„Es gibt keine Frau, nirgendwo, die nicht von einem Mann in den Dreck gezogen wird und liegen gelassen“
„Wenn sie ihm ins Gesicht sah, kam ihr zuweilen der Gedanke, dass alle Frauen von der Wiege bis zum Tod verdammt waren; allen war auf die eine oder andere Weise dasselbe grausame Schicksal zugedacht: Sie waren auf der Welt, um die Last der Männer zu tragen.“
Und sie tragen schwer an dieser Last, Florence und Deborah und Elizabeth, allesamt schwarze Frauen im Amerika der Dreißiger- und Vierzigerjahre, sehr schwer. Ihre Leben sind verbunden mit denen der Männer, sie sind ihnen ausgeliefert in jeder Hinsicht. Vielleicht fragt ihr euch jetzt, warum die Frauen thematisieren, ist das nicht ein Buch über einen Jungen, der dem Einfluss seines Priester-Vaters zu entkommen versucht, ist das nicht ein Roman über Rassismus und die Folgen der unmenschlichen Sklaverei? Natürlich. Aber nichts von dem, was geschieht, wäre geschehen, hätte es nicht diese Entwertung der Frauen gegeben. Sie werden geschwängert und im Stich gelassen, sie werden entehrt, entwürdigt, weil die Männer vorgeben, wie sie zu sein haben, genau dieselben Männer, die ihnen alles entziehen, die sie schlagen und für vermeintliche Sünden büßen lassen. Sünden, die niemand anderer begangen hat als diese Männer selbst.
James Baldwins großer, wiederentdeckter, hochgelobter Roman ist nicht nur ein Roman über Religion und Wahn, über Rassismus und Gewalt, sondern auch einer über Frauen. Die Frauen im Hintergrund, denen so viel Ungerechtigkeit angetan wird, von der Gesellschaft im Außen, von den Ehemännern im Innen, und hier gerät alles in Bewegung, hier liegt die Saat, die später aufgeht in den Kindern. Was kann Gutes kommen von Menschen, die nur die Ketten weitergeben, in denen sie selbst gefangen sind? Niemand handelt nach dem, was er predigt in diesem Buch, niemand lebt die Nächstenliebe, von der das Christentum so hochtrabend erzählt. Stattdessen gibt es Schläge und Lügen, Betrug, Verrat, Selbstgerechtigkeit und Verletzungen, die über Generationen hinweg schmerzen. James Baldwin hat dafür einen sehr eigenen Ton gefunden, der sich hineinschraubt in den Leser, einprägsam und schonungslos. Dies ist ein Buch, das seinen Inhalt ausschüttet über einem, es hat eine Wucht, die einen atemlos macht, beinahe beängstigend ist das, ein Sturm aus Ohrfeigen.
Die Menschen, sie zerfleischen sich selbst, sie zerfleischen einander. Und Religion ist ihnen dabei ein Antrieb, eine Rechtfertigung, Religion bildet Regeln aus, willkürlich von Menschen erdacht und von einem vermeintlichen Gott besiegelt: Du darfst keinen Sex haben vor der Ehe, und wenn du doch welchen hast, mögest du verdammt sein, du darfst nichts anderes wollen als Beten, du darfst der Versuchung nicht nachgeben, die überall lauert, und dem Teufel nicht. James Baldwin steigert das Religiöse, in das der Mensch gerät, zu einem Rausch, der wirrer und wirrer wird, zu einem Hurrikan, dem keine seiner Figuren entkommen kann. Das ist großartig und zermürbend und wichtig und klug, es ist wahr, und es ist vor allem eins: unendlich traurig.
Von dieser Welt von James Baldwin ist erschienen im dtv (ISBN 978-3-423-28153-9, 320 Seiten, 22 Euro).