Bücherwurmloch

Han Kang: Deine kalten Hände

„Jemandem wie Ihnen möchte man im Dunkeln nicht begegnen“

„Wenn ich Menschen kennenlernte, hatte ich schon seit Langem die Angewohnheit, erst auf das Gesicht und dann auf die Hände zu sehen. Bei genauer Betrachtung ihrer Bewegungen kann ich etwas davon erspüren, was für ein Mensch sich hinter dem Gesicht verbirgt. Hände sind wie ein zweites Gesicht. Sie bewegen sich, zittern und versprühen Gefühle.“

Vielleicht ist das der Grund, warum der Bildhauer Jang Unhyong so gern Gipsabdrücke von Händen nimmt. Es ist nicht einfach für ihn, Modelle zu finden – er tut es nur bei Frauen –, die das zulassen, weil es freilich sehr intim ist, den eigenen Körper zur Verfügung und zur Schau zu stellen. Als er eine stark übergewichtige Studentin kennenlernt, ist er fasziniert von ihrer Schönheit, und es gelingt ihm, sie dazu zu bringen, sich langsam zu öffnen. Die beiden kommen sich näher, doch es ist nicht unbedingt Liebe, was sie verbindet, es ist etwas anderes. Die Sehnsucht, weniger einsam zu sein, vielleicht, oder die Lust, die im gegenseitigen Quälen steckt. Lange Zeit werden diese Frau und ihre vielfältigen Probleme den Künstler beschäftigen:

„Ich habe dann das Gefühl, dass nicht ich das Essen esse, sondern das Essen mich. Als würde ich einfach hinuntergewürgt oder als ob mir der Kopf abgerissen wird.“

Eingebettet ist diese Geschichte in eine Rahmenhandlung, die ich, offen gesagt, nicht gebraucht hätte – die Schriftstellerin, der Jang Unhyongs Tagebuch zugespielt wird, ist eine unnötige, kurz auftauchende Figur, die weder das Rätsel lösen kann noch sonst eine sinnvolle Funktion hat. Davon abgesehen, ist aber der Kern des Buchs – der Bericht des Schriftstellers – auf großartige Weise seltsam. Besonders lesenswert fand ich den ersten Teil über seine Kindheit, auch wenn sie – in Hinblick auf Masken und den Umgang der Menschen damit – manchmal arg plakativ dargestellt wird. Die Mechanismen liegen offen, da lässt Han Kang keine Zweifel aufkommen, sie ist in dieser Hinsicht nicht sehr subtil. Schön ist aber das Zarte an ihrer Sprache, das Beobachten aus der Distanz, sie ist mit ihren Figuren nicht sehr eng, bleibt eher unbeteiligt. Das gibt mir das Gefühl, dass sie ihre Regungen fast teilnahmslos beobachtet und seziert, eine gewisse Kühle liegt in der Tonalität. Das passt auch insofern, als dass es im Buch um den Versuch geht, sich anderen Menschen zu nähern – auf welche Art auch immer das gelingen kann. Was ist Schönheit? Wie nehmen wir unsere Körper wahr? Was tun wir, um Idealen zu entsprechen, denen wir gar nicht entsprechen können? Und: Ist man einmal in diesen Strudel gefallen, kann man ihm je entkommen? Han Kang erzählt von Magersucht und Einsamkeit und von dem Wunsch, mit Kunst all das auszudrücken, was der Mensch nicht sagen kann.

„Zuneigung hat etwas Einsames. Sie kann für einen Moment sehr heftig sein, ist aber nicht beständig. Man kann nicht auf sie zählen, weil sie sich verändert, verblasst oder für immer verschwindet.“

Deine kalten Hände von Han Kang ist erschienen im Aufbau Verlag (ISBN 978-3-351-03762-8 , 312 Seiten, 22 Euro).

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