Bücherwurmloch

Hiromi Kawakami: Die zehn Lieben des Nishino

„Nishinos Kuss schloss alles ein, was zu unseren vierzehn Jahren gehörte, und schloss zugleich alles aus. Wir küssten uns aus Leibeskräften“

„Warum hast du mit mir geschlafen?“, fragte ich.
„Weil du in mich verliebt bist, Tama“, antwortete er. Seine Stimme klang traurig. Anscheinend war er genauso traurig wie ich.

Das bringt wohl am besten auf den Punkt, wie Nishino ist: Die Frauen verlieben sich in ihn, ohne erkennbaren Grund, er verbringt Zeit mit ihnen, hat Sex mit ihnen, zieht dann weiter. Manche lieben ihn sehr, andere weniger, bei keiner bleibt er. Ein Kerl, den man Casanova nennen könnte, ist er nicht, dazu ist er zu wenig heißblütig, bricht die Herzen mit zu wenig Absicht und Spielerei. In zehn Geschichten beleuchtet die japanische Autorin Hiromi Kawakami, die in ihrer Heimat zu den Literaturstars gehört, eine Männerfigur, die von der Leichtigkeit der Liebe umgeben ist. Doch einer, der immer geliebt wird, aber niemals selbst liebt, kann die Tiefe dieses Gefühls gar nicht nachempfinden.

„Wir waren besorgt. Entrückt. Verzweifelt. Wir waren leicht. Drauf und dran, einander zu lieben. Dennoch verharrten wir an der Schwelle der Liebe, unfähig, sie zu überschreiten.“

Sie schreiben auf eine sehr eigene Art, die japanischen Schriftsteller und Schriftstellerinnen. Sie beobachten ihre Figuren auf durchaus zugeneigte, dennoch distanzierte Weise. Eine seltsame Kühle liegt in allen japanischen Büchern, die ich gelesen habe, und es waren einige. Sie erzählen von Einsamkeit und der Unfähigkeit, einem anderen Menschen nahe zu kommen, von Gefühlen, denen zwar nachgespürt wird, die jedoch unergründlich bleiben. Und über allem liegt stets eine Aura von Traurigkeit.

„Nishino zu küssen, war wunderschön. Schöner als alles, was ich bisher gekannt hatte. Und dennoch fühlte es sich einsam an. Es war der einsamste aller Momente von Einsamkeit, die ich je erlebt hatte.“

Man wird nicht schlau aus Nishino und auch nicht aus den zehn Frauen, die ihn in diesem Buch lieben. Das muss man aber auch gar nicht. Dies sind vielmehr kurze Beobachtungen, ein Angebot an Möglichkeiten, das Hiromi Kawakami dem Leser unterbreitet. Über ihr Buch Der Himmel ist weiß, die Erde ist blau habe ich geschrieben: Sie zeigt, dass die Liebe viele Gesichter hat. Auch ganz fremde.
Das macht sie immer noch. Und sie macht es gut.

Die zehn Lieben des Nishino von Hiromi Kawakami ist erschienen bei Hanser (ISBN 978-3-446-26169-3, 192 Seiten, 20 Euro).

 

 

 

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