nicht so direkt an. Sie sagen manchmal ja, wenn sie eigentlich nein meinen. Sie geben nach, um Streit zu vermeiden. Robert mag diese Art, sie passt zu ihm.“

Ja, das glaub ich, dass er das mag. Schließlich versucht er auch, sich über das Nein seiner Freundin hinwegzusetzen und sich den Sex zu nehmen, der ihm seiner Meinung nach zusteht. Die Sache ist: Es ist einerseits wichtig, dass von diesen Dingen erzählt wird. Wir brauchen mehr Geschichten über #metoo und Missbrauch, damit Frauen auch im echten Leben mehr geglaubt und geholfen wird. Es ist aber andererseits so, dass dieser Roman exakt das Gegenteil erreicht. Er verfestigt patriarchalische Glaubenssätze, er diskreditiert die Opfer, gibt den Tätern eine Stimme und mehr Gewicht, zieht die Scham der Betroffenen, von denen eine sogar Selbstmord begeht, ins Lächerliche. Das ist krass und hart und in meinen Augen gefährlich: Dieses Buch ist wie ein „aber manchmal lügen Frauen auch! Unschuldsvermutung!!!1!“ Tweet, nur mit 500 Seiten.

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