Bücherwurmloch

Katya Apekina: Je tiefer das Wasser

„Kindheit ist kostbar, und es gibt keine zweiten Versuche“

„Das Leiden ihrer Mutter war so groß, dass es fast eine eigenständige Person war, die man ernähren und pflegen musste. Ich weiß nicht, was aus mir geworden wäre, wenn ich mit einer solchen Mutter aufgewachsen wäre.“

Das sagt Charlie, ein junger Mann, der Edie und ihre Mutter kennenlernt – Edie, die nach dem Selbstmordversuch der Mutter mit ihrer Schwester Mae zu ihrem Vater nach New York ziehen muss, und die Mutter, die vielleicht, das weiß man nicht so genau, von ebenjenem Vater in jungen Jahren in den Wahnsinn getrieben wurde. Er ist ein berühmter Schriftsteller, die Mädchen kennen ihn nicht. Und während Edie, knapp sechzehn Jahre alt, nichts mit ihm zu tun haben will, verfällt Mae, die Vierzehnjährige, dem Charme des Vaters komplett. Sie tut Dinge, die sie nicht tun sollte. Und plötzlich geraten alle Beteiligten in einen Strudel, aus dem es kein Entkommen gibt.

Je tiefer das Wasser von Katya Apekina ist ein Buch, das überrascht: die labile Mutter, die Kinder, die zum ihnen fremden Vater müssen – das kennt man, das hat man schon oft gelesen. Nicht aber in dieser Form: Die Autorin lässt jeden zu Wort kommen, erzählt in sehr kurzen Kapiteln aus der Sicht der Töchter, der Tante, der Freundin des Vaters, bindet alte Briefe ein und entwirft so ein vielstimmiges, sehr eindrückliches Bild. Die Kernperson, der Schriftsteller Dennis Lomack, ist der Einzige, der stumm bleibt, ihn lernen wir nur durch die Augen der anderen kennen. Er ist ein egozentrischer, manipulativer Mann, aber nicht nur, das wäre zu schwarz-weiß gesagt, er ist auch liebevoll und kümmert sich um die Mädchen, gibt sich Mühe. Ist er wirklich schuld am geistigen Verfall seiner Ex-Frau? Und warum hat er seine Kinder bei ihr zurückgelassen? Dies ist ein harter, intensiver, sehr verstörender Roman mit einem wogenden Sound, einem Stimmengewirr, einem unheimlichen Flüstern, man spitzt die Ohren, will alles genau hören, will unbedingt erfahren, was geschehen ist – und wieso. Sehr virtuos geschrieben, fesselnd und irritierend erzählt Je tiefer das Wasser von kaputten, verzweifelten Menschen, von unergründlichen Seelen und den entsetzlichen Folgen, die manche Entscheidungen haben. Aus der 08/15-Ausgangssituation hat Katya Apekina einen verblüffend guten Roman gemacht, der alles andere als gewöhnlich ist.

Je tiefer das Wasser von Katya Apekina ist erschienen bei Suhrkamp.

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