Bücherwurmloch

Rutger Bregman: Im Grunde gut. Eine neue Geschichte der Menschheit

„Als wir begannen, in großen Gruppen von Tausenden Fremden zusammenzuleben, änderte sich alles“
Ich verbringe ja einen Großteil meiner Zeit damit, über Bücher zu schreiben und über Bücher zu reden. Trotzdem überfällt mich manchmal eine regelrecht panikartige Starre. Dann nämlich, wenn mir ein Buch so wichtig ist, dass ich Angst bekomme, ich könnte euch nicht entsprechend vermitteln, WIE wichtig. So geht es mir mit diesem Titel von Rutger Bregman, der mit einigen Auftritte und Reden sowie mit seinem Buch „Utopien für Realisten“ sehr bekannt geworden ist. Ich kann euch nicht einmal sagen, warum ich mir „Im Grunde gut“, gekauft habe, wo ich doch recht selten Sachbücher lese. Es war einer der merkwürdigen Fälle von: Nicht ich habe das Buch gefunden, sondern das Buch hat mich gefunden. Und es war allerhöchste Zeit. Weil ich oft zu kämpfen habe mit meinem Menschheitshass, mit meinem Zynismus, mit dem Gedanken: Sterben wir doch bitte alle aus, dann hat diese Dummheit, diese Ignoranz, diese Grausamkeit ein Ende. Ich bin extrem geprägt von dem Glauben, dass der Mensch im Grunde schlecht ist. Dass da nichts Gutes in ihm schlummert, nur Gier, nur Egoismus, nur blindes Handeln zum eigenen Vorteil. In vielen, vielen Schulstunden habe ich gelernt, dass der Urzeitmensch seine Artgenossen erschlagen hat, um sein Überleben zu sichern, dass wir nie etwas anderes getan haben, als Krieg zu führen, dass wir Millionen getötet haben, dass wir die Religion als Vorwand nutzen, um Andersgläubige zu ermorden, dass wir an Geld interessiert sind, an Besitz, an Macht. Ich habe gelernt, dass Menschen, die auf einer einsamen Insel stranden, gewalttätig werden – siehe Herr der Fliegen –, dass Menschen, die zu Wärtern und Insassen gemacht werden, völlig außer Kontrolle geraten – siehe Stanford-Prison-Experiment. Ich habe gelernt, dass Leute, die mitbekommen, wie vor ihren Augen eine Frau vergewaltigt und ermordet wird, ihr nicht helfen – siehe Kitty Genovese –, und dass jede Gesellschaft auf Mord und Hass fußt.

Dann kam Rutger Bregman mit diesem Buch. Und hat mir gezeigt, dass alles, wirklich alles, was ich gelernt habe, nicht stimmt. Die Sache ist: Wenn er Recht hat, dann stellt das unsere gesamte Welt auf den Kopf. Wenn er Recht hat, dann ist das nicht einfach nur ein Sachbuch, sondern eine Revolution. Dann gehört es in jede Schulklasse, in jedes Bücherregal, in jedes Gehirn. Ich wünschte, ich hätte es schon vor Weihnachten gelesen – ich hätte es ungelogen jedem geschenkt, den ich kenne. Wenn er Recht hat, dann sind wir nicht die hasserfüllten, egogetriebenen Wesen, die wir zu sein glauben sollen, sondern voller Mitgefühl und Freundlichkeit, erfüllt vom Wunsch nach Zusammenhalt und Gemeinsamkeit. Ich habe dieses Buch verschlungen, oft noch bis Mitternacht gelesen, so sehr hat es mich erschüttert. Zweimal habe ich angefangen zu weinen. Zurückgelassen hat es mich in dem Bewusstsein, dass ich alles, was ich geglaubt habe zu wissen, überdenken muss. Dass vielleicht – und ich hätte nie gedacht, dass ich so etwas einmal sagen würde – doch noch Hoffnung für uns besteht. Ein kleines bisschen. Weil wir im Grunde gut sind.

Im Grunde gut. Eine neue Geschichte der Menschheit von Rutger Bregman ist erschienen bei Rowohlt, übersetzt aus dem Niederländischen von Ulrich Faure und Gerd Busse.

 

 

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