Gut und sättigend: 3 Sterne

Stephanie Bart: Deutscher Meister

Bart
„Man sah ihn lieber als tapferen Verlierer, denn als allzu cleveren Sieger“
„Ich will dir was sagen, propagandistisch können wir ihn nicht k. o. schlagen, weil das dumme Publikum ihn liebt. Propagandistisch müssen wir über die volle Distanz gehen und ihn langsam, sorgfältig und säuberlich zerlegen.“ So lautet der Plan der nationalsozialistischen Hintermänner in Bezug auf den Boxer Johann Rukelie Trollmann. Weil er Zigeuner ist, und weil wir das Jahr 1933 schreiben. Der Boxsport wurde bereits von allen Juden gesäubert, doch Trollmann kann man wegen seines Staatsbürgerschaftsnachweises nichts anhaben – vorerst. Dennoch steht freilich außer Frage, dass Trollmann nicht Deutscher Meister werden kann. Und während er trainiert und boxt und Schläge einsteckt, um zu gewinnen, machen die Ränkelspiele der Nazis all seine Chancen auf Fairness zunichte.

Stephanie Bart hat mit Deutscher Meister im Herbst 2014 für Aufsehen gesorgt, und es ist so viel über dieses Buch geschrieben und gesagt worden, dass ich mir etwas sehr Besonderes erwartet habe. Das hab ich auch bekommen – nur irgendwie anders als gedacht. Überrascht war ich, wie verkopft der Roman ist. Damit trifft er absolut den Nerv der Zeit, dieses überkorrekte, sture Festhalten der Nazis an einer von außen betrachtet absurd scheinenden Ideologie. Ich muss es noch einmal sagen, auch wenn ihr es vermutlich schon wisst, dass Deutscher Meister auf einer wahren Geschichte beruht und dass Johann Rukelie Trollmann 1944 im KZ ermordet wurde. Stephanie Bart hat ausgezeichnet recherchiert und den Zeitgeist von 1933 perfekt eingefangen, wofür ich ihr hohen Respekt zolle. Sie nennt die Figuren nur bei den Nachnamen und Funktionen wie „der Erste Vorsitzende“, was zur ausgeprägten Distanziertheit der hohen Herren passt, mich aber überhaupt nicht in die Handlung hineinzieht. Ebendiese Herren verstricken sich schnell in ihre eigenen Regeln und Verstöße, was erheiternd wäre, hätte es nicht einen dermaßen gefährlichen und tragischen Hintergrund. Zudem zeigt die Autorin klar, dass wir uns in einer Männerdomäne bewegen – zwei entzückende Bäckersfrauen, die Trollmann anhimmeln, gibt es da sozusagen als Deko. Die Sprache ist elegisch, heroisch, wahnsinnig – und damit absolut passend.

Mehr Emotion hätte ich mir für die Charakterisierung der Hauptfigur Trollmann gewünscht. Hier bricht Stephanie Bart nur aus dem Nazi-Sprachkorsett aus, wenn Trollmann boxt. Davon erzählt sie – fast wie in einem Sportbericht – sehr detailreich, jeder Boxkampf gleicht einem Rausch. Und trotzdem zucke ich bei allzu offensichtlichen Metaphern wie „Witt wurde weichgeklopft wie ein Schnitzel, bevor es in die Pfanne kommt“ ein bisschen zusammen. Da fließt Blut, das Adrenalin braust durch den Körper, die Seiten quellen über vor Action, Hitze und Geschrei. Das ist gut, das ist aufpeitschend.

Trollmann kämpft einen aussichtslosen Kampf, und weil man das als Leser weiß, trifft jeder Schlag doppelt und man mag nicht hinsehen, wenn der Zigeuner zu Boden geht. Lauf weg, will ich ihm sagen, flüchte, rette dich! Denn die Hysterie und der aufkeimende Hass sind bereits spürbar, Hitler hat jeden Winkel des Alltags durchdrungen, was sich beispielsweise auch in den Zurufen des Trainers zeigt: „Denk daran, wie stark der Adolf ist! Den Gegner auch im Training besiegen. Adolf hätte jetzt weitergemacht!“, feuert er Trollmann an. Stephanie Bart hat dieses Einwirken des Nationalsozialismus auf das tägliche Leben grandios in ihr Schreiben einfließen lassen. Besonders kurios ist etwa dieser Dialog: „,Sehen wir uns morgen Abend auf der Bücherverbrennung?’ ,Achso, ja, natürlich. Aber nur zum Verbrennungsakt, für den Fackelzug hab ich keine Zeit.’“ Dies ist ein Buch, das jeder mochte, ein wichtiges, anklagendes, aufwühlendes Buch, das meine eigenen hohen Erwartungen nicht erfüllen konnte und mich nicht rundum begeistert hat, das aber dennoch gelesen werden sollte.

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Deutscher Meister von Stephanie Bart ist erschienen bei Hoffmann & Campe (ISBN 978-3-455-40495-1, 384 Seiten, 22 Euro).

Noch mehr Futter:
– „Die Handlung des ganzen Buchs läuft selbst ab wie ein idealer Boxkampf: ein stetes Hin und Her, lauter Finten, Vorstöße, Rückzüge und bisweilen Aufwärtshaken und Tiefschläge“, heißt es in der sehr begeisterten Rezension der FAZ.
Die Welt schreibt von einer „Sogwirkung von Stephanie Barts Sprache, dem plastischen Blick auf das Berlin der Dreißigerjahre, den scharf gestochenen Charakterstudien ihrer Figuren, den oft herrlich rasanten und immer souverän komponierten Sätzen, in denen jedes Detail Gewicht hat“.
– „Die Autorin Stephanie Bart bereitet diese Geschichte nun in einem Buch auf, das vieles auf einmal ist: Sportlerdrama und Gesellschaftsroman, Tragödie und Komödie, in jedem Fall ein Meisterwerk“, schwärmt Caterina von den Schönen Seiten.
– „1933 durfte Johann Rukelie Trollmann nicht gewinnen, doch Dank Stephanie Bart ist er nun deutscher Meister für die Ewigkeit – sie hat ihm ein literarisches Denkmal von beeindruckender Qualität gesetzt. Eine große Leseempfehlung!“, begeistert sich Mara von buzzaldrins.de.

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