Bücherwurmloch

Anne Rabe: Die Möglichkeit von Glück

„So von außen sieht es schön aus, aber wenn ich einmal hineintrete, entfaltet sich vor mir ein düsteres Labyrinth“

Stine wird in den Achtzigerjahren in einer kleinen ostdeutschen Stadt geboren, dass die Mauer fällt, bekommt sie als kleines Kind mit. Was die Wende für sie, ihre Familie und das ganze Land bedeutet, wird ihr erst in den Jahrzehnten danach klar. Und sie begibt sich auf Spurensuche: Was für ein Mensch war ihr Großvater, gibt es eine Akte über ihn? Wie lässt sich über die Gewalt sprechen, die geschehen ist, wenn das Stillsein das Wichtigste war als Kind? Wie viel Schmerz wird von Generation zu Generation weitergegeben?

„Ich dringe vor in Mutters Kindheit und ich weiß, dass sie mich dort nicht haben will.“ 

Die Ich-Erzählerin, die stellenweise in die zweite Person Singular wechselt, also die Du-Anrede, die stets etwas unmittelbar Hineinziehendes hat, setzt sich mit dem System der DDR auseinander und notgedrungen gleichzeitig mit ihrer Kindheit, eines bedingt das andere, es ist nicht möglich, sie getrennt voneinander zu betrachten. Die Mutter ist dabei als Ansprechpartnerin nicht vorhanden, in dem Gaslighting, das sie betreibt, wird sie zur großen Leerstelle.

„Du suchst nach Worten für etwas, für das du zum Schweigen verdonnert wurdest.“

Für mich als Österreicherin ist die DDR ein faszinierendes Kuriosum, so nah und doch so fern. Alles, was ich darüber weiß, habe ich mir angelesen, in der Schule war das nicht wirklich ein Thema. Sich lesend zu nähern, ist hilfreich und wichtig, und auch wenn ich das mittlerweile oft getan habe, verliert diese Art von Vergangenheitsbewältigung nicht ihre Bedeutung. Ich bin Anne Rabe sehr gern gefolgt auf ihrem detailliert gezeichneten, von allerhand verdrängten Monstern gesäumten Weg zu einem der Traumata der deutschen Geschichte. Ihre Figur ist aufmerksam, wach und versinkt erstaunlicherweise nicht im Selbstmitleid, sondern stellt sich den großen Fragen über die DDR – den eigenen und denen der ganzen Nation. Ein sehr lesenswertes Buch!

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