Für Gourmets: 5 Sterne

Jacqueline Woodson: Ein anderes Brooklyn

IMG_9697„Ich fing an, sie zu hassen. Ich fing an, sie zu lieben“

Aber was ist mit seinen Töchtern?, fragte ich mich. Was hat Gott mit seinen Töchtern gemacht?

August ist in Brooklyn, mit ihrem Vater, mit ihrem Bruder, einzig die Mutter fehlt, und August wartet. Überzeugt davon, dass die Mutter wiederkommen wird, morgen und morgen, überzeugt, dass alles sich ändern wird. Die Hitze, das Fremdsein, die aufkeimende Pubertät, die so verwirrend ist. Doch in Wahrheit ändert sich nichts, nur der Vater hat neue Frauen, nur die Kinder werden größer. Angela, Sylvia und Gigi werden Augusts Freundinnen, jede auf ihre Art angeknackst, noch nicht zerbrochen, und doch sind die Risse in ihren Fassaden schon erkennbar.

Wir trugen Rasierklingen in unseren Kniestrümpfen und ließen uns lange Fingernägel wachsen. Mit der Zeit bewegten wir uns auf den Straßen Brooklyns, als wären wir nie woanders gewesen – mit lauten Stimmen und noch lauterem Lachen. Doch Brooklyn hatte längere Nägel und schärfere Klingen. Jeder zugedröhnte Soldat, jedes hungrige Kind mit aschfahlen Knien hätte uns das sagen können.

Ein anderes Brooklyn ist viel weniger ein Buch und viel mehr ein Büchlein, schmal, mit Leerzeilen zwischen den Blöcken, kaum eine Geschichte. Und dennoch. Ich habe es nicht gelesen, sondern ratzfatz atemlos auf einer eineinhalbstündigen Zugfahrt aufgefressen. Es kribbelt auf der Haut während der Lektüre, es rumort im Magen und im Herzen auch. Man kann nicht genau festmachen, woran das Unwohlsein liegt, warum es so sticht und schmerzt. Idealerweise klingt in Büchern wie diesem, die so viel ungesagt lassen, genau das Ungesagte noch viel lauter. Das ist hier der Fall, und es ist sehr gut.

Jacqueline Woodson, selbst in Brooklyn aufgewachsen, schreibt seit zwanzig Jahren preisgekrönte Bücher für Jugendliche – und hat nun ihren ersten Roman für Erwachsene vorgelegt. Liegt es vielleicht daran, dass ihr diese jungen Mädchen so gut gelungen sind, diese vier Dreizehnjährigen, die aus dem Kindsein kippen, die das aufregend finden und doch gleichzeitig die Gefahr erkennen, in der sie sich plötzlich befinden? Es geht um Freundschaft in diesem Buch, um Entwurzelung und Verlust. Es geht um Einsamkeit und Neuanfänge, um das Zurückblicken auf eine Zeit im eigenen Leben, die prägend war. Ein merkwürdiges, verwirrendes und tatsächlich unglaublich intensives Buch.

Ein anderes Brooklyn von Jacqueline Woodson ist erschienen bei Piper (ISBN 978-3-492-05865-0, 160 Seiten, 20 Euro).

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