Bücherwurmloch

Chloe Benjamin: The Immortalists

„You wanna know the future? Look in the mirror“
Sie sind vier Geschwister, und sie haben einen Plan: Sie wollen eine Wahrsagerin aufsuchen. Im Jahr 1969 lassen sich Simon, Klara, Daniel und Varya Gold das exakte Datum ihres Todes verkünden. Sie sind Kinder, sie wissen nicht, was sie tun – und wie sehr das ihr Leben verändern und bestimmen wird. Sie nennen einander den Tag nicht, an dem alles zu Ende sein soll, und jeder für sich geht anders damit um. Ist das vielleicht nur Humbug? Oder werden sie wirklich wie angekündigt sterben? Simon ist mit seinen 16 Jahren eigentlich zu jung, um mit seiner Schwester Klara nach San Francisco abzuhauen, doch wenn die Wahrsagerin Recht hat, hat er nicht viel Zeit: Er stürzt sich in das wilde bunte schwule Leben der Achtziger. Klara möchte eine berühmte Magierin werden, eine Illustionistin, und sie schafft es bis nach Vegas. Daniel gelingt eine militärische Karriere, die ein abruptes Ende findet. Und Varya forscht an Affen, um eine Möglichkeit zu finden, wie der Mensch ewig leben kann – ohne dabei zu merken, dass ihr Dasein längst nicht mehr lebenswert ist.

Die Idee ist freilich nicht neu: Sag einem Menschen, wann er sterben wird, und beobachte, wie er sich ab da verhält. Chloe Benjamin hat dies zur Ausgangssituation für ihren zweiten Roman genommen und vier Figuren erdacht, denen jeweils ein Kapitel gewidmet ist. Ich muss gestehen, ich hatte keine sehr hohen Erwartungen an den Roman – und war dann positiv überrascht. Besonders die erste Story rund um Simon, der sich so vorbehaltlos, blutjung, naiv und voller Lebenslust ins goldene Gedränge San Franciscos wirft, hat es mir angetan. Überhaupt schreibt Chloe Benjamin sehr gefühlvoll, und damit meine ich keine romantischen Gefühle: Neid und Missgunst finden ebenso ihren Platz wie Versagensangst und Trauer. Die Geschwister, die einst so eng verbunden waren, verlieren sich über die Jahre aus den Augen. Wie sehr der Besuch bei der Wahrsagerin ausschlaggebend dafür ist, lässt sich nicht genau sagen: Zu wissen, wann sie sterben werden, lastet – wenn auch auf unterschiedliche Weise – schwer auf diesen vier Seelen.

Es gehört für uns zum Leben, nicht zu ahnen, wann unser letzter Tag sein wird. Das ist die Essenz von Carpe Diem. Es kann morgen vorbei sein oder in vierzig Jahren. Wie würden wir uns verhalten, wenn wir es wüssten? Würden wir es überhaupt glauben? Natürlich hat der Roman durch sein Thema ein bisschen was von Final Destination – literarisch umgesetzt. Nicht alle Ideen, nicht alle Protagonisten haben mich restlos überzeugt. Dennoch hab ich das Buch gern gelesen, fand es interessant und originell, schlau konstruiert. In 28 Ländern ist es erschienen und dominiert die Bestsellerlisten – weil es gut geschriebene, niveauvolle Unterhaltung bietet, die man schlicht jedem empfehlen kann.

The Immortalists von Chloe Benjamin ist auf Deutsch unter dem Titel Die Unsterblichen erschienen im btb Verlag.

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