Gut und sättigend: 3 Sterne

Mai Jia: Das verhängnisvolle Talent des Herrn Rong

Jia„Was nur allzu wirklich ist, erscheint oft als unglaubwürdig“
„Fragen, die nicht gestellt werden dürfen, stellt man nicht, Aussagen, die nicht gemacht werden dürfen, macht man nicht, was man nicht wissen darf, weiß man nicht. Das war ein ungeschriebenes Gesetz in Einheit 701.“ Für diese Einheit arbeitet Rong Jinzhen – allerdings nicht ganz freiwillig. Er versucht dort, die Codes der Kriegsfeinde zu lösen, in erster Linie natürlich die Codes der Amerikaner. Rong entstammt einer alten chinesischen Dynastie, die einst durch Salzhandel reich geworden ist. Als ungewolltes, uneheliches und körperlich missgestaltetes Kind verbringt er seine ersten Jahre in einem Birnengarten. Sein Ziehvater setzt in seinem Testament durch dass Rong eine Chance bekommt – und an die Universität kann, der er ist ein großes Mathematikgenie. Aus diesem Grund wird die Regierung auf ihn aufmerksam und nimmt ihn mit zur Einheit 701. Und wenn Männer dieser Art etwas verlangen, ist es unmöglich, Nein zu sagen.

Mai Jia ist in China ein Star: Er hat sieben Bestseller geschrieben, die 15 Millionen Mal verkauft sowie allesamt verfilmt wurden. Zudem gilt er als Begründer der chinesischen Spionageliteratur, zu der auch dieser Roman gehört. Westliche Maßstäbe lassen sich hier nicht anlegen, denn Geschichtliches, die Familie und die Politik spielen in diesem Genre ebenso eine Rolle wie Spionageverdacht und Rätsel. Das verhängnisvolle Talent des Herrn Rong ist stark in zwei Hälften geteilt: Den Anfang macht Rongs Familiengeschichte, die in typisch asiatischer Manier zugleich ausufernd und seltsam magisch erzählt wird. Doch sobald das junge Genie von der Spionageeinheit quasi entführt wird, flacht das Buch extrem ab, die Magie verschwindet. Und das führt dazu, dass ich gegen Ende immer mehr das Interesse am Roman verliere. Euch das zu erklären, ohne zu spoilern, ist jedoch ausgenommen schwierig. Deshalb möchte ich nur so viel sagen: Rong gerät plötzlich aus dem Fokus und wird zu einer Schattenfigur, was dem Buch in meinen Augen jeglichen Drive nimmt.

Mai Jia hat in mir die Hoffnung geweckt, sein Protagonist werde Großes erreichen, und spannende Szenen aus der Welt der Kriegsspionage würden folgen. Das ist jedoch nicht der Fall, denn der Autor entsorgt sozusagen seinen Helden – und ohne ihn ist sein Buch dann doch ein wenig leer. Da hilft es auch nicht mehr, dass ein Gegenspieler enttarnt war – vor allem nicht, weil seine Identität ohnehin schon lange klar war. Für mich ist Das verhängnisvolle Talent des Herrn Rong ein Roman mit einem fulminanten Beginn und einem enttäuschenden Ende, weshalb ich ihm mit gemischten Gefühlen gegenüberstehe. Wer aber ein Faible für asiatische Literatur und rätselhafte Storys hat, ist damit sicher gut beraten.

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Das verhängnisvolle Talent des Herrn Rong von Mai Jia ist erschienen in der DVA (ISBN 978-3-421-04671-0, 352 Seiten, 19,99 Euro). Eine Rezension dazu findet ihr beispielsweise auf literaturblog.at.

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