Bücherwurmloch

Leïla Slimani: Dann schlaf auch du

„Man fühlt sich einsam mit Kindern“
Myriam und Paul leben in Paris, in einer kleinen Wohnung, weil die Wohnungen offenbar nun mal klein sind in Paris und kaum bezahlbar, sie haben zwei Kinder, und dann möchte Myriam wieder arbeiten gehen. Sie war bis dahin zuhause, natürlich, wer sonst. Ein Klassiker, tausendfach erprobt auf dieser Welt, immer braucht es jemanden, der die Kinder hütet. Das ist in diesem Fall Louise. Eine Nanny, wie man sie sich nur wünschen kann, gewissenhaft und sorgsam, in kürzester Zeit hat sie alles im Griff, den Nachwuchs, die Wohnung, die gesamte Organisation des Alltags dieser kleinen Familie. Man mag sich, man ist dankbar, vielleicht freundet man sich sogar ein wenig an. Und dann gerät alles ins Rutschen, in eine Schieflage, die so extrem ist, dass am Ende beide Kinder tot sind.

Und damit verrate ich euch nicht zu viel, denn das sagt Leïla Slimani dem Leser selbst gleich zu Beginn: Pass auf, hier hast du es mit doppeltem Mord zu tun. Was auch immer du zu erkennen glaubst auf den folgenden Seiten, in der folgenden Geschichte, wird auf den Tod zweier Kinder hinauslaufen. Und mich schreckt das ab, ich persönlich mag es nicht, wenn mir das Ende am Anfang verraten wird, weil ich mich dann frage, wozu ich es noch lesen soll, das ganze Buch, wenn ich doch keine neue Erkenntnis werde gewinnen können. Anmaßend? Ja, aber freilich. Die Sprache, könntet ihr sagen, und der Weg zu diesem Ende, könntet ihr auch sagen – stimmt natürlich alles, trotzdem: Das hätte nicht sein müssen. Das hat sämtliche Spannungsmomente zerstört, den Drive gestohlen.

Leïla Slimani macht diese in meinen Augen unglückliche Konstruktion ihres Bestseller-Romans, der auch verfilmt wird, tatsächlich wieder wett, und zwar durch die Art, wie sie erzählt. Merkwürdig kühl ist ihr Ton, distanziert, mancherorts seltsam spöttisch, als mache sie sich ein wenig lustig über ihre Figuren, über Myriam, die so gern Karriere machen möchte, die jetzt diese Kinder hat und sich fragt, was sie soll mit denen – und das ist ja so etwas, über das nur selten geredet wird, weil es stark tabuisiert ist, dass man seine Kinder vielleicht nicht immer so liebt, wie man das sollte, dass man sie vielleicht auch nicht immer haben möchte – und über Paul, den Mann, der eher im Schatten steht in der Geschichte, weil Männer das immer tun im Familiengewirr, weil sie nur denken, sie hätten die Hosen an und Einfluss, und über Louise, die Nanny, die in Wahrheit gar nichts im Griff hat, vor allem nicht ihr eigenes Leben. Die Autorin erzählt von Louises verstorbenem Mann, von ihrer verschwundenen Tochter, von ihren Geldsorgen. Und freilich bleibt die Frage: Rechtfertigt das ihre Tat? Lässt sich eine solche Tat überhaupt in irgendeiner Weise rechtfertigen, erklären?

Dann schlaf auch du ist kein Krimi oder Thriller im eigentlichen Sinn, vielleicht eher eine Art Berichterstattung mit gruseligem Ausgang, die Herleitung eines Verbrechens mit schönen Worten. Was Leïla Slimani ausgezeichnet gelingt, ist das Einfangen einer unheilvollen Stimmung, das Zeichnen kleiner, vermeintlich unwichtiger, alltäglicher Szenen, die zusammengefügt ein Zerrbild ergeben, ein Kippbild, das aus Myriams Sicht anders aussieht als aus Louises. Da ich selbst Kinder habe, lese ich ein Buch mit einer derartigen Geschichte natürlich mit größtmöglichem Unbehagen. Es hat mich positiv überrascht, das muss ich gestehen, ich hatte es mir sehr cheesy vorgestellt und effektheischend. Das ist es nicht. Dafür aber beklemmend, intensiv, gut.

Dann schlaf auch du von Leïla Slimani ist erschienen bei Luchterhand (ISBN 978-3-630-87554-5, 224 Seiten, 20 Euro).

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