Kleine Köstlichkeiten: 4 Sterne

Yael Inokai: Mahlstrom

IMG_9699„Erzählen durfte ich es keinem, das musste ich bei meinem Leben schwören, und ich schwor so oft auf mein Leben, als hätte ich endlos viele zur Verfügung“

„Ich muss über meine Schwester erzählen, sonst machen das andere, und dabei kann nichts Gutes rauskommen.“

Das sagt Adam, denn seine Schwester Barbara ist tot. Sie ist in den Fluss gegangen, in diesen Fluss, der sie fast nicht mehr ausgespuckt hat, und da hat sie dann schon ausgesehen wie etwas, das man nicht vergessen kann. Deshalb muss Adam sich erinnern, an die Schwester, an früher, an die Schulzeit. Und an die Freundschaften zu Nora, Hans, Annemarie und Yann, diese Freundschaften, die so alltäglich waren und doch so zutiefst traumatisierend.

Schon lange habe ich mir nicht mehr so viele Sätze markiert in einem Buch. Schon lange habe ich nicht mehr derart mit der Stirn gerunzelt beim Lesen, mich gewundert und mich gefreut. Über dieses Seltsame, von dem Yael Inokais Buch durchdrungen ist, über die klare, biegsame Sprache, die alles zu tun scheint, was die Autorin will. Sie gibt verschiedenen Figuren eine Stimme – Nora, Yann und Adam – und lässt sie erzählen von Barbaras Selbstmord, vom Leben im Dorf, von dem, was sie getan haben, als sie Kinder waren. Ein großes Geheimnis gibt es da nicht zu enthüllen, und klassischer könnte das Vergehen der Kinder kaum sein, doch: Die Art, wie Yael Inokai darüber schreibt, die ist besonders.

Ich kann mich diesem Buch nicht entziehen. Es hat diese Stimme, die mich lockt, diesen Singsang, dieses Nüchterne, das so lakonisch klingt und gleichzeitig entwaffnend. Die verschiedenen Stimmen verweben miteinander, reden aneinander vorbei und sagen doch dasselbe, mit anderen Worten, mit anderen Beweggründen. Diese Kindheit auf dem Land, sie könnte das Paradies sein. Und doch wird es kaum jemanden überraschen, dass sie das eben nicht ist, nicht im Geringsten. Dass auch das Erwachsensein dort nicht paradiesisch ist, sondern ungut, schwierig, geprägt von dem, was die anderen reden – und da kann nichts Gutes dabei rauskommen. Bis auf dieses Buch, das sehr wohl gut ist, sehr gut sogar.

Mahlstrom von Yael Inokai ist erschienen im Rotpunktverlag (ISBN 978-3-85869-760-8, 180 Seiten, 22 Euro).

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