Bücherwurmloch

Celeste Ng: Unsere verschwundenen Herzen

„Aber wenn er etwas aus Geschichten gelernt hat, dann dass man Menschen, die unterwegs Hilfe anbieten, nicht aus dem Weg gehen sollte“

Bird weiß nicht, warum seine Mutter fortgegangen ist. Sein Vater spricht nicht über sie, und auch ansonsten heißt es für Bird: senk den Kopf, schau niemandem in die Augen, weich aus, sei unsichtbar, mach keinen Ärger. Denn Birds Gesicht hat asiatische Züge, und das ist gefährlich: Seit dem PACT – Preserving American Culture and Traditions Act – steht fest, dass China an allem schuld ist, an der Krise, der Arbeitslosigkeit, der Armut. Bird hat das, was man ihm in der Schule erzählt, nie hinterfragt, doch plötzlich bekommt er eine Zeichnung mit Katzen, die an einer tief verborgenen Erinnerung in ihm rüttelt, auf der Straße tauchen rote Worte auf, die auf die „missing hearts“ aufmerksam machen, und Bird weiß, woher diese Formulierung stammt: aus einem Gedicht seiner Mutter. Also tut er, was er tun muss … 

„Wann ist man je fertig mit der Geschichte eines Menschen, den man liebt?“

Celeste Ng, die mit „Was ich euch nicht erzählte“ und „Kleine Feuer überall“ sensationelle Erfolge verbuchen konnte (großartig auch die Serie mit Reese Witherspoon), hat einen neuen Roman vorgelegt, der dystopisch anmutet, so unrealistisch aber nicht ist: Sie thematisiert darin antiasiatischen Rassismus, der im Zuge der Corona-Pandemie grausame Auswüchse angenommen hat. Zensur geht einher mit engmaschiger staatlicher Kontrolle – auch das ist in vielen Ländern an der Tagesordnung. Aus der Perspektive eines Kindes zu erzählen, ist recht heikel, Celeste Ng hat jedoch mit Bird ein sympathisches Kerlchen geschaffen, dem man gern zuhört und auf seiner Reise folgt. Ich fand den Roman ein wenig zu auserklärt, an manchen Stellen hatte ich das Gefühl, dass ein sparsamerer Stil ihn wirkmächtiger gemacht hätte, aber ich kann auch verstehen, dass die Autorin viel zu sagen hatte und sich nicht zurückhalten wollte. Weil dies ein wichtiges Thema ist, das jede Dringlichkeit verdient hat. Ein trauriges, berührendes Buch über das Verstummen und Aufbegehren, über zerrissene Familien und den Hass auf alles „Fremde“. Möge es möglichst viele Menschen zum Nachdenken anregen.  

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