Bücherwurmloch

Mariette Navarro: Über die See

„Wer ins Wasser taucht, ist zur Unsichtbarkeit verdammt“

Die Kapitänin ist erfahren, jeden Frachter bringt sie pünktlich in den richtigen Hafen. Schon als Kind war sie auf dem Meer unterwegs, mit ihrem Vater, sie fühlt sich dort mehr zuhause als an Land. Doch dann tut sie etwas Ungewöhnliches: Als die Männer sie bitten, das riesige Schiff auf dem offenen Meer anzuhalten, damit sie schwimmen können, gibt sie ihnen ihre Erlaubnis. Die Männer gleiten also mit dem Rettungsboot hinunter zu den Wellen, die Kapitänin bleibt allein zurück.

„Es gibt drei Arten von Menschen: die Lebenden, die Toten und die Seefahrer.“

Doch so richtig seltsam wird es erst, als die Männer wieder an Bord sind. Plötzlich kann die Kapitänin sich auf nichts mehr verlassen, das Wetter spielt verrückt, sie hört, dass das Schiff einen Herzschlag hat, und welches Geheimnis ist da aus dem Meer aufgetaucht?

„So würde sie gerne sterben, mit einem lauten Krachen, den Wellen ausgeliefert, nach jahrelanger Irrfahrt, wenn die Erde endgültig beschlossen hätte, sie abzuweisen.“

Mariette Navarro hat mit gerade mal 150 Seiten einen schmalen, eindrucksvollen Roman geschrieben, der ebenso mystisch wie poetisch ist. Es ist ihr hervorragend gelungen, das Meer und seine Bewegungen zu schildern, die Faszination der Menschen, die glauben, den Ozean zu beherrschen, und ihm in Wahrheit ausgeliefert sind. In der zweiten Hälfte wird das Buch immer rätselhafter, manche Absätze musste ich mehrmals lesen, um das Gefühl zu bekommen, sie zu verstehen. Trotzdem oder gerade deshalb hat der Roman eine sehr besondere Anziehungskraft, der man kaum entgehen kann. Die Sprache murmelt und plätschert, schlägt Wogen und versprüht Nebel, der die Sicht erschwert. Ein eigenartiges, einprägsames Buch mit einer Geschichte voll von Unerwartetem. 

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