Über die Einsamkeit von Menschen, die einander nie berühren können
Die Italiener sind bekannt dafür, sehr melancholische, fast schon depressiv machende Bücher zu schreiben und zu lesen. Das trifft nicht immer meinen Geschmack. In diesem Fall aber passt es sehr genau – denn Paolo Giordano, jüngster Preisträger des renommierten Premio Strega ever, würzt die Realität in seinem Buch Die Einsamkeit der Primzahlen mit einer erträglichen und schmackhaften Prise Melancholie. Der Ton seines Romans ist ebenso traurig wie der seiner Schriftstellerkollegen – aber er schreibt dabei so anschaulich und glaubhaft, dass man Zugang findet zu seinen Protagonisten und mit ihnen mitleidet.
Alice und Mattia haben beide in jungem Alter etwas erlebt, das sie aus der Bahn des normalen Erwachsenwerdens geworfen hat, das sie abgeschnitten hat von sich selbst und das ihnen das Zusammensein mit anderen erschwert. Bei Alice war es ein Skiunfall, Mattia dagegen ist für das Verschwinden seiner Zwillingsschwester verantwortlich. Mit großen Zeitsprüngen zwischen den einzelnen Kapiteln erzählt Giordano davon, wie Alice und Mattia einander umkreisen, einander Halt geben und einander brauchen – ohne den Moment zu finden, in dem sie die unsichtbare Mauer zwischen ihnen überwinden könnten. Es ist ein schönes Bild, das Giordano zeichnet, jenes der Primzahlzwillinge, die sich immer nahe sind, einander aber nie berühren können.
Unverkrampft und ohne die jungen Autoren oft eigene Coolness erzählt Giordano von zwei zerstörten Individuen und gibt seinem Roman ein Ende, das wohl unausweichlich ist, das ich mir aber dennoch anders gewünscht hätte. Er findet wundervolle, unbeugsame Metaphern und passt sich sprachlich an die traurigen Ereignisse an. Das ist Melancholie in ihrer schönsten Form. Fünf Punkte.