Für Gourmets: 5 Sterne

Astrid Rosenfeld: Adams Erbe

Rosenfeld„Hört man auf zu existieren, Anna, wenn niemand mehr weiß, wer man eigentlich ist?“
„Man ist immer zu jung, um nicht mehr zu hoffen.“ Und deshalb tut Adam alles, um Anna zu finden. Sie hatten nur einen einzigen Kuss, nur so wenig Zeit zusammen, bevor die Nationalsozialisten damit begannen, die Juden ins Ghetto zu treiben oder in Zügen fortzubringen. Adam, selbst Jude, soll mit seiner Familie fliehen, mit seinem großen Bruder Moses, der Mutter sowie der Großmutter – einer resoluten Frau, die das Familienvermögen in Diamanten eingetauscht hat, um sie alle nach England zu bringen. Doch stattdessen geht Adam nach Osten, mitten hinein in die Gefahr, und zwei Dinge helfen im dabei: sein arisches Aussehen und der Oberkommandant Bussler, der schon seit vielen Jahren mit Adams Großmutter befreundet ist – obwohl er sich der Sache verschrieben hat und Tötungen im großen Stil verantwortet. Direkt vor der Nase derer, die ihn tot sehen wollen, bewegt Adam sich mit dem Mut der Verzweifelten, und um Anna zu erreichen, schreibt er ihr diese Geschichte,

„deshalb gibt es diese Seiten, Anna, der einzige Ort, an dem mein Name neben deinem steht“,

und viele Jahre später erreicht sie jemanden, der ihm sehr ähnlich sieht.

„Manchmal weiß man nicht, ob man den Sprung über den reißenden Strom geschafft hat oder ob das der Grund des Flusses ist, den man unter den Füßen spürt.“

Dieses Zitat fängt die Stimmung dieses Buchs perfekt ein: die stetige Gefahr. Den Mut, zu springen. Und den Galgenhumor, die Selbstironie, mit der Protagonist Adam seine Situation betrachtet. Euch jetzt zu sagen, dass ein Buch wie dieses, das zur Zeit der Judenverfolgung spielt, traurig ist, ist mit Sicherheit überflüssig. Aber Adams Erbe ist nicht einfach nur traurig, es ist erschütternd. Es bohrt sich in eure Knochen wie ein zugespitzter Eiszapfen. Weil es um einen geht, der verliebt ist, der so gern leben möchte, der nicht versteht, warum ihm verwehrt wird, was für alle anderen eine Selbstverständlichkeit ist. Er bangt und hofft und sucht, und selbst in der größten Not, bis zum bitteren Ende, kämpft er um seine Zuversicht. Das zu lesen, tut einfach nur weh. Und es erinnert mich stellenweise sehr stark an den La vita è bella von Roberto Benigni, ein Wahnsinnsfilm, mit Sicherheit einer der besten, die jemals gedreht wurden. Vorenthalten habe ich euch jetzt die Rahmenhandlung, in die Adams Story eingebettet ist und die – auf ihre eigene Art – ebenso wunderbar zu lesen ist. Dies ist ein Roman, aber auch ein historisches Dokument, eine Geschichte, die genau so geschehen sein könnte. Alles daran ist erfunden und zugleich nichts. Umso bedeutsamer ist dieses Buch, und umso dringender solltet ihr es lesen.

„Aber ich hoffe, das man nicht vergessen wird, dass es Menschen waren, die uns vertrieben haben, dass es Menschen waren, die dieses Ghetto errichtet haben, dass es Menschen sind, die da draußen schießen, dass es Menschen sind, die diese Züge in Bewegung setzen.“

Adams Erbe von Astrid Rosenfeld ist erschienen im Diogenes Verlag (ISBN 978-3-257-06772-9, 400 Seiten, 21,90 Euro). Hier könnt ihr lesen, was die Autorin selbst über ihr Debüt von 2011 sagt.

12 Comments to “Astrid Rosenfeld: Adams Erbe”

      1. na ja, du erwähnst die rahmenhandlung zwar, aber ich finde, es charakterisiert das werk schon, daß es quasi in zwei teile zerfällt, weil dieser zweite erzählstrang doch erheblichem umfang hat. das war im wesentlichen, das, was ich meinte…

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  1. Wow, das Buch hört sich echt gut an. Ich hatte beim Lesen deiner Rezension nicht das Gefühl, dass es eins dieser Verfolgungs-Bücher à la Anne Frank ist. Liege ich damit richtig?

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  2. Ich empfahl es Dir ja bereits als Urlaubslektüre…. Das ist ein Fünfsterner mit Goldrand !!! Á apropos Goldrand, kennst Du “Brautflug” von Marieke van der Pol ?
    lg,
    Susa

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  3. Kathi

    Ich fand es auch sehr gelungen und wirklich gut.
    Am Schluss passiert mir auf einmal zu viel (Herakles etc) und die Rahmenhandlung um Edward ist mir fast zu dünn. Schön und toll zu lesen ist es aber allemal. Danke für die Empfehlung!

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