Bücherwurmloch

Han Kang: Die Vegetarierin

„Erwartete Yong-Hye, dass Äste aus ihr wachsen?“
Von einem Tag auf den anderen hört sie auf, Fleisch zu essen, zu berühren, zuzubereiten. Für den Ehemann von Yong-Hye ist das zuerst ein Ärgernis, dann eine Katastrophe: Er versteht seine verschlossene, seltsame Frau nicht, findet keinen Zugang zu ihr, bemüht sich nicht einmal darum. Sie scheint beängstigende Träume zu haben, die sie zur Vegetarierin machen, sie wird immer dünner, immer weniger. Als er ihre Familie zu Hilfe ruft, eskaliert die Situation – denn Yong-Hye lässt sich von niemandem mehr etwas sagen. Und so wird ihre Weigerung, Fleisch zu essen, zu einer kleinen, stillen Revolution, die in ihrem Umfeld für ein Erdbeben sorgt.

Auf gewohnt eigensinnige Art erzählt die südkoreanische Bestsellerautorin Han Kang von Pflanzen und Fleisch, von den Gepflogenheiten ihres Landes und dem Unwillen der Menschen, einander Freiraum zu gewähren. Der Roman ist in drei Episoden unterteilt, jeweils aus der Sicht einer anderen Figur erzählt, Yong-Hye selbst kommt nie zu Wort. Sie ist die Fläche, auf die einerseits Ärger, andererseits Begehren projiziert wird – und zwar von den Männern. Es sind die Männer in ihrem Leben, die nicht mit ihrem neuen Verhalten klarkommen, der eine will sie verändern, der andere will sie besitzen, keiner von beiden bemüht sich darum, sie zu verstehen. „Die Vegetarierin“ enthält eine der merkwürdigsten Sexszenen, die ich je gelesen habe, und ich weiß nun, warum viele Leute diesen Roman „Pflanzenporno“ genannt haben.

Verstörend, beklemmend, erregend – all das trifft auf dieses Buch zu, das ein ganzes Knäuel an Gefühlen auslöst: Scham und Ekel, Verständnis und Zustimmung, Befremden und fast schon körperliches Unwohlsein. Es strahlt eine betörende Faszination aus und stößt zugleich zutiefst ab. Und ich finde es hochgradig beachtenswert, dass Han Kang so etwas gelingt – auf gerade mal 190 Seiten. Chapeau!

Die Vegetarierin von Han Kang ist erschienen bei Aufbau (ISBN 978-3-351-03653-9, 190 Seiten, 18,95 Euro). Hier findet ihr auch meine Gedanken zu ihrem aktuelleren Roman Deine kalten Hände.

2 Comments to “Han Kang: Die Vegetarierin”

  1. Hallo,

    das Buch hat mich zutiefst beeindruckt – wie bisher alle Bücher der Autorin.

    Als ich mein erstes Buch von ihr las, hatte ich bereits Meinungen zu ihren Werken gehört, die mich erwarten ließen, ein wenig mit ihren Büchern kämpfen zu müssen. Tatsächlich habe ich mich sehr schnell in den Schreibstil und die eigenwilligen Charaktere verliebt, gerade weil sie den Leser fordern.

    Das sind Bücher, die die oftzitierte Axt von Kafka sein könnten.

    Die Sexszene hatte ich schon halb vergessen, obwohl ich micht jetzt gerade frage, wie mir das gelungen ist…

    LG,
    Mikka

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