Bücherwurmloch

Tanya Tagaq: Eisfuchs

„Manchmal kann ich ein Kitzeln ganz unten am Steiß spüren: das Alte Wissen“
Wir sind im Norden Kanadas, am Rand des Eismeers. Es ist nicht nur kalt, vielmehr herrschen Temperaturen, bei denen man sich fragt, wie Menschen überhaupt überleben können. Und warum sie sich ausgerechnet hier angesiedelt haben. Die Ich-Erzählerin ist elf, später ein Teenager, eine junge Frau. Im Frühling ist sie mit ihren Freunden in der Tundra unterwegs, auf der Suche nach Abenteuern. Nicht selten begeben sie sich dabei in Lebensgefahr, auf dem Eis, auf dem Wasser. Sie schnüffeln Kleber und andere Stoffe, die high machen, Hauptsache dem kargen Leben entfliehen. Die Erwachsenen nutzen dazu andere Möglichkeiten, sie saufen.

„In diesem Haus herrschen die Kinder. In einer kalten Sommernacht rotten wir uns zusammen. Aluminiumfolie gegen die Sonne vor den Fenstern, eine Socke im Loch, in dem einmal ein Türknauf war, damit die Kleinen nicht spionieren können. Es ist unser Schutzhaus, in dem niemand trinkt. Keine Erwachsenen, keine Vorschriften.“

Tanya Tagaq, selbst in Kanada geboren, hat sich als Sängerin einen Namen gemacht. Für uns mutet ihr Gesang vielleicht seltsam an, und ihr Buch tut es auch. Das macht es aber so faszinierend. Es ist unergründlich, mystisch, verwirrend, es ist poetisch und schwarz und bitter. Prosa wechselt sich ab mit lyrischen Passagen, manche Metaphern scheinen für etwas Großes zu stehen, das man nicht so recht fassen kann. Beim Lesen hat man das Gefühl, nichts zu verstehen und doch gleichzeitig alles. Auch wenn es nie konkret gesagt wird, behandelt der – angeblich teilweise autobiografisch unterlegte Roman – sexuellen Missbrauch. Es geht ums Aufwachsen und ums Entkommen, um die Hilflosigkeit von Kindern angesichts Erwachsener und um die Hilflosigkeit der Menschen angesichts der so viel mächtigeren Natur.

„Fuchs ist schöner als der schönste Mensch, den ich je gesehen habe. Ich kann ihn spüren. Stark und rein, für ihn geht es nur ums Überleben, er ist unbeschwert von all den Lügen, die Menschen sich unbewusst aufbürden. Klarheit. Würde. Was wir Menschen verloren haben, ist für den, der in der Natur lebt, offensichtlich.“

Eisfuchs von Tanya Tagaq ist erschienen im Verlag Antje Kunstmann.

 

 

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