Kleine Köstlichkeiten: 4 Sterne

Dennis Lehane: In der Nacht

Lehane„Die Welt kann sich verändern, aber der Mensch bleibt immer gleich“
Im Boston der Prohibition ist der junge Joe in wilde Machenschaften rund um den Schmuggel von Alkohol verwickelt. Er treibt Geld ein, raubt Banken aus, geht in den geheimen Speakeasys – den Flüsterkneipen – ein und aus. Es ist eine gefährliche Zeit:

„In Charlestown rührten sich die Leute sogar mit ihren 38ern Zucker und Sahne in den Kaffee.“

So dauert es auch nicht lange, bis Joe in ernsthafte Schwierigkeiten gerät – und schuld daran ist natürlich eine Frau. Er verknallt sich in die schöne Emma Gould, und er vertraut den falschen Leuten. Doch das ist noch lange nicht das Ende der Geschichte, denn auch hier gilt: Man sieht sich immer zweimal im Leben …

In der Nacht von Dennis Lehane ist Action pur. Hinter dem – wie üblich – schlichten Cover von Diogenes wird gemordet und geraubt, geschmuggelt und geschossen. Es geht in diesem Roman, der soeben mit Ben Affleck in die deutschen Kinos kam, heiß her. Das sind Ganoven der alten Zeit, wie man sie sich vorstellt, Gangster im Nadelstreifanzug und mit Hut, Zigarre in der einen Hand, 38er in der anderen. Jeder bescheißt jeden, und so manch einer wird umgelegt, ehe er überhaupt den Mund aufmachen kann. Herrlich schwarze Gangster-Jargon-Sätze und -Dialoge vermitteln das dazugehörige Feeling, zum Beispiel:

„Nehmen Sie lieber den Zug, Gary. Sonst legen wir Sie drunter.“

Oder:

„Ein echtes Kunstwerk, die Frau. Wer in ihr einschläft, kommt dem Himmel bestimmt ziemlich nahe.“

Dennis Lehane und ich kennen uns schon lange. Als ich Anfang zwanzig war, war ich ein großer Fan seiner nervenzerfetzenden Storys. Ich habe die gesamte in den 1990ern erschienene Reihe rund um den Ermittler Kenzie Gennaro gelesen, darunter die Titel A drink before the war, Darkness, take my hand und Prayers for rain, das Dennis Lehane einen grandiosen Aufschwung brachte, weil Bill Clinton damit gesichtet wurde. Dennis Lehane hat zudem ein Händchen für filmreiche Stoffe: Mystic River wurde von Clint Eastwood verfilmt, in Shutter Island spielte Leonardo di Caprio unter der Regie von Martin Scorsese. In beiden Fällen gilt: Das Buch ist besser! (Das muss ich ja sagen.) Ich hab sie damals alle auf Englisch gelesen und bilde mir ein, dass Dennis Lehane im deutschsprachigen Raum noch nicht so bekannt war. Das haben die Filme mit Sicherheit geändert, und der Diogenes Verlag hat sich in der Zwischenzeit dieser amerikanischen Spannungsromane angenommen. Nun wollte ich also sehen, ob wir es noch können, der Dennis und ich, nach all den Jahren. Jaaa, durchaus! Zwar hat In der Nacht mit seinen fast 600 Seiten Längen, und ich gestehe, dass ich am Ende ein wenig sauer war, weil Dennis Lehane mir DAS, was ich euch nicht verraten kann, doch noch antut, aber alles in allem ist dies der perfekte Unterhaltungsroman: gewitzt und originell, fesselnd und gefühlvoll. Ein wilder Ritt im Nadelstreif.

In der Nacht von Dennis Lehane ist erschienen im Diogenes Verlag (ISBN 978-3-257-06872-6, 592 Seiten, 10 Euro).

6 Comments to “Dennis Lehane: In der Nacht”

  1. Guten Morgen,
    Dennis Lehanes Bücher interessieren mich ja doch sehr, obwohl ich eher selten Kriminalliteratur lese. Aber da auf Herzpotenzial auch so sehr von seinen Büchern geschwärmt wird und ich das beschriebene Setting sehr gerne mag, werde ich sicher eins seiner Bücher lesen.
    Ist es egal mit welchem Roman ich beginne oder empfiehlt sich ein Bestimmter?
    Liebe Grüße
    Nanni

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    1. Mariki Author

      Hallo Nanni, gute Frage! Die Gennaro-Romane hängen theoretisch zusammen, sind aber auch jeder für sich genommen gut zu lesen. Shutter Island, Mystic River und In der Nacht stehen jedes für sich, da kannst du dich quasi frei nach Interesse entscheiden … ich würde einfach das Buch mit der Story nehmen, die dich am meisten anspricht! Und ich wünsche viel Vergnügen!

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  2. Bri

    Lehane ist für mich der derzeit beste amerikanische Schriftsteller bezüglich – ich nenne es jetzt mal nicht ganz spezifiziert – Spannungsliteratur. Ich habe ich tatsächlich durch “In der Nacht” kennengelernt und alles weitere, was bei Diogenes jetzt erscheint verschlungen. Seine Personenzeichnung ist grandios, das kann keiner so wie er. Harufs “Unsere Seelen bei Nacht” hat mich auch sehr gefangen genommen. Jetzt erscheint bald “Lied der Weite” von ihm bei Diogenes – es ist großartig. LG, bis bald, Bri

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