„Mit dem angedockten Sternfahrer im Leib“
Iris ist Sängerin und hat gerade ein Engagement an der Met in New York bekommen, außerdem winkt die Aussicht auf einen Part bei den Salzburger Festspielen. Sie steht auf großen Bühnen, ihre Agentin ist zufrieden, der endgültige Durchbruch zum Greifen nah – und Iris freut sich, denn sie ist schwanger. Von wem das Kind ist, weiß sie nicht: Da gibt es Sergio, ebenfalls Sänger, ebenfalls in der Welt unterwegs, mit dem sie seit Jahren eine Art Beziehung führt, und da gibt es Ludwig, der verheiratet ist und eine Familie hat, den Iris aber mit jeder Faser begehrt und liebt. Mit beiden hält sie Kontakt, mögliche Treffen zwacken sie den überfüllten Terminkalendern irgendwie ab. Ludwig weiß von Sergio, umgekehrt ist das nicht der Fall. Beiden Männern erzählt Iris von der Schwangerschaft, sie reagieren sehr unterschiedlich. Und so jettet Iris von New York nach Deutschland, Österreich, Ibiza, während neues Leben in ihr wächst.
Cherubino ist genau das: ein Roman, der eine Schwangerschaft nacherzählt. Sehr detailreich tut er das, aus der Innensicht der Frau, die dieses Kind bekommen wird. In einem schönen, opulenten Österreichisch widmet sich Andrea Grill einer Zeit, der in der Literatur bisher wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde, weil Muttersein und Mutterwerden als irrelevant galten: den knapp zehn Monaten, in denen ein Baby im Mutterleib getragen wird. Da geht es um Hoffnungen und Ängste, um Blutspuren in der Unterhose und um die Reaktionen des Umfelds. Auch wenn der Roman sich wegen seiner Handlungsarmut zwischendrin ein wenig zieht, finde ich es gut und wichtig, dass er sich so kompromisslos dieser Schwangerschaft verschrieben hat – und ihren Auswirkungen in struktureller Hinsicht: was es für Iris als selbstständige Künstlerin bedeutet, wenn dieser Körper, mit dem sie ihr Geld verdient, vorübergehend nicht für die Bühne zur Verfügung steht, sowie die Frage, wie sie in Zukunft ihre Erwerbstätigkeit mit der Betreuung dieses Kindes vereinbaren kann. Zudem ist dies ein sehr melodischer Roman, in dem Musik zum Lebensinhalt wird.
Cherubino von Andrea Grill ist als Taschenbuch erschienen bei btb.