Bücherwurmloch

Sharon Dodua Otoo: Adas Raum

„Gott nahm die Form einer Brise an“
Ada ist am Leben, in verschiedenen Ebenen der Zeit: Viermal kommt sie vor in diesem Roman. Im Jahr 1459 verliert Ada im westafrikanischen Totope zum zweiten Mal ein Kind und wird von den Portugiesen überfallen. Im Jahr 1848 ist Ada eine begabte Mathematikerin, ihr Liebhaber ist Charles Dickens. Im Jahr 1945 wird Ada in einem KZ-Lager täglich mehrfach vergewaltigt. Und im Jahr 2019 ist sie schwanger und auf der Suche nach einer Wohnung in Berlin. Erzählt wird von diesen Ebenen mit verschiedenen Stimmen: Da ist der Reisigbesen, mit dem Ada geschlagen wird, der Türklopfer, das KZ-Zimmer, die eine Ich-Perspektive bekommen, dann ist es Ada selbst und das Welt-Ei, eine Art Hauch, das Leben bringt. Verbunden werden die einzelnen Splitter von Ada zudem durch ein geheimnisvolles Armband, das in jedem ihrer Leben auftaucht.

Ich vergehe schon allein aus einem Grund vor Respekt für Sharon Dodua Otoo, die 2016 als erste Schwarze britische Frau den Bachmann-Preis gewonnen und 2020 mit ihrer Rede „Dürfen Schwarze Blumen Malen?“ in Klagenfurt für Aufruhr gesorgt hat: Es beeindruckt mich immer wieder massiv, wenn jemand Romane nicht in seiner Erstsprache schreibt, sondern in einer Sprache, die er oder sie sich später angeeignet hat. Otoo eröffnet Erzählebenen, die natürlich nicht neu sind, in der gehobenen Literatur aber selten zu finden: Seelenreisen, sprechende Dinge, Gott als Frau – das kennen wir eher aus Genre-Romanen. Zudem behandelt sie mit sprachlicher Unerschütterlichkeit die Kolonisierung Afrikas, den Holocaust, modernen Rassismus und die Rechtelosigkeit der Frauen im 19. Jahrhundert. Das ist freilich alles ein bisschen viel, und ich muss gestehen: Im letzten Drittel hat sie mich dann doch verloren, denn die „aktuellste“ Ada im heutigen Berlin hat mich am wenigsten interessiert.

Einerseits finde ich es erfrischend originell, dass aus der Sicht von Gegenständen erzählt wird, andererseits klingen sie leider sehr normal, sehr menschlich, so wie alle eben. Einerseits gefällt es mir, dass den Lesenden viel Denkleistung abverlangt wird, andererseits habe ich mich stellenweise nach Aufklärung gesehnt, vor allem in Hinblick auf das Armband. Geschickt fordert Otoo die Lesenden heraus: zu beobachten und mitzufühlen, die Beschränkung auf das katholische Leben-und-Tod-System zu durchbrechen, und ich habe sie mir beim Schreiben amüsiert schmunzelnd vorgestellt. Dieses Buch ist ein wichtiger Beitrag zur Debatte über Identitätspolitik und kulturelle Aneignung, ein Denkanstoß – und wie wunderbar ist es, wenn Literatur einen solchen zu geben vermag.

Adas Raum von Sharon Dodua Otoo ist erschienen bei Fischer.

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