Bücherwurmloch

Garth Greenwell: Cleanness

„I was young then, it was a wonderful time“
Er ist ein Lehrer aus Amerika und lebt lange genug in Bulgarien, um die Sprache zu verstehen, um sich den Menschen nah zu fühlen. Nah kommt er vor allem den Männern, mit denen er Sex hat, sie unterscheiden sich stark voneinander, die Spielarten tun es auch. Er verabredet sich online, trifft sich mit ihnen, bereut das hinterher manchmal und manchmal nicht. Bulgarien ist ein Land der Hoffnung, in dem man sich gefreut hat über den Aufbruch, der letztlich doch nicht kam. Wie sieht so ein Land aus, betrachtet durch die Augen von einem, der hier nicht geboren ist? Freunde hat der Lehrer in Sofia kaum, und wenn er an Demonstrationen teilnimmt, wenn er politisch wird, dann eher unabsichtlich. In einen der Männer, die er hier kennengelernt hat, hat er sich verliebt, das Ende dieser Liebe hat er nie überwunden.

Garth Greenwell, der mit seinem vielgelobten Roman Was zu dir gehört geglänzt hat, hat einen ganz eigenen Stil: Er schreibt introvertierte Männer, er schreibt Melancholie und tiefgehende Ausgegrenztheit, er schildert Distanz, Nachdenklichkeit, Traurigkeit. Sein Protagonist, der versucht hat, in Sofia eine zweite Heimat zu finden, zumindest eine Heimat auf Zeit, ist ein sensibler Mann, der sich mit den Begegnungen und Dates auseinandersetzt, die seinen Aufenthalt in Sofia geprägt haben. Dabei geht es um Sex und Politik, in erster Linie um heftigen, intensiven, schmerzhaften Sex, der meist keinen Spaß macht, der zumindest einem der Beteiligten ernsthaft wehtut, es geht um Befriedigung und die Suche danach, um den Sex von Fremden und den Sex von Liebenden. Greenwell lässt kein Detail, keine Körperstelle, keine Regung aus, und trotzdem: Dieses Buch ist kein heiterer Mitmachporno, dazu ist es viel zu bedrückend. Im Gegensatz zu Greenwells Erstling hat es keine zusammenhängende Romanhandlung, die Kapitel sind vielmehr einzelne Geschichten, deren Klammer Sofia als gemeinsamer Ort ist. Interessant finde ich, dass ein Mann, der auf diese Weise Sex hat wie der amerikanische Lehrer im Buch, frei bleibt von den Urteilen, mit denen eine Frau sich konfrontiert sähe, dass er zu keiner Zeit einer Wertung ausgesetzt ist, nicht einmal im inneren Monolog. Ein gut geschriebenes, stellenweise verstörendes, insgesamt seltsames Buch, bei dem ich auf eure Meinungen gespannt bin, sobald es auf Deutsch erscheint.

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