Bücherwurmloch

Marente de Moor: Phon

„Wahnsinnig, ja, das könnte ich glatt werden“

„Was ich heute putze, ist morgen wieder schmutzig, was ich heute füttere, hat morgen wieder Hunger.“

Sie ist eine robuste, sehr pragmatische Frau: Nadja lebt seit dreißig Jahren mit ihrem älteren Mann Lew in der Einsamkeit der westrussischen Wälder. Und diese Einsamkeit ist allumfassend: Außer den beiden ist niemand da. Einst hatten sie hier ein Labor und Sommercamps, einst hatten sie zwei Kinder und mehrere Bären. Inzwischen redet Lew immer weniger und Nadja führt ein inneres Zwiegespräch mit dem Lokführer, der niemals Halt in ihrer Gegend macht.

„Um diese Tageszeit hat alles gefressen oder es wurde gefressen.“

Nach und nach erzählt sie uns, wie es kam, dass sie in dieser unwirtlichen Gegend gelandet ist, und was in dem Jahr geschehen ist, an das sie sich nicht erinnern will. Vom Himmel ertönen in unregelmäßigen Abständen undefinierbare, sehr laute Geräusche, die Nadja sich nicht erklären kann und die Lew vollkommen verstören.

„Immer wird man vor den Menschen fliehen müssen.“

Endes des Jahres 2021 war dieses Buch ein spätes, aber nicht weniger großartiges Highlight für mich: Es ist eigenwillig, sprachmächtig und melodisch, hat einen seltsamen Sound und eine arge Sogwirkung. Ich hab es förmlich gefressen und sehr gemocht, vor allem, weil einzelne Sätze wie Lichtblicke aus dem düsteren Dickicht herausblitzen:

„Die Kinder waren über unseren Köpfen untergebracht wie ein kleiner Vorrat Liebe auf dem Dachboden.“

So begeistert hat es mich, dass ich mir sofort danach zwei ältere Romane von Marente de Moor bestellt habe, auf die ich nun sehr gespannt bin. Mit „Phon“ ist der niederländischen Autorin, die Slawistik studiert und lange in St. Petersburg gelebt hat, ein vielschichtiger, verstörender, origineller Roman gelungen, der aus der Masse heraussticht. Wenn ihr das leicht Rätselhafte mögt, das leise Geheimnis und ungewöhnliche Orte, kombiniert mit einer präzisen, eingängigen Sprache, dann lege ich ihn euch ans Herz.

„Was du noch hörst und wir längst nicht mehr, ist das Phon. Das Hintergrundrauschen des Lebens.“

Phon von Marente de Moor ist erschienen bei Hanser.

Leave a Comment

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.