Ein Debüt mit Schwachstellen
Benedict Wells ist jung, zum Zeitpunkt seines Erstlings war er 23, und schnell stilisiert die Verlagswelt einen solchen Autor zum literarischen Wunderkind. Aber: literarisches Wunderkind my ass. Wells erster Roman über einen alternden, gescheiterten Musiker, der sich als Lehrer verdingt, und ein junges, unselbstständiges Musikgenie hat gute Ansätze – aber leider auch einige Schwächen. Für mich lassen besonders Sprache und Stil zu wünschen übrig. Ich mag die Idee des Buchs, die Gegenüberstellung von zwei Personen, von denen jeweils der andere hat oder bekommt, wonach der eine strebt, auch das Vorhaben, das Porträt eines frustrierten Enddreißigers zu zeichnen, finde ich gut.
Was die Formulierungen betrifft, so kann sich Wells meiner Meinung nach nicht aus der Mittelmäßigkeit herausheben. Schon auf Seite 111 muss ich den Satz lesen “Er fühlte sich leer und ausgebrannt”. Und ich will diesen abgeschmackten, inhaltslosen Satz nicht lesen, niemals, er sollte in keinem Buch mehr vorkommen, das ist in meinen Augen unterste Schublade. Auch mit der Grammatik scheint es zumindest stellenweise nicht so zu klappen, oder warum heißt es “Beck holte einen Lappen und wischte den Thunfischbatzen ärgerlich weg” und nicht “verärgert”? Ja, ich bin kleinlich, ich weiß es, aber in den Momenten, in denen ich das lese, wird mir ganz heiß und ich würde das Buch sehr gerne mit einem Knall zu Boden fallen lassen. Wenn ich mich nicht immer genötigt fühlen würde, weiterzulesen.
So gehen dann also der Deutsch- und Musiklehrer Beck, das musikalische Genie Rauli und der drogensüchtige Deutschafrikaner auf eine Reise, sie fahren mit einem gelben VW quer durch Europa nach Istanbul und erleben dabei so allerhand Action. Der Roadtrip kommt für meinen Geschmack viel zu spät im Buch, bis es endlich losgeht, zieht es sich ganz schön. Auch wird davor, währenddessen und danach viel philosophiert, über das Leben, die Liebe, die Musik. Das soll rasant sein, ich finde es aber leider einschläfernd. Dass der Autor sich als Ich-Erzähler selbst einmischt, mag originell sein, mir gefällt es aber – ganz subjektiv – nicht. Immerhin ist das Ende halbwegs stimmig.
Was also bleibt zu sagen? Vielleicht nur so viel:
“Wegen der ungefähr fünfzig Seiten, die mich als notgeilen Idioten dastehen lassen, der sich zu den Fotos seiner minderjährigen Schülerinnen einen runterholt und seine Kollegen hasst.”
“Ach, das ist nur Literatur.”
Achja.
Christoph schrieb am 15. Juli 2009 @ 9:42
Aber: literarisches Wunderkind my ass. *lach*
Jana Hambüchen schrieb am 29. Juli 2009 @ 2:46
Ganz lustige, gute Kritik. “Wunderkind my ass” war auch gut!! So schlecht fand ich das Buch aber nicht, im Gegenteil, hab es doch in einem Zug runtergelesen und war am Ende ziemlich begeistert. Stimmt, ein paar nervende sprachliche Holprigkeiten gibt es, aber dafür musste ich oft lachen und die Figuren fand ich auch super. Der junge Kerl ist ja erst Anfang zwanzig, wenigstens hat er in seinem Debüt ein paar Dinge gewagt, dass nicht alles glänzt, war ja klar, aber langwelig fand ich es überhaupt nicht. Und das Zitat vom Ende der Kritik mit der “Literatur” ist ja auch im Buch deutlich ironisch gemeint. Wie auch immer, mal gespannt, wie der nächste Roman von Benedict Wells wird, habe das hier gerade im Netz gefunden, das gibt ja doch Anlass zur Hoffnung:
http://www.kulturnews.de/knde/review.php?review_id=3393&topic=buecher&show=review&artist=Benedict+Wells&title=Spinner