Bücherwurmloch

Iris Wolff: Die Unschärfe der Welt

„Auch jemand, dachte sie, der der einzige Mensch auf der Welt für einen gewesen war, kann verschwinden, als hätte es ihn nie gegeben“

„Was meinst du mit einheimisch? Schwäbisch, slowakisch, ungarisch, rumänisch, tschechisch, jüdisch oder vielleicht serbisch?“

Iris Wolff erzählt von einer Familie aus dem Banat, von sieben Menschen, die miteinander verwandt sind oder auch nicht, sie webt ihren Roman über die Generationen hinweg – und mitten hinein in das Zusammenbrechen des Ostblocks.

„Es gab eine Zeit, die vorwärts eilte, und eine Zeit, die rückwärts lief. Eine Zeit, die im Kreis ging, und eine, die sich nicht bewegte, nie mehr war als ein einzelner Augenblick.“

Da ist Florentine, die beinahe ihr Baby verliert, eine eher in sich gekehrte, aber starke Frau. Da ist Hannes, ihr Mann, dessen Pfarrhaus allen offensteht, die Unterschlupf suchen, und der deshalb im Gefängnis verhört wird. Es gibt Stana, die sich in Samuel verliebt, mit dem sie aufgewachsen ist, und Bene, den homosexuellen Buchhändler aus Berlin. Und schließlich ist da noch Liv, die viele Jahre später lebt und zaubern kann.

„Die Erinnerung ist ein Raum mit wandernden Türen. Manchmal trifft dich der Schatten eines Berges, manchmal ein Wort.“

Es geht um Erinnerungen in diesem Buch, um ihr Verhaftetsein an Orten, um ihr Wandern mit den Menschen, die ihre Heimat verlassen (müssen). Es geht um Länder und ihre sich verschiebenden Grenzen, um die DDR, das Banat und Siebenbürgen. In einer zarten, aber kraftvollen Sprache erzählt Iris Wolff, die mit diesem Roman für den Deutschen Buchpreis nominiert war, von Aufbruch und Flucht, vom Ausharren, von Verlust und dem unerbittlichen Strom der Zeit. Sehr melodisch sind die Sätze, das ganze Buch ein einziger, getragener Wohlklang, wunderbar flüssig zu lesen. In einem Interview hat die Autorin gesagt, sie lese sich das Geschriebene oft selbst laut vor, das tue ich ebenso, weil man dann den Rhythmus der Worte ganz anders hört. Die Unschärfe der Welt ist ein sehr schönes, rundes, wirklich lesenswertes Buch über eine verlorene Zeit, die wir nur in der Erinnerung bewahren können.

„Es war möglich, dass jemand nach einem Buch fragte, dass jetzt, wo die Grenze offen war, nicht nur Menschen und Waren wandern mussten, sondern auch Geschichten.“

Die Unschärfe der Welt von Iris Wolff ist erschienen bei Klett-Cotta.

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